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68. Gibt man oder gibt man nicht? Russland – Moskau

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An einem Samstag, dem 13. Juni 2015, an meinem 112. Reisetag traf ich diese Bettler in Moskau.

Moskau wartete mit blauem Himmel und 30 Grad Celsius auf, das westliche Europa hingegen stand unter Tiefdruckeinfluss und schenkte den Menschen Aprilwetter.

Aber das war bei weitem nicht die einzige Überraschung, die Moskau bereithielt. Nachdem ich viel Ärger bei der Visabeschaffung hinter mir hatte, wurde der Aufenthalt zum Genuss. Allein die Ankunft um 22 Uhr am Vortag war sowas von easy: Immigration, Gepäck, Geld abheben an der ATM und Abholung durch einen Fahrer war alles in allem in gut 30 Minuten erledigt.

Keinerlei Ausfüllen von Zollerklärungen, Immigration Zettel oder beantworten von lästigen Fragen, nichts davon. Da können sich jede Menge Länder ein Beispiel nehmen.

Dann der erste Eindruck, die Stadt erschien fast menschenleer, der gestrige Feiertag (ab 2002 „Tag Russlands“, von 1992 bis 2002 hieß dieser Tag „Tag der Unabhängigkeit“) hat dazu geführt, dass abertausende Moskowiter auf ihre Datsche gefahren sind, um dort ein langes Wochenende zu verleben. So hatten wir auch keine Megastaus zu beklagen, alles passte bis zum Montagmorgen, dann war die Stadt wieder knüppelvoll.

Wir wohnten etwa vier Kilometer nördlich des Roten Platzes und die Laufstrecke dorthin führte meist durch gepflegte Grünanlagen. Sauber war es überall, es fehlten die erwarteten Massen an Polizei auf den Straßen, Horden von wodkatrinkenden Männern und Bettler allerorten. All dies wurde uns vorab nämlich als Schreckgespenst an die Wand gemalt, passt bloß auf und so weiter.

Natürlich weiß ich, dass Moskau nicht das heutige Russland wiederspiegelt, dass es ein gepflegtes Zerrbild ist, und dass nur wenige Russen sich ein Leben in dieser modernen, westlich wirkenden Stadt leisten können und von denen die es können, will man bei den meisten gar nicht wissen, wie sie zu ihrem Geld gekommen sind, alles bekannt. Aber angenehm war es trotzdem. Man darf sich halt nur nicht blenden lassen.

Was ich aber schreiben wollte, war die Begegnung mit den wenigen Bettlern. Ich hab da auf Reisen, aber auch in Berlin, immer meine festen Gewohnheiten, wem ich was gebe und wem nicht.

Kinder bekommen in der Regel nichts von mir, da ist die Gefahr, dass sie durch die Bettelei mehr als die Eltern verdienen und somit jeglichen Ansporn auf Schule oder Ausbildung verlieren, zu groß.

Aber meist werden sie ja geschickt und haben gar keine andere Wahl, sehen aber auch keinen Pfennig von dem Geld, in diesem Fall Kopeken.

Bettelnde Kinder, ich muss es gleich anmerken, hab ich in der knappen Woche kein einziges gesehen. Aber bei alten Menschen werde ich meist schwach und da hab ich einige gesehen. In Gänze viel waren es weniger Bettler als zum Beispiel in Berlin.

Vor den Kirchen saßen einige Kriegsversehrte und Alte.

Einer alten Frau, einer dünnen Mamuschka, das Gesicht gezeichnet vom harten Los, die kranken Beine in Söckchen und Plastikschuhen, hab ich sofort etwas in die Hand gedrückt. Der leise Dank war unverständlich und die fast blinden Augen haben versucht, mich anzulächeln.

Nach fast fünfstündigen Lauf zu und durch die Sehenswürdigkeiten rings um den Kreml ging es zurück zum Hotel, natürlich wieder zu Fuß. Und da saß so ein Bündel am Straßenrand, eingehüllt in viele Decken. So war kein Blick auf ihr Gesicht möglich, selbst die Hände steckten in schwarzen Handschuhen. Ein Bündel Mensch mit Bettelschale davor. Sofort, fast instinktiv habe ich wieder ein paar kleine Scheine in die Schale geworfen und da passierte folgendes: Kein Wort oder Zeichen des Dankes, nur die Hände befühlten die Scheine, wie um herauszufinden um welche Banknoten es sich handelt, aber mit den Handschuhen war das gar nicht so einfach und plötzlich streifte sie einen Handschuh ab, befühlte die Scheine und ließ sie unter ihren Decken und Schals verschwinden.

Aber das Erschreckende war, und meine Freundin Emma hat das danach auch gleich bestätigt, die Hand war jung, gepflegt, fast alabasterhaft. Dann fiel mir auch auf, aber da war es schon zu spät, dass der Stoff der schwarzen und blauen Tücher und die Handschuhe edlere Materialien waren, als dass man sie bei den Ärmsten der Armen erwarten würde. Auch das Tragen von Handschuhen bei diesen hochsommerlichen Temperaturen war ungewöhnlich.

Das hat dann doch einige Irritationen bei mir ausgelöst, diese sollten sich aber erst beim kaukasischen Essen mit Frau Natalja K. am Montagabend aufklären.

Die dritte Begegnung mit Bettlerinnen war am Montagvormittag, vor einer touristischen Hauptattraktion, dem Kaufhaus GUM. Ich war auf dem Weg zum KGB Museum (wie sich später herausstellte war es seit 2009 geschlossen), als ich drei alte Bettlerinnen sah, die zwei jungen, stark angetrunken Männern Geld in die Hände drückten. Es war eindeutig, dass es sich hier um bandenmäßige Bettelei handelte.

Aber kommen wir zu Fall zwei zurück. Beim Essen mit Frau Natalja K., einer russischen Kollegin von Emma, erzählte ich ihr von meinen Eindrücken der letzten Tage, natürlich auch von der „bettelnden jugendlichen Hand“ in edle Stoffe gehüllt.

Daraufhin erzählte sie mir von einer Talkshow im russischen Fernsehen, mit Studenten, oder Kinder reicher Eltern, genau wusste sie es nicht mehr. Diese Jugendlichen verkleiden sich als Bettler in der Moskauer Innenstadt und veranstalten einen Wettbewerb: Wer sammelt das meiste Geld!!!! Fiese Nummer das.

Winterflucht

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