Читать книгу Gesammelte Werke - Франк Хеллер - Страница 7

3

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Die Nacht war, wie gesagt, windig. Vor der Bodega lag ein umgewehtes Rad, vermutlich das des Kellners. Mein Geist weilte noch bei den Gesprächen der letzten Stunden. Ich dachte, Buddha sagt, wer einen umgepurzelten Käfer wieder aufstellt, dem werden sieben Sünden verziehen; wie viele Sünden werden dem vergeben, der ein umgefallenes Fahrrad wieder aufstellt? Dann entdeckte ich, daß dies Regeldetri war und daß ich folglich nie zur Klarheit über diese Frage kommen würde, da ich alle Mathematik vergessen hatte. Somit gab ich das Problem auf. Der Wind packte mich und trieb mich wie mit gehißten Segeln um die Ecke des Höjbroplatzes. Dort war es windgeschützt. Gerade hinter der Ecke hatte sich eine kleine Windhose gebildet, in der der Straßenkehricht herumwirbelte. Ich leistete ihm kameradschaftlich ein paar Minuten Gesellschaft und kreuzte dann über den Markt.

Er war schwarz und leer bis auf einen einsamen Schutzmann, der inmitten des Platzes stand, die Hände auf dem Bauch, und Ausschau hielt nach etwas, das er beeiden konnte. Bei meinem Anblick richtete er sich auf und tat ein paar Amtsschritte in meiner Richtung. Ich habe jedoch eine angeborene romantische Abneigung, die nähere Bekanntschaft der Gestalten zu machen, über die ich dichte; es ist eine Art geistiges Gyroskop in mir, das mich stets in solchen Augenblicken aufrichtet und mich ohne Schaden zu nehmen an Schutzleuten vorbeiführt. Das arbeitete auch jetzt. Ich nahm den Schutzmann mit einem feinen Außenbogen und schwenkte mit vollen Segeln in die Köbmagerstraße ein.

Als ich soweit gekommen war und mich fast außer dem Bereich des Schutzmannes befand, koppelte sich das Gyroskop automatisch ab. Statt dessen begann der mehr bewußte Teil meines Gehirns zu arbeiten. In Augenblicken dieser Art funktioniert er in der Weise, daß er sich in zwei Parteien teilt: eine, die Vorschläge macht, und eine, die den Ausschlag gibt. Man kann auch an die schwarzen und weißen Vögel denken, die über Frithjofs Haupt sangen. In meinem Fall war es der weiße Vogel, der anfing. Er sagte:

»Das ist doch sinnlos. Du befindest dich in der Köbmagerstraße und bewegst dich in der Richtung zur inneren Stadt. Du selbst aber wohnst in der Jakobsgasse, die gerade hinter dir liegt, draußen gegen Amager. Es wäre folglich ratsam, den Kurs zu ändern. Ich schlage vor, klaren Kurs in umgekehrter Richtung.«

Der schwarze Vogel erwiderte:

»Hat man je etwas so Prosaisches gehört! Wenn man, abgesehen von unzähligen anderen Sachen, mit dabei war, eine Flasche zwanzigjährigen Whisky trocken zu legen, kann es unmöglich Sinn oder Verstand haben, nach Hause zu gehen und in die Federn zu kriechen. Wenn die Jakobsgasse hinter uns liegt, so liegt das Neue und Unbekannte gerade vor uns. Vollen Kurs geradeaus!«

Der weiße Vogel warnte:

»Das Suchen nach dem Neuen und Unbekannten kann, wenn man dabei mitgewirkt hat, soviel Whisky zu vertilgen, leicht polizeiliche Unannehmlichkeiten nach sich ziehen.«

Der schwarze Vogel wiederholte:

»Keine Einwände. Voller Kurs geradeaus!«

Das Gyroskop, das gerade einen neuen Schutzmann in Sicht hatte, nahm seine Tätigkeit wieder auf. Wir umschifften die Ecke zur Skindergasse ohne jede Schwierigkeit. Auf halbem Wege in dieser Straße wurden jedoch meine Beine von dem lächerlichen Verlangen erfaßt, zusammenzuklappen wie Taschenmesser. Um sie daran zu hindern, sah ich mich gezwungen, die ganze Skindergasse im Laufschritt zurückzulegen. Ich bog um die Ecke, ohne darüber nachzudenken, in was für eine neue Straße ich kam. Plötzlich war es mit meinem Atmungsvermögen vorbei, ich verlangsamte das Tempo und trieb willenlos dem Gegenstande zu, der mir augenblicklich am stärksten Eindruck machte, einem beleuchteten Ladenfenster. Ich lief es ohne Schwierigkeiten an und faßte Posten, hineinzustarren. Mein Blick glitt anfangs zerstreut über die Auslagen, aber nach einigen Augenblicken bemerkte ich ein Ding, das mich in herzliches Lachen ausbrechen ließ. Mitten im Schaufenster hockte ein dicker Buddha und schmunzelte in sich hinein.

Ich beschloß, das Fenster genauer zu betrachten. Außer dem dicken Buddha enthielt es Seidenstoffe mit glänzenden Stickereien, Krummsäbel von blutrünstigem Aussehen, Uhren und eine Menge Porzellanfiguren. Einige saßen, andere standen, und etliche nickten feierlich mit dem Kopf. Ich legte das Gesicht in ernste Falten und beantwortete ihr Nicken. Ich begriff, daß ich mich vor einem chinesischen Antiquitätenladen befand. Teils aus diesem Grunde, teils weil ich in H. C. Andersens Land weilte, dünkte es mich ein glücklicher Einfall, beide Zeigefinger zu heben und P! zu sagen, wie der Chinese in der Geschichte. Gleichzeitig zerbrach ich mir den Kopf, um zu ergründen, warum der Laden zu dieser nächtlichen Stunde beleuchtet war. Alle anderen Läden auf der Straße hüllten sich in Dunkelheit. Diese Sache fesselte mich jedoch nicht allzu lange, und nach noch ein paar Augenblicken lichtete ich die Anker und trieb weiter.

Auf die Herzlichkeit, die den Umgang zwischen mir und dem erleuchteten Antiquitätenladen ausgezeichnet hatte, folgte eine Periode der Verschlossenheit und des Ernstes. Das Leben ist nicht nur Scherz. Ich grübelte darüber nach, während mich meine Beine durch eine Straße nach der anderen trugen, vorbei an verspäteten Wanderern, die mich anstarrten, jungen Damen, die mir propädeutisches Wohlwollen zeigten, und Schoffören, die mich anriefen. Das Gyroskop hatte den Kurs halb Steuerbord gelegt und mich aus der inneren Stadt in die Hauptstraße zurückgeleitet.

In Grübeleien versunken, entrann ich allen Versuchungen des Rathausplatzes. An der Ecke des »National« trat eine junge Frauensperson von entschlossenem Aussehen auf mich zu. Sie trug einen Hut, der einem umgestülpten Boote glich, an das sich Rosen und Tulpen wie Schiffbrüchige klammerten. Das Gyroskop legte das Steuer nach Backbord um, um ihr zu entfliehen, denn die Arme des Weibes sind wie die Netze des Jägers. Als ich mich nach einer Weile umschaute, fand ich mich am Ufer des St.-Jörgen-Sees. Ich mußte die eiserne Brücke schräg gegenüber dem Seepavillon genommen haben, ohne es zu merken. Mein Sinn war noch immer ernst und schwer. Meine Gedanken gruben in meinem verflossenen Leben nach und wühlten die Geschehnisse um, wie die Gartenarbeiter im Frühling die Grasschollen. Was hatte ich eigentlich in der Welt ausgerichtet? Nichts. Ich war schlechter als der schlechteste Tagelöhner, denn was er tut, beruht doch wenigstens auf der Wirklichkeit. Ich aber braute Abenteuer und Mystik zusammen, während ich selbst wie ein ehrsamer Spießbürger lebte. Ich hatte allen Grund, zu erwarten, daß die Leute, die mir begegneten, mich beim Mantelknopf packten, mich beiseiteführten und sagten: »Sie sind ein Humbug, Sir; um es noch deutlicher auszudrücken: Sie sind ein Betrüger, Sir.« Hahaha, wie ist das Leben doch voll Humbug! Vive la blague!

Während meine Gedanken so mein verflossenes Leben kurz und klein mahlten, raschelte es plötzlich in dem Gebüsch links von mir; ein ruppiger Strolch kletterte die Böschung zum Gehsteig hinauf und näherte sich mir, halb einschmeichelnd, halb drohend. Er war wohlbeleibt, denn wenn in Argentinien die Bettler reiten und in Schweden das Abitur haben, so sind sie in Dänemark dicke, solide Leute. Ich fühlte plötzlich das überwältigende Bedürfnis, meinen Kummer mit jemandem zu teilen. Ich ergriff die Hand des dänischen Strolches und murmelte: »Wo immer ein Elender sich findet, er ist mein Freund und Bruder. Du, schlichter Sohn der Wildnis, bist mein Bruder. Aber du bist besser als ich, denn dein Äußeres sagt, was du bist; du lebst nicht von einer Lüge, was die verhängnisvollste Lebensweise ist. Steh auf, nimm dein Bett und folge mir nach! Hier hast du einen Zehner, und brauchst du mehr, so komm morgen zu mir herauf. Jakobsgasse 10; vergiß nicht: Jakobsgasse 10, zweiter Stock, rechts. Klingle nur dreimal, dann öffne ich selbst.«

Der Strolch spuckte auf den Zehner und verstaute ihn in irgendeinem Schlupfwinkel unter seinem Hemde, und dann wanderten wir selbander weiter. Wir kamen auf den alten Königsweg. Der Strolch schritt an meiner Seite, offenbar schmeichelte ihm meine Gesellschaft; ich warf ihm dies vor. Ich habe mich durch seine Gesellschaft geschmeichelt zu fühlen. Er widersprach. Er wußte schon, wenn er einen Gaw'lier traf; er hatte schon viel Gaw'liere getroffen, allerdings noch mehr Flegel, von denen die meisten Helm und Säbel trugen, aber so viele Gaw'liere hatte er doch getroffen, daß er mit Leichtigkeit erkennen könnte, ich gehöre zu ihnen.

»Ach, mein Freund, du bist in Gesellschaft eines Menschen, der den ›Polypen‹ mehr Unrecht zugefügt hat als du. In zehn Büchern habe ich ihre Intelligenz verkleinert, während du ihnen vermutlich zu ebenso vielen leicht erkauften Triumphen verholfen hast. Tatsächlich bist du ihr bester Freund, ihr Arbeitgeber; sie sollten den Helm vor dir ziehen, wenn sie dich sehen; aber nicht einmal dazu haben sie die nötige Lebensart.«

Der Strolch spitzte die Ohren und suchte das Rauschen der mächtigen Flügelschläge meines Geistes zu deuten, was ihm jedoch nur unvollkommen gelang. Immerhin begriff er, daß ich mit den Männern mit den Helmen und tückischen Waffen auch ein Hühnchen zu pflücken hatte; und, von demselben Verlangen, Sympathie zu zeigen, beseelt, das ich soeben gefühlt hatte, begann er Andeutungen zu machen, daß er es diesen Schweinehunden beim nächsten Male schon einbrocken und mir rechtzeitig einen Wink geben werde, damit ich Zeuge ihrer Niederlage sein könnte. Ich blieb stehen, um ihm zu danken. Ich sah mich um. Wir befanden uns in einer mit Bäumen bepflanzten, mehr als spärlich beleuchteten Seitenstraße. Gerade vor uns lag ein altertümliches Haus in einem Garten, der von einem spitzigen Eisengitter umzäunt war. Das Haus war schwarz und totenstill. Der Strolch beugte sich vertraulich zu mir vor.

»Da hab' ich mir schon manchmal gedacht, daß man … ich bin schon bei Tag und bei Nacht vorübergetippelt … keine Seele zu sehen. Manchmal kommen so ulkige Töne von dort drinnen, wie wenn ein kleines Kind winseln tät. Komisches Haus. Aber ich hab' mir oft gesagt, man könnte …«

»Haben Sie – hick – daran gedacht, es zu öffnen?« fragte ich interessiert. Ich merkte, daß es mir schwer fiel, mit der Zunge richtig zu zielen.

»Ja, ich muß schon sagen, es ist heutigentags nicht leicht, ein gutes Haus zu finden.«

»Das hier sieht gut aus«, sagte ich anerkennend.

»Das sieht verdammt gut aus«, rief mein Begleiter in einem Anfall von Begeisterung. Und sogleich verstummte er.

In dem Lichtkreis der nächsten Straßenlaterne war eine wohlbekannte Silhouette aufgetaucht, und das Trapp-trapp der schweren Stiefel des Gesetzes, das sich uns näherte, zerstörte die nächtliche Stille. Mein Begleiter spaltete die Dunkelheit mit gut geübtem Forscherblick; plötzlich stieß er ein erschrockenes Flüstern aus, das an das Zischen eines Teekessels erinnerte, wenn er zu kochen beginnt.

»Der Olsen! – Den hab' ich das letztemal – adieu, mein Herr, adieu! Ich weiß noch die Adresse!«

Er verschwand auf leisen Diebessohlen, tilgte sich in weniger denn fünfzehn Sekunden aus, löste sich gewissermaßen im Nebel auf – ganz so wie die Geister aus Tausendundeiner Nacht. Während ich ihm bewundernd nachstarrte, kam das Trapp-trapp der Stiefel des Gesetzes näher und näher. Jetzt hielt das Gesetz neben mir. Das Gyroskop arbeitete mit voller Kraft. Nichtsdestoweniger blieb der Ordnungswächter stehen und sprach mich an.

»Hat jemand den Herrn belästigt?«

»Nur ein armer Teufel, der mich um ein Zündholz bat«, erwiderte ich ohne Zögern.

»So, so – mir ist er bekannt vorgekommen. War er frech?«

»Aber nein«, sagte ich, »gewiß nicht! Hahaha!« Ich atmete Nektar und Ambrosia; der Schutzmann zog mit einem beruhigten und neidischen Blick weiter. Ich blieb stehen und starrte auf das dunkle Haus im Garten. Plötzlich begannen die zwei Vögel über meinem Kopf wieder zu singen.

Der weiße Vogel sang:

»Es ist gut und reichlich zwei Uhr. Wahrlich höchste Zeit, nach Hause zu gehen und sich niederzulegen.«

Der schwarze Vogel widersprach:

»Nach Hause gehen und sich niederlegen wie der erstbeste Spießer! Denke an den Mann, der vor zwei Minuten verschwunden ist! Ob der wohl nach Hause geht und sich niederlegt? Nein, das ist eine andere Art von Mannsbild. Er lebt, wie er lehrt, und er gibt sich für nichts Besseres aus, als er ist. Aber dafür ist er natürlich nur ein armer Einbrecher.«

Der weiße Vogel sagte:

»Man hat wohl gar noch Hochachtung vor ihm? Man verspürt vielleicht geradezu Lust, es zu machen wie er – und einzubrechen?«

Der schwarze Vogel antwortete sehr ruhig:

»Warum nicht? Um zu beweisen, daß nicht nur unter den Dieben Ehrlichkeit zu finden ist; warum solltest du nicht in dieses Haus einbrechen?«

Von Entsetzen gelähmt, konnte der weiße Vogel keine andere Antwort finden als:

»In dieses Haus, das der arme Mann soeben für sich ausgesucht hat?«

Wie wird ein Entschluß gefaßt? Die Philosophen streiten darüber, und ich bin nicht der Mann, es zu entscheiden. War es das Beisammensein mit dem schlichten Hausöffner? War es der mächtige Whisky in Signor Cazzolettis Bodega? War es die Stimme, die mir schon so lange mein lügnerisches Leben vorgeworfen hatte? Oder war es der Glaube, daß ich mich, wenn ich wollte, jederzeit zurückziehen konnte?

Vielleicht bewirkte das letztere, daß meine Hand plötzlich auf der Eisenklinke lag und fühlte, wie etwas sich unter ihrem Druck bewegte – das Gittertor, das in den dunklen Garten führte. Das ging so leicht und so einfach, daß meine nächste Handlung sich ganz von selbst ergab: ich trat durch die offene Gartentür und machte sie hinter mir zu.

Ich glaube, es entstand jetzt eine kleine Pause. Der Garten war groß und schwarz, und das Haus mit seinen toten Fenstern flößte irgendwie Schrecken ein. Ich blieb im Garten stehen und betrachtete die Fassade. Da fiel mir eine Sache auf, die mich eigentlich gleich hätte stutzig machen sollen: Die Gartenpforte war unversperrt gewesen.

Ich weiß eigentlich nicht, warum diese Entdeckung meine Entschlossenheit stärkte, aber tatsächlich war dem so. Alle möglichen ausgefallenen Gedanken, aus dem Whisky geboren, wirbelten mir durch den Kopf: Die Leute pflegten ihre Gärten doch bei Nacht abzuschließen! Was bezweckte der Besitzer, wenn er den Garten für jedermann offenstehen ließ? Das war unverantwortlich. Er verdiente es nicht besser, als daß die Leute in sein Haus einbrachen. Er zwang sie förmlich dazu. Wenn ich ihn traf, würde ich es ihm geradeheraus ins Gesicht sagen: »Was glauben Sie eigentlich? Sie zwingen ja die Leute, bei Ihnen einzubrechen. Geben Sie sich selbst die Schuld, und seien Sie froh, daß Sie mich hier finden und nicht irgendeinen gewöhnlichen Dieb und Einbrecher!« Diese Strafrede kleidete ich halblaut in Worte, während ich in dem schwarzen Garten stand und die Bäume im Nachtwind schwanken sah. Plötzlich kam mir ein anderer Gedanke: In das Haus eines so nachlässigen Menschen einzubrechen, mußte weniger beschwerlich sein als in andere Häuser!

Dieser Gedanke dünkte mich genial. Wonach sehnte ich mich eigentlich? Ich wollte das Risiko, die Gefahr, die Spannung genießen, die ich so oft in meinen Büchern beschrieben hatte. Ich wollte sie haben, um sie vor mir selber zu rechtfertigen. Ich konnte sie durch einen Einbruch erreichen. Aber ich wollte nicht zuviel Scherereien haben. In ein gewöhnliches, ordentliches Haus einzubrechen, mit Dietrich und Stemmeisen, das war nichts für mich. Nein, ein leicht zu behandelndes Haus und der Triumph, einem liederlichen Hausbesitzer eine moralische Ohrfeige zu versetzen, das war etwas für mich. Mein Entschluß war gefaßt. Ich würde untersuchen, wie weit die Liederlichkeit dieses Mannes ging. Erwies sie sich als so groß, wie ich anzunehmen Grund hatte, würde ich ihm eine Warnung zukommen lassen. Die Leute sollten erkennen, daß ich etwas wagte, wenn es darauf ankam. Ich löste mich mit einem Ruck vom Gitter und tappte durch den Garten, in der klaren und bestimmten Absicht, einen Einbruch zu verüben. Und während dieser Entschluß zuoberst in meinem Kopf lag, ist es möglich, daß tiefer unten eine Stimme war, die reizte: »Es wird nicht so gefährlich sein – du kannst dich ja immer auf den Whisky ausreden und Strafe bezahlen.« Aber diese Stimme durfte nicht laut reden.

Ich schlich auf den Zehenspitzen um das Haus. Der Kies raschelte leise unter meinen Füßen, der Wind rauschte in den Bäumen, und mein Herz war von unermeßlichem Stolz über mich selbst erfüllt. Hier und da mußte ich jedoch stehenbleiben und den Schlucken hinter dem vorgehaltenen Hut überwinden. Ich kam glücklich zur Rückseite des Hauses. Die sah möglicherweise noch regenverwitterter aus als die Vorderfront. Im Erdgeschoß befanden sich sechs Fenster und eine Tür. Die Tür schien seit Jahren nicht benützt worden zu sein. Das Schloß war ganz verrostet. Als ich es beim Licht eines Zündhölzchens näher betrachtete, stellte ich jedoch fest, daß man kürzlich den Versuch gemacht haben mußte, es wieder in Gebrauch zu nehmen; der Rost war an mehreren Stellen abgerieben. Eines der Fenster schien in einen unbenutzten Verschlag oder Gang zu führen; die Nacht war nicht hell genug, um es genau zu unterscheiden. Rasch entschlossen begann ich den Fensterkitt mit der großen Klinge meines Taschenmessers zu bearbeiten. Der Kitt war ebenso bröcklig wie der Mörtel zwischen den Steinen, und wie ungeschickt ich mich auch anstellte, er war in drei oder vier Minuten beseitigt. Die Stifte, welche die Glasscheibe hielten, fielen ja fast von selbst heraus, so alt waren sie.

Was war das für ein Haus? Halb mechanisch hob ich die Fensterscheibe heraus und legte sie auf das Gras. Ich stand am Rubikon. Noch war es Zeit umzukehren. Der weiße Vogel schlug versuchsweise einen Triller; aber im nächsten Augenblick hatte ihn sein schwarzer Bruder mit einer lauten Fanfare übertönt. Ich öffnete das Fenster. Es knirschte derart, daß ich zurückprallte. Eine Minute verging, während ich dastand und unter gräßlichem Schluckauf Flüche in meinen Hut murmelte. Aber alles im Hause blieb still. Mit einem schnellen Entschluß erklomm ich das Fensterbrett und stieg ein. Im Gegensatz zu den meisten Einbrechern war ich in Hut und Mantel.

Bevor ich weitererzähle, muß ich eines gestehen. Ich war zu diesem Zeitpunkt zu einer Gewißheit gelangt, die meine Entschlüsse und Handlungen wesentlich beeinflußte. Ich war überzeugt, daß das Haus unbewohnt war. Ich rechnete alle Seltsamkeiten zusammen, die offene Gartenpforte, das rostige Schloß an der Hintertür, den uralten Fensterkitt; alles sprach für meine Annahme. Ein unbewohntes Haus war noch praktischer für einen zum erstenmal auftretenden Einbrecher als ein schlecht beaufsichtigtes Haus; es setzte die Gefahr auf ein Minimum herab, allerdings auch die Gewinnmöglichkeiten. Aber der Ansatz eines möglichen Gewinnes interessierte mich nicht. Wenn das Haus unbewohnt war, ich konnte dennoch dort finden, was ich suchte. Morgen konnte ich mir selber stolz ins Gesicht sehen: ich hatte einen Einbruch verübt, ich war nicht mehr ein namenloser Spießer, der seine drei gesicherten Mahlzeiten am Tag hatte und über Leute schrieb, die sich auch nur eine Mahlzeit mit dem Risiko ihrer Freiheit verschaffen mußten. Ich konnte Simon Weel ins Gesicht sehen und sagen: nicht alle Detektivbücher sind – – wie war es doch gewesen?

Ich hatte mich langsam durch den Raum getastet, in den ich eingebrochen war. Ich hatte jetzt sein Ende erreicht und stand vor einer Tür. Ich hatte meine Hand auf die Klinke gelegt und fühlte, wie sie dem Druck nachgab. Und gerade in diesem Augenblick hörte ich etwas. Was war es? War es ein wimmerndes Kind, war es eine Ratte, die pfiff? Ein solches Haus mußte voll Ratten sein. Oder war es eine Ausgeburt meiner Phantasie? Wie angewurzelt blieb ich stehen, die Hand auf der Klinke, und lauschte erschrocken. Aber der Laut ließ sich nicht ein zweites Mal hören, wenn er überhaupt je zu hören gewesen war. Alles war totenstill. Das einzige, was ich vernahm, war der Puls, der in meinen Schläfen pochte. Mein Bedenken wich erneut ernster Entschlossenheit. Ein Nachzügler von einem Schluckauf stieg aus meinem Innern auf, wie eine letzte Sodawasserblase aus einem abgestandenen Glas. Ich erstickte es wutentbrannt und versuchte, die Tür aufzuschieben. Zum erstenmal ward mir jetzt bewußt, daß dieses Haus, wenn nicht bewohnt, so doch möbliert war. Die Tür gab etwas nach, aber sie wollte nicht aufgehen. Ich zögerte einen Augenblick, bevor ich meinem Impuls folgte und die Schulter dagegenstemmte. Ich hörte ein dumpfes Kratzen auf der anderen Seite. Die Tür war dreißig bis vierzig Zentimeter weit aufgeglitten. Das war genug, damit ich den Kopf durchstecken konnte. Ich tat es.

Anfangs war ich auf ein leeres Haus gefaßt gewesen. Nun hatte ich begonnen, mich mit der Möglichkeit vertraut zu machen, daß Möbel darin waren, da es sich zeigte, daß die Türen nicht so ohne weiteres aufgingen. Aber auf das Bild, das sich mir bot, war ich nicht im geringsten vorbereitet.

Das erste, was ich entdeckte, war, daß der Widerstand gegen die Tür von einem Vorhang herrührte. Ein dickes Gewebe, das mich in seinen Falten beinahe erstickte, war vor die Tür gespannt. Es war so voll Staub, als hinge es seit Anbeginn aller Zeiten da. Mein Hals wurde wie verkittet, und ich mußte meine zerstreuten Geisteskräfte sammeln, um einen Hustenanfall zu unterdrücken. Endlich gelang es mir, den Vorhang beiseitezuschieben, und ich konnte hineinsehen.

Der Raum vor mir war groß, aber die Beleuchtung war so schwach, daß ich kaum etwas unterscheiden konnte. Ich ahnte Möbel von fremdartigem Aussehen und viel Porzellan. Mir gegenüber hing eine Tafel mit einer Art Inschrift, ich konnte nicht erkennen, von welcher Art oder in welcher Sprache. Gleich daneben stand nichts Geringeres als eine Buddhastatue. Ja, eine dicke, lächelnde Buddhastatue, und vor ihr lagen über Kreuz zwei brennende Holzspäne! Von ihnen ging die Erhellung des Zimmers aus, aber sie verbreiteten mehr Rauch als Licht – einen aromatischen, leicht beizenden Rauch, der in dünnen, grauen Schwaden durch die Luft trieb. Das Zimmer war dadurch gleichsam in Schichten und Zonen geteilt, und die wunderlichen Dinge, die es enthielt, wurden doppelt verwunderlich. Ein Buddha! Meine Gedankenmaschine bremste mit einem Kreischen zurück. Ich kehrte zu dem chinesischen Antiquitätengeschäft zurück, in dessen erleuchtetem Fenster eine andere dicke, lächelnde Buddhastatue gesessen hatte; ich tastete noch weiter zurück und dachte an Simon Weel und seine buddhistischen Ketzereien in der Bodega. Alles erschien mir mit einemmal gleich unwirklich; ich schloß die Augen und öffnete sie wieder, um zu sehen, ob ich wach wäre oder daheim läge und träumte. Aber wahrhaftig, das Zimmer breitete sich noch immer in dem unbestimmten rotgelben Licht der zwei Holzspäne vor mir aus; die Möbel schimmerten durch den matten Rauchschleier, und das Buddhabild lächelte sein ewiges Lächeln. Es war, als hohnlachte es über mein Verblüfftsein. Wie um zu beweisen, daß alles Wirklichkeit war, stieg mir ein Rauchkringel in die Nase. Ich nieste laut, daß es im Zimmer widerhallte, und der Schreck ernüchterte mich für einen Augenblick restlos von meinem Whiskyrausch.

Was würde jetzt geschehen? Mitten in der Nacht stand ich in einem fremden Hause, das trotzdem offenbar bewohnt war, und sogar von seltsamen Menschen bewohnt. Mein Niesen war laut genug gewesen. Meiner Ansicht nach hätte es Tote aufwecken können. Zweifelsohne war das beste, was ich tun konnte, auf demselben Wege, den ich gekommen war, zu verschwinden, und zwar so rasch wie möglich. Aber ich blieb stehen. Meine Neugierde war zu groß. Minute um Minute stand ich da und wartete darauf, daß etwas geschehe, daß jemand komme. Aber es geschah nichts. Niemand kam. Von draußen war nichts zu hören; und im Hause war alles so still wie zuvor. Der Rauch der Holzspäne wogte, und die Buddhastatue lächelte, als wären ich und meine Erlebnisse nur eine Kurzgeschichte, vor tausend Jahren von einem Märchenerzähler in einem chinesischen Basar erzählt. In mir erwachte plötzlich dieselbe Lust, diese Geschichte zu stören, die mich während der Erzählungen des Bildhauers in der Bodega anzuwandeln pflegte. Ohne mich umzusehen, betrat ich das Gemach und ließ den Vorhang hinter mir zufallen. Das war die einzige mutige Handlung, die ich an diesem Abend vollbrachte.

Es ist möglich, daß ein Luftzug entstand, als ich eintrat. Ich merkte es selbst nicht, denn der Whisky ließ mich noch immer über solche Kleinigkeiten erhaben sein. Aber ich hatte kaum die Schwelle überschritten, als etwas Peinliches geschah. Die beiden Holzspäne vor dem Buddhabild erloschen plötzlich. Ich stand in vollkommener Finsternis da, und mein inneres Gyroskop hat eine Eigenschaft: es arbeitet nicht in der Dunkelheit. Der verbannte Whisky kehrte aus Elba zurück und riß die Macht an sich. Ich kippte um und landete mit einem Krach auf dem Boden.

Ich saß in dem kohlschwarzen Zimmer und starrte die noch schwach glühenden Enden der Holzspäne an. Ich kann nicht behaupten, daß ich das Gefühl hatte, das Ziel meiner nächtlichen Expedition – Wiedergewinn meiner Selbstachtung – erreicht zu haben. Innerlich formulierte ich zu Dutzenden Synonyme für Idiot, die alle auf mich selbst gemünzt waren. Und unterdessen lauschte ich den Schritten, die kommen mußten – den Schritten des wunderlichen Bewohners dieses Hauses. Ich saß da und fluchte mit verhaltenem Atem; das Blut brannte mir in den Wangen bei dem Gedanken an das, was mir nun mit Gewißheit bevorstand, und ich sah geistesabwesend, wie die glühenden Enden der beiden Stäbchen sich mit einem schwarzen Netz überzogen und erloschen. Aber sonst geschah nichts. Minute um Minute verrann, und alles war und blieb gleich still. Die Schritte, die kommen mußten, kamen nicht. Wer war der seltsame Bewohner dieses Hauses? War er ebenso über mich erschrocken wie ich über ihn? Oder lag er irgendwo tot und das Zimmer mit den Buddhabildern und den brennenden Holzspänen war seine Grabkapelle?

Endlich raffte ich mich aus meiner Lethargie auf. Nichts ist unbehaglicher, als im Dunkeln gehängt zu werden. Eines war mir klar, für heute abend hatte ich genug eingebrochen. Ich wollte nach Hause. Um nach Hause zu kommen, mußte ich aber hinausfinden; und da das Gyroskop sich in der Dunkelheit als unzuverlässig erwiesen hatte, war Licht nötig; ich sah mich gezwungen, ein Zündholz anzureiben. Das war eine Sache, die mir nichts weniger als angenehm war. Wie, wenn jemand in der Dunkelheit mit einem Revolver stand und lauerte … Ich gelobte mir selbst, das nächstemal, wenn ich wieder einbrechen ging, eine Taschenlampe mitzunehmen; aber für diesmal mußte es also mit einem Zündholz gehen. Ich steckte die Hand in die Tasche, um meine Schachtel herauszuziehen. Ich will nicht leugnen, daß es mir kalt über den Rücken lief, als ich feststellen mußte, daß die Zündholzschachtel weg war.

Es ist unnötig, meine Flüche zu wiederholen. Eine Frage interessierte mich zunächst: wo war die Schachtel? Nach einigem Nachgrübeln gelang es mir auch, diese Frage zu beantworten. Ich hatte die Schachtel in der Hand gehalten, als ich eintrat. Ich mußte sie verloren haben, als ich hinfiel. Sie lag also auf dem Boden, und rasch entschlossen warf ich mich bäuchlings nieder und begann in der Dunkelheit zu suchen. Ich kroch kreuz und quer und stieß unaufhörlich an die verschiedensten Gegenstände; einen davon muß ich, wie sich später herausstellte, in die Tasche gesteckt haben. Ich erinnerte mich an Erzählungen von Gefangenen, die sich in ihren nachtschwarzen Verliesen die Zeit damit vertrieben, drei Stecknadeln zu suchen. Die Erzählungen behaupten, daß sie auf diese Weise ihren Verstand retteten. Jedoch je länger ich herumkroch, desto unwahrscheinlicher erschien mir ein solches Ergebnis. Schließlich gab ich den Versuch auf. Ich richtete mich auf und tastete mich zur Wand hin. Meine Absicht war, ihr zu folgen und die Tür zu finden, durch die ich hereingekommen war. Und wenn es auch eine Stunde dauerte, es mußte gelingen. Hatte ich einmal die Tür, dann war alles andere ein Kinderspiel.

Der Teil unserer Sinne, der in der Dunkelheit funktioniert, ist sicherlich bei uns modernen Menschen im höchsten Grade verkümmert. Wir sind zu allen Zeiten des Tages an Licht gewöhnt. Die Dunkelheit macht uns hilflos. Nicht genug damit, daß die Dunkelheit uns das Gesicht raubt, sie raubt uns auch Geruch und Geschmack und zu einem hohen Grade Gehör- und Tastsinn. Übrig bleibt uns nur eine Kombination von Eindrücken aller Sinnesorgane. Alle Eindrücke sind schwach und unsicher, und sie beängstigen uns. Wir können sie nicht anders als mit dem Tastsinn überprüfen. Und der ist bei uns nicht hoch entwickelt. Ich brauche vielleicht nicht so viele Entschuldigungen, um zu gestehen, daß ich plötzlich, während ich so in diesem stockfinsteren, wunderlichen Hause herumtappte, eine unüberwindliche, unbeschreibliche Angst empfand. Das einzige, dem ich folgen konnte, war der Vorhang an der Wand. Ich wußte nicht, an welcher Stelle ich ihn ergriffen hatte, und ich wußte nicht, wie weit ich ihm gefolgt war. Aber mit einem Male hatte ich die Empfindung, die unerschütterliche Überzeugung, daß ich fehlgegangen war, daß ich mich nicht mehr in demselben Raum befand, den ich zuerst betreten hatte, ja daß ich nicht mehr allein war.

Woher diese Überzeugung kam, weiß ich nicht. Vielleicht war es das Ohr, das irgendeinen kaum definierbaren Laut aufgefangen hatte, oder ein allgemeines Gefühl verriet mir, daß ich mich in einem kleineren Raum befand als vorher. Wie dem auch sein mochte, meine Überzeugung war klar und unumstößlich. Ich blieb plötzlich stehen, die Hand umklammerte weiter den Vorhang – denn der Wandbehang war noch immer da –, den Kopf streckte ich in die Dunkelheit vor, gespannt wie eine Bogensaite. Meine Ohren spitzten sich, um einen verräterischen Laut aufzufangen. Die Dunkelheit um mich schien von Lichtpunkten zu wirbeln und sich zu schreckeneinflößenden Gestalten zu verdichten. Ich fühlte, daß die Hand, die ich an den Wandbehang drückte, feucht war, und daß der Schweiß unter der Hutkrempe hervorzusickern begann. Meine Knie waren ganz weich. Ich konnte es nicht länger so aushalten. Ich fühlte, daß ich etwas tun mußte. Ich machte einen Schritt vorwärts, immer der Wand folgend; ich räusperte meine Kehle, die trocken und zusammengeschnürt war, und brachte endlich ein heiseres Flüstern hervor:

»Machen Sie Licht!«

Wenn ich im Augenblick ein Verlangen hatte, das stärker war als alles andere, so war es das, meine Umgebung sehen zu können. Aber niemand antwortete auf mein Flüstern, und niemand zündete Licht an. Ich machte noch einen Schritt der Wand entlang, und abermals einen. Ich war von der verzweifelten Hoffnung beseelt, die Tür zu finden, durch die ich eingetreten war. Und mit eins wurde die Stille in dem Zimmer durch ein kleines Geräusch unterbrochen. War ein Irrtum möglich? Nein, ich hatte dicht vor mir einen kriechenden Schritt gehört.

Es war, als ob die Gewißheit, daß noch jemand im Raum weilte, all meiner Angst ein Ende gemacht hätte. Ich dachte nicht daran, wie seltsam es war, daß man nicht Licht anzündete und mich auf frischer Tat ertappte. Ich dachte nur, daß jemand in demselben Raum war, jemand, der mir in der Finsternis auflauerte. Wer es auch sein mochte, ich wollte wissen, wie er aussah. Ich machte einen Sprung nach vorwärts. Aber in demselben Augenblick, in dem ich die Wand mit dem Behang verließ, war es auch mit meiner Orientierung vorbei; wohin ich mich bewegte, in welcher Richtung, ich ahnte nichts. Ich tat aufs Geratewohl ein paar Sprünge, stieß an etwas, das nachgab, und fiel mit großem Gepolter zu Boden. Mein Hut, den ich durch alle bisherigen Erlebnisse gerettet hatte, rollte mir davon. Ich schlug mit den Armen um mich, um meinen Gegner zu packen. Ich bildete mir ein, er habe meinen Fall verursacht. Halb zu meiner Erleichterung fand ich, daß es irgendein geschnitztes Holzding war. Ich tastete in der Dunkelheit die Schnitzerei ab. Sie schien im Stil der übrigen Einrichtung zu sein, schwerfällig und grotesk. Ich blieb einen Augenblick auf dem Boden liegen und befühlte sie.

Der Fall brachte mich zur Besinnung. Es war genug, sich eines Einbruchs schuldig gemacht zu haben; ich brauchte dem nicht noch einen gewalttätigen Überfall hinzuzufügen, es war am besten, zu verhandeln. Indem ich mich halb aufrichtete und meine Stimme so vertraueneinflößend wie möglich klingen zu lassen suchte, sagte ich:

»Zünden Sie Licht an, dann werde ich erklären, wie ich hierher gekommen bin! Glauben Sie mir dann nicht, dann können Sie mich der Polizei ausliefern. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.«

Da keine Antwort kam und ich selbst das Gefühl hatte, daß die Garantie, die ich gab, unzulänglich war, fügte ich noch hinzu:

»Ich verspreche, keinen Widerstand zu leisten.«

Mein Versprechen wurde mit dem gleichen tödlichen Schweigen aufgenommen wie meine anderen Worte. Ich saß da und lauschte Sekunde um Sekunde, aber alles, was ich hörte, waren die Schläge meines Pulses. Ich wußte nicht mehr, was ich glauben sollte. Hatte ich mich getäuscht Waren es gar nicht Schritte, was ich gehört zu haben vermeinte? Oder stand man in der Dunkelheit da und lauerte mir auf? Wollte man mich zu Tode ängstigen? Was war das für ein Haus? Der Schrecken, der, während ich handelte, von mir gewichen war, kehrte vervielfacht wieder. Ich wiederholte meinen Vorschlag, um mich durch den Klang meiner eigenen Stimme zu ermutigen. Aber meine Stimme klang so verändert, daß sie meine Angst nur steigerte. Die Angst umklammerte wie eine Hydra mit hundert Fangarmen mein Herz und meine Nervenzentren. Beinahe mit Erleichterung hörte ich plötzlich etwas, kaum drei Schritte von mir entfernt, wenn ich richtig urteilte. Und diesmal war nicht daran zu zweifeln, was ich hörte. Es war das Schlurfen einer Filzsohle und das leise Zischen eines Atems.

Ich habe schon gesagt, daß ich nicht weiß, wie Entschlüsse geboren werden. Aber mit einemmal war es mit meiner Lust zu unterhandeln vorbei. Ich glaubte zu verstehen, was die Absicht des Unbekannten war. Er wollte sein Hausrecht nach seinem eigenen Kopf ausüben, mich in der Dunkelheit fangen und nach seinem Belieben strafen! Nun wohl, dazu gehören zwei! Mit dem Holzding in der Hand, um es als Waffe benutzen zu können, begann ich in der Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, über den Boden zu kriechen. Meine Nerven waren auf das äußerste gespannt. Und das war auch gut, denn sie sollten auf eine gewaltige Probe gestellt werden.

Dem ersten Schritt waren zwei weitere gefolgt. Aber sie kamen mir nicht näher, sie entfernten sich. Der unsichtbare Gegner zog sich zurück. War er am Ende feig? Auf jeden Fall war er nicht mehr so vorsichtig wie früher. Trieb er es so weiter, mußte ich ihn ja einholen! Ich war nicht stark, und es war lange her, seit ich ein Handgemenge miterlebt hatte, aber jetzt kribbelte es mir in den Fingern nach einer Auseinandersetzung mit den Fäusten. Ich war gerade im Begriff, einen Sprung vorwärts zu machen, als mir ein Gedanke kam, der meine Rettung wurde. Wie, wenn er sich nur zurückzieht, um mich in eine Falle zu locken?

In der letzten Sekunde überfiel mich dieser Gedanke. Ich hatte schon den Fuß gehoben, um mit einem Anlauf zum Sprunge anzusetzen. Jetzt senkte ich ihn langsam wieder. Er berührte den Boden. Jetzt legte ich mein Körpergewicht darauf, und im gleichen Augenblick geschah es. Der Boden gab unter meinem Fuß plötzlich nach; ich schwankte, es flimmerte mir rot vor den Augen. Ich fühlte mich schon kopfüber in irgendeine teuflische Falle stürzen. Dann muß ich wohl eine krampfhafte Bewegung gemacht haben, die mich zurückriß. Ich stand da und balancierte auf dem linken Fuß, ich erlangte das Gleichgewicht wieder. Und während ich, von kaltem Schweiß bedeckt, einen Schritt von der Falltür weg machte, hörte ich endlich ein echtes Geräusch in dem schwarzen Haus.

Irgendwo unter mir erscholl eine Stimme, halb piepsend, halb singend. War es ein Kind, das jammerte? War es ein Kranker? Nein, plötzlich begriff ich: Es mußte ein Wahnsinniger sein. Aus der Dunkelheit dicht neben mir gab ein schrilles Zischen Antwort. Alles, was ich an Entsetzen empfunden, erreichte jetzt seinen Höhepunkt. Aber die Lösung war näher, als ich glaubte. Dicht neben mir erblickte ich etwas, das mich mit wahnwitziger Freude erfüllte: einen länglichen, kleinen Lichtfleck in der Dunkelheit.

Ich war so aus der Fassung gebracht, daß es einige Zeit dauerte, bis ich begriff, was er war: ein Schlüsselloch, durch das Licht hereinsickerte. Meine Hände zitterten derart, daß ich sie kaum regieren konnte, aber gottlob, der Schlüssel steckte! Ich wollte ihn umdrehen – zu meiner Verblüffung aber fand ich, daß die Tür nicht einmal versperrt war! Ich riß sie auf. Graugelbes Licht strömte herein, schwach für gewöhnliche Augen, aber nahezu blendend für jemand, der lange Zeit in der Dunkelheit verbracht hatte.

In diesem diffusen Licht sah ich endlich ein wenig von dem Raume, in dem ich herumgetappt war. Ich erblickte schwere Möbel von fremdartigem Aussehen und Wände, mit dem gleichen Stoff ausgekleidet, der in dem Zimmer gewesen war, das ich zuerst betreten hatte. Denn ich hatte in der Dunkelheit richtig vermutet: ich befand mich jetzt in einem anderen Raum. Aber alles verlor an Interesse im Vergleich mit einem Etwas, das ich am äußersten Ende des Zimmers entdeckte: eine dicke, konturlose, kauernde Gestalt in europäischen Kleidern, aber mit einem langen Haarzopf und geschlitzten, boshaften Augen in einem schlaffen Gesicht. In dem unscharfen Licht glich er einem großen, grauweißen Giftschwamm. Es war ein Chinese, der mit mir gespielt hatte! Es waren seine schrägen Katzenaugen, die mir in der Dunkelheit aufgelauert hatten. Jetzt sprach aus seinen Augen nicht mehr ausschließliche Bosheit. Ich las Verwunderung und Angst darin. Mit einemmal überwältigte mich mein Zorn. Ich hielt das geschnitzte Holzding noch in der Hand.

Bevor ich selbst recht wußte, was ich tat, wirbelte es durch die Luft auf den gelben Mann zu. Ich hörte ein schrilles Aufheulen, das mehr an eine Frau als an einen Mann erinnerte. Von unten kam ein Antwortgeheul. Das war mehr als genug. Ohne mich darum zu kümmern, ob ich ihn tödlich getroffen hatte, schmetterte ich die Tür des schwarzen Hauses zu und lief, so rasch die Beine mich tragen wollten, durch den raschelnden Garten, hinaus zum Gittertor, in die Allee hinein, wo die Laternen mit einer beseligenden Helligkeit leuchteten. Aber ich blieb nicht stehen, um sie anzusehen. Ich lief und lief, ohne mich zu fragen, wohin ich eilte, bis meine Kehle so trocken war, daß sie schmerzte.

Plötzlich befand ich mich auf einem offenen Platz. Enghaveplatz las ich geistesabwesend auf einem Straßenschild. Ein Auto hielt da, ich murmelte dem Schofför meine Adresse zu und sprang hinein. Der Schofför starrte mich an; zum erstenmal wurde mir bewußt, daß ich ohne Hut war. Ich vermutete, daß mein übriges Aussehen im gleichen Stil war, aber ich fand mich vor mir selbst entschuldigt. Man kann nicht verlangen, daß jemand seine Sonntagshose trägt, wenn er von seinem ersten Einbruch kommt.

Nach zwanzig Minuten waren wir vor meiner Wohnung angelangt. Ich schwankte wie durch einen Nebel die Treppen hinauf und schlief ein, bevor ich noch die Kleider abgestreift hatte.

Gesammelte Werke

Подняться наверх