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Fred Beyer, 28. Februar 1943, bei Rostow am Don

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Jetzt hatten die Männer im Panzer von Fred Beyer eine Vorstellung davon, wie sich die Russen im Sommer 1941 gefühlt haben mussten. Die in die 4. Panzerarmee eingegliederte 6. Panzerdivision war auf dem Rückzug zum Brückenkopf Rostow. Dieser artete nicht wie im Winter 1941 vor Moskau in eine wilde und kopflose Flucht aus, aber die Russen drängten ständig nach und das bedeutete, dass der Rücken der Armee gedeckt werden musste. Während sich der Heereswurm auf seine Auffangstellung zubewegte waren einige Einheiten zur Abwehr der nachstoßenden Russen auf der Linie Bataisk-Maxin in Stellung gegangen, Beyers Kompanie gehörte mit dazu. Die Panzer hatten sich so gut es ging in Deckungen aufgestellt, dazu kamen etliche PAK 40, Sturmgeschütze III und zahlreiche Infanterieeinheiten sowie Artillerie. Das Wetter war günstig für den Einsatz der Luftwaffe und über den zurückgehenden Deutschen flogen Staffeln von Ju 87 Richtung Osten, um die Russen aufzuhalten. Jetzt, 1943, waren diese Maschinen bereits veraltet, aber als Sturzkampfbomber immer noch zielgenau und nicht zu entbehren. Um die langsamen und schwach bewaffneten Flugzeuge zu schützen wurden sie in den meisten Fällen von Me 109 begleitet. Da die Russen wie immer mit einer enormen Anzahl von Panzern vorrückten waren auf dem Flugplatz von Rostow einige Staffeln Henschel Hs 129 zusammengezogen worden. Diese Maschinen waren überwiegend mit dem Rüstsatz 4 ausgestattet, sie trugen einige der 4 Kilogramm schweren Hohlladungsbomben SD-4 HL, die hervorragende panzerbrechende Eigenschaften aufwiesen und sich in der Bekämpfung der T 34 und der KW Panzer bereits bewährt hatten. Vor der Abwehrlinie hatten Pioniere in aller Eile noch Minenfelder anlegen können, aber diese waren nicht durchgehend. Die Aufklärung fliegenden Focke-Wulf Fw 189 hatten gemeldet, dass die Russen erhebliche Kräfte zusammenziehen würden aber wahrscheinlich noch nicht antreten könnten, da ihre Kräfte für einen erfolgreichen Stoß vermutlich noch zu schwach wären. Überall seien aber Truppenbewegungen festzustellen, die klar auf Rostow zielen würden.

Fred Beyer und seine Männer standen frierend neben ihrem Panzer und rauchten. Vor 4 Wochen hatte das OKW eine Sondermeldung verlesen lassen, dass die 6. Armee in Stalingrad bis zum letzten Atemzug gekämpft hätte, aber einer erdrückenden Übermacht des Gegners unterlegen wäre.

„Von Mitte November an bis gestern haben unsere Leute im Kessel gesteckt“ hatte Bergner gesagt „mehr als zweieinhalb Monate. Wer weiß, wie viele überhaupt noch in Gefangenschaft gegangen sind. Wer weiß, wie viele gefallen sind. Wer weiß, wie viele noch ausgeflogen werden konnten. Viele sind wahrscheinlich verhungert. Stellt euch mal vor, ihr seid verwundet und es gibt kein Verbandsmaterial mehr, keine Medikamente, keine Behandlung. Es ist eine Katastrophe, die gesamte 6. Armee ist vernichtet worden. Und wir haben es nicht geschafft sie rauszuhauen. Dafür ist uns der Iwan jetzt auch noch auf den Fersen. Ich weiß nicht so recht….“

„Was weißt du nicht so recht“ fragte Lahmann „ob wir den Krieg noch gewinnen werden? Das hast du doch wohl gemeint, oder?“

„Na ja, nicht ganz“ gab Bergner zu „aber in der letzten Zeit sind unsere Erfolge doch ziemlich knapp geworden.“

„Ja hast du denn geglaubt, es geht weiter so wie in Polen oder Frankreich und wir sind in 4 Wochen am Ural“ erwiderte Beyer „das ist doch hier was ganz anderes, allein die Größe des Landes. Wie weit sind wir von Berlin weg? Weit mehr als 2.000 Kilometer. Von Leningrad bis Odessa sind es 1.700 Kilometer. Das ist unsere Frontlinie. Und überall stehen unsere Soldaten, Artillerie, Panzer, Flugzeuge, alles Mögliche. Denkst du, dass unsere Kräfte an jeder Stelle ausreichen, um den Russen standzuhalten? Hast du ungefähr eine Ahnung, wo deutsche Truppen noch stehen? Zum Beispiel in Afrika. Rommel hatte da ja anfangs mächtig Tempo gemacht, aber jetzt sieht’s wohl nicht mehr so gut aus.“

„Was wolln wir auch in Afrika“ knurrte Häber „geht’s nich mal ne Nummer kleiner mit der Welteroberung? Du hast doch Abitur, Fred, erklär’s mal.“

„So einfach ist das nicht. Der Führer musste darauf reagieren, dass die Italiener dort von den Briten geschlagen worden wären, wenn er keine Truppen hingeschickt hätte. Außerdem kannst du dich von der Vorstellung verabschieden, dass es in Afrika nur Wüste gibt. Libyen zum Beispiel verfügt über große Erdölvorkommen. Klar? Darum sind unsere Truppen auch hier in Russland aufs Kaspische Meer vorgestoßen.“

„Das klingt so, es würde es nur um Kohle, Eisen, Öl und Getreide gehen“ warf Friedrich ein „ich dachte, wir wollen die Bolschewiken schlagen.“

„Natürlich geht es vor allem gegen die Bolschewiken“ bestätigte Lahmann „und der Nebeneffekt wäre der, dass Deutschland Zugang zu Bodenschätzen hat.“

„Ich habe immer gedacht, dass die einfachen Russen sofort ihre Waffen wegschmeißen würden und uns mit offenen Armen als Befreier empfangen“ meinte Bergner „aber die greifen uns doch fanatisch wie die Verrückten an. Die können doch nicht alle von den Kommissaren in den Kampf getrieben werden.“

„Den ham de Kommunistn jahrelang ins Gehirn geschissen“ sagte Häber „dann kommt so was raus. Die denkn, die lebn im Paradies. Aber so wie’s hier aussieht, kann das ja wohl ni sein.“

Fred Beyer ahnte, dass die ideologische Beeinflussung und die Angst vor dem Staat und seinen Sicherheitsorganen viele Russen in den letzten Jahren geprägt hatten. Auf der anderen Seite würde es aber auch genug Leute geben, die den Kommunismus für eine gute Sache hielten und ihr Vaterland verteidigen wollten. Auch wusste er, dass sich die Deutschen mit ihrem teilweise brutalen Vorgehen gegen die Bevölkerung den Hass der Menschen zugezogen hatten. Er sah noch die vielen Leichen an den Galgen vor sich, er erinnerte sich an die Vergeltungsaktionen bei denen Zivilisten erschossen worden waren, die verhungerten russischen Kriegsgefangenen, die zerstörten Städte, bettelnde Kinder. Zu seiner eigenen Rechtfertigung sagte er sich, dass nun eben Krieg wäre und solche Sachen nicht ausbleiben konnten. Vor allem musste er seinen Männern das Gefühl geben, dass ihr Kampf siegreich enden würde, Zweifel wollte er gar nicht erst aufkommen lassen.

„Hör mal zu, Bergner“ sagte er „wenn du auf den Fußballplatz gehst und in Führung liegst, ist das doch n feines Gefühl, oder? Dann schießt der Gegner den Ausgleich. Machst du dir da gleich in die Hose und ziehst den Schwanz ein, oder kämpfst du jetzt noch härter?“

„Na klar, ich will doch gewinnen.“

„Na bitte. Das hier ist zwar kein Spiel sondern bitterer und tödlicher Ernst, aber bei beiden Sachen gibt es immer wieder unerwartete Situationen. Und ich habe das vorhin nicht umsonst gesagt, allein die räumliche Dimension ist eine Herausforderung für die Truppenführung und die Nachschubversorgung. Wenn wir jetzt zurückgehen ist das taktisch nur klug, warum sollten wir uns mit zersplitterten Kräften dem Iwan in den Weg stellen, wäre doch sinnlos. Und ich sage euch eins, beim Vormarsch auf Stalingrad haben wir den Iwan ganz schön gerupft. Mag sein, dass der mehr Panzer als wir hat, aber unsere Kampffahrzeuge sind besser. Und wir sind besser ausgebildet. Irgendwann geht es wieder vorwärts, da habe ich nicht den geringsten Zweifel.“

Keiner sagte etwas. Noch hatten sie Ruhe, aber dass die Russen bald antreten würden war sicher.

„He, kuckt mal“ rief Friedrich „die Stuka kommen zurück!“

In geordneter Formation zogen zwei Staffeln Ju 87 am Himmel entlang. Sie hatten die Bereitstellungsräume der russischen Truppen bombardiert. 6 Me 109 umkreisten die plump wirkenden und langsamen Flugzeuge und drehten wegen ihrer höheren Geschwindigkeit Schleifen. Die Maschinen waren ungefähr zwei Kilometer von Beyer und seinen Leuten entfernt, als aus einer höher hängenden Wolkendecke 8 russische Jäger auf die deutschen Flugzeuge herabstürzten. Es waren Jakowlew Jak 9. Diese Maschinen waren erstmalig in Stalingrad eingesetzt worden und hatten sich den Me 109 als ebenbürtig gezeigt. Aus einer Entfernung von 300 Metern und allen Rohren feuernd nahmen die Russen die Jäger und die Stuka unter Beschuss. Eine Me 109 explodierte in der Luft, einer anderen wurde das Leitwerk zerschossen, und die Maschine trudelte nach unten. 3 Ju 87 waren getroffen worden, bei einer brannte der Motor, der zweiten wurde die linke Tragfläche abgeschossen und die dritte zerbarst in einer Explosion. Die Bordschützen der Junkers feuerten zurück und konnten zwei der russischen Jäger abschießen. Die deutschen und russischen Jagdflieger kämpften jetzt gegeneinander. Zwei Russen nahmen eine Me 109 in die Zange und schossen sie ab. Eine russische Maschine kollidierte mit ihrem Rottenkameraden, beide stürzten ab. Zwei russische Jäger flogen den Pulk der Stuka von vorn unten an, setzten sich unter die Maschinen und jagten die Geschosse ihrer Waffen von schräg unten in die Rümpfe von 2 Ju 87. Beide scherten qualmend aus der Formation aus. Hinter den russischen Jägern waren aber zwei Me 109 her, die die Russen, die im Rausch eines leichten Sieges unvorsichtig waren, aus geringer Entfernung abschießen konnten. Ein weiterer russischer Jäger zog hoch und geriet in die Schussbahnen der Heckschützen-MG der deutschen Sturzkampfbomber. Die Maschine wurde zersiebt und explodierte. Der letzte russische Jäger drehte ab, er wurde von zwei Me 109 verfolgt. Ein einziger Jäger deckte jetzt noch die Bomber. Beyer sah genau, wie eine getroffene Ju 87 immer mehr aus einer stabilen Flugbahn geriet und dann über die linke Tragfläche abkippte. Im gleichen Moment konnte er erkennen, dass Pilot und Bordschütze aus der Maschine herausgekommen waren und absprangen. Einer der Männer stürzte wie ein Stein zu Boden, bei dem anderen öffnete sich der Fallschirm in ungefähr 200 Metern Höhe. Der Mann hing bewegungslos in den Gurten und trieb auf Beyers Panzer zu. In Sichtweite ging er zu Boden. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln stürmten die 5 Männer los. Als sie bei dem Mann angekommen waren sahen sie, dass der Fallschirm ihn bedeckt hatte. Bergner zog ihn weg, dann sahen sie den Flieger.

Der Mann lag auf dem Rücken und schaute mit offenen Augen in den Himmel. Seine Brust hob und senkte sich schnell, er atmete röchelnd und Blut trat ihm aus Mund, Nase und Ohren. Auf dem schneebedeckten Boden hatte sich schon eine große Blutlache um seinen Unterkörper gebildet, er musste von Geschossen der russischen Jagdflieger getroffen worden sein, die die Maschinen von unten beschossen hatten. Wie es schien, schaute der Flieger die um ihn hilflos herumstehenden Männer noch einmal an, dann sank sein Kopf zur Seite und er streckte sich.

„Scheiße“ fluchte Lahmann „wenn man so dasteht und nicht helfen kann.“

„Es war keine Hilfe mehr möglich“ erwiderte Friedrich „ihn hätte selbst ein Arzt nicht mehr retten können. Hat wahrscheinlich ein paar Schlagadern zerfetzt, dann bist du bald hinüber.“

„Wie kannst du so locker darüber reden“ fuhr ihn Bergner an „als würde dich das gar nichts angehen. Das war einer von uns!“

„Stimmt schon“ sagte Häber „war einer von uns. Aber jeden Tag sterbn Hunderte, vielleicht tausende. Er hat gekämpft, aber verlorn. So einfach is das. Da brauchste jetze nich so rumheuln. Haste dich schon ma gefragt, ob nich auch de Russn Väter sin oder Söhne? Es is Krieg, gewöhn dir deine Gefühlsduselei ab, sonst drehste durch. S geht darum, dass wir n Krieg gewinn und selber durchkommn. Oder siehste das anders?“

„Anton hat recht“ sagte Fred Beyer „wir können es uns nicht leisten großartig Mitleid aufzubringen oder Gefühle zu entwickeln. Unsere Aufgabe ist zu kämpfen, und den Feind zu vernichten, so einfach ist das. Und wenn wir den Iwan nicht töten, wird er es eben mit uns tun. Pardon wird schon lange nicht mehr gegeben, das solltest du dir sagen, falls wir mal aussteigen müssen und in den Nahkampf kommen. Dann kannst du ja mit deinem Gegner ne Diskussion führen, dass doch alle Menschen Brüder sind. Kennst du das? „Freude schöner Götterfunken, … alle Menschen werden Brüder….“. Kennst du das?“

„Nein.“

„Die 9. Sinfonie von Beethoven. Habe ich in der Schule gelernt. Ist ne schöne Utopie, dass alle Menschen Brüder sind. Das sehen wir doch jeden Tag. Sie oder wir! Denkst du, der Richtschütze im T 34 will uns nicht gut treffen? Wenn er es schafft, bleibt von uns nur noch verbranntes Fleisch übrig wenn die Kiste hochgeht. Wir haben keinen einzigen Grund, in dieser Situation irgendwelche philosophischen Gedanken zu entwickeln, verstanden?“

„Kann der doch sowie so nich“ knurrte Häber „der hat eben kein Abitur.“

„Das musst du gerade sagen“ wehrte sich Bergner „als Hufschmied brauchste wirklich nich viel im Kopf.“

„Schluss jetzt“ rief Beyer „was soll dieses Angepflaume. Habt ihr mich nicht verstanden? Wenn wir fünf nicht perfekt zusammenarbeiten und uns nicht verstehen, dann ist es bald zappenduster. Und zu dir Bergner: Häber ist keinen Deut schlechter als du. Vielleicht hat er eine geringere Bildung, aber er ist ein guter und ehrlicher Mann, wie du auch. Los, nehmt den Mann mit.“

Die vier anderen nahmen den toten Flieger hoch und trugen ihn bis zum Panzer. Fred Beyer sah ihn noch einmal an, dann deckte er den Fallschirm über den Toten. Irgendwann würde er von seinen Leuten abgeholt werden.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 10

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