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4. Die Seefahrt
ОглавлениеAm nächsten Morgen stand Wibke wieder beim Frühstück mitten im Speiseraum und hatte eine Ankündigung zu machen.
Sie sprach zu den Gästen: „Der Wind hat ein wenig aufgefrischt. Das wäre das ideale Wetter für einen kleinen Segeltörn. Diejenigen Kinder, die mit mir im Segelboot fahren wollen, treffen sich nach dem Frühstück mit mir vor dem Haus.“
Alle Kinder wollten mitmachen. Auch Hans-Georg war mit dabei.
Seine Mutter fragte ängstlich: „Ist das nicht viel zu gefährlich für meinen Schatzi?“
Nun meldete sich Herr Petersen zu Wort: „Meine Tochter konnte schon segeln, als sie ein ganz kleines Kind war. Auf Wibke ist Verlass. Sie kann das. Bei der letzten Regatta hat sie in ihrer Klasse sogar den zweiten Platz belegt. Spätestens bis Mittag haben Sie Ihren Sohn wohlbehalten zurück.“
Nun war auch Hans-Georgs Mutter einverstanden.
Die Kinder liefen mit Wibke zu einer kleinen Einbuchtung, die etwas abseits vom Badestrand lag. Dort hatte Wibke das Boot schon vorbereitet. Es war ein kleines, offenes Segelboot. Die Kinder hatten sich alle ihre Badesachen angezogen und trugen darüber ein Shirt oder Top zum Schutz gegen den Wind und die Sonne. Selbst Hans-Georg war einigermaßen passend gekleidet. Er hatte einen einteiligen Herrenbadeanzug angezogen und trug dazu eine leichte Sommerjacke. Er war allerdings der einzige unter den Kindern, der Schuhe an hatte.
Wibke forderte ihn freundlich auf: „Hans-Georg, zieh bitte die Schuhe aus. Mit Schuhen geht es nicht an Bord. Du zerkratzt mir sonst das ganze Deck.“
Hans-Georg weigerte sich zuerst, aber Wibke schaute ihn nur streng an. Widerwillig zog er sich daraufhin seine Schuhe aus.
Dann verteilte Wibke Schwimmwesten an die Kinder und half ihnen beim Anlegen. Sie selbst legte sich auch eine Schwimmweste an.
Nur Philipp protestierte: „Ich ziehe doch keine Schwimmweste an. Das ist etwas für Kinder.“
Wibke sagte freundlich: „Los, Philipp, nun mach schon. Es ist doch zu deinem eigenen Schutz.“
Philipp blieb stur: „Wibke, du weißt, dass ich ein sehr guter Schwimmer bin. Ich brauch so etwas nicht.“
Wibke wurde deutlich: „Ich bin auch eine gute Schwimmerin und ziehe mir trotzdem eine Schwimmweste an. Hier an Bord des Bootes habe ich das Sagen. Wenn du keine Schwimmweste anziehen willst, dann nehme ich dich nicht mit. Dann kannst du hierbleiben.“
Schmollend legte sich Philipp die Schwimmweste doch an. Er war wütend auf Wibke, da er sich vor den anderen Kindern wieder einmal blamiert hatte.
Mit vereinten Kräften schoben die Kinder unter Anleitung von Wibke das Boot vom Strand ins flache Wasser.
Bevor sie einstiegen, verteilte Wibke die Aufgaben: „Hans-Georg geht ans Ruder und steuert das Boot.“
Philipp widersprach ihr wütend: „Was, diese Landratte willst du ans Steuer lassen? Kann ich das nicht lieber machen?“
Wibke schaute Philipp böse an und sagte ruhig zu ihm: „Selbstverständlich bin ich mir sicher, dass Hans-Georg das kann. Glaubst du etwa, nur weil du in Hamburg wohnst, dass du besser ein Segelboot steuern kannst? Außerdem brauche ich dich als Vorschoter. Das ist auch eine sehr wichtige Aufgabe.“
Philipp musste Wibke recht geben. Von der Schifffahrt selbst hatte er nicht viel Ahnung, obwohl er in der Nähe eines der größten Seehäfen der Welt wohnte. Zwar wusste er, wo Steuerbord und Backbord waren, und konnte auch einen Öltanker von einem Stückgutfrachter unterscheiden, aber wie man mit einem Segelboot fuhr, hatte er nie gelernt.
Zu Isabelle und Josephine sagte Wibke: „Ihr beiden passt auf, dass die beiden Kleinen nicht über Bord gehen. Außerdem brauche ich euch als Gegengewichte. Dazu müsst ihr euch auf die Luvseite setzen. Das ist die Seite vom Boot, von der aus der Wind weht.“
Mimmi krähte: „Und was sollen Lenni und ich machen?“
Wibke schmunzelte: „Ihr beiden könnt das Kielschwein füttern.“
Lenni fragte erstaunt: „Was? Gibt es hier auf dem Boot ein kleines Schwein, ein Meerschwein?“
Wibke musste über den Witz lachen, den Lenni unabsichtlich gemacht hatte.
Sie erklärte den Kindern: „Nein, leider nicht. Das Kielschwein ist das Teil, mit dem der Mast am Kiel des Bootes befestigt ist. Es ist also gar kein Tier. Wenn man an Bord eines Schiffes Landratten auf den Arm nehmen möchte, dann schickt man sie das Kielschwein füttern.“
Die Kinder stiegen ins Boot ein. Zuerst mussten sie die Segel setzen. Wibke zeigte ihnen, wie das ging und half dabei tatkräftig mit. Dann nahmen die Kinder ihre zugewiesenen Plätze im Boot ein. Wibke selbst übernahm das Großsegel. Es wurde ganz schön eng mit sieben Personen in dem kleinen Segelboot. Ganz hinten saß Wibke mit Hans-Georg, an der Seite nahmen Isabelle und Josephine Platz und die beiden Kleinen wurden mitten ins Boot verfrachtet. Philipp saß weit vorne, da er als Vorschotmann das Vorsegel bedienen sollte. Dort war er von den übrigen Kindern ein wenig entfernt. Immerhin konnte er so etwas Abstand zu Josephine halten.
So segelten sie los. Da sie gegen den Wind fuhren, mussten sie kreuzen. Das heißt, sie mussten einen Zickzackkurs fahren. Dadurch machten sie in regelmäßigen Abständen eine Wende. Philipp bediente die Vorschot. Das war die Leine, die an der hinteren, unteren Ecke des vorderen Segels befestigt war. Mit ihr musste er das Segel richtig zum Wind stellen. Das war besonders während der Wenden schwierig. Wibke gab klare Anweisungen und Philipp versuchte, sie auszuführen. Das gelang ihm nie auf Anhieb richtig und er musste unter Wibkes Anleitung nachbessern.
Hans-Georg hielt sich krampfhaft an der Ruderpinne fest. Wibke legte ihre Hand behutsam auf seine Hände und korrigierte sanft das Steuer. Isabelle und Josephine mussten bei jeder Wende unter dem Großbaum hindurch auf die andere Seite des Bootes krabbeln, damit es dort mehr Gewicht gegen den Winddruck hatte. Es wäre vermutlich einfacher gewesen, wenn Wibke das Boot alleine gesegelt hätte, aber sie wollte alle Kinder mit einbeziehen, damit jeder seinen Spaß dabei hatte. Selbst Mimmi und Lenni hatten ihre Freude an der Bootsfahrt, obwohl sie keine Aufgaben an Bord hatten.
Philipp hätte nie gedacht, dass Segeln so anstrengend sein konnte. Er kam ganz schön ins Schwitzen. Wibke war nie ganz zufrieden mit ihm. Dennoch kam er mit seiner Aufgabe als Vorschotmann immer besser zurecht. Nach der siebten oder achten Wende musste er kaum noch korrigieren. Er gewöhnte sich daran und die Bootsfahrt fing an, auch ihm Spaß zu machen. Jedoch dann unterlief Philipp eine Unachtsamkeit, da er sich inzwischen zu sicher fühlte. Bei der nächsten Wende reagierte er zu spät auf das Kommando von Wibke. Er wurde nervös und passte nicht richtig auf. Als sich das Schiff von der einen auf die andere Seite neigte, verlor er das Gleichgewicht. Philipp versuchte sich festzuhalten, aber an dem glatten Schiffskörper fand er keinen Halt. Er rutschte ab und fiel in hohem Bogen ins Wasser.
Hier draußen weit ab vom Strand war das Wasser doch spürbar kälter. Es war für Philipp ein großer Schrecken, so völlig unvorbereitet darin einzutauchen. Jetzt war er froh, dass er eine Schwimmweste trug. Sie half ihm ganz erheblich, über Wasser zu bleiben. Wibke reagierte sofort und fuhr mit dem Boot ein Mann-Über-Bord-Manöver, wie sie es gelernt hatte. Sie drehte um und kam mit dem Segelboot fast direkt neben Philipp zum Stehen. Das war gar nicht so einfach mit einem Wasserfahrzeug, das nur vom Wind angetrieben wurde. Philipp schwamm zwei Züge zum Boot. Wibke streckte ihm ihre Hand entgegen und half ihm hineinzuklettern.
Als Philipp wieder im Boot saß, zog er sein nasses T-Shirt aus. Wibke zog sich ihren Sommerpullover aus und gab ihn Philipp, damit er nicht fror. Nun musste sich Philipp zu Mimmi und Lenni setzen. Josephine übernahm jetzt an Philipps Stelle die Vorschot. So machten sie sich wieder auf den Weg und setzten ihren Segeltörn fort.
Bei der nächsten Wende sagte Wibke voller Anerkennung zu Josephine: „Das machst du sehr gut, Josephine. Woher kannst Du das?“
Josephine antwortete: „Bei uns im Süden gibt es große Seen, auf denen man segeln kann. Mein Onkel hat ein Segelboot. Dort bin ich schon einige Male mitgesegelt.“
Wibke fuhr fort: „Warum hast du das nicht gesagt? Dann hätte ich dich gleich als Vorschotmann eingeteilt.“
Josephine lächelte zufrieden.
Philipp schmollte. Er hatte sich mit seinem unfreiwilligen Bad ein weiteres Mal vor allen blamiert und war nun zum Babysitter degradiert worden. Selbst Josephine und Hans-Georg konnten besser segeln als er. Er ärgerte sich auch über den unnötigen Streit mit Wibke über die Schwimmweste und Hans-Georg. Am liebsten wollte Philipp jetzt alleine sein, aber hier auf dem kleinen Boot konnte er sich nirgendwohin zurückziehen. Wie er so trübsinnig dasaß und grübelte, fiel ihm auf, dass Wibkes Pullover, der ihn jetzt wärmte, angenehm duftete. Es war ein merkwürdiger Geruch, der nicht zu beschreiben war. Er hielt sich den Ärmel vor die Nase und sog den Duft ein.
Sie kreuzten noch einige Male und fuhren danach mit dem Wind an Land zurück. Kurz vor Mittag erreichten sie den Strand.
Wibke sagte zu Philipp: „Am besten erzählst du niemandem, dass du über Bord gegangen bist, Philipp. Möglicherweise lässt mich mein Vater sonst nicht mehr mit euch segeln.“
Sie bat ebenfalls die anderen Kinder, nichts von Philipps Missgeschick zu erzählen.
Philipp nahm sein nasses T-Shirt und lief damit rasch in sein Zimmer. Dort wollte er trockene Kleidung anziehen, da auch seine Badehose noch etwas feucht war. Bei dem Wind auf See hatte er gar nicht bemerkt, wie schön das Wetter inzwischen geworden war. Es war sehr warm und sonnig. Daher zog er sich seine Bermudashorts und ein buntes Shirt an. Seine nassen Sachen legte er auf die Fensterbank zum Trocknen und beeilte sich, zum Essen zu gehen. Er kam gerade noch rechtzeitig zum Mittagessen in den Speiseraum. Die anderen Kinder waren bereits alle dort.
Philipps Mutter fragte besorgt: „Wieso kommst du so spät?“
„Ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen“, antwortete Philipp ausweichend.
Nach dem Essen wollte sich Philipp ausruhen. Der Vormittag auf dem Meer hatte ihn müde gemacht. Das Segeln war doch kräftezehrender, als er erwartet hatte. Dazu kam noch sein unfreiwilliges Bad in dem kühlen Wasser. Er legte sich auf sein Bett und wollte dabei Musik hören. Dafür setzte er die Kopfhörer auf und schaltete seinen Player ein. Voller Genuss schloss Philipp seine Augen. Doch was war das? Nach einem halben Musikstück ging der Player aus, weil die Batterien leer waren. Philipp suchte in seiner Reisetasche nach Ersatzbatterien. Dort fand er aber keine. Er hatte seine Tasche so hastig und unaufmerksam gepackt, dass er die Batterien vergessen hatte. Philipp ärgerte sich darüber. Da er jedoch nicht auf seine Musik verzichten wollte, beschloss er, in den Ort zu gehen und sich dort in dem kleinen Geschäft neue Batterien zu kaufen.
Philipp hatte gerade das Haus verlassen und war in den Weg zum Ort eingebogen, als er eine Stimme hinter sich rufen hörte.
Er zuckte vor Schreck zusammen, denn es war Josephine, die ihn rief: „Hallo Philipp, wohin gehst du?“
Widerwillig drehte sich Philipp zu ihr um und antwortete: „Ich gehe in den Ort, etwas einkaufen.“
Erfreut fragte Josephine: „Darf ich mitkommen, Philipp?“
Eigentlich wollte Philipp lieber allein sein, um seine Missgeschicke vom Vormittag besser verarbeiten zu können.
Daher hätte er jetzt am liebsten gesagt: ‚Nein, auf gar keinen Fall. Lass mich in Ruhe.‘
Das empfand er aber als viel zu unhöflich und so sagte er nur: „Wenn es sein muss.“
So gingen beide nebeneinander her, ohne dass Philipp das Mädchen ansah.
Josephine fragte ihn: „Warum bist du immer so garstig zu mir? Magst du mich nicht?“
Philipp wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es war nicht, dass er Josephine nicht mochte. Es war nur ihre direkte Art, die ihn nervte.
Daher sagte er die Wahrheit: „Ich mag nicht, wenn du mich so bedrängst.“
Josephine räumte ein: „Dann werde ich mich in Zukunft etwas zurückhalten.“
Mit diesen Worten rückte sie ein bisschen von ihm ab und hielt Abstand.
Philipp fuhr fort: „Außerdem hast du mich gestern am Strand vor allen lächerlich gemacht mit deinem kleinen ‚Bussi‘.“
Josephine schaute ihn betroffen an und entgegnete: „Das tut mir leid, Philipp. Das wollte ich nicht. Ich hatte es lieb gemeint.“
Philipp fügte hinzu: „Dann weiß auch ich nie, was ich mit dir reden soll. Wenn du in meiner Nähe bist, fällt mir nichts ein, was ich dir sagen kann. Das halte ich nicht aus. Das macht mich ganz verrückt.“
Nun musste Josephine lachen. Dabei leuchteten ihre dunklen Augen zwischen ihren langen dunklen Locken hervor. Philipp fragte sich erneut, wie so dunkle Augen so kräftig leuchten können.
Dann sagte das Mädchen immer noch lachend: „Das passt zu dem, was mir deine Schwester Isabelle über dich erzählt hat.“
Philipp fuhr sie wütend an: „Was hat meine Schwester über mich erzählt?“
Josephine antwortete lächelnd: „Ich hatte sie gefragt, ob du schon eine Freundin hast.“
Philipp wurde neugierig: „Und was hat sie geantwortet? Los, erzähl schon!“
Josephine fuhr immer noch lachend fort: „Sie sagte, nicht dass sie wüsste, und selbst wenn, dann wüsstest du nichts mit einer Freundin anzufangen.“
Philipp war wütend über das, was Isabelle über ihn verbreitet hatte. In seinen Gedanken malte er sich bildhaft aus, wie er seine Schwester genüsslich erwürgen würde, sobald er sie in seine Finger bekäme. Dabei hatte Isabelle sogar recht, denn Philipp wollte ja noch gar nichts mit einer Freundin anfangen. Aber musste sie das ausgerechnet diesem aufdringlichen Mädchen auf die Nase binden? Das war schließlich seine persönliche Meinung und ging niemanden etwas an. Nun da Josephine es wusste, half ihm nur die Flucht nach vorne.
Philipp gestand ein: „Na ja, damit hat meine Schwester vielleicht gar nicht so sehr unrecht. Ich fühle mich eben noch nicht bereit für eine Beziehung zu einem Mädchen.“
Josephine musste wieder lachen: „Wer denkt denn schon gleich an eine feste Beziehung? Ich dachte doch nur, dass wir vielleicht etwas Spaß miteinander haben könnten.“
„Spaß?“, warf Philipp verächtlich ein, „Spaß? Ihr Mädchen wisst doch gar nicht was Spaß überhaupt ist.“
„Ach“, gab Josephine zurück, „aber ihr Jungen wisst das wohl ganz genau. Was ist denn deiner Meinung nach Spaß?“
Philipp sprach mit leicht überheblichen Unterton: „Na ja, toben, raufen, Fußball spielen und vor allem spannende Abenteuer erleben.“
Josephine zuckte mit ihren Schultern und gab sich geschlagen: „Hmm, dann verstehe ich tatsächlich etwas anderes unter Spaß.“
Philipp fühlte sich bestätigt: „Na, siehst du. Deswegen will ich auch noch nichts von euch Mädchen.“
Josephine bemerkte, dass Philipp das Gespräch wütend gemacht hatte, und wechselte daher das Thema, um ihn auf andere Gedanken zu bringen: „Ich wollte mir im Ort ein Eis kaufen. Heute ist es schrecklich heiß. Darf ich dich dazu einladen, Philipp?“
Philipp mochte nicht so recht, da er gegenüber Josephine keinerlei Verpflichtungen eingehen wollte.
Daher zögerte er: „Ich habe gerade kein Appetit auf Eis. Wir haben doch eben erst Mittag gegessen.“
Josephine gab so schnell noch nicht auf: „Ach bitte, Philipp, du würdest mir eine riesige Freude damit machen. Betrachte es als kleines Versöhnungsangebot.“
Philipp lenkte ein: „Na gut, aber nur ein kleines Eis.“
Sie kamen in den Ort. Philipp kaufte in dem kleinen Geschäft die Batterien für seinen Player. Danach suchten sich die beiden aus einer Kühltruhe ein Eis aus. Es wurde doch jeweils ein etwas größeres Eis. Sie gingen damit zum Ladentisch und Josephine bezahlte. Als die Ladeninhaberin ihr das Wechselgeld herausgab, rutschte es Josephine aus der Hand und fiel auf den Boden. Die Münzen rollten in verschiedene Richtungen. Blitzschnell bückte sich Josephine danach. Reflexartig bückte sich gleichzeitig auch Philipp nach den Münzen. Peng! Es knallte nur so. Die beiden waren voller Wucht mit ihren Köpfen zusammengestoßen. Philipp verspürte einen schrecklichen Schmerz und sah einen Moment lang nur Sterne. Beide Kinder mussten sich erst einmal auf den Boden setzen, so benommen waren sie. Philipp war wütend auf das Mädchen und wollte mit ihr schimpfen. Dann sah er aber, dass es Josephine ebenfalls so heftig getroffen hatte wie ihn und dass Tränen über ihr hübsches Gesicht rannen. Außerdem war er selbst mindestens ebenso an dem Zusammenprall schuld wie sie.
Die Ladeninhaberin war eine ältere Dame. Der Unfall hatte sie sehr erschreckt und sie rannte nun wie ein aufgescheuchtes Huhn im Laden herum. Sie fragte die beiden, ob sie einen Arzt oder die Feuerwehr holen sollte. Die beiden winkten jedoch ab. Sie sammelten die Münzen ein und halfen sich gegenseitig beim Aufstehen. Dann nahmen sie ihr Eis vom Ladentisch und gingen hinaus. Draußen kamen sie auf die Idee und hielten sich ihr Eis an ihre schmerzende Stirn. Sie schauten sich an und mussten herzhaft lachen, obwohl das Lachen weh tat. Es muss zu komisch ausgesehen haben, wie sie beide dastanden und sich das Eis vor den Kopf hielten.
Josephine meinte: „Das hat eben ganz schön geknallt.“
Philipp entgegnete: „Ja, ich dachte, mein Kopf ist jetzt Matsch.“
Josephine fügte hinzu: „Fürchterlich wehgetan hat es mir.“
Philipp stimmte zu: „Mir auch, aber das Eis kühlt sehr schön.“
Josephine schlug vor: „Ja, es tut gut. Wir sollten aber jetzt das Eis essen, bevor es ganz schmilzt.“
In der Nähe des Ladens stand eine Bank. Dort setzten sie sich mit etwas Abstand zueinander hin und befreiten ihr Eis aus der Verpackung. Nach dem Schrecken schmeckte es besonders gut und sie aßen es mit großem Genuss.
Josephine hielt Philipp ihr Eis hin und sagte: „Willst du auch mal von meinem probieren, Philipp? Das schmeckt echt lecker.“
Philipp fand die Vorstellung unappetitlich, von einem Eis zu essen, das zuvor schon ein anderer angeleckt hatte. Das wollte er ihr aber nicht so direkt sagen, da er das Mädchen damit nicht kränken wollte.
„Nein danke, ich mag kein Erdbeer-Eis“, erwiderte er daher, obwohl er in Wirklichkeit Erdbeer-Eis gerne aß.
Sie sagte: „Ist kein Erdbeer-, ist Himbeereis.“
Philipp log weiter: „Himbeere mag ich auch nicht.“
Damit war das Problem für Philipp aber noch längst nicht erledigt.
Josephine fragte: „Darf ich mal dein Eis probieren, Philipp?“
Nun gab es keinen Ausweg mehr für Philipp. Er wollte Josephine nicht enttäuschen. Außerdem fühlte er sich ihr verpflichtet, da sie das Eis ausgegeben hatte.
Widerstrebend hielt er ihr sein Eis hin und sagte: „Gerne, hier bitte.“
Josephine umfasste mit ihren schlanken Händen sanft seine Hand. Philipp empfand diese Berührung nicht mehr so unangenehm, jetzt wo er darauf vorbereitet war.
Sie schleckte mit ihrer Zunge quer über sein Eis und schwärmte: „Lecker, Schoko-Eis.“
Dabei lachte sie freundlich, so dass ihre Augen leuchteten. Philipp fragte sich erneut, wie so dunkle Augen so sehr leuchten können. Allerdings hatte er nun keinen Appetit mehr, sein Eis zu essen, nachdem Josephine es angeleckt hatte. Philipp wusste aber, dass er es essen musste, wenn er das Mädchen nicht beleidigen wollte. Daher überwand er seinen Widerwillen und aß weiter sein Eis.
Nachdem beide ihr Eis aufgegessen hatten, fragte Josephine: „Wofür hast du dir die Batterien gekauft, Philipp?“
Philipp entgegnete: „Neugierig bist du wohl gar nicht?“
Sie antwortete frech: „Nein, wie kommst du denn darauf?“
Philipp erklärte ihr: „Ich habe die Batterien für mein Player gekauft.“
Dann holte er seinen Player aus der Hosentasche und legte die neuen Batterien ein.
Sofort wurde Josephine ungeduldig: „Was hast du für Musik drauf? Lass mal hören.“
Philipp gab ihr das eine Ohrstück von dem Kopfhörer und steckte sich das zweite Ohrstück selbst ins Ohr. Dabei mussten sie enger zusammenrücken, da das Kabel kurz war. Philipp fand es nicht schlimm, dass sich Josephine mit ihrer Schulter an ihn anlehnten, damit sie bequemer hören konnte. Dann schaltete Philipp die Musik ein. Er sah, wie sich Josephine im Rhythmus zu der Musik bewegte.
Sie sagte: „Das ist toll. Das Stück gefällt mir. Du hast einen guten Musikgeschmack, Philipp.“
Philipp fragte: „Was hörst du sonst für Musik?“
Josephine nannte ihm den Namen ihrer Lieblingsband.
„Von denen habe ich auch etwas“, freute sich Philipp und suchte auf dem Player das Musikstück heraus, das die beiden sich anschließend anhörten.
Sie hörten noch eine Weile gemeinsam Musik und brachen danach auf. Irgendwie fiel es Philipp nun leichter, sich mit Josephine zu unterhalten. Immerhin hatte er ein Thema gefunden, für das sie sich beide interessierten. Auf dem Rückweg zur Pension schlenderten sie locker nebeneinander her und erzählten sich noch einiges über die Musik, die sie gerne hörten.
Dann wechselte Josephine das Thema: „Das ist mein erster Urlaub an der See. Es gefällt mir. Ich finde es schön hier. Du warst sicherlich schon öfters an der See. Du wohnst ja fast in der Nähe.“
Philipp entgegnete: „Es ist auch mein erster Urlaub an der Ostsee. Sonst reisen wir immer weiter weg ins Ausland. Wir sind nur einige Male tagsüber an die See gefahren und abends wieder zurück. Von Hamburg aus ist es ja nicht so weit.“
Vor dem Haus begegnete ihnen Isabelle. Sie musste schmunzeln, als sie die beiden einträchtig miteinander sah. Dann fielen ihr die Beulen auf, die bei beiden deutlich an ihrer Stirn zu sehen waren.
Sie platzte heraus: „Wie seht ihr denn aus? Was habt ihr denn gemacht? Habt ihr euch gegenseitig verhauen?“
Nun mussten Philipp und Josephine laut loslachen. Die Vorstellung, dass sie sich miteinander geschlagen hätten, erschien ihnen einfach viel zu komisch. Durch das gemeinsame Lachen der beiden fühlte sich Isabelle in ihren Vermutungen bestätigt, dass sich Philipp und Josephine näher gekommen waren. Inzwischen hatte Philipp ganz vergessen, dass er seiner Schwester böse sein wollte.
Lenni kam angelaufen und umarmte Josephine. Ihm war langweilig und er wollte endlich mit seiner Schwester spielen. Philipp ging in sein Zimmer, da er noch in Ruhe etwas Musik hören wollte. Dort sah er Wibkes Pullover auf seinem Bett liegen. Er nahm den Pullover in die Hand und konnte nicht widerstehen, daran zu riechen. Der Duft des Pullovers umhüllte ihn angenehm. Philipp wollte Wibke ihren Pullover zurückgeben. Dazu ging er außen ums Haus herum zum Hintereingang. Dort klopfte er. Nach einer Weile öffnete Wibke. Sie sah verschlafen aus und ihr Haar war noch struppiger als sonst. Sie trug ein weites verwaschenes T-Shirt und dazu eine weite, kurze Sporthose. Sonst war sie barfuß.
Wibke gähnte: „Tut mir leid, dass du warten musstest. Ich habe eben etwas geschlafen. Die Seeluft hat auch mich müde gemacht.“
Philipp antwortete: „Entschuldige bitte, dass ich dich geweckt habe.“
Wibke erwiderte: „Macht nichts, ich muss sowieso aufstehen. Die Arbeit ruft.“
„Ich wollte dir nur deinen Pullover wiedergeben“, sagte Philipp und reichte ihr den Pullover.
Wibke nahm ihm das Kleidungsstück ab: „Danke!“
Philipp machte einen Schritt auf sie zu und fragte: „Darf ich reinkommen? Ich möchte dir etwas sagen, Wibke.“
Wibke versperrte ihm den Weg und sprach mit freundlicher Stimme: „Tut mir leid, Philipp, hier haben Gäste keinen Zutritt.“
Philipp wurde ganz leise: „Bitte verzeih mir, dass ich heute ins Wasser gefallen bin und den schönen Segeltörn beinahe verdorben habe.“
Wibke lächelte: „Das macht doch nichts. Das kann jedem mal passieren. Ich fand es nur sehr schade, dass du so überheblich warst.“
Philipp blickte schuldbewusst zu Boden: „Ich weiß. Darüber ärgere ich mich inzwischen auch schon.“
Wibke klopfte ihm auf die Schulter und lächelte sanft: „Schon vergessen. Ich denke, du bist ganz in Ordnung, Philipp.“
Philipp schaute auf und sagte: „Danke, Wibke! Ich finde, du machst das alles ganz toll.“
Wibke entgegnete: „Es macht mir auch viel Spaß mit euch. Aber jetzt muss ich an die Arbeit. Bis nachher.“
Philipp schaute sie einen Moment lang an und sagte: „Bis nachher.“
Wibke lächelte und schloss die Tür.