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ZWEI Die Strafe des Imperiums

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Eine militärisch hochgerüstete Rasse kam aus dem Atlantik und fiel mit einer großen Flotte und einer starken Armee in ganz Westeuropa und Nordafrika ein, bis hin zur libyschen Wüste. Ohne Rücksicht auf Nationen, die in jenen fernen Tagen neutral bleiben wollten, überrannten sie jedes Land zwischen Gibraltar und der heutigen Levante.

HAROLD T. WILKINS:

MYSTERIES OF ANCIENT SOUTH AMERICA

Mit Memnons Tod verloren seine Soldaten den Kampfesmut. Er war Trojas letzte Hoffnung gewesen. Nach zehnjähriger Belagerung fiel die Hauptstadt in einem Feuersturm, als Homers Achäer Ilios plünderten. Ihre Schiffe, mit Beute und Sklaven beladen, kehrten über das Ionische Meer nach Griechenland zurück. Die atlantische Flotte forderte sie nicht heraus, sondern zog still in südlicher Richtung ab. Bei jedem Versuch, die Dardanellen zu erobern, wären sie nun mit den siegreichen Mykenern auf der einen Seite und den abwartenden Hethitern auf der anderen Seite konfrontiert gewesen – eine Situation, die es zu vermeiden galt. Selbst wenn sie die Meerenge hätten einnehmen können, wäre es doch unmöglich gewesen, sie zu halten.

Auch wenn die Atlanter eine Armee verloren hatten, repräsentierten ihre Schiffe doch immer noch eine weitgehend intakte, starke, wenn auch von ihrer Basis entfernte Seemacht. Ein Rückzug aus dem Mittelmeer wäre eine Demütigung gewesen, die man nicht in Betracht ziehen konnte – und zudem gefährlich, weil ihre Autorität untergraben würde, was sich kein Imperialist leisten kann, der seine Untertanen in hinreichender Ehrfurcht halten möchte.

Die atlantischen Strategen ließen sich jedoch nicht entmutigen. Trotz des Debakels von Troja waren ihre libyschen, italienischen, palästinensischen und sonstigen Verbündeten noch immer bereit zum Handeln. Inzwischen zerfiel die Einheit der Griechen bereits wieder in die zerstrittenen Fraktionen der Vorkriegstage, und nachdem die Griechen Ilios nach der Plünderung brennend zurückgelassen hatten, waren die Hethiter damit zufrieden, sich die trojanische Einflusssphäre im Nordwesten Kleinasiens kampflos einzuverleiben. Obwohl offiziell mit Ägypten verbündet, hatten sie nicht vor, es vor Angriffen von außen zu verteidigen, besonders wenn die Seevölker sich dem Niltal zuwandten und Kleinasien dabei in Frieden ließen. Ein atlantisch-ägyptischer Krieg würde sicher beide Seiten schwächen, zum Vorteil der Hethiter.

Die atlantischen Kommandeure waren jedoch zuversichtlich, dass sie mehr als ein Patt mit Ägypten erreichen könnten. Kurz nachdem der trojanische Krieg begonnen hatte, starb der mächtige Ramses II. im Alter von 97 Jahren und hinterließ den Thron einem anderen alten Mann, seinem dreizehnten Sohn. Zum Zeitpunkt seiner Inthronisation im Jahre 1236 vor Christus war Pharao Merenptah etwa sechzigjährig und wurde im In- und Ausland allgemein für schwach und unentschlossen gehalten. Es kam zu Arbeiteraufständen, etwas, was es während der langen Regierungszeit seines Vaters nie gegeben hatte, und Nubien zeigte Anzeichen von Unruhe.

Von der allgemeinen Situation ermutigt und nicht bereit, nach Hause zurückzukehren, da sie für beinahe zehn Jahre auf See wenig vorzuweisen hatten, entwickelten die Atlanter eine Strategie zu Land und zu See, die nichts weniger als die Unterwerfung Ägyptens zum Ziel hatte. Eine solche Eroberung würde Atlantis unbestreitbar zum mächtigsten Reich der Erde machen und seine Position im Nahen Osten sichern. Der oberste militärische Architekt dieses ehrgeizigen Unternehmens war Teucer, bei den Ägyptern als Tjeker bekannt. Er erscheint in Homers Ilias als Gründer von Salamis auf Zypern, einem der wichtigsten Sammlungsorte der Seevölker für die geplante Invasion.

Teucers Kriegsplan sah einen dreiseitigen Angriff der atlantischen Flotte auf das Nildelta vor, wobei gleichzeitig ihre konföderierten Einheiten aus dem Norden einfallen sollten. Sein Ziel dabei war, mit einem einzigen kombinierten Schlag die ägyptische Seestreitmacht zu überwinden und Truppen an Land zu bringen. Die Marinesoldaten sollten landeinwärts marschieren und die strategisch gelegenen Städte Damietta, Busiris und Sais einnehmen. Die wichtigsten Kampfkreuzer sollten sie unterstützen, indem sie parallel zu ihrem Vormarsch den Nil hinauf segelten. Hauptangriffsziel dieser Eröffnungsphase der Kampagne war das Verwaltungszentrum in Memphis. Wenn dieses eingenommen werden könnte, würde es den Ägyptern schwerfallen, ihren Widerstand zu koordinieren.

Parallel zum Angriff vom Meer aus sollten libysche Streitkräfte unter der Führung von König Meryey von Westen her in das Delta eindringen. Und im Osten würden atlantische Transporter Streitkräfte der Philister (auch als Pelischti oder Peleset bekannt) an Land setzen, Verbündete der Seevölker, die die Landesteile südlich der hethitischen Landesgrenze (im heutigen Syrien) erobern sollten. Diese Truppen würden dann, vermutlich mit dem inoffiziellen Segen der Hethiter, zum Nildelta marschieren, das bereits von Norden und Westen angegriffen wurde.

Im beginnenden Frühjahr des Jahres 1227 vor Christus, in der Nacht bevor all diese ausgeklügelten Prozesse in Gang gesetzt wurden, befand sich das geplante Opfer in tiefem, wenn auch unruhigem Schlaf. Merenptah hatte einen lebhaften Traum. Der Gott, nach dem er benannt war, erschien ihm in riesiger Gestalt. Ptah, der göttliche Schöpfer, reichte dem Pharao wortlos ein Schwert, als wollte er sagen: »Verteidige meine Zivilisation!« Merenptah schreckte auf und erwachte zu vollem Bewusstsein. Er ergriff den bereitliegenden Klöppel, schlug auf den Kupfergong neben seinem Bett, und die Kammer des Königs füllte sich sofort mit bewaffneten Wachen. Es war kein Priester nötig, um seinen Traum zu interpretieren. Er versammelte alle Befehlshaber und befahl, die Verteidigungslinien des Deltas in volle Bereitschaft zu versetzen.

Während sie ihre Vorbereitungen trafen, füllte dreihundert Kilometer entfernt eine frische Morgenbrise die Segel der Atlanter. Die Armada führte ihre zweitausend Schiffe von den Hauptquartieren in der Ägäis, Zypern und Rhodos, heran. Ihre Seestreitmacht war die größte und am besten ausgestattete der damaligen Welt. Bildnisse der Kriegsschiffe und Seeleute sind noch an den Wänden des Tempels in Medinet Habu im oberen Niltal zu sehen (siehe Abb. 2.1). Es handelte sich nicht um die relativ kleinen, an der Küste stationierten Schiffe der Ägypter, sondern, mit den Worten von Lionel Casson, um »wirkliche Hochseeschiffe«, die zu längeren Fahrten auf dem offenen Meer geeignet waren. Sie waren in der Tat die Flotte eines Seevolkes und wiesen für die damalige Zeit enorme nautische Fortschritte auf, wie Taue oder dicke Seile zur Kontrolle der Segel, die dem Wind ausgesetzt waren, und stark verspannte Rümpfe, die den Stößen großer Wellen widerstehen konnten.

Abb 2.1. Das Profil eines atlantischen Marinesoldaten, wie er auf den Tempelmauern von Medinet Habu in Oberägypten abgebildet ist.

Diese Kriegsschiffe waren nicht nur viel größer als alles, was die Ägypter kommandierten, sondern sahen auch ganz anders aus. Sowohl Bug als auch Heck erhoben sich steil und formten langschnäblige Greifvögel als Galionsfiguren. Dieses Schiffsdesign erscheint auf einem Bügelkrug aus dem Jahr 1180 vor Christus, der auf Skyros gefunden wurde, einer der Zufluchtsinseln der Atlanter in der Ägäis nach dem Fall von Troja. Das vogelköpfige Seemotiv findet sich auch überall in der Villanova-Kultur der Etrusker, besonders in der alten Stadt Tarchna. Beispiele aus dem Monterozzi-Grab zeigen, dass Modelle dieser besonderen Schiffe zusammen mit etruskischen Kriegern von höherem Rang begraben wurden, worauf auch ein prächtiger Helm und goldene Armbänder hinweisen, die bei der Ausgrabung gefunden wurden.

Wie Poseidons Dreizack traf die Invasion das Nildelta gleichzeitig aus drei Richtungen – aus dem Norden, Westen und Osten. Als die Morgendämmerung über dem Meer anbrach, erblickten ägyptische Wachtposten, die vor dem Delta postiert waren, ein furchteinflößendes Spektakel: Der nördliche Horizont wurde von einer Armada mit geblähten Segeln verdunkelt. Zu dem angsteinflößenden Anblick trugen auch die Schnitzereien monströser Vogelköpfe und anderer grotesker Tierfiguren an den Vordersteven der großen Schlachtschiffe bei. Die zahlenmäßig unterlegenen ägyptischen Schiffe versuchten in verzweifeltem Abwehrkampf gegen sie zu manövrieren. Ihre Verluste waren enorm, und das »Große Grün«, ihr Name für das Mittelmeer, mischte sich mit dem Blut der Verteidiger. Rücksichtslos durch die treibenden Trümmer zerbrochener Schiffe krachend, setzte die mächtige atlantische Flotte den Bug ihrer siegreichen Schiffe auf die heiligen Küsten Ägyptens, um Zehntausende von Seekriegern auszuspucken.

Zur selben Zeit stürmten libysche Truppen mit dreißigtausend Mann gegen Ägyptens Westgrenze und drängten die Verteidiger hinter die Grenzlinie zurück. König Meryey hatte Mitglieder der königlichen Familie und sogar allerlei persönlichen Luxus mitgebracht, voller Zuversicht, dass er bald seinen Thronsitz in Memphis errichten würde. Die gleichzeitige Landung der Atlanter im Osten verlief ungehindert und erlaubte den verbündeten Philistern eine erfolgreiche Besetzung Syriens. Sie brachten die ägyptischen Garnisonen auf, während die Hethiter, wie erwartet, nervös, aber unbeteiligt zuschauten. Vom schnellen, leichten Sieg begeistert, marschierten die Philister mit höchster Geschwindigkeit in Richtung Nildelta. Zusätzliche Hilfe kam aus dem Süden, wo die Nubier die Ereignisse am unteren Nil ausnutzten und unerwartet einen Aufstand gegen die ägyptischen Statthalter begannen. Pharao Merenptah wurde nun von allen vier Seiten aus angegriffen.

Die Selbstaufopferung seiner Marine war jedoch nicht umsonst gewesen. Ihr selbstmörderischer Widerstand hielt die Invasion gerade so lange auf, dass Merenptahs Streitkräfte die Hafenstadt Prosopis verstärken konnten. In Unkenntnis deren strategischer Lage waren die Seevölker in Schussweite der dort stationierten Einheiten von Bogenschützen gelandet. Die Invasoren wurden nun durch schwere Salven unmittelbar auf sie gerichteter Trommelfeuer von Pfeilen aus verdeckten Positionen überrascht und niedergeworfen. Gleichzeitig griff die Hauptstreitmacht der ägyptischen Armee in überwältigender Zahl an. Von den unerbittlichen Pfeilen und einem ganzen Infanterie-Korps auf einem engen Strandbereich festgenagelt, konnten die Marinesoldaten der Seevölker nicht weiter vordringen. Diszipliniert erkämpften sie sich ihren Rückzug zu den Schiffen und konnten so ihre Verluste auf wenige tausend Gefallene oder Gefangene begrenzen.

Diese Schlacht wurde von Homer in der Odyssee dramatisiert. Nachdem sein Held nach Ithaka zurückgekehrt war, verbarg er seine Identität, indem er einem Hirten erzählte, er sei ein Kreter, der sich nach dem Erfolg der Achäer in Troja einer Flotte von Piraten für eine Expedition gegen Ägypten angeschlossen hatte. Das Abenteuer, sagte er, wäre fehlgeschlagen, wobei die meisten Invasoren getötet und die übrigen versklavt worden wären. Die Schlacht bei Prosopis beschreibt Odysseus folgendermaßen:

»Der ganze Ort war voller Infanterie, Streitwagen und glänzender Waffen. Zeus, der Donnerer, schlug meine Gruppe mit entsetzlicher Panik. Kein Mann hatte die Kraft, sich dem Feind zu stellen, denn wir waren von allen Seiten bedroht. Sie metzelten schließlich einen großen Teil meiner Gefährten nieder und verschleppten die Überlebenden, um sie als Sklaven für sich arbeiten zu lassen.«

Zurück an Bord ihrer Schiffe warteten die Seevölker vor der Küste auf eine weitere Gelegenheit, die Invasion fortzusetzen. Dabei wurden sie jedoch ununterbrochen von ägyptischen Marineeinheiten bedrängt, die, statt die überlegenen Kriegsschiffe direkt anzugreifen, kurze Guerilla-Angriffe gegen die Transport- und Versorgungsschiffe unternahmen, um den Feind damit aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Im Vertrauen darauf, dass seine verbliebene Flotte die Seevölker in Schach halten würde, evakuierte Merenptah den Großteil seiner Armeen aus Prosopis und ließ dieses praktisch unverteidigt zurück, um stattdessen die Festung Perite zu verstärken. Dies war die letzte wichtige Verteidigungsposition gegen den Vormarsch von König Meryey, der bereits den westlichen Rand des Deltas erreicht hatte. Am frühen Morgen des 15. April griff ein größeres Kontingent von Libyern, den Sonnenaufgang vor Augen, in Erwartung einer offenen Feldschlacht an. Stattdessen ließen die gefürchteten Bogenschützen des Pharaos einen Pfeilhagel auf die heranstürmenden Wellen von Fußsoldaten niedergehen. Trotz des resultierenden Massakers drangen die Libyer weiter voran und kämpften Mann gegen Mann sechs Stunden lang unter den Festungsmauern gegen die Verteidiger.

Schließlich kamen den Ägyptern ein Streitwagengeschwader und eine Brigade von Speerwerfern zu Hilfe. Damit brach der libysche Angriff endgültig zusammen und wurde schließlich zur Niederlage. Als sich die Schlacht zu wenden begann, tat es auch König Meryey. Er floh vom Schlachtfeld und ließ seine königliche Familie zurück, die in die Hände des Feindes fiel. Seine sechs Söhne waren bereits im Kampf gefallen. Zusammen mit dem Mobiliar des Monarchen erbeuteten die Ägypter 120.000 Waffen und weitere militärische Ausrüstungsgegenstände sowie 9.000 Kupferschwerter. Haufenweise trugen sie die libysche Beute fort, die einen unumstößlichen Beweis dafür bildete, dass der Angriff der ernsthafte Versuch einer Invasion gewesen war. Alle Trophäen wurden an Heeresschreiber übergeben, die alles bis zum letzten Artikel inventarisierten. Dann wurden die Lederzelte der Invasoren in Brand gesetzt. Fast 10.000 Libyer waren gefallen. Weitere 9.111 wurden gefangen genommen. König Meryey war nicht unter ihnen. In Schande zu seinem Palast zurückgekehrt, wurde er von seinem eigenen Volk abgesetzt und hingerichtet. Doch auch die Ägypter erwiesen sich nicht als großzügig. Als Preis der Kapitulation schlugen sie 2.362 libyschen Offizieren die Hände ab.

Merenptah konnte jedoch keine Zeit mit Siegesfeiern verschwenden. Er wandte seine erschöpfte Armee in die entgegengesetzte Richtung, um sie gegen die Philister zu führen, die das östliche Delta bedrohten. Nachdem sie von den atlantischen und libyschen Rückschlägen erfahren hatten, waren sie nicht mehr sicher, ob sie die Invasion auf eigene Faust weiterführen sollten. Während sie noch zögerten, schlugen die Ägypter mit einem konzentrierten Frontalangriff zu, der ihre Gegner den ganzen Weg in die Levante zurücktaumeln ließ. Dort legten sie ihre Waffen nieder und gelobten, sie nie wieder aufzunehmen. Diesmal zeigte der Pharao Milde gegenüber den Besiegten. Er erlaubte ihnen, sich dauerhaft in dem Gebiet niederzulassen, das fortan den Namen Palästina trug. Den Nubiern gegenüber war er nicht zu ähnlicher Nachsicht geneigt und schlug ihren Aufstand mit eiserner Faust nieder.

Mit diesem Scheitern an allen Fronten löste sich die Koalition der Seevölker auf, und ihre Schiffe verließen die ägyptischen Gewässer. Merenptah hatte die Erwartungen von Freund und Feind gleichermaßen übertroffen. Der schlaue Pharao war ein zäher alter Mann, der seine zahlenmäßig überlegenen Feinde überlistet, ausmanövriert und vernichtend geschlagen hatte. Die Atlanter zogen sich daraufhin in ihre Hauptquartiere auf Zypern und Rhodos zurück. Obwohl die Dardanellen verloren gegangen waren und Ägypten unbesiegt blieb, waren Italien, die Balearen, Sardinien, Sizilien und wichtige Inseln der Ägäis noch in ihren Händen. Das Reich von Atlantis hielt immerhin noch einen großen Anteil am östlichen Mittelmeer.

So spektakulär Merenptahs Sieg erschien, offenbarte er doch auch die Schwäche Ägyptens. Die Schlachten bei Prosopis und der Festung Perite hatten die Streitkräfte so viel gekostet, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Sieg über die Libyer zu nutzen und König Meryey bis zu seinem Palast zu verfolgen. Und die Nachsicht des Pharaos gegenüber den in die Flucht geschlagenen Philistern war wohl weniger auf seinen Großmut zurückzuführen als vielmehr auf seine Unfähigkeit, militärisch nach seinem Gutdünken mit ihnen zu verfahren. Die brutale Unterwerfung der militärisch weniger starken Nubier diente vermutlich dem Zweck, dem Rest der Welt ein Signal uneingeschränkter Kraft zu senden, um seine reale Schwäche zu verbergen.

Die Verluste der Seevölker waren zwar schwerwiegend, beschränkten sich jedoch auf die gelandeten Streitkräfte. Keines ihrer Schiffe war versenkt worden, im Gegensatz zur Flotte der Ägypter, die völlig vernichtet worden war. Dennoch konnten die Atlanter kein drittes Debakel riskieren, solange ihre Feinde von einem so klugen Strategen angeführt wurden. Während sie ihre Flotte auf Rhodos und Zypern überholten, warteten sie darauf, dass Merenptah an Altersschwäche starb. In dem politischen Chaos und der Unsicherheit, die regelmäßig zwischen dem Tod eines Pharaos und der Einsetzung des nächsten in Ägypten herrschten, war das Land am anfälligsten gegenüber einem Angriff von außen. Die Atlanter bereiteten sich also darauf vor, zu einem entsprechend günstigen Zeitpunkt wieder zuzuschlagen. Doch sie mussten länger warten als erhofft, denn Merenptah erwies sich als fast so langlebig wie sein Vater.

Die Atlanter bezähmten notgedrungen ihre Ungeduld hinsichtlich einer Eroberung Ägyptens und griffen stattdessen Sardinien an, wo gehörnte Helme, Bronzeschwerter und atlantische Architektur in Form großer Steintürme, bekannt als Nuraghen, noch immer von der Besetzung durch die Seevölker zeugen. Sie waren zu einer echten Bedrohung geworden, da sie stets zur Plünderung von Inseln und Küstenstädten rund um das Mittelmeer bereit waren. Dank griechischer Uneinigkeit, hethitischer Zurückhaltung und ägyptischer Schwäche konnten sie ungestraft ihrer Piraterie nachgehen und plünderten in größerem Ausmaß als jemals zuvor.

Im Jahre 1198 vor Christus war der Tag, auf den sie so lange gewartet hatten, endlich gekommen. Merenptah war im hohen Alter verstorben, und ihm folgten in schneller Folge nicht weniger als fünf Herrscher, darunter Siptah, der einen Klumpfuß hatte, und Tewosret, eine Königin, deren Regierungszeit nur kurz währte. Die andauernden politischen Krisen destabilisierten die neunzehnte Dynastie, und die atlantischen Strategen waren bereit, die Situation zu nutzen. Die Ägypter waren mit der Thronbesteigung eines neuen Pharaos und all den aufwändigen Begleitumständen beschäftigt, die ein Wechsel der göttlichen Führung zwangsläufig jedes Mal mit sich brachte. Diesmal aber hatten sie besonderen Grund zur Sorge. Ein beängstigendes Omen erschien nach dem Tod von König Sethnacht, der gerade die zwanzigste Dynastie begründet hatte. Eine unermessliche dunkle Wolke bedeckte mit unnatürlicher Geschwindigkeit, von Westen kommend, den Himmel. Die Sonne wurde blutrot und verschwand schließlich. Das Tageslicht wurde zur Dämmerung, und wochenlang fiel schwarzer Staub auf das ganze Land. »Die Menschen gehen wie Raben umher«, berichtet ein ägyptischer Schreiber, »niemand kann seine Kleidungsstücke mehr sauber halten.«

Diese bedrohlichen Umstände waren auch für die Atlanter ein schlechtes Zeichen. Inmitten der Vorbereitungen für eine erneute Invasion des Nildeltas wiesen solche Zeichen und Wunder am Himmel auf eine Katastrophe hin, die jemanden treffen würde. Da sie auf einer geologisch aktiven Insel geboren und aufgewachsen waren, erkannten sie den schwarzen Staub als Asche, die durch die vorherrschenden Westwinde von einem gewaltigen Vulkanausbruch jenseits des Mittelmeers herangeweht wurde. Natürlich wandten sich ihre Gedanken voller Angst zum Atlas, dem immer rauchenden Berg in ihrer fernen Heimat.

Ihre schlimmen Befürchtungen wurden durch Wellen von Flüchtlingen bestätigt, die sich bald durch die Säulen des Herakles ergossen. In Panik geratene Menschen strömten zu Hunderttausenden an der nordafrikanischen Küste entlang oder kamen in ungeordneten Flottillen von Booten und Schiffen, überfüllt mit Familien, die durch eine Katastrophe traumatisiert waren. Die meisten von ihnen waren Landsleute aus Atlantis, und sie hatten nichts Gutes zu berichten. »Ihr könnt nicht wieder nach Hause«, erklärten sie, »weil unser Zuhause nicht mehr da ist.«

Mit kaum mehr als einem Tag Vorwarnung in Form ausgedehnter seismischer Aktivitäten war die Insel Atlantis von Erdbeben und Himmelsfeuern verwüstet worden, bevor das wütende Meer sie ganz verschlang. Die damit einhergehende Zerstörung war so groß und stark, dass die gesamte Region, einschließlich aller angrenzenden Küstengebiete, durch eine Serie zerstörerischer Tsunami-Wellen unbewohnbar geworden war. Die besetzten Gebiete Italiens und der Mittelmeerinseln füllten sich mit zahlreichen neu angekommenen Überlebenden, was die Lebensbedingungen überall verschlechterte.

Abb. 2.2. Porträt von Pharao Ramses III. mit der blauen Krone des höchsten militärischen Befehlshabers. Im frühen 12. Jahrhundert vor Christus hatte er es mit einer massiven Invasion des Nildeltas durch atlantisch geführte Koalitionsstreitkräfte zu tun.

Aber die Emigranten brachten mehr mit als nur ihre Leidensgeschichten. Große Teile der Heimatflotte waren der Katastrophe entkommen und konnten Krieger und Vorräte sowie die evakuierten Menschenmengen transportieren. Die Armada der Seevölker auf Zypern und Rhodos wurde durch diese neu angekommenen Kriegsschiffe und Marinesoldaten spürbar verstärkt. Die Eroberung Ägyptens war jetzt noch wichtiger als zuvor, da sie einen Ort finden mussten, wo die Flüchtlinge angesiedelt werden konnten; ihre wachsende Zahl belastete zunehmend die begrenzten Ressourcen der besetzten Gebiete. Gestützt auf frische Schlachtkreuzer, Munition und Soldaten, beschlossen die atlantischen Kommandeure, sofort zuzuschlagen, während die Ägypter noch durch ein Interregnum geschwächt und durch die himmlischen Vorzeichen abgelenkt waren. Fast zweitausend Jahre zuvor hatten die Atlanter zum ersten Mal nach der Flucht vor einer Naturkatastrophe Ägypten erobert. Sie würden es wieder tun. Das Wehen des schwarzen Staubes sollte ein Unglückszeichen für den neuen Pharao sein!

Dieser neue Pharao hieß Ramses III. (siehe Abb. 2.2) und war unerfahren und unbekannt. Seine Thronbesteigung verlief ohne religiöse Reibereien oder politische Konflikte, und sein Volk war dankbar für den reibungslosen Übergang der Macht, trotz der buchstäblich dunklen Wolke, unter der seine Herrschaft begann. Er war sich der fremden Bedrohung, die unmittelbar auf Ägypten gerichtet war, bewusst. Er wusste auch, dass die Hau-neb oder Hanebu (»die ihren Schiffen folgen«) wiederkommen würden, sobald sein Vorgänger tot war. Schon Jahre zuvor hatte Ramses Verteidigungsmaßnahmen entwickelt, die sofort wirksam werden sollten, wenn eine Invasion unmittelbar bevorstand. Nun war der Augenblick gekommen, um seine Strategie und ihre wichtigsten Faktoren – Geschicklichkeit, Mut und Disziplin seiner Krieger – zu erproben.

Die Unvermeidbarkeit eines Angriffs war klar; deutliches Anzeichen dafür war das völlige Fehlen jeglicher diplomatischer Beziehungen zwischen Ägypten und dem Hauptquartier der Seevölker in Rhodos seit der ersten Schlacht im Nildelta. Während der nachfolgenden 29 Jahre hatten die atlantischen Kommandeure auf der Basis ihrer Erfahrungen einen neuen Invasionsplan ausgearbeitet. Vor allem jetzt, da ihre Armada durch zusätzliche Flotteneinheiten und Kompanien aus dem überfluteten Atlantis verstärkt worden war, konnten sie mehrere gleichzeitige Landungen planen, im Gegensatz zum einzigen Angriff bei Prosopis. Nach wie vor stand das Ziel, die Verteidiger zur See zu überwältigen, an erster Stelle. Zwischen den beiden atlantischen Invasionen hatten auch die Ägypter fast dreißig Jahre Zeit gehabt, ihre Flotte wieder aufzubauen; daher erwarteten die Atlanter eine ernste Konfrontation an der Küste vor einer möglichen Anlandung der Truppen. Mehrere Schwadronen Schlachtschiffe sollten in Reserve gehalten werden und nur teilnehmen, wenn die vorausfahrenden Schiffe Hilfe benötigten. In einer Wiederholung von Teucers Taktik sollten Kriegsschiffe die Soldaten unterstützen, indem sie parallel zum Vormarsch ins Landesinnere den Nil hinauf segelten. Ihr oberstes Ziel war die Besetzung des gesamten Deltas, von dem aus sie den Rest des Feldzugs planen und sich nach Süden gen Theben, die feindliche Hauptstadt, vorkämpfen konnten. Deren Einnahme würde die Invasion beenden.

Neue Verbündete aus Korsika, Sardinien und Libyen schlossen sich den alten Kameraden an. Wenn die Libyer tief genug in das ägyptische Grenzgebiet eindrängen, könnten die Atlanter im Norden anlanden und versuchen, sich mit ihnen zu vereinigen und dadurch das Nildelta in zwei Hälften zu teilen.

Die atlantischen Marinesoldaten waren die am besten ausgestatteten ihrer Zeit. Anders als ihre Gegner trugen sie metallene Brustpanzer und längere Bronzeschwerter von überlegener Handwerkskunst. Ihre Helme waren Vorläufer der römischen Form, mit kurz geschnittenen, rot gefärbten Kämmen aus Rosshaar. Lederne, mit Bronze beschichtete Schienen schützten ihre Schienbeine. Die Fußsoldaten waren in Kompanien von Speerwerfern, Schleuderern und Schwertkämpfern unterteilt, unterstützt von Truppen mit Streitwagen, die größer und schwerer waren als ihre ägyptischen Gegenstücke.

Zunächst schien die Operation die erste Invasion von fast drei Jahrzehnten zuvor zu wiederholen. Wieder wurden die kleineren Kriegsschiffe durch die Masse der atlantischen Schlachtkreuzer zerstreut, und die erwartete Seeschlacht mit der ägyptischen Flotte kam nicht zustande. Die Landungen waren weiträumiger und effektiver, weil die separaten Angriffe gut koordiniert waren. Die ägyptische Infanterie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Es war, als würde man versuchen, mehrere Feuer auf einmal zu löschen – es schien aussichtslos. Die Invasoren bewegten sich rasch und rücksichtslos vorwärts, wobei sie Prosopis und andere strategisch ungünstige Bereiche mieden, und vertrieben die Verteidiger aus einer befestigten Position nach der anderen. Im Gegensatz zum ersten Angriff gegen Merenptahs Ägypten zerschmetterten die Seevölker diesmal die vordersten Verteidigungslinien. Mit massiver Kraft breiteten sich die Marinesoldaten und die Infanterie über das Delta aus. Eine Stadt nach der anderen fiel vor dem Ansturm, bis sogar die großen administrativen und religiösen Zentren in Memphis und Heliopolis besetzt waren.

Diesmal drangen die atlantischen Kriegsschiffe auch tatsächlich in den Nil vor. Lange Reihen der riesigen Schiffe begannen, den heiligen Fluss hinaufzusegeln. Ihre Breitsegel und die monströsen vogelköpfigen Vordersteven versetzten die einheimische Bevölkerung in Panik, so dass sie mit ihrer Armee nach Süden floh. Inzwischen überwältigten libysche Truppen die Grenzbefestigungen im Westen und drangen so tief in ägyptisches Gebiet ein, dass sie sich bald mit den nördlichen Invasoren zu verbinden drohten. Nach wenigen Tagen waren die meisten Hauptziele von den Atlantern eingenommen, darunter wichtige Städte wie Busiris. Das gesamte Delta war kurz davor, in ihre Hände zu fallen.

Doch kurz vor Sais, als die Streitkräfte der Seevölker sich daran machten, die massiven Tore dieser antiken Stadt anzugreifen, wurden die eindringenden Schlachtkreuzer, die Vorhut der gesamten Armada, von einem Geschwader kleinerer Kriegsschiffe herausgefordert. Angesichts der Bedeutung von Sais war der wilde Mut der Ägypter keine Überraschung. Doch auch sie konnten sich nicht gegen die viel größeren angreifenden Schiffe durchsetzen. Die Reste des dezimierten Geschwaders flohen den Fluss hinunter, die angreifenden Eroberer dicht hinter sich. Nicht weit vom Schauplatz ihrer Niederlage entfernt verließen die anscheinend fliehenden Kapitäne den Nil und fuhren in einen seiner Nebenarme. Die Atlanter nahmen an, der in Panik geratene Feind sei auf dem Weg zu seinem Heimathafen, und folgten den Booten, begierig darauf, das Hauptquartier der ägyptischen Seestreitmacht zu zerstören.

Die Flüchtigen bogen von dem Nilarm ab und durchquerten eine lange, schmale Bucht, die auf beiden Seiten von Steilhängen beherrscht wurde. Dicht auf ihren Fersen segelte der Hauptteil der atlantischen Schiffe, doch keine Werften, Hafenanlagen oder vor Anker liegenden Kriegsschiffe säumten die beiden Ufer. Nur ein paar Schiffe des kürzlich geschlagenen Geschwaders kamen in Sicht. Die Invasoren gruppierten sich zum Kampf um. Ihre größeren Kriegsschiffe manövrierten sich in Position. Ihre tiefen Kiele liefen jedoch einer nach dem anderen auf unsichtbaren Untiefen auf Grund. Die Schlachtkreuzer stauten sich kreuz und quer, während sich die Seeleute unter lauten Befehlen und Gegenbefehlen mit Tauen und Stangen abmühten.

Während sie noch mit der wachsenden Verwirrung im seichten Wasser mit zu wenig Platz zum Manövrieren beschäftigt waren, schossen plötzlich neue Geschwader ägyptischer Kriegsschiffe von beiden Enden in die Bucht. Zusammen mit den Resten der Flottille aus Sais fielen sie die unbeweglichen feindlichen Ungetüme von allen Seiten an. Brandsätze wurden an Bord der Schiffe geworfen, bis ihre riesigen Segel in Flammen aufgingen. Große schwarze Rauchschwaden stiegen von der sich ausbreitenden Feuersbrunst auf den Schiffen in den Himmel. Weitere ägyptische Schiffe, mit regulären Truppen beladen, drängten in die überfüllte Bucht. Taue mit Enterhaken wurden über die Seitendecks geworfen, und ganze Meuten von Enterern folgten, die inmitten der Brände auf den halbzerstörten Schiffen zum Nahkampf ansetzten.

Währenddessen erhielten die Krieger der Seevölker, die immer noch in Sais wüteten, Nachricht von den Kämpfen. Daraufhin entsandten sie eine große Zahl von Streitwagen, die mit voller Geschwindigkeit zur Rettung eilen sollten. Dunkle Rauchwolken, die von dem brennenden Pech aufstiegen, wiesen ihnen schon von weither den Weg. In ihren Karren und Streitwagen trugen sie Faltflöße, die ausreichen würden, um bewaffnete Männer über die kurze Wasserstrecke in die Kampfzone zu tragen. Ihre Ankunft an dem Ufer, das den Kämpfen am nächsten war, wurde von den bedrängten Soldaten an Bord der atlantischen Schiffe mit lautem Jubel begrüßt. Während sie noch hastig ihre Flöße zusammensetzten, erschienen jedoch plötzlich mehrere Kompanien von Bogenschützen und Schleuderern, die von Ramses persönlich angeführt wurden, auf den Hügeln hinter und neben ihnen. Sie ließen einen Hagel von Pfeilen und Steinen auf die überraschten Invasoren niederregnen, die zu Hunderten unter dem unerbittlichen Trommelfeuer fielen (siehe Abb. 2.3). Vielleicht hundert Mann, meist Wagenlenker, suchten ihr Heil in der Flucht. Kaum mehr überlebten auf dem Schlachtfeld und kapitulierten schließlich.

Als alle Hoffnung auf Rettung vom Land her verloren war, gaben auch die meisten der Atlanter an Bord der belagerten Schiffe auf. Einigen wenigen gelang es mit dem Mut der Verzweiflung, aus der Bucht des Todes auszubrechen, doch ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Zu ihrem Entsetzen versperrten hunderte weiterer ägyptischer Kriegsschiffe voller Feuertöpfe und Bogenschützen den Nil in ganzer Breite. Einige der Schlachtkreuzer verfingen sich in einem Gewirr von Tauen, die zwischen den Booten gespannt waren, und wurden in die Gefangenschaft gezogen, aber die Strömung war mit denen, die standhielten und so schnell wie möglich zum Mittelmeer weiterfuhren. Als die halbverbrannten Schiffe endlich die Freiheit des offenen Meeres erreichten, um sich der Reserveflotte am nördlichen Ufer des Deltas anzuschließen, war fast die Hälfte der Invasionsflotte verloren gegangen.

Abb. 2.3. Atlantische Invasoren fallen durch ägyptische Bogenschützen, die das Nildelta verteidigen. Kampfszene an den Wänden der Tempelanlage von Medinet Habu.

Der Hauptteil der Truppen der Seevölker – etwa vierzigtausend Mann – war jedoch immer noch bestrebt, die Kontrolle über Sais zu übernehmen. Die Ägypter behaupteten jetzt den Nil zu beiden Seiten des südlichen Deltas. Ohne ihre unterstützenden Schiffe waren die Eindringlinge auf zwei von drei Seiten eingeschlossen. Ramses landete praktisch seine gesamten Streitkräfte, etwa fünfzigtausend Krieger, oberhalb der Stadt, marschierte in Eilmärschen von einem Arm des Flusses zum anderen und schloss den Feind im unteren Delta ein. Sobald die Falle zugeschnappt war, befahl er den Vormarsch.

Plötzlich erfuhr der Pharao, dass weitere dreißigtausend Libyer vom westlichen Delta aus herbeieilten, um ihren in die Enge getriebenen Verbündeten zu Hilfe zu kommen. Er war jetzt in Gefahr, von beiden Seiten von Feinden eingekesselt zu werden. Um seine südliche Offensive gegen die Seevölker nicht abbrechen zu müssen, ging er das Risiko ein, alle seine Streitwagen abzuziehen. Er formierte sie zu einer einzigen Kompanie und schickte sie ohne Infanterieunterstützung los, um die Libyer aufzuhalten. Die Wagenlenker protestierten, weil sie zahlenmäßig mindestens eins zu fünf unterlegen waren, aber Ramses weihte sie in seine Pläne ein und konnte ihnen damit zeigen, dass die Operation nicht so selbstmörderisch war, wie es schien. Er gab ihnen seine Befehle und schloss sich dann wieder dem Vormarsch gegen die Atlanter an.

Der zähe Widerstand der Seevölker wurde nicht nur von ihrer prekären Lage angefacht, sondern auch durch ihr Wissen, dass die Libyer im Anmarsch waren, um sie zu befreien. Wenn die umzingelte Truppe nur lange genug durchhielte, bis diese kämen, würden die Ägypter zwischen den zwei Hälften der Invasionsmacht zerrieben werden. Ramses trieb seine Offensive stetig voran, und der Feind gab jedes Stück Boden nur widerwillig auf. Allerdings waren die Verluste auf beiden Seiten hoch, und der ägyptische Fortschritt verlangsamte sich, da die Streitwagen des Pharaos fehlten. Die Last des Kampfes ruhte ausschließlich auf der Infanterie. Die Feinde im Westen – die Libyer – müssten jeden Moment auftauchen, und die Ägypter wären dann von beiden Seiten mit Angreifern konfrontiert.

Die Strategie des Pharaos war jedoch vorausschauender und wurde auch genauestens ausgeführt. Seine Wagenlenker vermieden nämlich die Konfrontation mit dem anmarschierenden libyschen Gegner und schwärmten stattdessen den ganzen Weg um ihn herum nach hinten aus. Die Ausführung dieses Manövers dauerte so lange, dass die angreifenden Libyer die Streitmacht von Ramses beinahe schon erreicht hatten, als seine Streitwagen endlich ihren koordinierten Überraschungsangriff aus drei Richtungen starteten – von Norden, Nordosten und Nordwesten. Die Abruptheit dieses dreifachen Angriffs versetzte die Libyer in Panik, so dass sie buchstäblich in die Speere der Nachhut des Pharaos hineinstolperten und kapitulierten, bevor viel Blut vergossen worden war und die hoffnungsvollen Atlanter Zeit gehabt hatten zu reagieren.

Die Seevölker widersetzten sich zwar weiterhin den Ägyptern, waren nun jedoch hoffnungslos unterlegen. Ihre Invasion brach zusammen, doch der Krieg war damit noch nicht vorbei. Die Atlanter in den besetzten Gebieten des nördlichen Deltas wurden evakuiert und an Bord ihrer Schiffe gebracht; sie hatten wenig Zeit, entmutigt zu sein, da sofort weitere Operationen von Syrien aus beginnen sollten. Der Plan war, bei ihren alten Verbündeten, den Philistern, die sich dort nach dem früheren Krieg gegen Merenptah niedergelassen hatten, Truppen an Land zu setzen. Diese erneuerte Konföderation sollte dann von Osten aus nach Ägypten marschieren und ihre Feinde überraschen, die zweifellos von den vielen Kämpfen erschöpft waren.

Abb. 2.4. Diese Reproduktion restaurierter Tempelkunst in Medinet Habu zeigt gefangene Marinesoldaten der Seevölker, die den Siegeskelch von Ramses III. halten. Die Abbildung gibt Aufschluss über Kleidung und Aussehen der Atlanter. (Grafik von Virginia Hardyman)

Die geschwächte, aber immer noch große Armada näherte sich der syrischen Küste in der Nähe der Stadt Amor, aber es waren keine Verbündeten da, um sie zu begrüßen. Die Philister hatten kein Interesse an dem Eroberungsversuch und waren überdies durch die Anwesenheit einer riesigen Armee eingeschüchtert, die vom Pharao persönlich kommandiert wurde. Ägyptische Marineeinheiten hatten die ausgerückten atlantischen Schiffe beobachtet und Ramses von deren Fahrt in Richtung Syrien berichtet. Da er die Absicht des Feindes erriet, begab sich Ramses mit seiner Armee schnellstens zur syrischen Küste nahe Amor. Dort wurden Infanterie und Bogenschützen, von Streitwagentruppen unterstützt, in Stellung gebracht. Bevor die Atlanter beginnen konnten, ihre Truppen zu landen, trafen zwei Flotten ägyptischer Kriegsschiffe von Norden und Süden aus ein, griffen gleichzeitig die hinteren Flanken der Seevölker an und drängten so die Schlachtkreuzer effektiv gegen das Ufer und an den Strand.

Dann begann das Gemetzel. Die Invasoren wurden von Meer und Land durch Pfeile von dreitausend Bogenschützen durchbohrt. Von der Hitze des Kampfes erregt, ging sogar Ramses selbst mit seinem großen Bogen gegen den Feind vor. Nachdem sie den unglücklichen Gegner mit einem Geschosshagel eingedeckt hatten, stürzten sich seine Männer auf die Atlanter. »Sie wurden am Strand zu Boden geworfen«, berichtet der ägyptische Kriegsschreiber, »sodann getötet und vom Heck bis zum Bug ihrer Galeeren angehäuft, während alles, was sie bei sich führten, auf dem Wasser schwamm.«

Abb. 2.5. Atlantische Kriegsgefangene nach der gescheiterten Invasion Ägyptens, dargestellt auf den Mauern des Siegestempels von Ramses III.

Das Massaker an der syrischen Küste war die letzte Kriegshandlung. Nachdem ihre Hauptstadt im fernen Meer versunken, ihr Reich zerschmettert und der Rest ihrer Streitkräfte vernichtet war, siedelten sich die Atlanter, die von den Katastrophen der Natur und des Krieges verschont geblieben waren, bei ihren Verwandten und einstigen Verbündeten in Italien, Spanien, Nordwestafrika, auf den britischen Inseln und sogar in den einstigen Kolonien in Amerika an. In all diesen Ländern teilten sie ihr kulturelles und genetisches Erbe mit den Völkern, bei denen sie lebten. Unter ihrem Einfluss entstanden Mischzivilisationen vom Dschungel Yucatáns bis zu den Tälern Irlands.

Das Schicksal jener Angehörigen der Seevölker, die von den Ägyptern als Kriegsgefangene gehalten wurden, war weniger glücklich. Bei einem öffentlichen Triumphzug durch die Hauptstadt Theben wurden mehr als zwanzigtausend Atlanter und Verbündete in Ketten vor dem Pharao auf seinem Thron präsentiert (siehe Abb. 2.4). Diese Szene und die Höhepunkte des Krieges wurden in Worten und Bildern (siehe Abb. 2.5) an den Mauern der majestätischen Tempelanlage in Medinet Habu aufgezeichnet, des Tempels, den Ramses seinem Sieg über die Hanebu westlich des Nils weihte.

Sie sind dort alle zu sehen – die atlantischen Schlachtschiffe mit ihren Soldaten, die von Bogenschützen massakriert und ins Meer geworfen werden; der Pharao auf seinem Streitwagen, wie er die zitternden Feinde Ägyptens niedermäht; die langen Reihen von Hau-neb (Atlantern), Luka (Lydiern), Scherdan (Sarden), Drdny (Dardanern), Turischa (Trojanern), Temeh (Libyern), Scheklesch (Sizilianern), Tyrsenern (Etruskern aus Westitalien) und weiteren Völkern. Henry Brugsch-Bey, ein renommierter Ägyptologe des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, stellte fest:

»Diese uns überlieferten Namen tragen ein unverwechselbares Kennzeichen, das auf einem engen politisch-geografischen Verhältnis beruht. Sie zeigen die militärische Macht Westasiens in Gestalt seiner wichtigsten Vertreter, wie sie bereits von Homer im Katalog von Trojas Verbündeten namentlich aufgeführt werden.« (Ryan 1959)

Die gefangenen Atlanter erzählten bei ihren Verhören, dass ihre heilige Inselheimat zerstört worden war und sie keine andere Wahl hatten, als die Invasion zu beginnen. Die Gefangenen sind in naturgetreuen Details dargestellt, von ihren Helmen und Uniformen bis hin zu den Metallringen um ihre Hälse, mit denen sie in Gruppen zusammengekettet wurden. Nach ihrer demütigenden Zurschaustellung vor den Massen in Theben wurden die Soldaten von ihren Offizieren getrennt, die daraufhin kastriert wurden. Die Überlebenden dieser Martern wurden zu ihren Kameraden in den Minen des Tura-Kalksteinbruchs abkommandiert, in denen sie den Rest ihrer Tage mit dem Zuschneiden und Schleppen schwerer Blöcke für die monumentalen öffentlichen Gebäude ihrer Herren verbrachten, einschließlich Ramses’ Siegestempels.

Sein Triumph war einer der größten Erfolge der Militärgeschichte. Er sorgte dafür, dass in den nächsten 625 Jahren niemand mehr in Ägypten einmarschieren würde. Ramses III. war einer der herausragendsten Strategen und Feldherren aller Zeiten. Doch gab es nach ihm keine großen Ramessidenkönige mehr und nur noch wenige denkwürdige Pharaonen. Nach seiner Regierungszeit begann der langsame Niedergang Ägyptens. Ramses selbst fiel nicht auf dem Feld einer heroischen Schlacht, sondern starb durch ein Attentat, das im Harem seines Palastes angezettelt wurde. Er lebte noch eine Zeit lang unter Qualen, während sich der Prozess gegen seine Verschwörer in die Länge zog und noch andauerte, als er bereits den Wunden erlegen war, die sie ihm zugefügt hatten.

Sein Grab im Tal der Könige wurde in der Neuzeit ausgegraben und enthielt ein bemerkenswert gut erhaltenes Profilbildnis des Pharaos, das ihn zeigt, wie er – passenderweise – die Chepresch, die blaue Kriegskrone, trägt. Sein Siegestempel ist in besserem Zustand als jeder andere größere dynastische Tempelkomplex, der noch im Niltal steht; auf dem Hauptportikus sind noch immer Spuren der Originalfarben zu sehen. Der sogenannte Papyrus Harris I, der seine Regierungszeit dokumentiert, gehört ebenfalls zu den vollständigsten und lesbarsten Aufzeichnungen dieser Art. Glücklicherweise war Ramses III. der bestdokumentierte Herrscher des Alten Ägypten, und da er der Pharao des atlantischen Krieges war, können uns diese Dokumente viel über jene Zeit enthüllen.

In der Deltastadt Sais, wo er die Schlacht gegen die Invasoren gewonnen hatte, wurde ein großer Tempel für die Kriegsgöttin Neith errichtet, mit einer Gedenksäule für den Krieg. Jahrhunderte später wurden die Hieroglyphen von einem Hohepriester für einen wichtigen Besucher übersetzt – den Mann, der Athen und der westlichen Welt das erste Gesetzbuch gab. Solon kehrte mit dieser Übersetzung nach Griechenland zurück, wo die Geschichte von Atlantis sich verbreitete und schließlich durch Platon dem Rest der Welt überliefert wurde. Sie beschreibt nicht nur einen Kampf zwischen Fürsten und Königreichen, sondern zwischen ganzen Völkern, die sich in einen beispiellosen Vernichtungskampf verstrickten, durch den eine ganze Epoche der Menschheitsgeschichte endete.


Die Überlebenden von Atlantis

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