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Barkon

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Alles war so schnell gegangen, dass Miranya kaum begriff, was überhaupt passiert war. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Zwerge zu Gesicht bekam. Sie wusste nicht, woher diese so plötzlich kamen, aber sie erkannte, dass sie sie vor den Hornmännern gerettet hatten, und das war im Moment alles, was zählte. Der Schock über die Grausamkeit des Kampfes wirkte noch in ihr nach, war so wenig bewältigt wie die Überraschung über ihre Rettung, dennoch begann sie unverzüglich zu handeln, ohne sich erst lange um die Hintergründe dieses Wunders zu kümmern. Sie war erst vierundzwanzig Jahre alt, und ihre Weihe zur Vingala lag gerade erst ein knappes Jahr zurück, doch sie hatte sich der Gruppe als Heilerin angeschlossen, deshalb begann sie mit der Erfüllung ihrer Pflicht und kümmerte sich um die Verwundeten.

Als Erstes wandte sie sich dem bewusstlosen Maziroc zu, reinigte seine Wunden, legte Heilkräuter auf und verband sie. Gleichzeitig setzte sie ihre magische Heilkraft ein, zwang klaffendes Fleisch durch die pure Stärke ihres Willens dazu, sich wieder zu verbinden, stoppte Blutungen und beschleunigte den Heilungsprozess.

Zu ihrer eigenen großen Verwunderung blieb der Magier nur wenige Minuten lang ohnmächtig. Sie hatte noch nicht einmal alle seine Wunden verbunden, als er bereits wieder die Augen aufschlug. Für einen Mann seines Alter besaß er eine unglaublich gute Konstitution, aber das war ohnehin ein Punkt, bei dem sich Miranya nicht sicher war, was sie von den Behauptungen des Magiers halten sollte. Er hatte ihr vom ersten Auftauchen der Damonen vor fast eintausend Jahren und der Rolle, die er selbst damals beim Kampf gegen sie gespielt hatte, zu erzählen begonnen. Wenn er sich nicht alles einfach nur ausgedacht hatte, bedeutete das jedoch, dass er selbst bereits mehr als ein Jahrtausend alt sein musste, und das war unter normalen Umständen schlichtweg unmöglich. Sein Haar und sein Bart waren mittlerweile schneeweiß geworden, in sein Gesicht und vor allem um seine Augen hatten sich Falten eingegraben, und gegenüber seiner eigenen Schilderung hatte er an Leibesumfang beträchtlich zugenommen, doch ansonsten sah er immer noch wie ein Mann in mittlerem Alter aus. Als er mit seiner Erzählung anfing, hatte sie ihn danach gefragt, doch er hatte sie nur aufgefordert, noch etwas Geduld zu haben, da er später ohnehin darauf zu sprechen kommen würde.

Miranya glaubte nicht, dass er log. Es hätte dem gesamten Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, widersprochen. Außerdem hatte sie sich vor Beginn dieser Reise über ihn informiert. Seit dem Kampf gegen die Damonen damals war er kaum jemals durch etwas besonders hervorgetreten. Es schien, als hätte er sich ganz bewusst im Hintergrund gehalten, um möglichst wenig Fußspuren in der Zeit zu hinterlassen, dennoch wurde sein Name immer wieder einmal in alten Schriften erwähnt. Allerdings gab es auch große Löcher, Zeitabschnitte, in denen sich sein Name kein einziges Mal fand. Zuletzt war er für die Dauer von fast vier Jahrhunderten in der Versenkung verschwunden, ehe er vor rund hundert Jahren wieder des Öfteren in irgendwelchen Aufzeichnungen erwähnt wurde.

Nein, Maziroc log nicht, was sein Alter betraf. Schon ein bloßer Blick in seine Augen verriet, dass er ein besonderer Mensch war, selbst unter den Magiern. Weisheit und ein unglaublicher Schatz an Wissen lagen darin verborgen, wie man sie nur im Laufe eines ereignisreichen und ungeheuer langen Lebens erwerben konnte. Wenn sie in diese Augen blickte, hatte Miranya das Gefühl, in endlos tiefe Brunnenschächte zu schauen, und es fiel ihr geradezu schwer, sich wieder davon loszureißen.

Er war so alt, wie er behauptete, dessen war sie sich so gut wie sicher. Es war höchstens möglich, dass er einen Teil dieser Zeit irgendwie in einer Art von magischem Tiefschlaf verbracht hatte. Das würde auch die langen Zeitabschnitte erklären, in denen er nichts getan hatte, was irgendjemandem eine Aufzeichnung wert gewesen wäre. Noch bis vor Kurzem hätte sie eine solche Vorstellung ins Reich der Mythen und Fabeln verbannt, doch inzwischen hatte sich einiges geändert. Schließlich waren sie unterwegs, um jemanden aus genau einer solchen Art von magischem Schlaf zu erwecken. Einem Schlaf, der bereits ein Jahrtausend währen sollte.

Miranya wusste nicht mehr, was sie denken und glauben sollte. Sie hatte sich entschlossen, alles auf sich zukommen zu lassen. Wenn auch nur ein Teil dessen, was sie aufgeschnappt hatte, der Wahrheit entsprach, würde sie in den nächsten Wochen nicht nur schier unglaubliche Wunder erleben, sondern auch einen größeren Schatz an Wissen und Erfahrungen sammeln, als die meisten ihrer Schwestern in ihrem ganzen Leben.

Sie lächelte dem Magier aufmunternd zu, als sie ihm den letzten Verband angelegt hatte, und sah, dass er sie anblickte, dann wandte sie sich dem einzigen noch lebenden Soldaten ihrer Eskorte zu. Auch er hatte eine Reihe von Verletzungen davongetragen. Während sie sich um seine zum Teil schweren Wunden kümmerte, verfolgte sie zugleich aufmerksam, was um sie herum geschah.

Immerhin hatte sie es mit Zwergen zu tun, und allein schon die Begegnung mit ihnen stellte bereits eine Sensation dar, das erste der vielen Wunder, die Miranya sich von dieser Reise erhoffte. Zwerge waren schon immer ein scheues Volk gewesen, das ziemlich abgeschieden lebte, doch in den vergangenen Jahrhunderten, seit dem Verlust von Ravenhorst, hatten sie sich fast gänzlich von der Außenwelt zurückgezogen. Niemand wusste, wo genau sich ihre neue Heimat befand, doch es gab Gerüchte, dass sie noch wesentlich tiefer als Ravenhorst in den Todessümpfen verborgen liegen sollte, tiefer, als je zuvor ein Mensch in den Sumpf vorgedrungen war. Viele hatten es versucht, doch keiner von ihnen war jemals zurückgekehrt.

So weit jedenfalls die Legende. Noch bis vor wenigen Minuten war Miranya jedoch nicht einmal sicher gewesen, ob es das Volk der Zwerge überhaupt jemals gegeben hatte und noch gab, oder ob nicht seine ganze Existenz nicht mehr als nur ein Mythos war. Nun besaß sie zumindest über diesen Punkt endgültige Klarheit.

Es handelte sich um ungefähr zwanzig Zwerge. Aufgerichtet reichten sie ihr nur ungefähr bis zur Brust, doch waren sie von stämmiger, sehr kräftiger Statur. Alle trugen sie lange Vollbärte, die ihre etwas rundlichen Gesichter zu einem beträchtlichen Teil verdeckten. Gekleidet waren sie in silberne Rüstungen mit verschiedenfarbigen Umhängen, zusätzlich trugen sie Helme, an denen Federn in jeweils der gleichen Farbe wie der ihrer Umhänge steckten. Vermutlich symbolisierten diese Farben ihre Stellung oder ihren militärischen Rang.

Einige von ihnen zerrten die Leichen der Hornmänner vor dem Höhleneingang weg, um überhaupt erst einmal einen Weg freizumachen. Andere begannen, die gefrorene Erde mit ihren Äxten aufzuhacken, vermutlich, um Gräber auszuheben.

Ein Zwerg mit langen grauen Haaren, einem ebenso langen Bart und einem vor lauter Falten zerknittert aussehenden Gesicht trat zu Maziroc. Als Einziger trug er einen flammend roten Umhang, was Miranya als Bestätigung ihrer These wertete, dass die Farben den militärischen Rang widerspiegelten.

"Mein Name ist Barkon", stellte der Zwerg sich vor. "Leutnant in der Garde von Lutheson, dem König der Zwergenkrieger. Wie es scheint, sind wir genau zur richtigen Zeit gekommen."

"Es scheint nicht nur so", bestätigte Maziroc. Mit kleinen, ruckartigen Bewegungen richtete er sich auf und rutschte näher an die Wand, bis er sich aufrecht sitzend mit dem Rücken dagegenlehnen konnte. "Ohne Eure Hilfe hätten wir uns keine Minute länger halten können. Wir hatten schon mit dem Leben abgeschlossen. Euch muss der Himmel geschickt haben."

"Nun, der Himmel war es nicht gerade", erwiderte Barkon. Er stützte sich auf seine Streitaxt, die fast so groß wie er selbst war. "Vielmehr war es ein Bote Eures Ordensführers Charalon. Falls man dieses merkwürdige Wesen als einen Boten bezeichnen kann."

"Sprecht Ihr von einer Gestalt aus purem Eis?"

"Ganz genau. Woher wisst ..."

"Dann handelte es sich wirklich um einen Boten Charalons. Um einen Ssiraq, um genau zu sein."

Miranya spürte, wie ein rascher, eisiger Schauer über ihren Rücken rann. Auch Charalon war eine Legende aus der Zeit des großen Krieges gegen die Damonen, und noch in weitaus größerem Maße als Maziroc wurden seine Person und sein Schicksal von Mythen umrankt. Es hieß, dass er sich seit damals bei den Göttern aufhalte und den Magiern von dort aus deren Willen verkündete. Eine andere Darstellung besagte, dass er sich seit damals als unsterblicher, körperloser Geist an einem ungeheuer fremdartigen Ort jenseits dieser Welt befände. Allen Behauptungen gemein war zumindest, dass er nicht mehr körperlich auf Arcana weilte, dass er aber dennoch weiterhin lebte, wodurch es ihm möglich gewesen wäre, den Magierorden nach der Abspaltung der Vingala neu zu organisieren und bis zum gegenwärtigen Tag zu leiten.

"Anfangs waren wir nicht sicher, ob es sich nicht nur um einen Scherz irgendeines Ishars handelte", fuhr Barkon fort. "Aus heiterem Himmel tauchte plötzlich so ein ... Ding aus Eis direkt im Thronsaal unserer Könige auf, schmolz vor sich hin und bat uns im Namen Charalons und des Magierordens, unverzüglich eine Streitmacht genau hierher zu entsenden, um einen gewissen Maziroc von Cavillon und seine Begleiter zu retten. Uns blieb kaum noch die Zeit, irgendwelche Fragen zu stellen, bevor wir es nur noch mit einem großen Wasserfleck zu tun hatten."

"Zum Glück habt ihr aber dennoch gehandelt."

Barkon nickte. "Na ja, wir haben uns schließlich gesagt, dass diese Rettungsmission in ziemlich gefährliches Gebiet führen würde", erklärte er. "Es wäre ein ziemlich schlechter Scherz, wenn auf diese Art unnötig das Leben unserer Leute in Gefahr gebracht würde. Zu schlecht, als dass wir ihn von den Ishar erwarten würden, schon gar nicht von Charalon. Ebenso wie auch Ihr, Maziroc, genießt er nach wie vor einen sehr guten Ruf bei uns. Deshalb haben wir uns entschlossen, unsere Isolation zu durchbrechen und tatsächlich hier einmal nach dem Rechten zu sehen."

"Und habt uns dadurch das Leben gerettet", bekräftigte der Magier noch einmal. "Dafür werden wir ewig in Eurer Schuld stehen. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass Charalon die Möglichkeit besitzt, unseren Weg bis hierher zu verfolgen und selbst so weit von Cavillon entfernt noch über uns zu wachen, dass er wusste, in welche gefährliche Situation wir geraten waren."

"Diese Möglichkeit besitzt er auch nicht", mischte sich in diesem Moment Scruul ein. "Dafür müsst ihr euch schon bei mir bedanken." Er hatte sich inzwischen wieder einigermaßen erholt; die tiefsten Spuren der Erschöpfung waren aus seinem Gesicht gewichen, und er konnte bereits wieder aus eigener Kraft stehen.

Maziroc wandte sich zu ihm um. "Wovon sprichst du?", wollte er wissen.

Scruul lächelte vieldeutig. "Du weißt doch, dass ich an jedem Ort, an dem ich schon einmal gewesen bin, eine Geistesprojektion von mir erzeugen kann", erklärte er. "Also auch in Cavillon. Auf diese Art habe ich dort von unserer Notlage berichtet, in der Hoffnung, dass uns von dort jemand helfen könnte."

"Warum hast du uns nichts davon erzählt?", erkundigte sich Maziroc mit unverkennbarem Tadel in der Stimme.

Scruuls Gesicht wurde schlagartig wieder ernst. "Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken, denn eigentlich habe ich selbst nicht daran geglaubt, dass es noch eine Rettung für uns gäbe. Es ist mir erst gestern Abend gelungen, bis nach Cavillon vorzudringen. Über eine solche Entfernung hinweg war es in meinem geschwächten Zustand auch für mich nicht leicht. Und ich hätte nicht gedacht, dass tatsächlich noch irgendwelche Hilfe rechtzeitig hier eintreffen könnte."

"Gestern Abend haben wir auch erst Charalons Nachricht erhalten", ergänzte Barkon. "Er hat also ziemlich schnell reagiert.

"Gestern Abend?", ergriff Miranya ungläubig das Wort. Sie hatte inzwischen auch den Soldaten fertig versorgt. Er lächelte sie dankbar an, während sie sich aufrichtete und sich das Blut von den Fingern wischte. "Aber ... das kann doch nicht sein! Man braucht mehrere Wochen von den Todessümpfen bis hierher."

Barkon nickte. "Unter normalen Umständen, ja", bestätigte er mit einem Lächeln, das sich hauptsächlich in einem Verziehen seines Bartes zeigte. "Aber wenn es wirklich wichtig ist, haben wir Zwerge auch noch andere Möglichkeiten, wesentlich schneller voranzukommen." Er räusperte sich. "Die Hauptsache ist schließlich, dass wir rechtzeitig hier waren, nicht wahr?", fügte er in einem Tonfall hinzu, der deutlich machte, dass er nicht weiter über dieses Thema reden wollte.

Miranya hatte keine Ahnung, wovon der Zwerg sprach, doch als sie einen Blick zu Maziroc hinüberwarf, sah sie, wie auch über sein Gesicht ein kurzes, verstehendes Lächeln glitt. Offenbar wusste er mehr über die geheimnisvollen "Möglichkeiten" der Zwerge, doch auch er ging nicht weiter darauf ein.

"Und was geschieht nun?", erkundigte er sich stattdessen, an Barkon gewandt. "Wie ihr seht, ist unsere ursprüngliche Eskorte praktisch nicht mehr vorhanden. Ihr habt uns zwar aus der unmittelbaren Gefahr gerettet, aber wir befinden uns immer noch in gefährlichem Gebiet."

"Es ist selbstverständlich, dass wir Euch unter diesen Umständen sicher bis zur Grenze nach Larquina geleiten werden", bot Barkon an und schüttelte gleich darauf tadelnd den Kopf. "Was habt Ihr Euch bloß dabei gedacht, einfach so einen Spazierritt durch das Hügelland von Skant zu unternehmen? Ich weiß nicht, wie groß Eure Eskorte war, aber gerade Ihr hättet doch wissen müssen, wie gefährlich gerade dieser Teil der Nordermark ist. Warum habt Ihr nicht die sicherere Route durch den Süden genommen?"

"Weil sie nicht länger sicherer ist", erwiderte Maziroc. "Ich wusste durchaus, wie gefährlich unser Vorhaben war, aber es war ein Risiko, dass wir eingehen mussten. Unsere Mission ist extrem wichtig, und deshalb können wir auch nicht nach Larquina zurück. Wir müssen weiter nach Osten, nach Therion."

Das Gesicht des Zwerges verdunkelte sich. "Ihr müsst den Verstand verloren haben!", stieß er hervor. "Das ist noch einmal die doppelte Wegstrecke durch von den Clans beherrschtes Gebiet, als Ihr sie bislang zurückgelegt habt. Wir sind selbst nur achtzehn Mann, von denen ich zumindest einen auf ... anderem Weg zurückschicken muss. Diesmal konnten wir die Hornmänner besiegen, weil wir sie völlig überrascht haben, aber wenn wir einer weiteren Patrouille begegnen sollten, sieht das wieder ganz anders aus. Ich denke gar nicht daran, meine Leute einer solchen Gefahr auszusetzen. Außerdem haben wir keine Pferde."

Miranya horchte auf. Wie sie vorher schon eingewandt hatte, benötigte man mehrere Wochen, um von den Todessümpfen, der Heimat der Zwerge im Westen Miirs, bis hierher zu gelangen, aber das galt für Reiter. Zu Fuß ... Es musste wiederum etwas mit den geheimnisvollen speziellen "Möglichkeiten" des Zwergenvolkes zu tun haben.

"Wir können die Pferde der Hornmänner nehmen", warf Scruul ein. "Sie sind nicht weit von hier entfernt angebunden. Fast vierzig Tiere, also weit mehr als genug."

"Gut." Maziroc nickte ihm zu, dann wandte er sich wieder an den Zwerg und blickte ihn eindringlich an. "Bitte, Barkon, es geht nicht anders. Ich würde eine solche Bitte erst gar nicht an Euch richten, wenn nicht so viel auf dem Spiel stünde."

"Ach, und was soll das sein? Sagt es mir, dann werde ich entscheiden."

Der Magier rang kurz mit sich. "Der alte Feind ist zurückgekehrt", sagte er dann.

Barkon blickte ihn einen Moment lang verständnislos an, dann glomm jähes Begreifen in seinen Augen auf, das gleich darauf ungläubigem Schrecken wich. Alle Farbe schien schlagartig aus seinem Gesicht zu weichen. "Das ... das kann nicht sein!", keuchte er. "Ihr müsst Euch täuschen."

Panisches Entsetzen schwang in seiner Stimme mit, und mehr als alles andere jagte gerade das auch Miranya eine eisiges Gänsehaut über den Rücken. Bis auf einige Gerüchte und das Wenige, was Maziroc ihr in den letzten Tagen erzählt hatte, wusste sie kaum etwas über den Krieg gegen die Damonen, hatte sich vor Beginn dieser Reise auch nicht sonderlich dafür interessiert. Es war für sie nicht mehr als irgendeine lange zurückliegende Episode aus der Geschichte dieser Welt gewesen. Ein Ereignis, das einst möglicherweise entscheidend für die gesamte Zukunft Arcanas gewesen sein mochte, das aber tausend Jahre zurücklag und bis vor wenigen Tagen keinerlei Bedeutung für die Gegenwart und vor allem für ihr persönliches Geschick zu haben schien.

Selbst als sie von der Rückkehr der Damonen erfahren hatte, war das für sie eine Nachricht ohne wirklich greifbaren Inhalt gewesen, und sie sich zur Teilnahme an dieser Expedition entschlossen hatte, war ihr alles in erster Linie als aufregendes Abenteuer erschienen. Als größte Gefahr hatte sie die Hornmänner betrachtet, und diese Befürchtung hatte sich ja auch bewahrheitet. Die Damonen waren darüber für sie noch mehr in den Hintergrund gerutscht, und über die von ihnen ausgehende Bedrohung hatte Miranya sich bislang kaum Gedanken gemacht.

Vielleicht erschreckte die Reaktion Barkons sie gerade deshalb besonders stark. Zwergenkrieger waren in ganz Arcana für ihren Mut und ihre Kampfkraft berühmt, doch nun musste sie miterleben, wie die bloße Erwähnung der Damonen Barkon beinahe in ein zitterndes Nervenbündel verwandelte. Drastischer als alle Worte es gekonnt hätten, vermittelte ihr das einen Eindruck vom wahren Ausmaß der Gefahr, und es war ein Eindruck, der ihr ganz und gar nicht gefiel.

"Ich wünschte, es wäre anders, aber es gibt keinen Zweifel", versicherte Maziroc. "Wir haben mehrere voneinander unabhängige Berichte erhalten, und Charalon hat bestätigt, dass sich erneut eine Weltenbresche geöffnet hat, ganz in der Nähe der früheren. Einige Späher haben die Damonen sogar bereits gesehen. Alles hat genau wie damals begonnen. Überfälle auf Gehöfte und kleine Dörfer, die mit beispielloser Grausamkeit ausgeführt wurden und keine Überlebenden hinterlassen haben. Nur konnten wir die Hinweise diesmal direkt richtig deuten, weil wir die Gefahr kannten. Wir haben Boten in die ganze Umgebung geschickt, die die Menschen warnen sollen. Es hat bereits eine regelrechte Fluchtwelle begonnen."

Barkon schien seine Worte kaum wahrgenommen zu haben, sondern mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. "Tausend Jahre", murmelte er erschüttert. "Tausend Jahre, in denen wir geglaubt haben, dass diese Gefahr für alle Zeit gebannt wäre. Und nun ..."

"Nur eine trügerische Illusion der Sicherheit", sagte Maziroc. "Aber auch wir haben uns ihr nur zu gerne hingegeben. Nach dem ersten friedlichen Jahrhundert ist unsere Aufmerksamkeit erlahmt, und nur wenige Generationen später wusste kaum noch jemand sicher zu sagen, ob es den Krieg und die Damonen wirklich gegeben hatte, oder ob sie nur eine der zahllosen Legenden waren. Nun können sich alle Skeptiker davon überzeugen, dass sie keine erfundenen Gestalten aus einem Schauermärchen sind. Und diesmal ist unsere Position viel schlechter als beim letzten Mal. Diesmal wird es keine Armee von Elben geben, die auf unserer Seite kämpft."

"Elben", wiederholte Barkon verächtlich. "Wer braucht schon Elben?"

"Jeder, der noch einen klaren Verstand hat und sich den Blick auf die Realität nicht durch Zorn und uralte Vorurteile verstellen lässt", entgegnete Maziroc scharf. "Ich weiß, dass Euer Volk und das der Elben noch nie Freunde waren, aber bei einer Bedrohung wie der durch die Damonen sollten solche kleineren Streitereien keine Rolle spielen. Ohne die Hilfe Eibon Bel Churios und des Alten Volkes hätten wir damals kaum den Sieg davongetragen."

Miranya konnte kaum glauben, was sie hörte. Es gab nur noch wenige Elben heutzutage, und mehr noch als zu der Zeit, in der die Damonen zum ersten Mal nach Arcana gekommen waren, wurden sie bewundert und galten als halb mythische Wesen, fast schon als Götter. Kein Mensch hätte es gewagt, so abfällig über sie zu sprechen. Anscheinend waren die Elben und die Zwerge nicht nur keine Freunde, wie Maziroc es ausgedrückt hatte. Zwischen ihnen schien stattdessen sogar offene Feindschaft zu herrschen.

"Wie dem auch sei." Barkon zuckte die Achseln. "Aber angesichts dieser Gefahr ist es umso wichtiger, dass wir so schnell wie möglich zurückkehren und die anderen warnen. Es muss eine neue Verteidigung organisiert werden und ..."

"Wichtig ist jetzt nur, dass wir so schnell wie möglich nach Therion kommen", fiel der Magier ihm ins Wort. "Wir müssen über den Luyan Dhor, noch ehe die Pässe zuschneien. Ich darf keine Einzelheiten verraten, aber möglicherweise hängt das ganze weitere Schicksal Arcanas davon ab, dass wir schnell genug nach Sharolan gelangen. Dort werden wir Hilfe finden, die wir unbedingt benötigen."

"Ausgerechnet im Ödland von Sharolan?" Barkon gab sich erst gar keine Mühe, seine Skepsis zu verhehlen.

"Ausgerechnet dort", bestätigte Maziroc. "Es ist wichtiger, als Ihr Euch vielleicht vorstellen könnt. Was ist nun? Bringt Ihr uns hin?"

Der Zwerg zögerte kurz. "Ich bezweifle stark, dass die Pässe über den Luyan Dhor überhaupt noch begehbar sind", wandte er dann ein. "Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit sind sie längst zugeschneit."

"Das wird sich zeigen, wenn wir dort sind." Mazirocs Tonfall machte seine Entschlossenheit deutlich. "Wir müssen es auf jeden Fall versuchen. Notfalls auch ohne Eure Hilfe. Zu viel hängt davon ab."

Wieder schwieg der Zwerg eine Weile. Miranya wagte kaum, sich zu rühren. Sie meinte, die Spannung fast greifbar spüren zu können, die in der Luft lag. Die Sekunden schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen. Ihr war überdeutlich bewusst, dass eine Fortführung ihrer Mission fast nur von Barkons Antwort abhing. Ohne seine Hilfe hatten sie so gut wie keine Chance mehr.

"Also gut", verkündete er schließlich. "Wenn es sich so verhält, wie Ihr gesagt habt, werden wir Euch sicher nach Therion geleiten. Aber dafür erwarte ich, dass Ihr uns mehr darüber erzählt, welche Art von Hilfe ihr dort zu finden glaubt."

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