Читать книгу Drei Musketiere -Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 5 - Frank Hille - Страница 8
Martin Haberkorn, 5.März 1942, Atlantik
ОглавлениеAls er gegen 22 Uhr in seiner Koje lag öffnete Haberkorn den Brief von Marie, er war aufgeregt.
"Herr Leutnant" schrieb sie "während Ihres Aufenthaltes bei uns hat es vermutlich ein paar Missverständnisse gegeben. Mein Vater wollte Sie nicht provozieren. Er hat nur gesagt, wie er die Dinge sieht. Was Sie gesagt haben, wie Sie sich die Zukunft vorstellen können, hat ihm und mir allerdings gefallen. Warum sollte es nicht möglich sein, dass Franzosen und Deutsche tatsächlich friedlich miteinander zusammenleben können und nicht wie in der Vergangenheit, ständig Kriege gegeneinander führen. Kriege kennen eigentlich nie einen Sieger, sondern nur Verlierer, obwohl die eine Seite scheinbar gewonnen hat. Einige meiner Freundinnen haben sich mit deutschen Soldaten angefreundet, das sind freundliche Männer, die auch hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist und sie wieder einem normalen Leben nachgehen können. Falls es Sie wieder einmal in unsere Gegend verschlägt könnte ich Ihnen mehr von meiner Heimat zeigen. Meine Postanschrift habe ich beigefügt. Mein Vater weiß das. Er hätte nichts dagegen.
Marie Hublot"
Martin Haberkorn war durcheinander. Er hatte eine vorsichtig ausgesprochen Einladung erhalten. Das musste er erst einmal verarbeiten. Dann las er die Briefe seiner Schulfreunde. Beide berichteten von den erbitterten Kämpfen an der Ostfront und den hohen Verlusten. Trotzdem hörte er aus ihren Worten heraus, dass sie den Rückzug nur als vorübergehende Maßnahme betrachteten und davon ausgingen, dass die Wehrmacht bei besseren Wetterbedingungen wieder antreten und vorrücken würde. Er selbst hatte ihnen während der Werftliegezeit ebenfalls geschrieben und die Hoffnung ausgesprochen, dass sie sich doch wieder einmal begegnen könnten. Haberkorn lag noch lange wach, der Brief von Marie beschäftigte ihn. Ohne jetzt irgendetwas herbeiwünschen zu wollen oder gar einen Bogen zu der jungen Französin schlagen zu wollen sagte er sich, dass es doch eigentlich keine ausgeschlossene Sache wäre, wenn sich Männer und Frauen verschiedener Nationen verbunden fühlen könnten, sich sogar lieben könnten. Das hatte es schon im ersten Weltkrieg gegeben. Was sollte daran falsch sein? Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass in Deutschland eine strenge Rassenlehre verfolgt wurde die so etwas eigentlich grundsätzlich verneinte, es sei denn, arische Abstammung konnte nachgewiesen werden. Irgendwann schlief er mit einem Kopf voller ungeklärter Fragen ein.
Das Boot sollte diesmal zusammen mit 7 anderen als Rudel operieren. Nahezu gleichzeitig waren die Boote aus verschiedenen französischen Stützpunkten ausgelaufen und formierten sich zu einem Suchstreifen im Atlantik. Es wurden nur kurze Funksprüche ausgetauscht, die Gefahr des Einpeilens war zu hoch. Das Wetter war um diese Jahreszeit im Gebiet schlecht, es war auch eine Sturmwarnung hereingekommen.
"Na da werden sich die Männer der Brückenwache aber freuen" lästerte der Kommandant zum Frühstück "einen Sturm auf dem Turm abzureiten macht nämlich mächtig Spaß. Wellenberge von einigen Metern Höhe bedeuten eine schöne Achterbahnfahrt. Immer schön auf und ab. Das auf geht ja noch, aber beim ab taucht der Bug weit ein und dann steht die Brücke bis an die Nock unter Wasser. Da helfen keine Handtücher um den Hals oder ein dicker Pullover unter dem Gummizeug. Überall fließt die Brühe rein, und zwei Stunden total durchnässt da oben zu stehen und noch den heftigen Wind ins Gesicht geprügelt zu bekommen, das ist wahrlich eine Qual. Kaum hat man sich im Boot in der Freiwache ein bisschen aufgewärmt heißt es schon wieder aufentern und der Spaß beginnt von vorn. Das möchte ich unseren Stabsheinis gern mal als Ausflug in die Wirklichkeit verordnen."
"Da wäre es doch aber sinnvoller unter Wasser zu bleiben und konstant voranzukommen" warf Haberkorn ein.
"Mag sein, aber dann nuckeln wir unsere Batterien leer, und falls wir doch unverhofft auf ein Geleit stoßen ist das keine angenehme Situation, ohne ausreichende Ladung anzugreifen und dann vielleicht Stunden gejagt zu werden. Ist eben eine Frage der Abwägung. Entweder man kriecht mühsam voran, aber hat genug Saft in den Batterien, oder man schunkelt gemütlich in der Tiefe vorwärts, kann dann aber nicht lange genug die E-Maschinen einsetzen. Lieber bleibe ich auch bei einem Kuhsturm oben, aber habe dann ausreichend Reserven, um mich einer Verfolgung entziehen zu können."
Der Sturm hatte so zugenommen, dass der Kommandant die Männer der Brückenwache aller Stunden ablösen ließ. Gegen 18 Uhr ließ er zum Rundhorchen tauchen. Nichts. Das Boot kam wieder an die Oberfläche und empfing Funksprüche.
"Heidemann steht nur 60 Seemeilen nordwestlich von uns" sagte der Obersteuermann "da dürfte er eigentlich nicht sein, sondern müsste viel weiter nördlich operieren."
"Und das heißt, dass er durch den Sturm versetzt worden ist und damit nördlich eine große Lücke entstanden ist" erwiderte der Kommandant ärgerlich "wenn die anderen Boote der Gruppe ebenfalls nicht ihre Positionen halten können kann irgendwo ein Geleit durchschlüpfen. Unser Standort stimmt?"
"Bis auf eine mögliche Abweichung von 10 Meilen ja."
"Gut. Machen wir erst einmal so weiter. Wenn jetzt hier Dampfer unterwegs sind wird es die armen Hunde richtig durchbeuteln. Und auf einem der leichten Zerstörer möchte ich jetzt nicht sein. So ein Blechkasten mit seiner geringen Tonnage ist dem Sturm fast hilflos ausgeliefert. Nicht unsere Sache. Abendbrot."