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Inhaltsverzeichnis

Herrn Pitz' Wohnung war leer. Niemand meldete sich, als wir klingelten.

Meine bürgerliche Lebensanschauung hatte sich an diesem Tage in raschem Vormarsch befunden, um das Terrain, das sie vor ein paar Nächten verloren hatte, wiederzuerobern. Laplace und der Vormittag mit dem Knebel waren zwei kräftige Bußprediger gewesen. Ich begann das Gefühl zu hegen, daß ich an außerordentlichen Erlebnissen nun bald genug hätte. Es war ein letzter Zug zu ihnen hin, der mich dazu brachte, dem Professor zu folgen. Der Impuls hatte auf dem Weg nach Vodroffsvej 11 B Zeit gehabt, seinen Reiz zu verlieren. Als niemand auf das Klingeln des Professors reagierte, war dieser Reiz so gut wie völlig gewichen. Ein fragender Blick meines Begleiters, während er das Schlüsselbund hervorzog, ließ mich jedoch an meinem Vorsatz festhalten. Ich nickte ein barsches Ja. Der Professor wählte versuchsweise einen Schlüssel aus und steckte ihn ins Schlüsselloch.

Mir fiel seine rechte Hand ein, obgleich sie ihn, die Wahrheit zu sagen, nicht nennenswert zu genieren schien.

»Soll ich Ihnen nicht helfen?«

»Nein, danke«, murmelte er mit einem Lächeln, »Ich will mein Glück selbst versuchen. Aber wollen Sie unten Wache halten und mir ein Zeichen geben, wenn jemand kommt?«

Ich tappte die Treppen hinunter und faßte im Haustor Posten.

Das Haus war alt und hatte eine Menge Wohnungen. Herr Pitz wohnte im zweiten Stock. Ich stand im Haustor und spannte meine Aufmerksamkeit an, teils um zu sehen, ob jemand käme, teils um zu horchen, was der Professor unternahm. Für einen Anfänger mit einer verletzten Hand war er erstaunlich geschickt. Ich hörte keinen Laut von oben, nicht einmal das schwache Knirschen, das Jensens Eintritt in meine Wohnung vorangegangen war. Ich zog in Gedanken einen Vergleich mit meinem eigenen Einbruch vor zwei Nächten. Er fiel nicht zu meinen Gunsten aus.

Allerdings hatte ich kein Schlüsselbund von der Qualität des Jensenschen Bundes gehabt. Aber ich hatte in einem schlafenden Haus gearbeitet. Der Professor stand in voller Beleuchtung in einer großen Mietskaserne, die offenbar noch gar nicht an Schlaf dachte. Man hörte Geräusche aller Art. Kinder, die plärrten, Erwachsene, die lachten, Dienstmädchen, die mit Geschirr klapperten. Es war ein Konzert der bürgerlichen Anständigkeit, das alle meine eigene Bürgerlichkeit hell wach machte. Ich hatte Visionen von Familienleben. Ich fühlte mich als ein Verirrter, ein Wegelagerer, der Verbrechen auf Verbrechen häuft. Ich spürte das Fehlen des Whiskys, der mich das vorige Mal taub gegen alle solchen Stimmen gemacht hatte. Ich begann, in meinem Entschlusse wankend zu werden.

U-u-it!

Von oben herab war ein leiser Pfiff gekommen. Die Vorbereitungen zu meiner zweiten Gesetzesübertretung schienen erledigt zu sein. Mit klopfendem Herzen flog ich die Treppen hinauf. Während ich die letzten Stufen nahm, spürte ich, wie Hände mich an den Rockschößen faßten und mich zurückzogen. Das waren meine bürgerlichen Schutzengel, die weinend einen letzten Versuch machten, mich zurückzuhalten. Ich ermannte mich und schleppte sie die Treppen hinauf, aber es war eine schwere Last. Endlich war ich oben. Der Professor zog mich hastig durch die halboffene Tür, an der Herrn Pitz' Visitenkarte prangte, und schloß sie leise hinter uns. Zum zweiten Male hatte ich den Rubikon überschritten.

»Vergessen Sie nicht, leise aufzutreten«, flüsterte der Professor. »Die Leute hier im Hause sind noch wach.« Ich nickte verständnisvoll. Der Professor ging, ohne zu zögern, vor mir in ein großes Zimmer. Nachdem er die Tür zum Vorraum geschlossen hatte, zündete er den Kronleuchter an und begann sich umzusehen.

Wir standen offenbar im Eßzimmer des Herrn Pitz. Ob er einen eigenen Haushalt führte, wußte ich nicht. Es war ja denkbar, daß er dies tat und daß die Haushälterin jetzt sein Haus verlassen hatte, wie die Ratten das sinkende Seeräuberschiff. Es war auch denkbar, daß er sich und seinen Gästen das Essen aus der Stadt bringen ließ. Auf jeden Fall war der Speisesaal stilvoll, aber für uns, die wir eben aus dem Café kamen, bot er keinerlei Interesse. Wir drehten das Licht ab und schlichen weiter.

Der nächste Raum erwies sich als Rauchzimmer, in orientalischem Stil möbliert. Auch durch dieses schlichen wir, ohne uns aufzuhalten.

Dahinter lagen Herrn Pitz' zwei letzte Zimmer, das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer. Hier machte der Professor halt.

Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Arbeitszimmer auf die Straße und das Schlafzimmer in den Hof ging, zog er stumm die Vorhänge vor allen Fenstern vor und zündete erst dann Licht an. Die Vorhänge schienen dick genug, um zu verhindern, daß Licht nach draußen drang.

Er blieb mitten im Schlafzimmer stehen. Die Hände in den Hosentaschen musterte er jede Einzelheit des Zimmers. Ich beobachtete ihn gespannt, um zu sehen, was er unternehmen würde. Ich gebe zu, daß ich seine nächste Handlung nie erraten hätte.

Er tauchte, ohne zu zögern, in Herrn Pitz' Garderobe unter, die sich in einem Alkoven im Hintergrunde des Schlafzimmers befand.

Was in aller Welt meinte er? Ohne zu zögern, aber auch ohne sich zu übereilen, begann er den Inhalt der Garderobe durchzugehen. Herr Pitz mußte ein Kleidernarr sein, denn die Garderobe schien außerordentlich reichhaltig. Der Professor untersuchte Anzug um Anzug und hängte sie wieder zurück. Schließlich hatte er die ganze Garderobe durchforscht und wandte sich nun der Kommode zu. Die enthielt Kragen, Hemden, Krawatten, Strümpfe, Unterkleider, alles in reichster Auswahl. Aber nichts davon vermochte den Professor zu fesseln. Er setzte die Untersuchung fort, öffnete Schublade um Schublade und legte mit erstaunlicher Fingerfertigkeit alles wieder so zurück, wie es gelegen hatte. Ein Außenstehender hätte nicht sehen können, daß die Kommode Besuch gehabt hatte. Endlich war er auch mit ihr fertig und reckte sich mit einer mißmutigen Grimasse. Ich konnte mich nicht länger beherrschen.

»Was in aller Welt treiben Sie denn?« flüsterte ich. »Glauben Sie, daß Herr Pitz ein Kleiderdieb ist oder daß er sein Diebsgut hier verbirgt?«

Er sah mich an.

»Herr Pitz ist ein Kleiderdieb, wenn Sie es auch anscheinend vergessen haben.«

»Kleiderdieb?«

»Haben Sie schon vergessen, daß er Ihren Chinesenmantel gestohlen hat? Den suche ich und nichts anderes.«

Ich war so verblüfft, daß ich einen Schritt zurückprallte. Also meinetwegen war dieser Einbruch geschehen! Das war ein Eifer für mich und mein Hab und Gut, den ich trotz allem übertrieben fand. Es wäre ja ganz schön, wenn ich Onkel Johns Erbstück wiederbekäme, aber das Risiko war doch allzu groß. Ich wollte dies eben äußern, als mich eine Entdeckung innehalten ließ, mein einziger Beitrag zu den Forschungen des Abends.

»Wenn Sie mein Kostüm suchen«, sagte ich, »können wir sofort aufbrechen. Das liegt dort!«

Der Professor drehte sich blitzschnell um. Als er sah, wohin mein Finger deutete, stieß er einen leisen Schrei aus. Das war nicht so unberechtigt. Denn wo hatte Herr Pitz seine gestohlene Beute, meinen mir mit weiblicher Hilfe entwendeten Mantel hingelegt? Auf sein Bett, wo er zierlich zusammengefaltet wie ein Pyjama am Fußende lag.

»Der Schlaufuchs«, flüsterte der Professor. »Ich glaubte schon fast, daß …«

»Daß ich gelogen hätte?«

»Daß das nicht der Fall ist, wußte ich. Nein, aber daß er bei Ihrer schönen Blondine in Verwahrung liege. Und sie hat doch wohl vergessen, Ihnen Namen und Empfangsstunde anzugeben?«

»In letzter Zeit haben meine Damenbekanntschaften eine beunruhigende Neigung gezeigt, dies zu tun«, murmelte ich. Der Professor lächelte und schlich zum Bett.

»Das ist also Ihr Mandarinenmantel?«

»Ja.«

»Gut. Kommen Sie!«

Er löschte das Licht im Schlafzimmer und im Arbeitszimmer und ging mit dem Mantel über dem Arm ins Rauchzimmer zurück. Ich hatte geglaubt, wir würden jetzt abziehen, aber diese Hoffnung war eitel gewesen. Als wir ins Rauchzimmer gelangt waren, legte der Professor den Mantel auf einen Sessel, zog die Vorhänge vor den Fenstern vor und drehte das Licht an. Dann öffnete er gelassen eine Silberdose, die auf dem Rauchtischchen stand, und untersuchte deren Inhalt.

»Sceptre«, sagte er. »Herr Pitz scheint den Ruf eines Epikuräers, den Sie ihm verliehen haben, zu verdienen. Rauchen Sie?«

»Was meinen Sie?« flüsterte ich. »Sie wollen rauchen? Dann kann ja jeder merken, daß jemand hier gewesen ist.«

»Was schadet das? Mein Daumenabdruck ist der Polizei unbekannt. Und ich gedenke meinen Hut nicht zu verlieren, bevor ich gehe.«

Das war grausam.

Ich sah den Professor vorwurfsvoll an.

»Nehmen Sie es mir nicht übel«, lächelte er. »Aber ich brauche eine Zigarette, wenn ich nachdenke.«

Ich traute meinen Ohren nicht.

»Wenn Sie nachdenken? Wollen wir hier bleiben?«

»Ja. Ein Weilchen. Ich will mir dieses Beutestück näher ansehen.«

»Aber das können Sie doch zu Hause ebensogut!«

»Ohne Zweifel. Aber ich habe nicht die Geduld, solange zu warten, und außerdem ist es nicht so sicher, daß es dort ebenso gut geht wie hier.«

Ich wußte nicht mehr, was ich glauben sollte – war er noch bei klarem Verstand? Es fiel mir nichts ein, was ich sagen konnte. Aber meinen bürgerlichen Schutzengeln dafür um so viel mehr. Die eindringlichen Warnungen, die sie an mich verschwendeten, klangen mir in den Ohren. Der Professor las in meinem Gesicht und machte einen Schritt auf die Tür zu.

»Aber bitte«, erklärte er, »mißverstehen Sie mich nicht. Es war überaus liebenswürdig von Ihnen, mich hierher zu begleiten. Allein ich will Sie natürlich nicht zurückhalten. Ich begleite Sie hinaus.«

Es lag weder Ironie noch Geringschätzung in seinem Ton. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – hatte er auf mich dieselbe Wirkung wie seine Worte im Café, bevor wir uns nach dem Vodroffsvej aufmachten. Blieb er, so blieb ich auch. Meine Schutzengel waren die einzigen, die nicht blieben. Als ich ebenfalls eine Zigarette angezündet hatte und mich in einen von Herrn Pitz' Sesseln setzte, konnte ich sie deutlich davonfliegen hören. Herrn Pitz' Wohnung war ihnen zu anrüchig geworden. Ich verhärtete mein Herz und versuchte mich als Held zu fühlen. Das hinderte nicht, daß ich angestrengt darüber nachgrübelte, warum wir eigentlich noch hier saßen und unsere Freiheit aufs Spiel setzten. War es solcher Dinge wegen, wie sie der Professor jetzt vornahm, schien es mir ganz und gar unnötig.

Der Professor erinnerte mich am ehesten an jene Kleiderjuden, die ich hier und da mit meinem Vertrauen beehrt hatte. Er hatte meinen Mantel auf einem Sessel vor sich ausgebreitet und saß jetzt da und befühlte ihn mit den Fingern. Auf und nieder, vorwärts und zurück, glitten seine Hände darüber hin. Dann hob er ihn auf und tastete Zoll für Zoll, jede Naht und jede Falte ab. Nach einer kleinen Pause begannen seine Finger die Untersuchung zum zweitenmal. Eine Viertelstunde nach der anderen verstrich. Ich glaube, mein Gesicht war ebenso beredt, wie es das von Herrn Pitz gewesen wäre. Was in aller Welt hatte das zu bedeuten? War er nicht recht bei Trost?

Endlich legte er den Mantel hin und starrte ihn an, die Augenbrauen heftig gerunzelt.

»Wieviel geben Sie dafür?« flüsterte ich.

Meine Ironie war verschwendet. Er saß regungslos wie eine Bildsäule da und sah auf den Mantel. Auch seine Zigarette war ausgegangen, während er sie im Mundwinkel hin und her rollte. Ich zog meine Uhr. Sie zeigte halb elf.

Im Hause begann es still zu werden. Wenn jetzt jemand hier Licht sah, mußte dies Aufmerksamkeit erregen, und wenn die Aufmerksamkeit einmal erregt war … Ich hörte meine Schutzengel das Zimmer umkreisen. Wie lange sollten wir denn noch so sitzenbleiben? Und was in aller Welt konnte die Absicht des Ganzen sein?

Plötzlich erhob sich der Professor und verschwand auf Zehenspitzen ins Arbeitszimmer. Er überzeugte sich, daß die Vorhänge vorgezogen waren, und drehte das Licht an. Ich sah ihn Herrn Pitz' Schreibtisch in derselben methodischen Weise, wie er sie bei der Untersuchung der Garderobe und der Kommode betätigt hatte, genau durchforschen. Endlich löschte er wieder aus und kam ins Rauchzimmer zurück.

Er brachte einen Bogen Papier mit, der mit Figuren und Zahlen bedeckt war. Den legte er vor sich auf den Rauchtisch und begann ihn zu prüfen. Ich wurde immer ungeduldiger. Die Zigarette, die ich anzündete, erlosch in regelmäßigen Zwischenräumen. Sie war für mich ohne jedes Aroma. Die Schutzengel kamen bis an meinen Sessel heran und begannen mir zuzuraunen. War ich etwa gezwungen, hier sitzenzubleiben? Konnte ich nicht unter irgendeinem Vorwand, der den Schein wahrte, mich aus dem Staube machen? – Der Professor mußte meine Gedanken gelesen haben, denn plötzlich hob er den Blick von dem Papier und sagte:

»Geben Sie mir noch fünf Minuten, dann schieben wir ab.«

Kolumbus verlangte drei Tage von seiner ungeduldigen Besatzung. Fünf Minuten waren kein unbilliges Ansinnen, wenn es von jemandem kam, der zwischen mir und der strafenden Gerechtigkeit stand. Ich bewilligte sie und wartete gespannt die Entdeckungen ab, die da kommen sollten! Es kamen keine. Die fünf Minuten dehnten sich zu fünfzehn aus, zu zwanzig. Ich begann wieder auf dem Sessel hin und her zu rutschen. Der Professor erhob sich mit einem Lächeln und steckte das Papier in die Tasche.

»Sie haben recht«, meinte er. »Das ist Zeitvergeudung. Gehen wir.«

Er tappte noch einmal ins Arbeitszimmer; ich hörte ihn an dem Bücherbrett herumhantieren. Dann kam er zurück, löschte das Licht und stellte alles so, wie es gestanden hatte. Auf den Zehenspitzen schlichen wir uns ins Vorzimmer. Nachdem wir gelauscht und uns vergewissert hatten, daß niemand im Treppenhaus weilte, öffnete der Professor die Wohnungstür. Wie der Kapitän der letzte ist, der das Schiff verläßt, so war er der letzte, der Herrn Pitz' Wohnung verließ. Ich sah auf meine Uhr. Wir hatten genau drei Stunden bei Herrn Pitz zugebracht. Die einzige Ausbeute war mein Mantel, den der Professor über dem Arm trug. Ich erbot mich, ihn ihm abzunehmen, aber er schüttelte den Kopf.

»Wir könnten der Blondine begegnen«, erklärte er.

»Meinetwegen«, gab ich zurück. »Aber lieber der Nonne.«

Der Vodroffsvej lag verlassen da, und der Gammel Kongevej war auch mehr oder weniger öde. Mir fiel etwas ein.

»Hier ging ich vorgestern nacht«, sagte ich, »mit meinem Freund Jensen, der uns heute gerettet hat. Und« – ein Gedanke blitzte in mir auf und entlockte mir einen überraschten Aufschrei – »was für ein verdammter Esel bin ich doch!«

Der Professor sah mich mit einem Mangel an Widerspruchsgeist an, der mich verletzte.

»Wieso?« fragte er nur.

»Jensen weiß doch, wo das schwarze Haus liegt!« rief ich. »Er hat es doch gelegentlich selbst öffnen wollen! Und ich habe vergessen, ihn heute danach zu fragen, ich verdammter Esel!«

»Sie haben recht«, sagte der Professor. »Es wird jetzt nicht so leicht sein, Jensen zu finden. Wie ich gelesen habe, gibt es hier in der Stadt dreitausend Kaffeehäuser, und er sah sehr entschlossen aus, als wir ihn verließen.«

»Ich muß ihn erwischen«, betonte ich.

»Da wir gerade von Jensen reden«, unterbrach mich der Professor, »wo gedenken Sie heute nacht zu schlafen? Zu Hause?«

Ich zuckte zusammen. Ich hatte Jakobsgade 10 und alles, was damit zusammenhing, schon so halb und halb vergessen. Zu Hause übernachten! Ich hatte eine Vision meiner Wohnung: In meinem Lehnstuhl saß ein Riese mit einer Zigarre im Munde und lauerte auf mich, und die Zigarre und seine Augen brannten um die Wette.

»Nein, zu Hause werde ich kaum übernachten«, erklärte ich mit einem leichten Schauer. »Es ist ja ein wenig schwierig für mich, die Polizei um Schutz zu bitten. Meine Affäre von vorgestern nacht – – ich muß in ein Hotel gehen.«

Der Professor sah mich an.

»Sie vergessen eines«, sagte er. »Die Hotels sind die Örtlichkeiten, welche die Polizei am schärfsten beaufsichtigt. Und im Hinblick auf das, was Sie vorgestern nacht getan haben – ich sage nichts, aber wenn die Polizei Ihre Spur verfolgt …«

Er sprach den Satz nicht zu Ende. Ich spürte plötzlich ein Saugen im Rückgrat, etwa wie wenn man in einem Lift hinunterfährt. Zum erstenmal erhielt ich einen Einblick, wie es Jensen und seinen Berufsgenossen im täglichen Leben ergeht. Wohin sollte ich mich wenden?

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, fuhr der Professor fort. »Es gibt zwei Orte, wo Sie absolut sicher sind, der eine ist oben bei Herrn Pitz. Sie können meine Schlüssel haben.«

Ich war nahe daran, handgreiflich zu werden. Das war der blutigste, frechste Hohn in einem Augenblick, da ich der größten Sympathie bedurfte.

»Der andere Ort«, sprach der Professor mit dem Bruchteil eines Funkelns in den Augen, »ist zu Hause bei mir. Was ziehen Sie vor?«

»Professor«, meinte ich, »als Detektiv sind Sie mehr als wunderlich, das muß ich sagen, aber als Mensch besitzen Sie meine Anerkennung. Haben Sie wirklich Platz für mich?«

»Ich habe Platz für mehr als einen Gast«, sagte der Professor. »Nehmen wir dieses Auto. Ahoi, Schofför!«

Wir sausten über den Rathausplatz gegen Oesterbro. Der Professor nahm seine mir unverständliche Musterung meines Mandarinenmantels wieder auf.

Ich überließ mich den Gedanken, die meine bürgerlichen Schutzengel mir im Augenblick eingaben. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich ein gewisses Heimweh fühlte – nach jenem ruhigen Spießbürgertum, für das keine Gefängnishöfe gebaut und nur ausnahmsweise Revolverkugeln gegossen werden. Ich war in die Welt hineingekommen, von der ich in zehn Büchern phantasiert hatte, und ich fühlte mich wie Gulliver im Lande Brobdingnag. Man muß zum Abenteurer geboren sein, man wird es nicht.

Meine Gefühle sollten einen neuen Stoß in die Richtung der bürgerlichen Gesellschaft bekommen. Das Auto war vor Rosenvangetsallee 31 stehengeblieben. Das Bezahlen nahm längere Zeit in Anspruch. Der Professor reichte mir ein paar Schlüssel – nicht die Jensens – und sagte:

»Gehen Sie nur voraus!«

Ich ging durch das Gärtchen zum Hauseingang hinauf. Ich hörte das Auto fortsausen und den Professor das Gartenpförtchen hinter sich schließen. Ich steckte den Schlüssel ins Schloß und öffnete.

Eine kurze Sekunde glaubte ich, Gespenster zu sehen. Dann stand das Ganze blitzhell vor mir. Das war keine Geistererscheinung. Wenn der Professor Raum für mehr Gäste als für mich hatte, so hatte er auch mehr bekommen. Ein gewaltiger Arm packte mich und riß mich hinein. Ich hatte gerade noch Zeit zu einem einzigen gellenden Schrei:

»Professor! Er ist hier! Nehmen Sie sich in acht!«

 Frank Heller-Krimis

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