Читать книгу Zur Existenz und Nichtexistenz des Bösen - Frank Reinecke - Страница 5
Die Macht der Gedanken
ОглавлениеDennoch suchen wir nach Erklärungen für verstörende Ereignisse und Taten, von denen wir in Zusammenhang mit menschlichen Abgründen wie Missbrauch, Folter und Gewalt in jeglicher Ausprägung oder gar Mord erfahren. In der täglichen, medialen Berichterstattung werden wir mit Gräueltaten und anderen Schreckensmeldungen konfrontiert. Damit wir grausame Erlebnisse und Meldungen überhaupt verarbeiten können, kann uns das vermeintlich Böse als Adressat, Ursache oder Grund in der Auseinandersetzung mit Schmerz, Leid und schrecklichen Geschehnissen aber auch helfen. Dies geschieht indem Menschen durch das Böse angstvolle und traumatisierende Erfahrungen, das unfassbar Grauenvolle und das uns Fremde in unserem Leben überhaupt erst akzeptieren und annehmen können. Da das (un-)scheinbar Böse draußen in der Welt sein Unwesen treibt und sich im persönlichen Umfeld weniger zeigt, können sich Menschen auch entscheiden, ob sie sich in diese Welt begeben oder das Böse durch eine imaginäre Grenze für sich berechenbar und operationalisierbar machen. Durch diese differenzierte Sichtweise verliert das Böse nicht nur den persönlichen Bezug zum einzelnen Menschen, es kann auch besser in ein Wertesystem implementiert und als Gedankenkonstrukt relativiert werden. „ Das Böse seinerseits erscheint oft als das Andere, als das Fremde schlechthin, als das, was so anders ist, dass man sich damit gar nicht identifizieren kann (Erdheim 1994).“ Als ein Konstrukt unserer Gedanken geben wir dem Bösen in unserem Bewusstsein einen Raum, den es in den Augen anderer Menschen sowie im realen Leben tatsächlich nicht einnimmt. Wir erschaffen uns eine Perspektive, aus der wir bspw. eine vermeintliche böse Tat auch tatsächlich als böse Tat bewerten. Wir entwickeln unsere Theorien über das Böse, die wir durch Argumente untermauern, sie gegenüber anderen Menschen kommunizieren und mögliche Erscheinungsformen des Bösen, wenn nötig, auch verteidigen. Von der Entwicklung einer Vorstellung hin zu ihrer Bewertung bis zum abschließenden Urteil – der Existenz oder Nichtexistenz des Bösen.