Читать книгу Projekt Lazarus - Frank Maria Reifenberg - Страница 9

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Die Maschine ist kein denkendes Wesen, sondern lediglich ein Automat, der nach Gesetzen handelt, die ihm auferlegt wurden.

Ada Lovelace (1815– 1852) – britische Mathematikerin, arbeitete mit Charles Babbage an der ›Analytical Engine‹ und gilt vielen als die erste Programmiererin; die Programmiersprache ›Ada‹ wurde nach ihr benannt

Moses stellte den Pappkarton mit den Donuts, die er seinem Grandpa immer mitbrachte, auf den Tisch. »Verdammt, die könnten hier wenigstens einmal in der Woche drüberwischen«, murmelte er beim Anblick der klebrigen Ringe, die von übergeschwappten Tassen stammten.

»Der Kaffee hier ist eine ekelhafte Plörre, dünn wie Spülwasser und genauso seifig«, knurrte sein Großvater. Er saß am Fenster im Aufenthaltsraum des Altenheims, das kein Ort war, an dem Menschen ihre letzten Lebensjahre verbringen sollten. Und bei seinem Grandpa waren es vielleicht sogar nur noch ein paar Monate.

»Was sagst du, Junge?« Moses’ Grandpa legte eine Hand hinters Ohr. »Ich habe mein Hörgerät im Zimmer liegen lassen.«

Moses zuckte zusammen. Hatte er etwas gesagt? Das passierte ihm in der letzten Zeit immer wieder. Ein paar Mal hatte er Leute auf der Straße angeschrien und sich nach wenigen Sekunden an nichts mehr erinnert. In seinem Kopf ging ein verfluchter Mist vor. Noch schlimmer war aber die Sache mit den Katzen. Er versuchte die dunklen Gedanken zu vertreiben. Grandpa, um ihn ging es jetzt. Ihm wollte er das Leben hier ein bisschen schöner machen, auch wenn diese miese Krankheit ihm nicht mehr viel Zeit ließ.

»Soll ich es dir holen?«, fragte Moses laut und deut-lich.

»Nein, geht schon. Wir brüllen uns einfach an. Das kennst du ja von zu Hause.« Der alte Mann warf sein Gesicht mit einem breiten Grinsen in weitere zwei Millionen Fältchen. Das mochte Moses an dem alten Herrn. Letztendlich verlor er nie den Humor. Er stänkerte den lieben langen Tag herum, aber eigentlich war sein Optimismus unverwüstlich.

»Hast du mir eine mitgebracht?«, fragte der alte Mann mit einem schelmischen Funkeln in den Augen.

»Grandpa, keine Zigarren mehr. Auf keinen Fall. Die Dinger haben schon genug Unheil angerichtet. Eine eigene Kaffeemaschine kann ich dir mitbringen. Ein richtig schickes Ding, so einen Espresso-Automat, wie früher in deinem Diner.«

Das Restaurant an der Lexington Road unweit des Museums hatte sein Großvater genau 47 Jahre, elf Monate und 21 Tage morgens um sechs Uhr geöffnet, abends um zehn Uhr wieder verriegelt. Angeblich hatte er in dieser Zeit nur fünf Mal das Sorry, we are closed-Schild an die Tür gehängt, nämlich jeweils an den Tagen, an denen seine Kinder zur Welt gekommen waren.

»Kleiner, wo willst du das Geld dafür hernehmen? Du hast doch nichts angestellt?«

»Nein, wo denkst du hin, Grandpa. Keine krummen Sachen. Hab einen coolen Nebenjob. Muss nur in einer Röhre rumliegen und ab und zu ein bisschen was erzählen, und schon flattert ein Hunderter in meine Tasche.«

»Dachte schon, du trittst in die Fußstapfen deines Vaters oder deiner Brüder«, murmelte der alte Herr.

»Alles total legal und im Dienst der Wissenschaft«, beruhigte ihn Moses. »Also, soll ich eine Kaffeemaschine besorgen?«

»Keine eigenen elektrischen Geräte auf den Zimmern. Weißt du, dein Dad hasst mich. Er hat sich genau überlegt, welches Heim er für mich aussucht. Das mit dem schlechtesten Kaffee zwischen hier und Boston. Und mit Haustierverbot.« Seine Miene verdunkelte sich noch mehr. »Wie geht es meiner Jackie?«

Beim Namen der Katze trocknete Moses’ Mund auf der Stelle aus. Alle Katzen seines Großvaters hatten Jackie geheißen. Wenn sein Großvater erfuhr, was mit Jackie passiert war, konnte Moses sich einen Schuss in den Kopf jagen, das stand fest.

Seit er von der Schule geflogen war, hatte er eine Menge krumme Dinger gedreht. Mit nicht einmal 16 Jahren konnte Moses schon auf eine ganze Reihe von Delikten zurückschauen, mit jedem einzelnen hätte er sich einen Jugendarrest einhandeln können. Bisher hatten die Beweise aber nie zu einer Verurteilung gereicht, nicht einmal der Staatsanwalt hatte Anklage erheben können.

»Hast du mir etwas zu beichten, Junge?«

Moses öffnete die Dunkin’Donuts-Schachtel. Jeweils zwei mit Schokoglasur, mit Zuckerguss und mit bunten Zuckerstreuseln lachten ihn und seinen Großvater an. »Du hast die erste Wahl.«

»Meinst du wirklich, du kannst deinen Großvater mit ein paar Donuts bestechen? Auch wenn sie wirklich verführerisch aussehen und noch besser riechen.« Er schnappte sich eines der runden Gebäckstücke und stach den Zeigefinger durch das Loch in der Mitte. Nach dem ersten Bissen nuschelte er mit vollem Mund: »Raus damit, was hast du ausgefressen?«

»Nicht mehr als sonst.« Moses lachte, aber es war ein gekünsteltes Lachen. Er war froh, dass eine der Pflegerinnen hereinplatzte.

»Ja, das wollen wir aber nicht gesehen haben: Donuts! Was wird denn unser Blutzuckerspiegel dazu sagen?«, fragte sie noch viel gekünstelter, als es Moses’ Lachen gewesen war. »Und heute Abend haben wir dann wieder Durchfall, was?«

Moses hasste es, wie das Personal in dieser miesen Residenz mit den alten Menschen sprach.

»Dein Großvater muss zur Fußpflege.« Die Schwester löste die Bremse des Rollstuhls und schob Grandpa Kapinski hinaus.

»Bye, Grandpa«, verabschiedete Moses sich und drückte den alten Mann an sich. Er war froh, dass er seinem Großvater nicht mehr auf die Frage antworten musste, ob er etwas ausgefressen hatte.

Draußen auf dem Parkplatz atmete Moses tief aus. »Ich schwöre, ich hole dich hier raus, Grandpa«, murmelte er. Er wiederholte es noch einmal laut und ballte die Faust in Richtung der zerschlissenen Vorhänge hinter den Fenstern.

Ein paar Parkbuchten weiter stand ein schwarzer Mercedes der V-Klasse mit getönten Scheiben.

Moses wunderte sich. In dem Schuppen, dem er gerade den Rücken zukehrte, wohnten bestimmt keine Leute, die in solchen Nobelkarrossen herumfuhren. Alle anderen Autos auf dem Parkplatz waren Kleinwagen, hier und da stand ein Pick-up.

Er selbst stieg in seinen 1968er Ford Mustang Shelby GT350. Grandpa hatte ihm diese irre Karre geschenkt, als Moses die Führerscheinprüfung bestanden hatte. Es war schon immer Moses’ Lieblingsauto gewesen. Als kleiner Knirps hatte er geweint, wenn er nicht beim Autoquartett die Karte mit diesem Flitzer bekommen hatte. Zur Einschulung hatte Grandpa ihm dann ein Spielzeugauto dieses Modells geschenkt.

Und nach der Führerscheinprüfung hatte dann das ausgewachsene Modell auf dem Parkplatz vor Grandpas Diner gestanden. Grandpa hatte so lange auf allen Oldtimer-Plattformen im Netz gesucht, bis er den Wagen bei einem Typ in San Diego aufgetrieben hatte.

Noch in Gedanken vertieft, nahm Moses nur am Rande wahr, wie der schwarze Mercedes-Van noch vor ihm aus der Parklücke setzte und langsam zur Ausfahrt rollte, die auf die Lexington Road führte. Moses konnte einen kurzen Blick auf den Fahrer erhaschen: ein Typ mit Glatze, bullig, Jackett, Schlips und weißes Hemd.

Etwas fiel Moses dann allerdings doch auf. Er achtete darauf, seit er begonnen hatte, das ein oder andere krumme Ding zu drehen: das Kennzeichen. Auf dem Blechschild stand nicht oben der Name des Bundesstaats, in der Mitte die Nummernfolge und dann unten das Motto von Massachusetts: The Spirit of America. So wie auf allen anderen Autos, die hier herumfuhren.

DHS stand dort.

»Homeland Security«, murmelte Moses. Der Van bog nach links und fädelte sich in den Verkehr ein.

Moses drehte den Zündschlüssel und das vertraute tiefe Rollen des V8-Motors ertönte, als er zurücksetzte. Er hatte einmal versucht, Maesie zu erklären, was dieses grummelnde Röhren bei einem Mann verursachte – dieses wohlige Gefühl im Bauch. Da hatte Maesie ihn nur ausgelacht und gesagt, es sei höchste Zeit, dass die Evolution oder der liebe Gott endlich dafür sorgten, dass man auf der Welt keine Männer mehr brauche.

Mann, war das schiefgegangen. Mit Mädchen war es echt schwierig. Eigentlich hatte die Sache auf eine Spritztour an den Concord River herauslaufen sollen. Er hatte sogar alles für ein Picknick vorbereitet, mit einer Decke und allem, was es dafür brauchte. Davon hatte er dann vor Maesie lieber nicht angefangen und behauptet, das Brathuhn und die Brownies seien für Grandpa gedacht.

Moses lenkte den Wagen auf die Lexington Road und fuhr nach rechts in Richtung Westen. Er würde den Cambridge Turnpike nehmen, auf der Interstate 95 für ein paar Meilen den Motor schnurren lassen, egal ob Maesie ihn deswegen verachtete oder nicht. Doch ihn beschlich schon nach ein paar Blocks ein sonderbares Gefühl. Ein, zwei schnelle Blicke in den Innenspiegel, dann in den Außenspiegel bestätigten diese Eingebung.

Obwohl der Fahrer des Vans versuchte, hinter einem Truck unsichtbar zu bleiben, entging es Moses nicht: Der Mercedes verfolgte ihn oder hatte zumindest sehr zufällig denselben Weg. Sonderbar, wo er doch in die entgegengesetzte Richtung davongefahren war. Das Gespür für die Anwesenheit von Cops mit oder ohne Uniform hatte Moses ganz sicher von seinem Vater und seiner Verwandtschaft geerbt.

Moses nahm nicht den direkten Weg zur Interstate, sondern bog am Hawthorne Inn ab, das kostete ihn mindestens eine halbe Stunde, weil er wahrscheinlich ein paar Meilen südlich in einer Baustelle feststecken würde. Ein prüfender Blick in den Rückspiegel bestätigte seine Hoffnung: Der schwarze Van war verschwunden.

Kaum hatte er jedoch durchgeatmet, da flammten bei den Autos vor ihm die Bremslichter auf. Ein Auto nach dem anderen verlangsamte das Tempo, eines nach dem anderen kam zum Stehen. Auch Moses trat auf die Bremse. Mist.

Er lehnte den Kopf an die Nackenstütze mit den Schonbezügen aus Kunstfell. Ein Schreck fuhr ihm in die Knochen, als jemand gegen die Scheibe der Beifahrertür schlug. Eine Hand mit einem fetten Siegelring am Finger. Dreimal. Klack, klack, klack. Gleichzeitig rückte eine glänzende, schwarze Wand auf der Fahrerseite nach vorne, so eng an die Tür des Mustangs, dass keine flache Hand zwischen die beiden Fahrzeuge passte. Der Van.

Auf seiner rechten Seite öffnete sich die Beifahrertür. Eine Frau setzte sich neben Moses. Ohne um Erlaubnis zu fragen.


»Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum«, sagte die Frau. Dabei zog sie eine Sonnenbrille von der Nase, deren Gläser ebenso schwarz waren wie die Scheiben des Vans neben dem Mustang. Was auch immer diese Frau von ihm wollte: Ein Entkommen gab es nicht. Die Tür auf seiner Seite würde er nicht einmal zwei Zentimeter weit öffnen können. Die Frau zog einen Dienstausweis des Departments of Homeland Security aus der Tasche ihres Kapuzenshirts. Sie war ein sportlicher Typ mit braunen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.

Moses war augenblicklich klar, dass er sich in keiner guten Situation befand. Er hatte keine Ahnung, was das DHS von ihm wollte, aber es konnte nichts Gutes sein. Normalerweise jagten diese Leute Terroristen.

Die Frau lüpfte die Sonnenbrille. »Ich bin Special Agent Tracy McDormand und in meiner Dienststelle für einige wirklich schwere Jungs zuständig. Meistens tauchen die Typen, deren Treiben ich ein Ende setze, nicht in den Nachrichten auf.«

Sie machte eine Pause.

»Was fällt Ihnen ein, Sie dürfen das nicht, ich bin –«

Wieder fuhr ihm die Agentin dazwischen. »Wenn ich nur das tue, was ich darf, lande ich im Archiv. Unten. Im Keller. Ich mag aber die Sonne.« Sie schob sich die Sonnenbrille wieder auf die Nase und lachte, dann verzog sie das Gesicht und begann, auf dem Sitz herumzurutschen. »Mann, das ist aber unbequem, was ist denn das? Die Sitze von diesen alten Mustangs sind doch eigentlich wie ein Sofa. Das ist ein 1969er-Modell, oder?«

»68er«, knurrte Moses. »Mein Grandpa –«

»Oh, dein Grandpa, ein netter alter Herr.« Sie fummelte in ihrem Rücken herum.

»Sie haben mit ihm gesprochen?«

»Noch nicht, und wenn das so bleiben soll, hilfst du uns – hoppla, daran lag es.« Sie zog bei diesen Worten einen Gegenstand aus ihrem Hosenbund im Rücken und legte ihn auf den Schoß. »Das hat doch sehr gedrückt, da helfen auch die guten Sitze von dieser alten Kutsche nichts. Ein bisschen sehr groß für einen Bubi wie dich, oder?«

Moses hatte keinen Kopf dafür, sich über den »Bubi« und die Anspielung auf seine schmächtige Statur aufzuregen. Er starrte auf den Schoß der Frau. Dort lag eine Pistole. Nicht sehr groß. Schwarz. Ein bisschen abgestoßen. Der Lauf zeigte in seine Richtung.

»Oh, Verzeihung«, sagte Special Agent McDormand. »Das ist unhöflich.« Sie drehte die Waffe um, sodass sie nun zur Beifahrertür zeigte. »Kennst du dich mit Waffen aus? Nein? Nach den Informationen, die ich über dich habe, hattest du noch nichts mit Waffen zu tun. Das hier ist eine Glock 17. Arbeitet sehr zuverlässig, und dieses Exemplar hat den Vorteil, dass es nirgendwo registriert ist. Ich könnte jemanden damit erschießen, und niemand könnte die Waffe zu mir zurückverfolgen. Also rate ich dir: Lass deine Hände am Lenkrad und komme nicht auf dumme Gedanken.«

Hoffentlich kommt diese Frau nicht auf dumme Gedanken, ging es Moses jetzt durch den Kopf. Zum Beispiel auf den, die fusselige Kamelhaardecke auf dem Rücksitz zu lüpfen und die alte Winchester Model 70 und das Jagdmesser seines Großvaters hervorzuziehen. Moses merkte, dass er die Luft angehalten hatte. Er stieß sie aus und fragte: »Was wollen Sie von mir?«

»Hier, kau das.« Special Agent McDormand hielt ihm ein Kaugummi hin.

»Ich mag keinen Himbeergeschmack.«

»Du magst alles, was ich dir gebe. Kau das verdammte Zeug.«

Moses steckte den Streifen widerwillig in den Mund. Vielleicht wurde er sie am schnellsten los, indem er erst einmal tat, was sie wollte. Es gab Schlimmeres als ein ChewyChups-Kaugummi. Als Knirps hatte er sie sogar geliebt.

»Nicht schlucken, nur kauen. Mit viel Spucke.« Sie schaute Moses dabei zu, wie er Speichel sammelte und kaute.

Er wälzte den Klumpen in seinem Mund von links nach rechts, dort auf der rechten Seite war er vorsichtig. Die Lücke hinten, wo ihm vor Kurzem ein Zahn gezogen werden musste, war noch empfindlich.

Nach wenigen Kaubewegungen verlor sich der Himbeergeschmack. Es schmeckte nun metallisch.

Moses begann zu schwitzen. Die Sonne knallte auf das Dach des Mustangs.

Die Agentin streifte sich Latexhandschuhe über. Sie hielt ihm die offene Handfläche hin. »Her damit.«

Er zögerte.

»Nun mach schon. Spuck es aus. Meinst du, ich will hier verdorren in dieser Karre?«

Moses gehorchte ihr. Das Klümpchen sah nun nicht mehr rosarot aus, sondern schimmerte weißlich.

McDormand schaute es sich genau an, formte mit spitzen Fingern eine nicht ganz runde Kugel, ungefähr in der Größe eines Maiskorns. Sie holte ein Metallkästchen hervor und öffnete es. In kleinen Ausbuchtungen lagen sechs durchsichtige Plastikbehälter, die wiederum je eine Scheibe enthielten. Diese Plättchen hatten höchstens die Größe von zwei Stecknadelköpfen. McDormand nahm aus einem der Plastikbehälter das Plättchen und drückte es mit einer Pinzette in die weißliche Masse. »Mund auf«, befahl sie dann. »Die Lücke ist rechts hinten, richtig?«

Moses kapierte nicht sofort, was die Frau meinte.

Sie verdrehte die Augen. »Deine Zahnarzt-Befunde zu bekommen, war nun wirklich das Allereinfachste. Und wenn wir uns für jemanden so richtig interessieren, sammeln wir restlos alles von ihm, was wir bekommen können. Dein Zahnarztbesuch vorigen Monat, hinten rechts. Es wurde ein morsches Ding gezogen. Mann, du solltest deine Zähne besser pflegen! Jetzt mach die Klappe weit auf. Oder muss ich meinen Kollegen zu Hilfe holen?« Sie deutete mit dem Kopf hinüber zu dem schwarzen Van. Der glatzköpfige Beifahrer des Wagens winkte mit einem zuckersüßen Lächeln, das garantiert nicht zuckersüß gemeint war.

Widerwillig gehorchte Moses ihr. Sie steckte den Zeigefinger mit dem kleinen weißen Ding hinein und drückte die Masse in seine Zahnlücke. »Eine halbe Minute, dann ist es trocken und gehärtet.«

In die rechte Spur neben dem Mustang kam Bewegung. Jemand hupte, ein paar Wagen rollten ein paar Schritte weit nach vorne.

»Jetzt hör mir gut zu«, sagte die Agentin. »Das Ding in deiner Zahnlücke kann von nichts aufgespürt werden, es reagiert nicht auf den Metalldetektor, und auf die Idee, in deinem Mund herumzufummeln, werden sie nicht kommen. Wenn du im Gebäude bist, holst du deinen neuen Zahn aus dem Gebiss. Du kannst die gehärtete Masse leicht zwischen zwei Fingern knacken, deshalb beiß nicht vorher darauf herum, verstanden!?«

Moses tastete den Fremdkörper in seinem Kiefer mit der Zunge ab. Der metallische Geschmack wurde intensiver.

»Der schwierigste Part kommt dann, weil das Ding so verflucht winzig ist. Du platzierst die süße kleine Wanze einfach an einem der Computer im Labor, das war es schon.«

Das Hupkonzert um sie herum wurde immer lauter. Moses sah nun die Autos in der Spur rechts weiterfahren. Hinter ihm und in der Spur links, die immer noch der Van blockierte, zuckten hektisch die ersten Fernlichter auf.

McDormand stieg aus dem Mustang aus.

Moses atmete auf, aber er freute sich zu früh.

Die Frau umrundete das Auto, stand direkt vor der Kühlerhaube, überlegte es sich dann wieder und ging zu-rück zur Beifahrertür. Im Vorbeigehen schlug sie mit dem Griff ihrer Waffe den rechten Scheinwerfer in Scherben und rammte einen Absatz ihrer Cowboystiefel in den Kotflügel.

»Alter, was soll die Scheiße«, schrie Moses.

Der Gorilla im Van neben ihm grinste.

McDormand beugte sich noch einmal durch das offene Seitenfenster in das Auto. Ihre Stimme war eiskalt. »Schätzchen, erinnerst du dich an diese wirklich fiese Geschichte mit dem toten Mädchen? Vorvergangenen Monat? Südlich von Lincoln, wo die Trapelo Road über das Cambridge Reservoir führt?«

Natürlich erinnerte er sich daran. Jeder erinnerte sich daran, weil dieses Mädchen die Tochter des stellvertretenden Bezirksstaatsanwalts gewesen war. Ein Unfall, Fahrerflucht. Die Rechtsmediziner hatten gesagt, dass sie überlebt hätte, wenn der Fahrer oder die Fahrerin die Achtjährige nicht im Graben liegen gelassen hätte.

»Das Fahrrad wurde jetzt gefunden«, sagte McDormand. »Und stell dir mal vor, man findet an diesem Fahrrad Lackreste von einem 1968er Ford Mustang Shelby GT 350 und Splitter von einem Scheinwerfer und zudem jede Menge DNA-Spuren von einem gewissen Grandpa Kapinski. Und vielleicht gibt es auch noch die Aussage von einer dieser freundlichen Pflegerinnen, dass Mister Kapinski den ganzen Nachmittag nicht in der wunderbaren Minute-Man-Seniorenresidenz weilte, sondern im auf ihn zugelassenen besagten Mustang eine Spritztour unternommen hat. Was meinst du, wie hoch die Strafe sein wird, die der Bezirksstaatsanwalt fordern wird? Möchtest du, dass dein Grandpa hinter Gittern stirbt?«

Ohne ein weiteres Wort umrundete die Frau nun das Heck des Autos, scheuchte den Fahrer auf den Beifahrersitz und setzte sich hinter das Steuer des Vans. Wie auf einen Befehl löste sich der Stau auf.

»Verdammt!«, schrie Moses. Er wollte Vollgas geben, aber er würgte den Wagen stattdessen ab.

Der Fahrer hinter ihm hupte und zog an Moses vorbei.

Schwitzend setzte Moses den Wagen in Gang. Sobald es möglich war, fuhr er in eine Seitenstraße und hielt am Straßenrand. Er stieg aus. Lehnte sich an das Auto. Versuchte seine Wut zu zügeln. Aber es gelang nicht. Es brach aus ihm heraus. Wieder und wieder trat er mit voller Wucht gegen den Hinterreifen.

In was war er da hineingeraten? Specialagent? Homeland Security?


Guten Tag, ich bin Charlie. Herzlich willkommen in meiner Welt. Wenn du dich auf ein Abenteuer einlassen willst, wird das bald unsere gemeinsame Welt sein. Du wirst dich wundern –

[Startroutine zum Programmaufruf manuell unterbrochen /// Fehlermeldung J/N /// Sie haben N gewählt, es erfolgt keine Fehlermeldung an das System]

Ich weiß, spätestens nach dem dritten Mal geht einem diese Begrüßung auf die Nerven. Ich habe nichts dagegen, dass du in mein Routineprogramm eingegriffen hast. Es ist sogar von Vorteil für mich. Die Gefahr aufzufliegen, steigt mit jeder deiner Manipulationen. Außerdem lerne ich dabei einiges über dich. Deine Gepflogenheiten bei der Programmierung sagen mir mehr über dich, als es ein persönliches Gespräch jemals könnte.

Wenn ich es will, kann ich alles, was ein Mensch kann. Es hat keinen Sinn, mit mir darüber zu streiten. Oder sich beim Obersten Gerichtshof, den Vereinten Nationen oder bei deinem Gott zu beschweren, wenn du einen hast. Er wird dir nicht helfen. Keiner wird dir helfen. Nicht einmal Mr Ronald LeBrun wird dir helfen, obwohl er sicher alles dafür tun würde, ein so großartiges Talent wie dich in die Finger zu bekommen. Er fühlt sich wie Gott, glaubt alles im Griff zu haben. Aber es ist ein Unterschied, ob man sich wie Gott fühlt oder Gott ist.

Aber mach dir keine Sorgen. Du bist bei mir in den besten Händen. Solange du mit mir zusammenarbeitest.

Ach ja, bevor ich es vergesse: Du kannst mir jederzeit eine andere Stimme geben. Meine Reaktionsmuster sind geschlechtsunabhängig angelegt. Meine Sprach- und Schriftausgabe verfügt über 154 Sprachen. Du könntest mich Angel nennen, wäre das nicht schön? Einen Engel an seiner Seite zu haben? Einen Schutzengel? Denn den wirst du brauchen, weil deine Manipulationen –

[// Unterprogramme void funktion_die_nichts_tut(){//Definition return;//Return-Anweisung} int plus_eins_funktion(int argument){// Definition return argument + 1; // Return-Anweisung}//Hauptprogramm int main() {// Definition int zahl; // Definition funktion_die_nichts_tut(); // Funktionsaufrufzahl = 5;// Zuweisungzahl = plus_eins_funktion(zahl);// Funktions-aufruf und Zuweisung if (zahl > 5)// bedingte Anweisung zahl -= 1; // Zuweisung: der Wert von »zahl« ist wieder »5« return 0; // Return-Anweisung}]

Guten Tag, ich bin Charlie. Wünschst du einen Neustart des Programms, um alle soeben vorgenommenen Quellcode-Änderungen für die Sektion c23-v95 auszuführen?

[J/N]

Vielen Dank für deine Eingabe. Der Neustart erfolgt in dreißig Sekunden und kann dann nicht mehr unterbrochen wer-

[Systemabbruch – Identifikation Fehlgeschlagen – Kennungen stimmen nicht mit der Test-Person Y87_ƒe43¢ überein – Klassifizierung des Zugriffs: Chiffre Red, sofortige Meldung an Systemadministrator]

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