Читать книгу Drei Musketiere -Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 5 - Frank Hille - Страница 5
Fred Beyer, März 1942, Russland
ОглавлениеEr wusste, dass Rshew ein strategisch außerordentlich wichtiger Ort war, denn er stellte einen gut 180 Kilometer von Moskau entfernt liegenden wichtigen Verkehrsknotenpunkt nach Smolensk und Wjasma dar. Die Russen würden alles darum geben, wieder in den Besitz der Stadt zu kommen und wie zu erwarten war, hatten sie erhebliche Kräfte im Bereich der Heeresgruppe Mitte konzentriert, um diese weiter nach Westen zurückwerfen zu können. Was Fred Beyer allerdings nicht ahnte war die bald zehnfache Überlegenheit des Gegners auf diesem Schauplatz. Ungünstig war weiterhin, dass das Terrain für den Panzerkampf denkbar schlecht geeignet war, denn rings um die Stadt erstreckten sich Sümpfe, morastischer Boden und viele Wälder.
In den vergangenen Wochen hatten die Russen mächtig Druck ausgeübt, aber trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit hatten sie die Deutschen nicht entscheidend schwächen können. Noch immer kam es Beyer so vor, als wäre der russischen Führung der Verlust an Menschenleben vollkommen egal, die Rote Armee hatte sich in den letzten Wochen personell neu aufgestellt und man merkte die Wintererfahrung der sibirischen Truppen deutlich. Die teilweise bis minus 40 Grad machten den Männern nichts aus, die deutschen Soldaten hatten damit große Probleme. Auch die Technik verursachte weiterhin Probleme aber die Männer waren nunmehr findig genug, um aus der Not heraus zu improvisieren.
Ihren Panzer III hatten sie immer wieder mit kaum vorhandener weißer Farbe anstreichen müssen, um die Wintertarnung aufrecht zu erhalten.
„Was kommt denn da für ein Ausschuss an die Front“ hatte sich Müller einmal beschwert „der Anstrich hält doch kaum zwei Wochen.“
„Denk mal drüber nach, unter welchen Bedingungen wir die Farbe aufbringen“ war Lahmanns Antwort gewesen „minus 30 Grad, Schneetreiben. Wie soll die Farbe richtig trocknen und anhaften?“
„Aber da könnten sich die Herren in unseren riesigen Chemiefabriken mal was einfallen lassen“ schimpfte Bergner „schließlich steht seit dem Wintereinbruch im vorigem Jahr fest, dass wir unsere Ziele nicht erreichen würden. Und was ist dem Getriebe- und Waffenöl? Es muss doch möglich sein Stoffe herzustellen, die auch die tiefen Temperaturen aushalten.“
Fred Beyer hatte sich solche Fragen auch öfter gestellt. Unterschwellig wuchsen seine Zweifel daran, die Russen bald wieder zurückwerfen und selbst wieder in die Offensive kommen zu können. Er war intelligent genug zu wissen, dass diese momentanen Abnutzungsschlachten genau das nicht waren, was der Generalstab geplant hatte. Vielmehr war das Ziel verfehlt worden, die Russen im vorigen Jahr vor Beginn des Winters so zu schwächen, dass sie hätten weit nach Osten zurückweichen müssen. Die beeindruckten Erfolge der Kesselschlachten hatten übertüncht, dass mit der Ausräumung der Eingeschlossenen wertvolle Zeit verlorengegangen war und etliche Kräfte gebunden worden waren, die dann in der Angriffsspitze fehlten. Eigentlich müsste er mit seinen Männern jetzt in einer aufwendig ausgebauten Winterstellung östlich von Moskau liegen, aber sie standen mehr als 100 Kilometer vor der russischen Hauptstadt. Glücklicherweise agierten die Russen immer noch wenig überlegt und hatten enorme Verluste tragen müssen. Dass irgendwo im Osten jetzt zahlreiche Rekruten in Schnelldurchgängen ausgebildet wurden und Panzer und Geschütze aus den Fabriken rollten stand für ihn aber fest. Um sich wieder zu fangen brauchten beide Seiten Zeit, aber die würde den Russen eher als den Deutschen in die Hände spielen. Die Schwäche der deutschen Rüstungsindustrie hatte sich schon nach dem Frankreichfeldzug gezeigt, als es nicht gelungen war, die unerwartet hohen Verluste an Material bis zum Russlandfeldzug auszugleichen, so dass die Truppe mit teils veralteter Technik und nicht vollständig ausgestattet in den Krieg ging. In Russland dann waren die Abgänge durch die Dauerbelastung und die heftigen Gefechte ebenfalls groß gewesen, so dass die Sollstärken an Waffen aller Art nie wieder erreicht werden konnten. Beyer hoffte, dass es zu einem Umdenken in der Rüstungsindustrie kommen würde, denn was nützten der Truppe handwerklich hochwertig gefertigte Panzer, wenn die an die Front gelangende Anzahl viel zu gering war. Da die Blitzkriegsstrategie seiner Meinung nach gescheitert war würde alles auf eine sicher recht langwierige Auseinandersetzung hinauslaufen, denn es war nicht vorstellbar, dass eine der beiden Seiten nachgeben würde.
Beyers Panzer stand gedeckt in einem kleinen Waldstück östlich vor Rshew, neben ihrem Fahrzeug waren weitere Panzer III und IV, noch mit der Stummelkanone ausgerüstet, und Sturmgeschütze III in Stellung gegangen. Er hatte den Fahrer die Maschine so ausrichten lassen, dass der Richtschütze ein gutes Sicht- und Schussfeld hatte. Die Infanterie hatte am Waldrand Deckungslöcher ausgehoben und MG-Nester angelegt. Einige Pak waren über den Frontabschnitt verteilt worden, es waren 5 Zentimeter Geschütze. Da schon lange klar war, dass die 3,7 Zentimeter Pak so gut wie keine Wirkung gegen die feindlichen Fahrzeuge erzielen konnte, kam sie kaum noch zum Einsatz. Die Verteidigungsstellung war gut ausgewählt worden, denn im Vorfeld erstreckte sich flaches und waldloses Gelände, welches zudem noch sumpfig war. Selbst für die T 34 mit ihren breiten Ketten würde es schwierig werden dort gut voranzukommen. Dass die Russen bislang nicht angetreten waren lag vor allem an den Witterungsbedingungen, heftige Schneestürme zogen bei minus 30 Grad über die Gegend und verhinderten den Einsatz der Infanterie. Für die kommenden Tage war aber Wetterbesserung angekündigt worden und dann würden die Russen die Stellung angreifen, denn sie wollten einen Durchbruch nach Westen erzwingen. Beyers Männer und er selbst waren in einem Erdbunker untergekrochen und ruhten sich aus. Es gab keinen Ofen, denn der Bunker war in aller Eile angelegt worden. Die Männer hatten sich fast einen ganzen Tag durch die gefrorene Erde graben müssen und letztlich war eine primitive Unterkunft entstanden, die zumindest Andeutungen von schmalen Liegeflächen enthielt. Die Soldaten hockten in voller Montur in der Kälte, bissen in harte Brotkanten und klaubten Wurststücke aus Blechdosen.
„Dieser ewige Dosenfraß hängt mir schon lange zum Hals raus“ schimpfte Häber „früh Jagdwurst, Mittags Jagdwurst, Abends Jagdwurst.“
„Geh‘ doch in die Kneipe“ schlug Müller vor „da ist das Angebot bestimmt besser. Und n gepflegtes Bierchen dazu. Wär schon nicht schlecht, oder?“
Fred Beyer hatte als heranwachsender junger Mann, und besonders als er dann Boxen ging, nicht genug auf dem Teller haben können. Für seine Mutter war es schwer genug gewesen, ihn und seine Brüder satt zu bekommen und der Speiseplan war kaum abwechslungsreich, es ging um reine Sättigung. In dieser Hinsicht war er also keineswegs verwöhnt und wenig anspruchsvoll, aber was ihnen jetzt an Nahrungsmitteln zur Verfügung stand war schlichtweg katastrophal. Die Männer verfügten im Moment nur über Dosenverpflegung, allerdings nur mit Wurst. Früher hatten sie wenigstens Dosen im Gepäck gehabt, mit denen man eine Art warme Suppe erzeugen konnte. Die Feldküchen der Einheit waren beim Rückzug verloren gegangen und es wäre auch nicht möglich, sie bei diesem Wetter zu betreiben. Klugerweise hatten die Männer einen guten Draht zum Spieß aufgebaut und horteten einen ordentlichen Vorrat von Dosen in der Rommelkiste. Beyer war keineswegs Pessimist, aber bei der teils unübersichtlichen Situation an der Front war es besser, für den Fall eines Abgeschnitten Werdens gerüstet zu sein. Dass die Russen mit Macht versuchen würden die Deutschen aus ihren Stellungen zu werfen war zu erwarten.