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Konflikte
ОглавлениеDie aktuelle Situation ist wie die in dem berühmten Gleichnis von den blinden Männern und dem Elefanten:
Darin untersucht eine Gruppe von Blinden – oder Männern – in völliger Dunkelheit einen Elefanten, um zu begreifen, worum es sich bei diesem Tier handelt. Jeder untersucht ein anderes Körperteil (aber jeder nur ein Teil), wie zum Beispiel die Flanke oder einen Stoßzahn. Dann vergleichen sie ihre Erfahrungen untereinander und stellen fest, dass jede individuelle Erfahrung zu vollständig unterschiedlichen Schlussfolgerungen führt.5
Als Erweckungsbewegungen werden Strömungen im Christentum bezeichnet, die die Bekehrung des Einzelnen und praktische christliche Lebensweise besonders betonen. Gemeinchristliche oder konfessionelle Dogmen treten zurück hinter ein ursprüngliches Verständnis eines direkt aus der Bibel entnommenen Evangeliums. Erweckungsbewegungen gehen davon aus, dass lebendiges Christentum mit der Antwort des Menschen auf den Ruf des Evangeliums zu Umkehr und geistiger Erneuerung beginnt. Gedanklich fußt der Begriff auf Epheser 5,14 [Lu]: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ Da nur der Glaube ins ewige Leben führe, sei die Existenz des Ungläubigen dem Tode geweiht. Somit erscheint die Hinwendung zum Glauben als Hinwendung zum Leben bzw. – in Analogie zur Auferstehung Christi – als Erweckung vom Tode.
So definiert es die Internet-Enzyklopädie Wikipedia, verhehlt aber auch nicht das enorme Konfliktpotential, indem sie weiter unten im Artikel bemerkt:
Bei praktisch allen Erweckungsbewegungen kam es teilweise zu starken Emotionen: Leute brechen während der Predigt in Tränen aus, sind überschwänglich glücklich über ihre Bekehrung oder haben ekstatische Erlebnisse. Während diese Begleiterscheinungen in vielen Fällen von den beteiligten Predigern bejaht wurden, trafen sie insbesondere bei den Theologen der etablierten Kirchen auf massive Kritik und dienten oft als Anlass, um eine als Konkurrenz empfundene Bewegung insgesamt zu verurteilen.
Ja, gerade wir Deutschen scheinen uns mit dem Bereich der Emotionen, die in der Erweckung miterwachen, ausgesprochen schwer zu tun. Wir setzen von Haus aus gerne auf Ordnung, Disziplin und Arbeit; mit Tränen und hysterischem Benehmen in der Kirche können wir uns nicht so ohne weiteres anfreunden. Die so genannte Berliner Erklärung6 ist dafür ein trauriges Zeugnis.
Beim Thema Gefühle streifen wir einen neuralgischen Punkt, an dem deutlich wird, dass Erweckung womöglich etwas Ganzheitliches ist, was vielen Frommen überhaupt nicht in den Kram passt. Sie wollen eigentlich eine beschränkte bzw. selektive Erweckung, und darüber hinaus soll es bitteschön eine kontrollierte und eben „ordentliche“ Form von Aufbruch sein, „sonst kann es nicht von Gott sein“ und sie steigen aus. Dabei verstehen sie unter Erweckung gerne eine Rückkehr zu den guten Sitten, eine Art moralisches Erwachen, in dem die Leute auf einmal in sich gehen, ihr Gewissen entdecken und beschließen, anständige Bürger und Mitglieder ihrer Gemeinde zu werden – mit Gottes Hilfe.
Insgeheim hoffen eine Menge Christen darauf, dass Erweckung alle ihre Gemeindeprobleme lösen wird (und auch endlich die chronischen Finanznöte). Sie stellen sich vor, der Heilige Geist würde wie an Pfingsten auf die Gläubigen fallen – und dann seien auf einmal alle Konflikte gelöst und alle liebten einander. Dies ist ein romantisch-idealistisches Wunschdenken, das mit der Realität einer Erweckung wenig zu tun hat.
Die „kommende Erweckung“ wird in so manchen Kreisen gerne zur Projektionsfläche von Größen- und Machtphantasien. Endlich wird die Kirche vor aller Augen durch „Zeichen und Wunder“ legitimiert sein und all die Lästerer, Kleingläubigen und Zweifler werden sich noch wundern und schämen – und bekehren.
Es wäre noch Vieles aufzuzählen an Kontroversen, Gegensätzen und Spannungen. Es ist, als bewege man sich durch ein Minenfeld, wenn es zum Thema Erweckung kommt. Die streitbaren Geister stoßen sich an einfach allem: ob es der Musik- und Predigtstil ist, das offene oder bis ins Detail geregelte Programm, die Bibelauslegung oder die Länge des Gottesdienstes, der Frauenröcke und Haare. Alles und jedes wird zum Streitpunkt darüber, ob es gottgefällig, also ein förderlicher Aspekt von „wahrer“ Erweckung ist, oder eben gerade ein Hindernisgrund dafür. Tatsächlich gibt es sogar jene Apokalyptiker, die sich gar nicht sicher sind, ob Gott überhaupt noch Erweckung „auf dem Schirm“ hat. Sie sehen die Endzeit gekommen, in der es nur noch Drangsal, Verfolgung und eine breite Bewegung des Abfallens von Gott gibt.