Читать книгу Suche nichts - finde alles! - Frank J. Kinslow - Страница 32
Оглавление4. Was es mit der Zeit auf sich hat
„Wenn ein Mann eine Stunde lang mit einer charmanten jungen Frau zusammensitzt, kommt ihm das hinterher so vor, als sei es nur eine Minute gewesen. Aber stellen wir uns vor, er säße eine Minute lang auf einem heißen Herd oder Ofen – das käme ihm sicherlich länger als eine Stunde vor. Das ist ‚Relativität‘.“
Albert Einstein
Wie sich herausstellt, hängt unser Sicherheitsempfinden eng damit zusammen, wie wir die Zeit wahrnehmen. Und das wiederum hängt davon ab, wie gut wir unser Selbst kennen. Wenn wir uns unseres Selbst bewusst sind, sind wir sicher. Wenn wir uns unseres Selbst nicht bewusst sind, werden wir unsicher und unsere Gefühle, unsere Gedanken und unser Handeln spiegeln diese Unsicherheit wider.
Ich kenne drei Arten von Zeit:
1. Da ist einmal die kosmologische Zeit. Ihre Uhr begann mit dem Urknall zu ticken. Das Universum hat Zeit gebraucht, um sich bis zu diesem Punkt auszudehnen. Die misst die kosmologische Zeit.
2. Dann gibt es die thermodynamische Zeit. Gegenstände, Tassen, Menschen und Planeten brauchen Zeit, um zu altern und in die Atome zu zerfallen, aus denen sie bestanden. Die thermodynamische Zeit misst den Zerfall von Dingen.
Diese ersten beiden Arten sind eher objektive Größen, um die stoffliche Welt zu messen. Kosmologische und thermodynamische Zeit wirken außerhalb des Verstandes.
3. Die dritte Art von Zeit ist die psychologische Zeit. Sie misst, was in unserem Geist und Verstand vor sich geht. Die psychologische Zeit ist subjektiv und ungenau. Ja, außerhalb des Verstandes lässt sich mit ihr nicht viel zuverlässig messen. Sie ist eine Illusion und die Ursache aller Probleme, vor denen die Menschheit steht.
Bevor Sie sich darüber aufregen, wollen wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen, um nachzuvollziehen, wie die psychologische Zeit funktioniert.
Die psychologische Zeit ist eine Illusion. (Wenn ich das Wort „Zeit“ allein gebrauche, meine ich psychologische Zeit. Die objektive Zeitmessung nenne ich „reale“ Zeit, äußere Zeit oder Uhrzeit.) Wir glauben fälschlicherweise, es habe Zeit immer schon gegeben und wir hätten sie einfach an einem bestimmten Punkt in unserem Leben kennengelernt. Tatsächlich aber hat Ihr Verstand die Zeit „erfunden“. Sie war nicht immer da.
Schauen Sie einem kleinen Kind beim Spielen zu: In seiner Welt gibt es keine Zeit. Alle Eltern wissen, wie frustrierend der Versuch ist, ein Kind, das nicht in der Zeit lebt, anzuziehen, zu füttern oder ganz allgemein zu motivieren. Seine innere Uhr ist auf „jetzt“ gestellt. Während die äußere Zeit vergeht und wir von Kindern zu Erwachsenen heranwachsen, konstruiert unser Verstand eine innere, psychologische Uhr. Schließlich überrollt eine Lawine von Gedanken über Vergangenheit und Zukunft das „Jetzt“.
Popcorn, Pop und reines Bewusstsein
Ich gehe leidenschaftlich gern ins Kino. Für ein paar Stunden vertiefe ich mich völlig in die offensichtliche Illusion, die sich auf der Leinwand abspielt. Sobald ich den Kinosaal betrete, lasse ich mein Alltagsleben hinter mir. Obwohl der Film nur ein Geflimmer von Licht und Schatten ist, stellt er doch die größere Illusion dar, die wir „wirkliches Leben“ nennen, das außerhalb der Kinotüren auf uns wartet. Die Illusion der Bewegung entsteht in unserem Verstand, wenn Gedanken zwischen Vergangenheit und Zukunft pendeln. Gedanken an Zukunft und Vergangenheit bilden eine mentale Brücke, die sich über das stets gegenwärtige Jetzt spannt. Es ist, als würde man einen Film anschauen. Ein Kinofilm ist ein langer Streifen von Einzelbildern. In einer einzigen Sekunde flimmern 24 Bilder über die Leinwand. Da unser Gehirn die Bilder nicht so schnell verarbeiten kann, wirken diese Standbilder, als wären sie in Bewegung. Recht erstaunlich. Wir sehen Bewegung, wo gar keine stattfindet. Diese Illusion ruft der Film hervor.
In ähnlicher Weise ist die Zeit eine vom Verstand erzeugte Illusion. Einzelne Gedanken entsprechen den Einzelbildern eines Kinofilms. Einzelne Gedanken tauchen so schnell auf, dass sie sich zu bewegen scheinen. Diese Illusion der Bewegung bezeichnen wir als Zeit.
Wenn wir an die Zukunft denken, gehen wir in der Zeit vorwärts. Wenn wir unsere Erinnerungen „besuchen“, gehen wir in der Zeit zurück. Diese ganze Bewegung findet im Verstand statt. Sie existiert nur in Ihrem Verstand, nirgendwo sonst im Universum. Ihre Zeit, Ihre Zukunft und Ihre Vergangenheit hat niemand anders mit Ihnen gemeinsam.
Der Filmprojektor arbeitet nach einem einfachen Prinzip. Ein helles, weißes Licht scheint durch den Filmstreifen und erzeugt auf der Leinwand vorn im Kinosaal ein Bild. Der Filmstreifen bewegt sich Einzelbild für Einzelbild durch das Licht und ruft auf der Leinwand die Illusion der Bewegung hervor. Als Zuschauer verfolgen wir – zufrieden dasitzend –, wie sich das Drama der Akteure entfaltet; dabei vergessen wir, dass sie nur Licht und Schatten sind, entstanden durch helles Licht, das hinter der Rückwand des Kinosaals durch den Filmstreifen fällt. Wir weinen und lachen, als wäre die Illusion real.
Unser Leben gleicht diesem Film. Es entfaltet sich Gedanke für Gedanke, Minute für Minute, Jahr für Jahr. Wir, die Zuschauer, vertiefen uns völlig in das Drama unseres eigenen Films. Wir machen uns Sorgen über Rechnungen, wir freuen uns über das neue Haus, sehen die Kinder heranwachsen und denken über unseren Tod nach. Wie ein Film, so ist auch unser Leben eine Illusion, ein Spiel von Licht und Schatten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Unser Leben existiert, aber nicht so, wie wir glauben. Diese missverstandene Identität verursacht enormes Leiden, das sich mit jeder Generation nur vertieft.
Wie viel Uhr ist es? – JETZT!
Worin besteht das Missverständnis? Es besteht einfach darin, dass wir annehmen, dass es Zeit gäbe. Wir glauben, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft existierten. Gewöhnlich ruft die Vorstellung, Vergangenheit und Zukunft existierten nicht, viel Widerstand hervor. Das liegt daran, dass wir nie wirklich darüber nachgedacht haben. Doch darüber nachdenken müssen wir, falls wir jemals anhaltenden Frieden finden wollen.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Haben Sie schon einmal etwas erlebt, was nicht jetzt stattfand? Sie mögen sich an ein Erlebnis erinnern, doch das ist eben nur eine Erinnerung, ein gegenwärtiger Gedanke an die Vergangenheit. Ein Ereignis kann nur in der Gegenwart stattfinden. Die Vergangenheit ist vorüber; sie existiert nicht. Die Zukunft ist nicht hier und sie wird auch nie „hierher“ kommen. Das kann sie nicht; es ist die Zukunft. Wenn also die Vergangenheit nicht existiert und die Zukunft ebenso wenig, dann bleibt uns nur … JETZT. Und wirklich, das Jetzt existiert nur, weil wir Zukunft und Vergangenheit erkennen. Wenn Zukunft und Vergangenheit für den Verstand „sterben“, wird das Jetzt zu dem, was ist. Ein Jetzt kann es nur geben, wenn es auch ein Nicht-Jetzt gibt. Doch lassen Sie uns genauer betrachten, wie sich das Phänomen Zeit im Geist widerspiegelt.
Sie mögen einwenden: „Nun, jede Erfahrung, die ich je gemacht habe, habe ich vor dem Jetzt gemacht.“ Das stimmt; Sie haben eine Erinnerung an eine Erfahrung und die Erinnerung besagt, dass die Erfahrung in der Vergangenheit stattgefunden habe. Doch eine Erinnerung ist ein Gedanke. Und Sie denken diesen Gedanken jetzt. Leihen Sie sich ein Video aus, nehmen Sie es mit nach Hause und schauen Sie es sich auf Ihrem Fernseher an. Drücken Sie während des Films die Pausentaste auf Ihrer Fernbedienung. Nun sehen Sie auf Ihrem Bildschirm ein Standbild. Wenn Sie eine Fernbedienung für Ihr „Kopfkino“ hätten und wenn Sie den Pausenknopf drückten, würden Sie einen einzelnen Gedanken sehen; den Gedanken, den Sie „jetzt gerade“ hätten. Es gibt nur das Jetzt. Es hat nie eine Zeit gegeben und es wird nie eine Zeit geben, die nicht jetzt ist.
*
Erscheint Ihnen das ein wenig verwirrend? Haben Sie den Eindruck, was Sie gerade gelesen haben, das fühle sich fast richtig an, aber Sie würden nicht ganz schlau daraus? Regt sich sogar kaum wahrnehmbar etwas tief in Ihrem Inneren, so, als ob ein Teil von Ihnen, der geschlafen hätte, aufzuwachen begänne? Dafür gibt es einen guten Grund. Wir haben dem Verstand ein Rätsel aufgegeben, das er nicht lösen kann. Wahrscheinlich ist es nicht das erste Mal, dass der Verstand um Gedanken verlegen ist. Das Hochgefühl bei einer neuen Liebe oder einem traumhaften Sonnenuntergang ist zeitlos und jenseits des Verstandes. Was jenseits des Verstandes liegt, kann der Verstand nicht erfassen. Dorthin kommt er von hier aus nicht. Um das Rätsel zu lösen, müssen wir über den Verstand hinausgehen. Wir müssen über die psychologische Zeit hinausgehen.
Glücklicherweise wissen Sie schon, wie das geht. Erinnern Sie sich daran, als Sie fragten: „Woher kommt mein nächster Gedanke?“ Erinnern Sie sich an die Lücke, die entstand, als Ihre Gedanken anhielten? Sie beobachteten, aber sie dachten nicht. Sie erlebten den Zustand des „Nicht-Denkens.“ [Engl.: You experienced no mind.] Mit anderen Worten: Sie gingen über Ihren Verstand hinaus.
Und wenn Sie über den Verstand hinausgehen, halten Sie die Zeit an. Und zwar deshalb, weil der Verstand die Zeit erschuf. Wann immer Sie die Zeit anhalten, sind Sie frei von der Illusion von Vergangenheit und Zukunft. Und sobald Sie frei sind von Vergangenheit und Zukunft, beenden Sie das Leiden.
Was für eine wundervolle Entdeckung Sie sind!
Lassen Sie uns Platons berühmtes Höhlengleichnis aktualisieren und die Kinoanalogie gleichzeitig noch etwas weiterführen: Nehmen wir an, Sie kamen in einem Kinosaal zur Welt und wuchsen dort auf. Ununterbrochen und pausenlos lief ein Film. War es ein lustiger Film, so waren Sie glücklich; bei einem traurigen Film weinten Sie. Ihre ganze Welt drehte sich darum, Orte, Darsteller und Ereignisse kommen und gehen zu sehen. Für Sie war das kein Spiel von Licht und Schatten auf einer Leinwand, sie waren real.
Nehmen wir weiter an, Sie fanden unbeabsichtigt einen Schalter neben Ihrer Hand. Als Sie den Schalter betätigten, hielt der Film an. Jetzt war nur die leere Leinwand beleuchtet und Sie stellten etwas ganz Interessantes fest. Sie erkannten, dass die leere Leinwand schon immer da war. Wäre sie nicht da gewesen, dann hätten Sie keinen Film sehen können.
In dieser Zeit, in der „kein Film“ lief, badeten Sie in reinem, weißem Licht, das die Leinwand reflektierte. Kein Film auf der Leinwand lenkte Sie ab, deshalb wurden Sie Ihres eigenen Körpers und Handelns überaus gewahr. Die leere Leinwand lenkte Ihren Verstand nicht davon ab, wer Sie wirklich sind. Was für eine erstaunliche Entdeckung Sie waren! – Das Geheimnis Ihres Lebens ist damit gelüftet: Sie sind nicht der Film. Sie sind getrennt davon. Sie sind wirklich. Der Film ist Illusion. Sie werden nie mehr die oder der Gleiche sein.
Dann legen Sie den Schalter wieder um und der Film geht weiter. Doch diesmal ist Ihnen bewusst, dass Sie vom Film getrennt sind. Sie glauben nicht mehr, Sie seien im Film. Sobald Ihnen dieses Wissen bewusst wird, weichen Ihre Ängste und Sorgen wie die Illusionen, die sie sind. Jetzt dient der Kinofilm Ihrer Unterhaltung. Leidenschaftlich genießen Sie die Handlung, die sich auf der Leinwand entfaltet, Sie amüsieren sich und sind gleichzeitig distanziert. Schließlich sitzen Sie sicher auf Ihrem Sitz. Mit dem Gewahrwerden der Leinwand kommt Selbst-Gewahrsein.
Kerngedanken von Kapitel 4
• Unser Sicherheitsempfinden hängt eng damit zusammen, wie wir die Zeit wahrnehmen. Und das wiederum hängt davon ab, wie bewusst wir uns unseres Selbst sind.
• Die psychologische Zeit ist subjektiv und von Bedingungen, von Umständen abhängig.
• Die psychologische Zeit ist die Ursache aller Probleme, vor denen die Menschheit steht.
• Die psychologische Zeit ist die Illusion von Bewegung.
• Ein Geist, der fest in der Gegenwart verankert ist, ist ruhig.
• Nur Sie kennen Ihre Zeit. Ihr Zeitgefühl können Sie mit niemandem teilen. Die Illusion, die Sie als Ihr Leben kennen, können Sie mit niemandem teilen.
• Unsere Zukunft und unsere Vergangenheit existieren nur genau jetzt – im Verstand.
• Selbst-Gewahrsein durchbricht die Illusion der Zeit.
• Wenn Sie Ihres Selbst gewahr sind und frei von der Zeit, dann sind Sie auch frei von Leiden.