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Der Traktor, Ostpreußen, Ende der 1930iger Jahre

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Sein Vater und der Großvater hatten ihren Sonntagsstaat angelegt und sahen ganz anders aus als die Männer die unter der Woche in alten Sachen auf dem Hof arbeiteten. Ihre Anzüge rochen leicht muffig, da sie sonst nur im Schrank hingen. Wenig getragen gaben sie ihnen aber ein ganz anderes Aussehen als das der anderen Bauern die sie neugierig ansahen, als sie mit dem Pferdewagen durch das Dorf fuhren. Es hatte sich natürlich herumgesprochen, dass sie einen Traktor kaufen wollten, eine kleine Sensation für das Dorf, sie würden der zweite Hof sein, der dann so eine Maschine besaß. Als das Dorf hinter ihnen lag sprach sein Vater mit dem Großvater.

„Meinst du, dass wir richtig handeln, Vater“ fragte er ihn etwas unsicher.

„Willst du jetzt noch einen Rückzieher machen, du bist doch sonst kein Hasenfuß“ blaffte ihn der Alte an.

Peter Becker war erstaunt, sonst war sein Vater der Entscheider und der Alt Bauer fügte sich dem was er bestimmte. Er wusste aber auch, dass sein Vater zwar kein furchtsamer Mensch war, aber kein Interesse daran hatte sich in Konflikte mit anderen zu begeben. Er verstand ihn schon, er selbst ging zum Unterricht bei Backmann, was eigentlich für einen Bauernjungen untypisch war, und dann wagte der Vater sich noch eine Maschine zu kaufen, die ihm die Arbeit im Vergleich zu den anderen deutlich erleichtern könnte. Kurzum: sein Vater hatte mächtige Bauchschmerzen vor dem möglichen Neid der anderen Bauern. Gut vorstellbar, dass die Männer in der Gastwirtschaft über ihn herziehen würden weil er etwas tat, wovor sie sich selbst scheuten. Peter wusste von seinen Freunden sehr genau, dass auch in deren Familien darüber diskutiert wurde ob man sich eine dieser Maschinen zulegen sollte. Am fehlenden Geld konnte es nicht liegen, die letzten Jahre hatten ihnen üppige Ernten beschert und auch die Preise waren gut gewesen. Im Vergleich zu den Fabrikarbeitern, die sich für einen schmalen Lohn in den immer mehr entstehenden Fabriken verdingen mussten, waren die Bauern wohlhabend. Generationen von Landwirten kannten es aber gar nicht anders, als mit ihren Händen und wenigen Geräten die Äcker zu bewirtschaften, und weit ab von den immer stärker und schneller wachsenden Industrien blieben sie mit ihrem geringen Bildungsstand lieber den herkömmlichen und ihnen vertrauten Arbeitstraditionen verhaftet. Allen Ernstes behaupteten einige von ihnen, dass die Maschinen ihre Felder so schädigen würden, dass der Boden bald unfruchtbar werden würde und die Geräte ohnehin fortlaufend reparaturbedürftig wären, somit wenig Nutzen hätten, und das Geld schlecht angelegt wäre. Was Peter nicht wusste war, dass sein Großvater den Vater schon lange dazu gedrängt hatte, sich einen Traktor zuzulegen.

1916 war der für ihn schon alte Mann in den Krieg gezogen und hatte in Frankreich einen Kettenschlepper gefahren der die Geschütze an die Front zog. Seltsamerweise war der Bauer für diese Tätigkeit eingeteilt worden, ein Industriearbeiter hätte leichteren Zugang zu der Maschine gehabt, aber der Großvater lernte schnell das Fahrzeug zu beherrschen, schon um nicht in der Knochenmühle der Schützengräben zu landen. Bis auf eine leichte Splitterverletzung kam er ungeschoren durch die Kriegszeit, vier andere Männer aus seinem Dorf blieben auf den Schlachtfeldern. In der harten Zeit nach dem Krieg war nicht daran zu denken gewesen Maschinen auf die Felder zu bringen, beim Großvater hatte sich jedoch tief eingeprägt, wie leicht die Arbeit damit werden würde. Jetzt war die richtige Zeit gekommen diesen Wunsch zu erfüllen, und der Vater war eigentlich derjenige, der der Sache skeptisch gegenüberstand, Peter hingegen war voller Erwartungen.

Die Vororte der Stadt wuchsen vor ihnen auf. Die Häuser waren noch klein und duckten sich an die Straße. Peter kamen sie schäbig vor, der Putz bröckelte von den Wänden und alles war grau. Bald nahmen die Häuser an Größe zu und bildeten Blöcke. Peter erinnerte sich an seinen kurzen Aufenthalt in der Stadt und nach der Fahrt über das freie Land befiel ihn wieder das erdrückende Gefühl der Steinmassen. Der Händler hatte sein Lager nahe einer kleinen Fabrik eingerichtet, auf dem Platz standen einige Maschinen und Männer in dreckigen Arbeitskombinationen schraubten in einer Halle an anderen herum. Als die drei noch vor der Mittagszeit mit dem Pferdewagen auf den Hof rollten ließen sie von ihrer Arbeit ab und schauten die Ankömmlinge spöttisch an. Peter sah sie tuscheln und er konnte sich vorstellen, dass sie sich über sie lustig machten. Aus ihrer Sicht war es sicher einleuchtend, sie, die Beherrscher dieser Maschinen, fühlten sich als Spezialisten, und die drei Bauern kamen ihnen wahrscheinlich vor wie Boten aus einer anderen Zeit. Der Vater rutschte unbehaglich auf dem Bock des Pferdewagens herum und seine Unsicherheit war mit Händen zu greifen, auch dem Großvater war dies nicht entgangen und er sprang vom Wagen und ging auf einen der Arbeiter zu.

„Feixe hier nicht blöd rum“ fuhr ihn an „sondern hole Herrn Richter, wir wollen den Traktor abholen.“

Der junge Mann hatte diesen Ton nicht erwartet und lief zu einem kleinen Nebengebäude, welches wie ein Schuppen an die Halle geklebt war, kurz darauf kam ihnen ein Mann entgegen der sich von den Arbeitern nicht nur durch seine Kleidung, sondern auch durch die Gestalt unterschied. Er trug einen makellosen Anzug und durch seine Größe war er eine beeindruckende Erscheinung. Sein Körper erschien jedoch seltsam ausgemergelt. Als er den Großvater ansprach war Peter über seine leise und heisere Stimme erstaunt, die so gar nicht zu dem hochaufgeschossenen Mann passen wollte.

„Entschuldigen Sie“ sprach er die drei an „sie müssen nah herankommen, ich kann nicht lauter reden, Gasvergiftung, sie verstehen.“

Der Großvater nickte verständnisvoll, hier trafen sich zwei Kriegsveteranen und er fragte Richter:

„Frankreich? Ich war auch dort.“

„Ja, 1917 hat es mich erwischt, die ersten Tage habe ich nur Blut gekotzt, dann wurde es besser. Sie meisten die in den Angriff kamen sind aber gestorben, viele haben das Augenlicht verloren. Ich habe Glück gehabt.“

Langsam gingen sie zu einer der Maschinen und Peter Becker war von deren Größe beeindruckt. Der Traktor verfügte über Räder die ihn fast überragten, zum Sitz führten Stufen hinauf, und von da oben musste man einen guten Überblick haben. Hinter den kleineren Vorderrädern sah er den Motor und der Auspuff ragte an der rechten Seite des Fahrzeuges empor. Die Räder waren rot lackiert, der Motor schwarz, und die Abdeckbleche in grün gehalten, er meinte noch die frische Farbe riechen zu können.

Richter erklärte.

„Ein Deutz, etwas besseres können Sie nicht bekommen. Sehr robuster Einzylinder Diesel mit 11 PS aus gut 2 Liter Hubraum, der geht nie kaputt, ich habe jedenfalls noch keine Beschwerden gehabt. An die Kupplung können Sie einen Pflug anhängen, seitlich können andere Geräte angebaut werden wie zum Beispiel einen Getreideschneider, der wird über eine Welle vom Motor angetrieben und die Scheren bewegen sich dann gegeneinander, so werden die Halme geschnitten. Vorn ist die Anlasser Kurbel, es gibt Pedale für Gas, Kupplung und Bremse, die Maschine hat zwei Vorwärts- und einen Rückwärtsgang. Sehen Sie sich die Maschine in Ruhe an und fragen Sie mich was Sie wissen wollen.“

Peter gefiel die ruhige und sachliche Art des Mannes, er spürte, dass er mit dem Maschinen bis ins letzte vertraut war. Ihm war aber nicht entgangen, dass der Großvater zunehmend nervöser wurde und den Traktor mit Respekt betrachtete.

„Wie wollen wir das mit dem Transport machen“ fragte er Richter unsicher.

„Ganz einfach, ich habe einen meiner Männer abgestellt, der wird die Maschine zu Ihnen fahren und Sie weiter einweisen. Bringen sie ihn danach zum Bahnhof zurück, das reicht. Aber wissen Sie, ich kann das auch selbst übernehmen, dann können wir auch gleich noch ein wenig über die alten Zeiten plaudern und morgen ist ohnehin frei. Vielleicht brauchen Sie auch länger die Maschine in den Griff zu kriegen und dann hätten wir noch morgen Zeit dafür. Einverstanden?“

Der Großvater nickte erleichtert und Richter fuhr fort.

„Schauen Sie sich die Maschine an, ich brauche noch eine halbe Stunde. Muss meinen Leuten noch ein paar Anweisungen geben, heute kommt zwar kein Kunde mehr aber die sollen schon noch was tun. Arbeitssachen habe ich im Büro, das wird ja keinen bei Ihnen stören wenn ich in diesem Aufzug ankomme, die anderen Sachen packe ich ein. Also bis bald.“

Als er fortgegangen war räusperte sich Peters Vater, bislang hatte er geschwiegen, das Gespräch hatte nur zwischen Richter und dem Großvater stattgefunden.

„Vater“ sagte er zum Großvater „am Montag müssen wir mit dem Traktor auf das Feld, können wir das bis dahin lernen? Wenn nicht, sind wir für alle Tage blamiert.“

„Jetzt reicht es“ erwiderte der Großvater „wenn du nicht traust dann fahre ich die Maschine, oder Peter“ fügte er hinzu.

„Außerdem kommt Herr Richter mit, und der wird es uns schon richtig beibringen Jetzt ist es Mittag, in zwei Stunden sind wir wieder auf dem Hof und da bleibt auch heute noch genug Zeit etwas zu tun. Wenn ich es damals gelernt habe den Schlepper zu fahren, dann könnt ihr das auch.“

Richter kam in einer Arbeitskombi zurück, einen kleinen Koffer warf er auf den Pferdewagen, dann drehte er die Anlasser Kurbel. Der Motor erwachte blubbernd, blauer Auspuffqualm stieg auf und mit einem Nicken stieg er auf den Fahrersitz. Er legte den ersten Gang ein und der Traktor setzte sich langsam in Bewegung, der Pferdewagen folgte ihm im gebührenden Abstand, denn das Pferd war unruhig geworden. Schnell ließen sie die Stadt hinter sich und nach einer Weile hielt Richter an und kam zum Wagen.

„Willst du bei mir mitfahren Junge“ fragte er Peter.

„Natürlich“ sagte er begeistert.

„Sie auch“ fragte er noch Peters Vater.

Dieser nickte stumm.

Beide folgte dem Mann und fanden hinter dem Sitz rechts und links einen Platz, von dem aus er sehen konnten, was der Mann tat.

Richter trat ein Pedal, bewegte einen Hebel, nahm den Fuß von dem Pedal und trat wiederum eines, welches sich rechts von ihm befand, dann setzte sich der Traktor in Bewegung.

„Passt auf“ rief ihnen Richter über die Schulter zu „ich trete jetzt die Kupplung hier links“ er zeigte auf das Pedal, „dann lege ich den zweiten Gang mit diesem Hebel ein“ er schob den Hebel in einer Führung nach rechts, „und jetzt gebe ich mit dem rechten Pedal Gas. Und mit dem Pedal daneben kann man bremsen, aber dazu muss der Gang ausgekuppelt werden oder der Motor in den Leerlauf geschaltet werden.“

Es ruckte ein wenig und der Traktor fuhr schneller, Richter hielt das Lenkrad mit beiden Händen und als Peter hinter sich blickte sah er, dass der Pferdewagen schon ein Stück zurückgeblieben war. Er klopfte Richter auf die Schulter, der sah was er meinte und hielt an.

„So Herr Becker“ sagte er zu Peters Vater „probieren Sie es jetzt aus, hier ist kein Verkehr mehr.“

Er stieg ab, verstellte den Fahrersitz und Walther Becker nahm Platz.

Richter saß jetzt hinter ihm und gab Anweisungen.

„Pedal drücken, Hebel nach rechts, das Pedal langsam loslassen und rechts Gas geben“ hörte der Junge und sein Vater versuchte alles so zu tun. Das Einlegen des Gangs gelang ihm gut, aber als er das Pedal losließ ruckte der Traktor nach vorn und der Motor ging aus.

„Kein Beinbruch“ sagte Richter „dazu braucht man Gefühl. Schieben Sie den Hebel wieder in die Mitte, das ist der Leerlauf, ich lasse den Motor an.“

Als der Diesel wieder tuckerte unternahm Peters Vater den nächsten Versuch, es missglückte wieder und der Traktor machte einen Satz vorwärts, aber beim dritten Anlauf ließ er das Pedal langsam und vorsichtig los, und die Maschine rollte an.

„Jetzt Gas geben“ rief Richter, und als Walther Becker das Pedal nach unten drückte setzte sich das Fahrzeug gemächlich in Bewegung. Peter war euphorisch, sein Vater lenkte einen Traktor, ohne vorher jemals so eine Maschine dirigiert zu haben. Als Richter ihm bedeutete den nächsten Gang einzulegen gelang es ihm ohne Mühe.

„Halten Sie mal an“.

Er sprang von der Maschine die vor sich hin tuckerte, stellte sich daneben und wartete, dass der Pferdewagen herankam.

Sein Großvater sah seinen Sohn ungläubig an, der Bauer konnte Traktor fahren. Walther Becker konnte ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken und der Großvater schlug ihm anerkennend auf die Schulter.

„Du Teufelskerl, das ging ja schnell.“

Peter sah, wie erleichtert sein Vater war, und von seinem Gesicht ging ein Strahlen aus, das Peter bei ihm selten gesehen hatte. Dieser bedächtige und ruhige Mann, der nie davor ein Interesse für Maschinen gezeigt hatte und diese nicht für erforderlich gehalten hatte, hatte sich selbst und seine Zweifel überwunden, den Traktor nicht beherrschen zu können. Keiner wusste, dass er in den vorigen Nächten keinen Schlaf gefunden hatte, denn es war ihm sehr bewusst gewesen, dass er selbst die Maschine in das Dorf fahren musste, wenn er nicht zum Gespött der anderen Bauern werden wollte. Nur seine Frau sah ihn in den Tagen vor der Abholung abends manchmal heimlich in dem Handbuch blättern, das er von dem ersten Besuch beim Händler mitgebracht hatte. Er lernte die Handgriffe zur Bedienung der Maschine auswendig aber ahnte, dass es durchaus etwas anderes sein würde, dies dann tatsächlich zu tun, und seine Unsicherheit war groß gewesen, ob er die Sache meistern könnte.

Jetzt war er bereit, sich die Qualen der letzten Tage mit einem gekonnten Einzug in das Dorf vergelten zu lassen. Es lag ihm fern sich als besser hinstellen zu wollen als die anderen, aber sie sollten sehen, dass er als einer der ersten in der Lage war, den Fortschritt in ihr Dorf zu bringen, auch wenn er sich selbst lange dagegen gesträubt hatte.

Die Männer besprachen noch sich noch einmal kurz, dann stieg der Vater auf den Fahrersitz und Richter hockte hinter ihm, nur für den Fall, dass es ein Problem geben könnte, es sollte eine perfekte Vorstellung werden.

Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte

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