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Günther Weber, 28. Februar 1943, bei Rostow am Don

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Der Angriff der Russen hatte die Marschkolonne der Deutschen vollkommen überraschend getroffen. An der rechten Seite waren wie aus dem Nichts kommend sieben T 34 aufgetaucht und hatten aus 1.500 Metern Entfernung zu feuern begonnen. Die ersten Schüsse lagen noch zu kurz, aber mit der zweiten Salve wurden zwei Schützenpanzerwagen getroffen, beide blieben ruckartig stehen, einer brannte. Drei Zugkraftwagen 3 t mit PAK 40 im Schlepp hatten gestoppt und die Geschütze in Stellung gebracht. Das war nicht einfach gewesen, denn die 1.400 Kilogramm schwere Kanone war nicht einfach zu bewegen. Dennoch hatten die Geschützbedienungen relativ schnell Feuerbereitschaft herstellen können und das Gefecht eröffnet. Die deutschen Schützenpanzerwagen hatten sich panisch im Gelände verstreut und versuchten ihr Heil in der Flucht, gegen die Panzer konnten sie nichts ausrichten. Die T 34 waren noch näher herangekommen und die eingespielten PAK-Bedienungen feuerten jeweils 15 Schuss in der Minute ab. Auf 1.000 Meter durchschlugen die mit knapp 800 Metern in der Sekunde rasenden 6,8 Kilogramm schweren Granaten bei 60 Grad Auftreffwinkel noch 94 Millimeter Panzerstahl. Drei T 34 wurden gestoppt, zwei brannten, die Überlebenden stiegen aus und der dritte explodierte. Die russischen Besatzungen hatten sich jetzt auf die linke PAK konzentriert und die Sprenggranaten explodierten knapp neben dem Schutzschild, töteten drei Männer der Bedienung, verwundeten zwei schwer und warfen die Waffe um. Den beiden anderen PAK war es aber gelungen noch zwei weitere russische Panzer zu vernichten. Die zwei übrig gebliebenen Panzer schossen noch rachsüchtig eine Salve ab aber drehten dann ab. Es gelang noch einmal, einen der sich zurückziehenden Panzer in das Heck zu treffen und dessen Motor zu zerstören. Die Besatzung bootete aus. Als die Deutschen mitbekamen, dass die unmittelbare Gefahr vorbei war, steuerten einige der Schützenpanzerwagen auf die abgeschossenen Panzer zu, um die davongekommenen Besatzungsmitglieder zu töten. Die davonlaufenden Russen waren in dem deckungslosen Gelände gut zu erkennen und die Fahrzeuge hatten die Männer bald eingeholt. Einige blieben stehen und hoben die Arme, sie wurden von den MG-Schützen der SPW erschossen, die anderen wurden schnell eingeholt und ebenfalls getötet. Einer der Fahrer lenkte seinen Schützenpanzerwagen extra so, dass einer der russischen Panzersoldaten unter die rechte Raupenkette geriet und von dieser zermalmt wurde.

Günther Weber hatte dem Fahrer befohlen, zu einem der abgeschossenen Schützenpanzerwagen zu fahren. Zusammen mit den anderen Männern stieg er aus, als sie dort angekommen waren. Die Panzergranate hatte die rechte Seite glatt durchschlagen, der nur 8 Millimeter dicke Stahl hatte der Wucht des Geschosses nicht standhalten können. Was Weber wunderte war, dass niemand der Männer aus dem Fahrzeug herausgekommen und die Hecktür geschlossen war. Er stieg über den vorderen Kotflügel auf die Motorhaube, zog die Plane über dem Mannschaftsraum zur Seite und erstarrte. Das Geschoss hatte ähnlich wie die deutsche Panzergranate 39 eine Sprengstofffüllung besessen, die die Granate nach dem Durchschlag der dünnen Seitenpanzerung zur Explosion gebracht hatte. Die Splitter der Panzerung und der Granate hatten in dem Inneren des Schützenpanzers eine verherrende Wirkung gehabt. Ein auf der rechten Sitzbank kurz hinter dem MG-Schützen hockender Soldat war von dem Geschoss direkt in den Rücken getroffen worden, sein Oberkörper war komplett zerfetzt, der Kopf abgetrennt worden. Da der Mannschaftsraum keine Abtrennungen hatte sondern ein durchgehend Bereich war, hatten sich die Splitter ohne Widerstand dort ausbreiten können. Alle 12 Männer, 10 Soldaten, der Fahrer und der MG-Schütze, waren tödlich verletzt worden. Der Mannschaftsraum schwamm im Blut, überall lagen abgerissene Körperteile herum. Zu dem Schlachthofgeruch kam noch der Gestank von Kot, den die Männer in ihren Därmen gehabt hatten. Weber wusste, dass keine Zeit sein würde, die Männer, oder das, was von ihnen übrig geblieben war, irgendwie zu bestatten, die Russen saßen ihnen im Nacken und die unverhofft aufgetauchten T 34 schienen darauf hinzudeuten, dass russische Einheiten sie in den Flanken bereits überholt hatten. Irgendeinen seiner Männer in den Transporter zu schicken oder selbst hineinzusteigen um den Toten ihre Erkennungsmarken abzunehmen schloss er aus, es wäre eine zu grausame Arbeit gewesen, in diesem Brei von menschlichen Körperteilen noch danach zu suchen. Außerdem wusste er, wer in dem Schützenpanzerwagen gesessen hatte, es waren Männer seiner Kompanie gewesen. Um den Russen aber nicht die Genugtuung zu lassen, die Leichen so grausam verstümmelt vorzufinden, hatte Weber etwas anderes vor.

„Werner“ rief er „bring mir einen 20 Liter Kanister Benzin und einen Putzlappen.“

„Wieso“ fragte der Mann erstaunt.

„Du sollst mir einen Kanister Benzin und einen Putzlappen bringen“ schrie er unbeherrscht.

Als der andere Mann ihm die verlangten Sachen brachte schaute er Weber mit einem seltsamen Blick an.

„Willst du mal reinsehen“ fragte Günther Weber den Soldaten gereizt „so lass‘ ich die Männer hier nicht zurück. Der Iwan soll sich nicht daran erfreuen, dass er wieder ein paar von den Fritzen umgelegt hat.“

Er schüttete das Benzin in den Mannschaftsraum. Dann zwang er sich, noch einmal genau hinzuschauen. Fast allen Männern waren die Körper bis zur Unkenntlichkeit zerrissen worden, aber er erkannte noch zwei Gesichter. Fred Baumgartner, ein Bayer, Rudi Kruse, ein Pommer. Beide Männer hatte er schon lange gekannt. Baumgartner war ein schweigsamer aber überaus kameradschaftlicher Mann gewesen, der ohne viele Worte seine Pflicht erfüllte. Kruse, obwohl ein Nordlicht, hatte seine Kameraden mit viel Humor und Späßen aufgeheitert. Beide waren Anfang 20 gewesen. Jetzt würde Weber als Kompaniechef an ihre Angehörigen schreiben müssen. Bis er überhaupt dazu kam würde es sicher noch dauern, jetzt mussten sie erst einmal vor den heranstürmenden Sowjets in Sicherheit gelangen und eine neue Front aufbauen. Weber würde in den Briefen die üblichen Floskeln verwenden und er war froh, dass ihre Eltern und Geschwister die Toten in diesem Zustand so nicht sehen konnten. Er selbst war keineswegs gefühllos, und was er schon alles an Grausamkeiten erlebt und gesehen hatte, hatte sich als Last auf seine Seele gelegt. Der Anblick der abgeschlachteten Soldaten hatte ihn für eine Weile erschüttert, aber dann waren diese Bilder zwar nicht gleich aus seinem Gedächtnis verschwunden, sondern nicht mehr so dominierend, irgendwann würden sie verschwinden, weil er täglich neue sah, die nicht weniger schrecklich waren. Wieviel Phantasie und Geist bringen die Menschen doch auf um Mittel zu erfinden, mit denen man sich möglichst effektiv gegenseitig umbringen konnte dachte er. Auf der anderen Seite wartete er wie die anderen Grenadiere aber auch darauf, endlich mit modernen Maschinenwaffen ausgestattet zu werden.

Er hatte den Putzlappen mit Benzin getränkt. Jetzt nahm er sein Feuerzeug und brannte das Stück alten Stoff an. Weber warf den brennenden Putzlappen in das Fahrzeug hinein und mit einem dumpfen Explosionsgeräusch entzündete sich das Benzin, die Flamme schlug aus dem Mannschaftsraum heraus. Weber wusste, dass das Benzin schnell verbrannt sein würde, aber die Kleidung der Männer würde auch Feuer fangen und sie wenigstens bis zur Unkenntlichkeit verschmoren. Früher wurden Tote auch verbrannt, wenn man keine andere Möglichkeit dazu hatte sie zu bestatten. Günther Weber hatte das gerade mit 12 Männern getan, die er alle gut gekannt hatte, und die wie er an den Sieg Deutschlands geglaubt hatten und dafür bereit gewesen waren ihr Leben zu geben.

Ihr Leben war kurz vor Rostow am Don und viel zu früh zu Ende gegangen, ihr Grab war der stählerne und kastenförmige Aufbau eines ausgebrannten deutschen Schützenpanzerwagens vom Typ Sd. Kfz. 251.


Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 10

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