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Inhaltsverzeichnis

Das Hantieren am Türschloß dauerte ungewöhnlich lange. Ein leises Geräusch, das an das Kratzen einer Feile erinnerte, war von Zeit zu Zeit zu hören. Was ging da vor? Warum diese Zeremonien? Wollte er uns erschrecken? Nur der knirschende Laut gab Antwort auf meine Fragen. Schließlich ging er mir auf die Nerven. Ich bemühte mich, meinen Knebel auszuspucken und zu rufen: Aufhören, zum Teufel! Kommen Sie herein und machen Sie ein Ende!

Plötzlich endete das Geräusch. Ich hörte die Wohnungstür nicht aufgehen, aber ich ahnte, daß dies gerade jetzt geschah. Ein Zucken durchrieselte mich. Ich sah den Professor an.

Auch er blickte unverwandt auf die Korridortür. Aber ich konnte nicht einmal ein Beben seiner Lider wahrnehmen, als sie sich endlich öffnete! Vielleicht war er auf das, was kommen sollte, vorbereitet. Ich war es nicht, und ich sank vor Überraschung in das Bett zurück.

Ich hatte Laplace erwartet. Statt seiner stand ein beleibtes, zweifelhaft gekleidetes Mannsbild in der Tür. In der einen Hand hielt es ein Schlüsselbund mit einer Anzahl dünner Schlüssel. Die andere lag auf dem Türgriff. Er stand da, den stoppeligen Hals vorgestreckt, und schaute sich mit vorgeschobenen Lippen um. Was er zu sehen erwartete, weiß ich nicht, aber offenbar nicht das, was er erblickte. Im selben Augenblick, in dem er den Professor auf den Diwan erblickte, fiel er aufplumpsend auf den nächsten Sessel und ließ das Schlüsselbund fallen.

Er hatte einen Hut auf dem Kopf, einen niedrigen Deckel mit breiter Krempe. Der saß flott zurückgeschoben über einem feisten, rötlichen Gesicht. Wie er da auf dem Sessel kauerte, mit offenem Mund, die Augenbrauen in die Höhe gezogen, soweit es nur möglich war, sah er so urkomisch aus, daß ich zu lachen anfing. Ich habe schon angedeutet, wie eigentümlich ein Lachen klingt, wenn es von jemandem ausgestoßen wird, der mit einem Knebel versehen ist. Als die Wellen meines Lachens meinen neuesten Gast erreichten, sprang er vom Stuhl auf und begann, wild um sich zu starren, um sich klarzuwerden, woher in aller Welt dieses Geräusch gekommen sein mochte. Als er endlich konstatierte, daß es ein Mensch war und noch dazu ein Mensch, genau so hergerichtet wie der Mann auf dem Diwan, schlug er sich auf die Stirn, wie um zu sagen: Das geht zu weit! Das ist unmöglich! Er stand noch so da, als mir zum Bewußtsein kam, daß ich ihn kannte.

Es war mein Freund, der Haustüröffner von der vorletzten Nacht.

Mit einem Schlage stand das Ganze klar vor mir. Ich hatte ihm meine Adresse gegeben, und er hatte sie in seinem Gedächtnis bewahrt. Ich hatte ihn gebeten, zu mir hinaufzuschauen, und das hatte er getan. Er hatte zu mir hinaufgeschaut, und da er zu verstehen glaubte, daß niemand zu Hause weilte, war er eingetreten, um seine Visitenkarte abzugeben. Das praktische Schlüsselbund, das auf dem Boden lag, erklärte, wie das zugegangen war.

Er hatte dafür am Jüngsten Tage keine Vorwürfe zu erwarten; ich war krank und eingekerkert, und er kam und besuchte mich. Ich war durch das Warten auf Laplace so abgespannt, daß ich erneut in ein Lachen ausbrach, welches das Interesse des Haustüröffners für mich in keiner Weise beeinträchtigte.

Plötzlich dämmerten die ersten Symptome eines Wiedererkennens in seinen Augen. Er machte ein paar zaghafte Schritte auf das Schlafzimmer zu. Dann blieb er stehen und räusperte sich.

»Das ist ja der gnä' Herr – Gott verdamm mich –, liegt der gnä' Herr da? Ich hab geläutet – na und –«

Ich war gespannt, seine Darstellung zu hören, aber noch ungeduldiger war ich, den Knebel loszuwerden. Ich ballte mein Gesicht zu einem Knoten zusammen, und wenngleich zur Stummheit verurteilt, versuchte ich doch zu rufen:

»Geschwind! Sie sehen doch, wie es steht! Plaudern können wir später!«

Der Hausaufschließer trat zögernd ein paar Schritte näher.

»Warum liegt denn der gnä' Herr so da?« forschte er. »Also, daß ich sag, wie die G'schicht war. Ich hab mir halt denkt, der gnä' Herr hat g'sagt, ich soll kommen, na und so –«

Wenn das noch länger dauerte, würde ich wahnsinnig. Ich nahm alle mimische Kraft, über die ich verfügte, zusammen.

Endlich trat er an das Bett heran.

»Der gnä' Herr hat ja an Knebel«, bemerkte er nachdenklich, »und gefesselt ist der gnä' Herr auch. Das versteh ich nicht. Ich hab mir halt denkt, der gnä' Herr ist doch studiert und kennt sich aus, und wie ich läut und hört keiner auf mein Klingeln –«

Mein Mienenspiel mußte ihm endlich eine Ahnung beigebracht haben, daß sein Bericht zur Zeit aufgeschoben werden konnte, ohne an Interesse zu verlieren. Er zückte ein Taschenmesser von erheblichen Dimensionen und durchschnitt langsam den Knoten des Knebels. Meine Zunge war so lahm, daß ich sie trotzdem nicht aus dem Munde bringen konnte. Jetzt ging das Messer durch meine Stricke, einen nach dem anderen. Plötzlich hielt mein Befreier inne.

»Warum in aller Welt liegt der gnä Herr so da? Das versteh ich nicht. Und der andere auf dem Sofa?«

Endlich war es mir gelungen, das Marterinstrument zu entfernen.

Ich versuchte zu sprechen. Aber meine Zunge war wie ein trockener Klumpen. Diesmal wurde es dem Befreier leicht, meine Gedanken zu lesen. Er verließ mich und verschwand mit hellseherischer Sicherheit in einen Verschlag im Hintergrunde des Schlafzimmers. Man hörte ein vielversprechendes Gläserklirren, und ich fühlte mich stark genug, selbst die Bande um meine Knöchel zu durchschneiden. Ich hatte mich bereits zu sitzender Stellung aufgerichtet, als der Haustürenaufschließer mit zwei Bierflaschen erschien. Ich nahm die eine und deutete mit einer stummen Geste auf den Professor.

Mein Befreier stellte voll edler Selbstverleugnung seine Flasche beiseite und befreite den Professor, der ihm einen flehenden Blick zuwarf. Der Sohn des Volkes hatte ein gutes Herz. Die Flasche wechselte ihren Besitzer und existierte fünf Minuten später nicht mehr als solche. Der Professor blieb in beredtem Schweigen auf dem Diwan liegen und brach es erst nach mehreren Minuten.

Als dies endlich geschah, richtete er das Wort an mich, aber seine Frage galt offenbar meinem Freunde, dem Türenöffner, der stolz, aber bar jedes Verstehens dastand und uns ansah.

»Ein Berufsgenosse von Ihnen?«

Ich nickte. »Ein Bekannter von gestern nacht.«

»Sie haben einen bunten Bekanntenkreis. Gott sei gedankt!«

Der Sohn des Volkes, der das dunkle Gefühl hatte, als drehe sich das Gespräch um ihn, fand es an der Zeit, eine neue offizielle Erklärung der Gründe seiner Anwesenheit zu erlassen.

»Na ja, ich hab mir halt eingebüldet, der gnä' Herr ist nicht z'Haus, aber der gnä' Herr ist ja ein Studierter und versteht doch alles. Also wenn ich hineingeh und mich ein bissel niedersetz, bis der gnä' Herr kommt, da kann keiner nichts dawider haben. Und so hab ich halt die Tür aufgemacht. Was hat der gnä' Herr ins Schlüsselloch g'steckt?«

»Ins Schlüsselloch gesteckt?«

»Ein Brocken soo groß is drin g'steckt. Kaum zum Aufkriegen. Anfangs hab ich mir denkt, jetzt bist aber falsch gangen, Jensen, aber dann hab ich gemeint, nein, der gnä' Herr hat doch g'sagt: Jakobsgasse 10, zweiter Stock, rechts, komm, wie es dir paßt, Jensen, hat der gnä' Herr gestern abend g'sagt, und hier ist Jakobsgasse 10, und drum bin ich hereingegangen.«

Ich begriff nun, wie Laplace sich dagegen hatte sichern wollen, daß ein Unberufener seine Jagdgründe betrat. Gleichzeitig verzieh ich in Gedanken meiner Reinmachefrau den Mangel an zeitgemäßen Werkzeugen, der es verschuldet hatte, daß sie nicht hereingelangen konnte.

»Lieber Jensen«, sagte ich, »vom heutigen Tage an haben Sie einen Freibrief als Einbr…;, ich meine als Gast in meiner Wohnung zu allen Tageszeiten. Sie sind mein Freund fürs Leben. Ich rate Ihnen nur eines. Warten Sie von heute ab noch ein paar Tage mit Ihren Besuchen.«

Der Sohn des Volkes sah mich mit einem gekränkten Ausdruck in seinem offenen Gesicht an.

»Ich werd den gnä' Herrn schon nicht belästigen, wanns dem gnä' Herrn nicht paßt, ich hab mir nur denkt –«

»Ich weiß. Ich billige Ihren Gedankengang in einem Grade, den Sie nicht erraten können. Sie sind zu jeder Tageszeit willkommen. Aber Sie haben ja gesehen, in welchem Zustand ich und der andere Herr waren –«

»Na ja, das versteh ich aber wirklich nicht, warum die Herren –«

»Ein Freund von uns hat sich hier betätigt. Er ist stärker, als es für andere Menschen gut ist. Er hat eine Manie, die Leute zu binden. Und es ist denkbar, daß er wieder hier heraufschaut – Sie verstehen?«

»Aha, wenn die G'schicht so ist, na ja, dann –«

»Ja, gerade so ist sie. Und weil wir eben von unserem Freunde reden, glaube ich, es wäre das beste, so rasch wie möglich abzuhauen. Was meinen Sie, Professor?«

»Sie sind ein neuer Demosthenes«, sagte der Professor. »Machen wir uns gleich davon. Langsam vermag ich meine Glieder wieder zu bewegen, aber nicht genug, um noch einen zweiten Gang mit unserem Freunde Laplace zu wagen. Das schiebe ich für ein andermal auf.«

»Meine größte Ähnlichkeit mit Demosthenes«, erwiderte ich, »liegt darin, daß ich das Gefühl habe, als wäre mein Mund voll Kieselsteine. Ich will nur erst anständige Kleider anziehen. In zwei Minuten bin ich fertig.«

Einige Minuten später hinkten der Professor, ich und unser Befreier aus der Jakobsgasse 10 fort. Auf den Straßen begann man gerade die Laternen anzuzünden.

»Wir müssen etwas essen«, sagte der Professor. »Gestatten Sie mir, Sie einzuladen. Dann –«

»Dann gedenken Sie Laplace aufzusuchen?«

»Ich weiß nicht, wo Laplace wohnt. Ich suche ihn, seit ich hier bin. Sie beide haben sich auf der Redoute getroffen, nicht wahr? Ich vermag nicht zu begreifen, wie er mir dort entgehen konnte. Ein Mann wie er!«

»Sie sollten sagen, ein Paar wie sie«, widersprach ich. »Aber richtig, Sie haben seine Begleiterin nicht kennengelernt. Wen wollen Sie also aufsuchen, wenn nicht Laplace?«

Der Professor blies eine Rauchwolke aus einer soeben angesteckten Zigarette und sah mich lächelnd an.

»Ich gedenke Ihrem Freunde, Herrn Pitz, einen Besuch abzustatten«, sagte er.

Ich starrte ihn an wie einen Irren.

In diesem Augenblick gingen wir gerade an einem Zeitungsladen vorüber. Zufällig warf ich einen Blick auf die Inhaltsplakate im Fenster.

Als erste Rubrik auf dem Abendplakat der »Extrapost« stand mit fettgedruckten Lettern:

Großer Skandal an der Universität.

Und darunter in etwas kleineren:

Der Lektor des Chinesischen bricht in eine Wohnung ein und wird auf frischer Tat ertappt.

 Frank Heller-Krimis

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