Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 8 - Frank Hille - Страница 5
Günther Weber, 17. September 1942, Russland, Bjelow
ОглавлениеDie Operation auf Bjelow war erstaunlich reibungslos verlaufen. Den Russen war vollkommen entgangen, dass sich eine größere deutsche Formation auf die Stadt zubewegte. Seitens der Deutschen war auf Luftangriffe verzichtet worden, um den Vormarsch so lange als möglich geheim zu halten. Außerdem waren die Einheiten nur nachts vorgerückt und blieben tagsüber in den dichten Wäldern in Wartepositionen. Günther Weber hatte mit Chaos beim nächtlichen Forcieren des Flusses gerechnet, aber die Pioniere hatten die beiden Pontonbrücken ohne größere Probleme errichten können und das Übersetzen der Einheiten verlief geordnet. Nachdem diese kritische Stelle passiert worden war bildete die Kampfgruppe zwei Stoßkeile, die sich auf Bjelow vorbewegten. Erst wenige Kilometer vor dem Ort waren die deutschen Truppen von den Russen entdeckt worden, aber diese hatten ihre Bereitstellungsräume bereits erreicht und gruben sich ein. Rechts und links von ihnen waren ebenfalls deutsche Einheiten eingetroffen und bildeten nun einen mehr als 25 Kilometer breiten Riegel vor der Stadt. Jetzt konnte die Luftwaffe auch aktiv werden und fügte den zusammengezogenen Truppen der Russen erhebliche Verluste zu. Die Artillerie schoss auf erkannte Bereitstellungen, und diese Feuerschläge brachten den Angriffsplan der Russen wohl zum Wackeln, denn sie blieben seltsam defensiv. Nachdem sich die Deutschen auch noch am folgenden Tag eingraben konnten, traten die Russen doch an.
Günther Weber hatte die Männer seiner Kompanie so in den Gräben postiert, dass MG-Schützen ihre Waffen in recht regelmäßigen Abständen aufgebaut hatten. Dass die artilleristische Ausstattung und die Anzahl der Panzer nicht hoch waren wussten alle, aber sie waren zuversichtlich, den Angriff abwehren zu können, weil die überwiegende Anzahl der Panzer vom Typ IV Ausführung G waren. Außerdem waren einige Flak 8,8 Zentimeter eingegraben und schon auf den Erdkampf vorbereitet worden. In der Nacht zuvor hatten Pioniere noch ungefähr 300 Meter vor den Stellungen einen Minengürtel legen können, so dass die defensive Position ganz gut geschützt war. Gegen 10 Uhr begann die übliche artilleristische Vorbereitung des Angriffs durch die Russen. Diese wollten diesmal wohl nichts riskieren und hatten in dem Frontabschnitt eine große Zahl an Geschützen und Raketenwerfern konzentriert. Dazu flogen Bomber unterstützende Angriffe, deutsche Jäger waren nicht zu sehen. Als die ersten Bomben einschlugen konnten die Infanteristen nur auf ihr Glück hoffen, dass diese nicht in ihrer Nähe hochgingen. Die russischen Bomber verfügten über wenig taugliche Bombenwurfzielgeräte und hatten ihre Last zu spät abgeladen, so dass die Bomben größtenteils hinter den deutschen Stellungen explodierten und nur wenig Schaden anrichteten. Die deutschen Feldgeschütze schwiegen immer noch, aber kurz darauf paukten die Geschütze los, sie konnten allerdings bei Weitem nicht so eine Wirkung entfalten wie die russischen, sie waren in der Anzahl eindeutig unterlegen.
Günther Weber hatte sich wie seine Männer eng an die Wand des Schützengrabens gepresst. Während des Beschusses fühlte er wieder diese Hilflosigkeit, jetzt gar nichts tun zu können, außer die Nerven zu behalten. Die ersten Salven der Russen hatten noch recht weit vor den deutschen Stellungen gelegen, aber die Einschläge kamen näher. Weber spürte die Wucht der Explosionen, die Erde bebte und der Gestank der Explosionsstoffe kroch über das Gelände. In das Krachen mischte sich jetzt noch ein jaulendes Geräusch, russische Werfer feuerten ihre Raketen ab. Vier von ihnen trafen direkt in einen Grabenabschnitt und zerrissen die dort kauernden Soldaten. Die Feuerwalze der russischen Artillerie wanderte jetzt kontinuierlich weiter auf die Gräben zu, und die ersten Granaten schlugen dort ein. Dann trommelte das Feuer weiter auf diesen Bereich, weitere Raketen explodierten nah den Stellungen. Der Lärm war ohrenbetäubend und ständig regneten Erdklumpen auf Weber und die anderen hinunter. Plötzlich gab es knapp 10 Meter von Weber entfernt einen furchtbaren Einschlag und diesmal fielen auch Körperteile auf die entsetzten SS-Männer. Wie durch einen Filter sah Günther Weber, dass einen halben Meter neben ihm ein abgerissener Arm lag. Die Russen schossen jetzt schon 25 Minuten und deren Kanoniere mussten wie im Akkord laden. Günther Weber erinnerte sich an Textstellen in Kriegsbüchern, in denen über Trommelfeuer geschrieben wurde. Er hatte schon oft unter Beschuss gelegen, aber der war deutlich kürzer gewesen. Wie die Männer in den Gräben des ersten Weltkrieges stunden- oder gar tagelange Kanonaden ausgehalten hatten war ihm unbegreiflich. Er musste immer wieder den Reflex unterdrücken aufzuspringen und den Graben zu verlassen. Die Pervitin Tablette, die er heute früh eingenommen hatte, half ihm aber über diese Krise hinweg und dann sagte er sich, dass er ohnehin keine Wahl hätte, er musste im Graben bleiben. Durch das fortwährende Krachen hatte sein Hörvermögen nachgelassen und als das Feuer etwas abflaute, zündete er sich eine Zigarette an und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Grabenwand. Jetzt würden die T 34 ihre Dieselmotoren anlassen, die Infanterie würde aufsitzen und dann würden die Fahrzeuge vorrücken. Nachdem die Russen mehr als 30 Minuten wie entfesselt geschossen hatten wurden die Einschläge weniger und das war ein Zeichen, dass der Gegner jetzt antreten würde. Wie hoch die deutschen Verluste waren wusste Weber nicht, aber er vermutete, dass in den Gräben etliche Männer gefallen waren. Gleichzeitig hoffte er, dass die wenigen schweren Waffen noch einsatzbereit waren, dieser Angriff konnte nicht nur mit Schützenwaffen abgewehrt werden. Es schlugen noch einige Granaten ein, dann war das trockene Bellen von Panzerkanonen zu hören.
Wenn Günther Weber die deutschen Stellungen an diesem mit von dem SS-Bataillon gehaltenen Abschnitt aus der Vogelperspektive gesehen hätte, wäre er vor Schreck zusammen gezuckt. Zwei gut eingegrabene 8,8 Zentimeter Flak waren durch Volltreffer vernichtet worden und umgekippt. Drei Panzer IV Ausführung G rußten brennend vor sich hin, Granaten hatten die dünnen Deckenpanzer durchschlagen. Jetzt standen noch zwei 8,8 Zentimeter Flak und drei Panzer IV sowie vier Panzer III zur Verfügung. In den Gräben an diesem Abschnitt lagen 87 tote und 36 verwundete oder sterbende SS-Männer am Boden. Von den knapp 300 in die Stellungen eingerückten Infanteristen der SS standen jetzt noch knapp 180 Männer bereit. Sie konnten nur ihre Schützenwaffen und 7 MG 42 einsetzen. Das Dröhnen der Pantermotoren schwoll an und die 8,8 Flak eröffneten das Feuer. Günther Weber spähte über den Grabenrand und konnte sehen, dass die T 34 noch ungefähr einen Kilometer entfernt waren. Die deutschen Flakkanoniere waren aufgrund der Verluste verbittert und zur Abwehr entschlossen. Die ersten Granaten jagten den T 34 mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 795 Metern in der Sekunde entgegen. Zwei Panzer explodierten sofort und die Detonationen fegten die aufgesessene Infanterie weg, Weber sah die Sprengwolken deutlich aufsteigen. Jetzt griffen die deutschen Panzer auch in das Gefecht ein. Die Panzer IV hatten auf diese Entfernung gute Erfolgsaussichten aber sie trafen die schnell fahrenden russischen Panzer nicht. Die Acht-Acht feuerten ununterbrochen und konnten noch einen T 34 abschießen, aber noch 16 Panzer kamen immer näher. Knapp 300 Meter vor den deutschen Gräben verringerten die russischen Panzer das Tempo, die Infanteristen sprangen von den Fahrzeugen herunter und die T 34 schossen. Einem Panzer III wurde der Turm abgerissen und Splitter ließen die Bereitschaftsmunition explodieren. Zwei Panzer IV erhielten Treffer, aber einige Männer der Besatzung konnten noch ausbooten. Die T 34 hatten das Feuer auf die Acht-Acht konzentriert und die Sprenggranaten schalteten die Geschütze aus, die Bedienungen fielen im Splitterregen. Als die T 34 auf 200 Meter heran waren konnten die vier noch gefechtsbereiten deutschen Panzer drei der angreifenden Fahrzeuge vernichten, aber dann wurden sie von den restlichen zusammengeschossen. Die deutsche Infanterie stand ohne jegliche Unterstützung durch schwere Waffen da. Einige der Männer des SS-Bataillons gerieten jetzt in Panik und verließen die Gräben. Günther Weber wusste, dass dies ein tödlicher Fehler war, denn den Männern wurde von den Bord MG der Panzer in den Rücken geschossen. Weber hatte das Gefühl, dass er in den nächsten Minuten sterben würde. Er schaute vorsichtig über den Grabenrand und sah, dass die russischen Panzer stehen geblieben waren und auf die eigene Infanterie warteten. Einer der T 34 stand keine 80 Meter vor Webers Deckung und drehte den Turm, um Ziele aufzuspüren. Dann feuerte er eine Sprenggranate ab, die fünf Meter vor dem Grabenrand explodierte. Günther Weber wurde durch die Druckwelle an die hintere Grabenwand geschleudert, er schlug hart mit dem Stahlhelm gegen die Erde und ihm wurde schwarz vor Augen. Das letzte was er wahrnahm, war ein stechender Schmerz in seiner linken Schulter.