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3. Der Sturm

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Als Philipp den Speiseraum betrat, saßen seine Eltern und Schwestern bereits am Tisch. Er setzte sich schnell zu ihnen. Es gab einen leichten Imbiss, der nach dem Strandaufenthalt genau das Richtige war. Nur Philipp aß mit wenig Appetit. Er musste zuerst die vorangegangene Enttäuschung verdauen. Nach dem Essen gingen alle Gäste wieder hinaus an den Strand. Schon eine halbe Stunde später mussten sie aber zum Haus zurückkehren, da sich dicke Wolken vor die Sonne geschoben hatten und es zu kühl für den Strand wurde.

Philipp fühlte sich bestätigt: „Ich habe es ja gleich gewusst. Hier ist das Wetter viel zu unbeständig. Wir hätten doch ins Ausland fahren sollen.“

Herr Petersen schaute auf den Himmel und sagte: „Da braut sich ganz schön was zusammen. Es kommt heute noch mächtig was auf uns zu. Das geht schnell hier an der See. Dafür bleibt das Wetter nie lange schlecht. Morgen scheint die Sonne wieder.“

„Na, hoffentlich“, brummte Philipp.

„Kannst ’nem alten Seebär ruhig glauben“, entgegnete Herr Petersen freundlich.

Die Feriengäste beschäftigten sich bis zum Abend im Aufenthaltsraum. Philipp las sein Buch weiter und nahm von den anderen keinerlei Notiz. Draußen fing es heftig zu stürmen an. Der Wind heulte nur so ums Haus und der Regen prasselte an die Fensterscheiben. Zum Abendessen wurde tatsächlich der Fisch serviert, der nun schmackhaft zubereitet war. Philipp aß ihn mit großem Appetit. Immerhin war das Essen hier gut. Das war für Philipp aber auch das einzige Erfreuliche bei dieser Urlaubsreise.

Nach dem Abendessen veranstaltete Herr Petersen mit seinen Gästen einen bunten Willkommensabend. Für die Erwachsenen gab es steifen Grog zu trinken und die Kinder bekamen Kinderpunsch. Frau Petersen kam auch dazu. Sie arbeitete tagsüber bei einer Reederei und kam abends meist erst spät nach Hause.

Um seine Gäste zu unterhalten, stellte sich Herr Petersen in die Mitte des Raumes und begann mit seiner rauen, dunklen Stimme zu erzählen. Früher war er selbst als Fischer zur See gefahren, aber die harte körperliche Arbeit bei Wind und Wetter schadete seiner Gesundheit und er konnte nicht länger diesen anstrengenden Beruf ausüben. Daher verkaufte er seinen Anteil an dem Fischkutter und übernahm davon die Pension, die er nun bewirtschaftete. Nach diesen einleitenden Worten fing Herr Petersen an, richtiges Seemannsgarn zu spinnen. Er erzählte die unglaublichsten Geschichten vom Klabautermann und von Seeungeheuern. Wenn es besonders gruselig wurde, flüchteten sich Mimmi und Lenni auf den Schoß ihrer Eltern. Die beiden Kleinen waren es aber auch, die am lautesten lachten, wenn die Geschichten doch ein lustiges Ende nahmen.

Philipp hatte zunächst gar nicht bemerkt, dass Wibke inzwischen den Raum betreten hatte. Sie holte ein Schifferklavier hervor und spielte darauf. Philipp bewunderte Wibke, wie geschickt ihre kräftigen Finger dabei über die Tasten und Knöpfe glitten. Er selbst konnte kein Instrument spielen und war immer fasziniert, wenn andere Kinder darin so geübt waren. Ihr Vater sang dazu Seemannslieder. Alle waren in ausgelassener Stimmung und vergaßen dabei, dass draußen der Sturm tobte. Auch Philipp war nicht mehr ganz so trübsinnig. Immerhin erinnerte ihn dies hier an die bunten Abende, wie sie in den großen Ferienparadiesen veranstaltet wurden.

Es wurde spät. Mimmi war bereits in den Armen ihres Vaters eingeschlafen und Lenni schlief auch schon auf dem Schoß seiner Mutter. Philipp ging in sein Zimmer und fiel ins Bett. Er ließ sich weder von seiner Schwester noch von dem brausenden Sturm beim Schlafen stören.

Tatsächlich hatte sich der schwere Sturm über Nacht gelegt und am nächsten Morgen schien die Sonne wieder. Trotzdem wehte noch ein leichter Wind und die Luft war zu kühl, um am Strand baden zu gehen.

Als alle Gäste im Speiseraum beim Frühstück versammelt waren, kam Wibke herein und stellte sich mitten in den Raum.

Mit lauter Stimme verkündete sie: „Heute Nacht hatten wir einen kräftigen Sturm. Bei so einem Sturm wird besonders viel Treibgut angespült. Wer von den Kindern mag nach dem Frühstück mit mir zum Strand kommen und sich dort umsehen?“

Sofort waren alle Kinder bereit. Selbst Hans-Georg wollte freiwillig mitkommen. Philipp überlegte, da er sich für so eine Kinderveranstaltung zu alt fühlte. Ihm fiel jedoch nichts Besseres ein, so dass er sich anschloss.

Die Kinder trafen sich nach dem Frühstück vor dem Haus mit Wibke und machten sich gemeinsam mit ihr auf den Weg zum Strand. Wibke hatte ihre Latzhose bis über die Knie hochgekrempelt und trug einen dicken, warmen Troyer. Philipp hatte sich über seine Shorts noch eine winddichte Jacke gezogen. Josephine trug wieder ihr Strandkleid und darüber eine dicke Strickjacke. Auch die anderen Kinder hatten sich ebenfalls entsprechend gekleidet. Alle waren barfuß, nur Hans-Georg trug als einziger Gummistiefel. So liefen sie zum Strand hinunter.

Im Gänsemarsch gingen die Kinder hinter Wibke her am Spülsaum entlang. Der Sturm hatte Unmengen an Seetang angespült. Dazwischen lagen viele Kunststoffabfälle verstreut, die von den Schiffen in die See gekippt worden waren.

„Igitt, was soll das denn?“, sagte Isabelle angewidert dazu.

Wibke bestätigte sie: „Ja, das ist eine ganz üble Schweinerei, was alles ins Meer geworfen wird.“

Sie sammelte den Müll in eine große Tüte, um den Strand sauber zu halten.

Dazu sagte sie: „Hier macht keine Kurverwaltung sauber, wie am öffentlichen Badestrand. Hier müssen wir schon selbst für Ordnung sorgen.“

Die Kinderschar ging langsam weiter. Mimmi und Lenni hatten in ihre Eimerchen schon viele Muschelschalen eingesammelt.

Plötzlich rief Mimmi: „Schaut mal, was ich hier gefunden habe!“

In ihrer kleinen Hand hielt sie einen Seestern, der gerade so groß war, dass er ihre Handfläche bedeckte.

Wibke erklärte: „Die findet man nur selten am Strand. Normalerweise leben Seesterne in etwas tieferem Wasser. Nach einem kräftigen Sturm können sie schon mal angespült werden.“

Mimmi lachte: „Das kitzelt lustig in meiner Hand.“

Wibke lächelte und sagte: „Das sind seine kleinen Saugfüße, was da kitzelt.“

Sie drehte den Seestern um, damit alle Kinder die Füßchen sehen konnten.

Nun wollten alle den kleinen Seestern anfassen und in die Hand nehmen. Wibke reichte ihn weiter. Auch Philipp nahm ihn. Nur Hans-Georg weigerte sich, das Tier zu berühren. Wibke nahm den Seestern und packte Hans-Georg fest am Arm.

Hans-Georg wollte schreien, aber Wibke sagte sanft zu ihm: „Das ist doch nur ein kleines Tier. Das tu dir nichts.“

Dann setzte sie den Seestern auf seinen Handrücken. Es war deutlich zu erkennen, wie sehr Hans-Georg mit seiner Angst kämpfte, aber solange Wibke seine Hand hielt, blieb er ruhig. Anschließend legte Wibke den Seestern zurück ins Wasser.

Mimmi und Lenni maulten: „Können wir den nicht behalten? Der ist so niedlich.“

Wibke lachte: „Nein, der gehört ins Meer. Dort fühlt sich der kleine Seestern viel wohler.“

Sie trotteten weiter immer mit den Augen am Boden, um nach etwas Interessantem zu suchen. Der Wind, der immer noch deutlich spürbar wehte, ließ die Wellen an den Strand branden. Regelmäßig umspülte das Wasser ihre Füße, um anschließend wieder zurück ins Meer zu gleiten und den Blick auf den Sand freizugeben. Das Wasser war im Gegensatz zur Luft ganz warm. Wibke hob ein Stück Seetang auf und zeigte den Kindern, dass sich in den Blättern Gasblasen befanden, die dem Tang Auftrieb gaben. Sie drückte auf eine Blase, die mit einem kleinen Knall zerplatzte. Daraufhin probierten alle Kinder, auch eine Tangblase platzen zu lassen. Selbst Hans-Georg machte mit. Die Kinder waren allesamt begeistert. Sie schwatzten fröhlich miteinander und lachten. Dabei hielt Wibke keine wissenschaftlichen Vorträge, sondern vermittelte den Kindern nur das, was jemand von ganz alleine lernt, wenn er in dieser Gegend aufwächst.

Kurz darauf bückte sich Wibke abermals und hob einen kleinen Kieselstein auf. In der Sonne glänzte der Stein honigfarben.

Wibke sagte dazu: „Das ist ein Bernstein. Spürt mal, wie leicht der ist. Der fasst sich anders an als andere Steine. Bernstein fühlt sich irgendwie weicher an.“

Sie gab den Stein herum, so dass jedes Kind ihn in die Hand nehmen konnte.

Mimmi wollte wissen: „Ist der wertvoll?“

Wibke antwortete: „Na ja, ein bisschen schon.“

Nun fingen alle Kinder damit an, nach Bernstein zu suchen. Immer wieder brachten sie vermeintliche Funde zu Wibke und zeigten sie ihr. Es waren aber allesamt normale Strandkiesel. Nur Isabelle fand ein kleines Stückchen echten Bernstein, das nicht viel größer als eine Erbse war. Schließlich entdeckte Philipp einen Stein, der ebenfalls honigfarben in der Sonne leuchtete. Er reichte ihn zu Wibke. Die nahm ihn in die Hand und befühlte ihn.

Dann hielt sie ihn ins Licht und meinte: „Das ist eine Glasscherbe, die im Laufe der Zeit von den Wellen auf dem Sand ganz glatt geschliffen worden ist. Vermutlich stammt die von einer braunen Bierflasche. Die ist nichts wert. Manche Leute sammeln sie aber trotzdem, weil sie so schön aussehen.“

Wibke gab Philipp die Glasscherbe zurück.

Er wollte sie gerade wieder ins Wasser werfen, als Josephine ihn fragte: „Magst du sie mir geben, Philipp? Ich finde sie schön.“

Philipp gab ihr wortlos die Scherbe.

„Danke“, sagte das Mädchen und gab ihm hastig einen Kuss auf seine Wange.

Philipp sprang erschrocken einen Schritt zurück und schrie: „Lass das!“

Er rieb sich angeekelt seine Wange.

Josephine erwiderte empört: „Nun hab dich nicht so wegen so einem kleinen ‚Bussi‘. Es wird dich schon nicht gleich umbringen. Ich hab nur danke sagen wollen.“

Zu allem Überfluss fing Mimmi auch noch zu rufen: „Philipp ist verliebt. Philipp ist verliebt.“

Philipp holte nach Mimmi aus, traf sie aber nicht, da sie schon längst auf der Flucht vor ihrem Bruder war. Zwar hielt Philipp sich selbst für einen friedfertigen Menschen, der niemals gegenüber anderen Menschen gewalttätig wurde und schon gar keine Mädchen schlug, aber bei seinen Schwestern machte er in seiner Meinung nach begründeten Fällen schon mal eine Ausnahme.

Mimmi rannte im Kreis um die anderen Kinder herum und rief dabei immerzu: „Philipp ist verliebt. Philipp ist verliebt.“

Philipp war das Ganze überaus peinlich. Er verzichtete jedoch darauf, seine kleine Schwester zu verfolgen, da er nicht noch mehr Aufsehen in dieser für ihn unangenehmen Angelegenheit erregen wollte.

Glücklicherweise sorgte Hans-Georg in diesem Moment für Ablenkung.

Er schrie aus Leibeskräften: „Hilfe, ich ertrinke. So helft mir doch! Rettet mich!“

Als sich die Kinder nach ihm umdrehten, sahen sie, dass er im knöcheltiefen Wasser stand und voller Panik mit seinen Armen in der Luft ruderte. Zuerst wussten die anderen Kinder gar nicht, weshalb der Junge so außer sich war. Doch schließlich entdeckten sie, was Hans-Georg so in Aufregung versetzte. Er war einer etwas höheren Welle nicht rechtzeitig genug ausgewichen, so dass Wasser in einen seiner Gummistiefel geschwappt war. Er traute sich nun nicht mehr, sich zu bewegen, und schrie um Hilfe. Wibke ging zu ihm und ergriff seinen Arm. Dann zerrte sie ihn aus dem Wasser ins Trockene. Hans-Georg zog sein Bein nach und humpelte dabei, da er mit dem nassen Fuß nicht richtig gehen mochte.

Wibke zog ihm seinen Gummistiefel aus und kippte einen großen Schwall Wasser daraus auf den Sand. Anschließend zog sie ihm auch den nassen Socken aus und wrang ihn aus. Danach steckte sie den Socken in den Gummistiefel und drückte Hans-Georg beides zusammen in die Hand.

Dazu sagte sie: „Am besten ziehst du den anderen auch noch aus, damit du besser gehen kannst.“

Hans-Georg protestierte: „Aber dann beißen mich doch die wilden Tiere. Kein Stück gehe ich ohne Stiefel.“

Wibke ließ sich nicht beeindrucken: „Mach, wie du willst.“

Widerstrebend zog Hans-Georg nun auch seinen anderen Stiefel und Socken aus und krempelte seine lange Hose hoch. Er folgte mit seinen Gummistiefeln in der Hand den anderen Kindern. Dabei schrie er öfters kurz auf, wenn er auf ein Steinchen trat.

Wibke zeigten den Kindern noch einige weitere interessante Dinge. Obwohl sie keine ausgebildete Animateurin war, schaffte sie es mit ihrer ansprechenden Art, alle Kinder in ihren Bann zu ziehen. Selbst Philipp vergaß für einige Zeit, Trübsal zu blasen. Er bemerkte, dass Josephine mehrmals seine Nähe suchte, während er sich bemühte, ihr aus dem Weg zu gehen. Es war bereits kurz vor Mittag, als die Kinder in die Pension zurückkehrten. Aufgeregt zeigten sie ihren Eltern ihre Funde und berichteten ausführlich über ihre Entdeckungen. Hans-Georg ließ sich wegen seiner nassen Füße von seiner Mutter trösten.

Am Nachmittag hatte es die Sonne endlich geschafft, die Luft zu erwärmen. Der Wind hatte sich weiterhin abgeschwächt, so dass nur noch ein leichtes Lüftchen wehte. Die Gäste gingen wieder an den Strand. Philipp legte sich auf sein Badehandtuch und las weiter in seinem Abenteuerroman. Er war froh, dass sich seine Schwester Isabelle und Josephine irgendwie miteinander beschäftigten. So kam er immerhin in Ruhe zum Lesen.

Er hatte gerade ein Kapitel beendet und blickte von den Seiten auf, als er sah, dass Wibke vom Haus her in Richtung auf das Wasser lief. Sie trug einen einteiligen Badeanzug, wie ihn Sportlerinnen tragen. Nun konnte Philipp sehr viel besser erkennen, dass sie tatsächlich ein Mädchen war. Ihr weiter Pullover hatte das bisher vollständig verborgen.

Als sie an ihm vorbeilief, rief er ihr zu: „Hallo Wibke, willst du schwimmen?“

Sie stoppte kurz und antwortete: „Ja klar, wonach sieht es denn sonst aus?“

Philipp fragte: „Darf ich mitkommen?“

Wibke erwiderte: „Selbstverständlich gerne, aber ich plansche nicht nur herum, sondern möchte eine richtige Strecke schwimmen.“

Philipp gab zurück: „Okay, ich auch. Ich bin dabei.“

Blitzschnell sprang er auf und lief hinter Wibke ins Wasser.

Sie schwammen beide mit kraftvollen Zügen weit aufs Meer hinaus. Erst als das Land kaum noch zu sehen war, hielten sie an.

Wibke sagte anerkennend: „Du bist ein guter Schwimmer, Philipp.“

Philipp antwortete stolz: „Ich habe früher im Verein trainiert. Du bist aber auch nicht schlecht, Wibke.“

Wibke lachte und sagte: „Dann wollen wir mal sehen, wer besser ist. Wer zuerst wieder an Land ist!“

„Einverstanden“, rief Philipp, „na, dann los!“

Sie schwammen, so schnell sie konnten, wieder zurück zum Land. Dabei lagen sie nahezu gleichauf. Fast gleichzeitig erreichten sie den Strand, so dass keiner entscheiden konnte, wer von beiden Schwimmern zuerst angekommen war. Sie einigten sich auf ein Unentschieden.

Die beiden mussten zuerst tief durchatmen.

Dann sagte Wibke erschöpft: „Das tat gut. Es hat mir Spaß gemacht, mit dir zu schwimmen. Jetzt muss ich aber wieder ins Haus, meinem Vater helfen.“

Philipp fragte: „Du arbeitest die gesamten Ferien in der Pension deines Vaters? Verreist ihr gar nicht? Unternimmst du auch nichts anderes?“

Wibke lächelte und antwortete: „Es macht mir Spaß. Für mich ist es Abwechselung genug, wenn ich hier mit unseren Gästen etwas unternehmen kann. Mehr brauche ich nicht. Außerdem kann ich auf diese Weise mein ohnehin viel zu knappes Taschengeld etwas aufbessern. Während der Ferienzeit schafft es mein Vater nicht, alleine die Pension zu bewirtschaften. Eine Hilfskraft können wir uns nicht leisten. Daher ist er ganz froh, wenn ich ihm helfe.“

Philipp hatte in seinen Leben bisher noch nicht gearbeitet. Er hatte auch nie die Notwendigkeit dazu gesehen, da ihm seine Eltern immer ausreichend Taschengeld gaben und auch sonst versorgten. Nun sah er aber ein, dass dies keinesfalls selbstverständlich war.

Philipp sagte nachdenklich: „Das kann ich verstehen.“

Wibke fuhr fort: „Später werde ich vielleicht Touristik studieren. Dabei kann ich die praktischen Erfahrungen sicherlich gut gebrauchen, die ich hier sammeln kann. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit.“

Philipp fragte: „Wie alt bist du denn?“

Wibke antwortete: „Vierzehn, eigentlich schon vierzehn ein halb.“

Philipp sagte: „In zwei Monaten werde ich auch vierzehn.“

Wibke unterbrach: „So, wir haben genug erzählt. Ich muss schnell in die Küche, sonst bekommst du heute kein Abendessen. Bis nachher.“

Mit diesen Worten wendete sich Wibke ab und lief zum Haus zurück.

Das Abendessen, das Wibke zusammen mit ihrem Vater zubereitet hatte, schmeckte wieder einmal vorzüglich. Die frische Seeluft, die Eindrücke des Tages und nicht zuletzt das reichliche Mahl hatten alle müde gemacht. Philipp ging mit seiner Schwester Isabelle in das gemeinsame Zimmer. Sie wollten sich für die Nacht fertig machen und früh schlafen gehen. Isabelle verließ das Zimmer wie an den beiden Tagen zuvor, da sie sich im Badezimmer umziehen wollte. Jedoch kehrte sie kurz darauf unverrichteter Dinge zurück.

Philipp wunderte sich darüber.

Isabelle beschwerte sich: „Das Badezimmer ist besetzt. Da komme ich in der nächsten Zeit nicht hinein. Deine Freundin nimmt gerade ein ausgiebiges Bad.“

Erstaunt fragte Philipp: „Welche Freundin?“

Isabelle antwortete: „Ich meine Josephine.“

Philipp war überrascht: „Wie kommst du denn darauf? Josephine ist doch nicht meine Freundin.“

Isabelle entgegnete gelassen: „Es ist sehr offensichtlich. Sie will was von dir. Alle haben es schon bemerkt. Selbst deine kleine Schwester Mimmi ahnt es.“

Philipp beschwichtigte: „Völliger Unsinn. Josephine ist es nur langweilig wie allen hier. Daher sucht sie eben nach Abwechselung. Du könntest mit ihr ja etwas unternehmen, so typische Mädchensachen eben.“

Isabelle berichtete: „Das habe ich schon versucht, aber sie wollte nicht. Josephine interessiert sich lieber für Jungs. Sie hat mich nur nach dir ausgefragt. Um ehrlich zu sein, so eine große Auswahl an Jungs hat sie hier nicht und du siehst zudem recht gut aus.“

Philipp musste Isabelle recht geben, zumindest was die Auswahl betraf. Es machte ihn jedoch höchst misstrauisch, dass Josephine seine Schwester über ihn ausgefragt hatte.

Empört fragte er: „Was hast du Josephine über mich erzählt?“

Isabelle antwortete verlegen: „Nichts, nichts Besonderes jedenfalls.“

Philipp kannte seine Schwester besser und wusste, wie gerne sie alles herumerzählte. Er musste nun davon ausgehen, dass Josephine sämtliche peinlichen Einzelheiten über ihn wusste.

Um jeglichen Verdacht von sich abzuwehren, sagte er: „Ich finde Josephine sehr aufdringlich. Das ist richtig lästig.“

Isabelle bestätigte: „Ja, das stimmt. Besonders zurückhaltend und feinfühlig geht sie dabei nicht gerade vor.“

Philipp fuhr fort: „Ich fange doch nicht schon jetzt etwas mit Mädchen an. Wenn ich erwachsen bin, dann nehme ich mir eine Frau. Aber bis dahin will ich erst noch spannende Abenteuer erleben.“

Isabelle schüttelte den Kopf: „Ihr Jungs seid fürchterliche Spätentwickler. Du wirst bald vierzehn. Es wird so langsam Zeit für dich. Wir Mädels sind da viel weiter. Bei mir in der Klasse haben einige Mädchen sogar schon einen Freund.“

Entsetzt fragte Philipp: „Was? Du etwa auch?“

Isabelle blieb ruhig: „Nein, ich noch nicht. Aber da gibt es einige Jungen, die könnten mir schon gefallen.“

Philipp hakte nach: „Aus deiner Klasse?“

Isabelle antwortete: „Nein, ältere. Ich habe doch schon gesagt, dass mit Jungs in meinem Alter noch nicht so viel los ist.“

Philipp fragte weiter: „Wie alt wären denn die, für die du dich interessierst?“

Isabelle sagte verschämt: „Etwa so alt wie du.“

Philipp war völlig verstört, auf diese Weise vom Liebesleben seiner jüngeren Schwester zu erfahren und fragte: „Bist du dafür nicht noch zu jung?“

Isabelle protestierte: „Immerhin werde ich in drei Monaten zwölf.“

Philipp wechselte das Thema: „Wie findest du Wibke?“

Isabelle antwortete: „Ich finde sie sehr nett. Sie unternimmt interessante Dinge mit uns und es macht viel Spaß mit ihr.“

Philipp fuhr fort: „Mit der könnte man sicherlich viele spannende Sachen erleben, wenn sie ein Junge wäre.“

Isabelle verstand ihren Bruder nicht: „Wieso muss sie dazu ein Junge sein? Weshalb geht das nicht, wenn sie ein Mädchen ist?“

Philipp sagte: „Na ja, du weißt doch selbst, wie Mädchen so sind. Das geht eben nicht.“

Isabelle wurde etwas böse: „Wieso nicht? Ich weiß nicht was du meinst.“

Philipp wusste nicht, wie er es seiner Schwester erklären sollte: „Mädchen sind, sind da anders, na ja, sie sind eben keine Jungs.“

Isabelle schaute ihren Bruder nur böse an und sagte nichts.

Nach einer Weile sprach Philipp weiter: „Außerdem kümmert sich Wibke fast nur um das Muttersöhnchen Hans-Georg Schatzi. Mit dem kann man auch nichts Aufregendes anstellen.“

Isabelle schmunzelte: „Höre ich da etwa Eifersucht heraus?“

Philipp wurde wütend: „Ich, eifersüchtig? Wieso denn?“

Nun wechselte Isabelle das Thema: „Wie lange dauert das denn? Ist Josephine in der Badewanne ertrunken?“

Philipp fragte: „Sie ist doch schon den ganzen Nachmittag im Meer geschwommen. Was macht sie jetzt noch so lange in der Wanne?“

Isabelle vermutete: „Vielleicht dauert es so lange, bis sie sich das Salzwasser aus ihren langen Haaren gespült hat.“

Philipp sagte ärgerlich: „Da können wir ja ewig warten. Ich bin müde und will endlich ins Bett.“

Isabelle schlug vor: „Ich auch. Wir müssen uns wohl doch beide hier umziehen.“

Philipp forderte: „Dann dreh dich aber um. Wehe, du siehst mir dabei zu.“

Isabelle fand das übertrieben: „Stell dich nicht so an. Bis vor einem Jahr haben wir zusammen in der Badewanne gesessen. So viel wird es schon nicht zu sehen geben.“

Philipp erwiderte: „Das war vor fast zwei Jahren. Inzwischen bin ich älter geworden. Also drehe dich gefälligst um.“

Sie wandten sich von einander ab und begannen sich umzuziehen. Isabelle zog ihr Sommerkleid und den Badeanzug aus.

Ohne sie anzusehen, sagte Philipp: „Ich glaube, du bekommst schon einen Busen.“

Isabelle fuhr erschrocken zusammen. Hastig streifte sie sich daraufhin ihr Nachthemd über, um den vermeintlichen Blicken ihres Bruders zu entgehen.

Wütend schrie sie dabei: „Du Blödmann. Du hast doch geguckt.“

Philipp, der gar kein Interesse daran hatte, seine Schwester beim Umkleiden zu beobachten, hatte sich selbst inzwischen schon seinen kurzen Schlafanzug angezogen.

Ruhig antwortete er: „Nein, habe ich nicht. Ich habe bloß drauflos geraten. Aber ich scheine ja richtig zu liegen. Außerdem, wer hatte behauptet, dass es nicht viel zu sehen gibt?“

Statt eine Antwort von seiner Schwester zu erhalten, flog ihm in diesem Moment Isabelles Kopfkissen an den Hinterkopf. Er warf es zurück und schon war die schönste Kissenschlacht im vollen Gange. Nach einiger Zeit waren beide völlig abgekämpft und legten sich hin. Bevor sie einschliefen, hörten sie noch, wie sich die Badezimmertür öffnete, Josephine über den Flur ging und im Zimmer gegenüber verschwand.

Philipps Entscheidung

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