Читать книгу Mongolei – Gesichter eines Landes - Frank Riedinger - Страница 9
Die Legende: „Weiße Tara“
ОглавлениеAls Buddha das schwere Leben der Menschen sah, brach er in Tränen aus. Aus den 21 Tränen entstanden die 21 weiblichen Taras. Die Taras sind allesamt von gutem Wesen. Sie symbolisieren die Menschlichkeit. Alle 20 Taras sitzen im offenen Schneidersitz, damit sie schnell aufstehen können, falls ein Mensch ihre Hilfe benötigt. Nur die weiße Tara sitzt im geschlossenen Schneidersitz, da sie Augen in den Fußsohlen und in den Handflächen hat um die Menschen zu beobachten und zu beschützen.
Vor langer Zeit lebte ein älteres Ehepaar, das nur einen Sohn hatte. Als dessen Vater plötzlich starb, begab sich der Sohn in die Fremde, um dort zu lernen. „Geh mein Sohn, und lerne, solange ich noch lebe“, sagte die Mutter. „Ich werde auf dich warten, und bring mir bitte bei deiner Rückkehr eine weiße Tara mit“, sagte sie weiter. Der Junge ging nach Tibet, lernte sehr viel und erlangte die Erleuchtung. Er lebte glücklich und vergaß dabei völlig seine Mutter. Bei seiner Rückkehr im Herbst wusste er nicht, wo er sie finden könne, da sie vielleicht bereits in das Winterlager umgezogen sei. Er wusste auch nicht, wie sie nach den langen Jahren aussähe. Er hatte Angst, sie nicht wieder zu erkennen. Plötzlich erinnerte er sich wieder an die Bitte seiner Mutter, und er überlegte was er machen könne, da er ja keine weiße Tara mit sich trug. Er hob einen weißen Stein vom Boden auf und wickelte ihn in ein Khadag (blaues mongolisches Gebetstuch) ein. Als er seine Mutter dann gefunden hatte, fragte diese ihn, ob er in Tibet auch viel gelernt und ob er ihren Wunsch erfüllt habe. Daraufhin erwiderte der Sohn, er habe im fremden Land viel gelernt, und er habe ihr auch eine weiße Tara mitgebracht. Er bat sie aber, diese nicht auszupacken und immer im Khadag aufzubewahren. Seine Mutter betete drei Jahre lang jeden Tag vor dem eingewickelten weißen Stein in der Hoffnung, dass es eine weiße Tara sei. Als die Mutter achtzig Jahre alt wurde, fühlte sie, dass ihre Zeit gekommen sei um zu sterben. Sie bat ihren Sohn, die weiße Tara ansehen zu dürfen. Der Junge wusste keinen Ausweg und er packte den weißen Stein aus. Dieser war aber im Lauf der Jahre über tatsächlich zu einer weißen Tara geworden. Der feste Glauben seiner Mutter an ihren Sohn hatte den weißen Stein in eine weiße Tara verwandelt.