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02 Versuch, die Seele von Dynamo Dresden zu erklären

Dynamo Dresden. Der einstmals glänzende, ostsächsische Club spielt seit 1989 nur noch eine untergeordnete Rolle im deutschen Fußball. Wenn er überregional auffällt, dann durch Szenen der Gewalt. Wo ist der schöne Dresdner Fußball geblieben? Die Dresdner Fans leiden. 25 Jahre Feuersturm. Ihre Seelen brennen.

»Hell wie das Licht, schwarz wie die Nacht, wir haben alles schon mitgemacht.«

Am letzten Spieltag der Saison 2013/14 tritt Dynamo in der 2. Bundesliga daheim gegen Arminia Bielefeld an. Finaler Strohhalm. Ausverkauft. Die Ausgangslage: Bei Sieg oder Unentschieden geht Dynamo in die Relegation gegen den Drittplatzierten der 3. Liga.

In der Stadt regiert Nervosität. Sie ist greifbar. Je näher man dem Dynamostadion kommt, desto substantieller wird die Angst vor dem freien Fall ins Nichts. Von überall strömen die Massen eilig Richtung Sportplatz. In den umliegenden Biergärten und Kneipen wird noch mal Rast gemacht. Verschnaufen. Hastig eine Zigarette rauchen. Sich gegenseitig Inseln der Hoffnung basteln. Diese wieder zersemmeln. Stoßgebete aussenden. Über das zu erwartende Resultat frotzeln. Mit Gleichgesinnten letzte Biere kippen. Bevor es losgeht. Es ernst wird.

Die Sonne scheint allen. Den Kuttenfans – wie den zahlreich anwesenden Polizisten. Dem stolzen Ultra, den vielen normalen Leuten in den Farben Schwarz und Gelb.

Mit einem Mal öffnet der Himmel seine Schleusen. Ein heftiger Guss. Das Motto des heutigen Tages. Sintflut ahoi. Elbmatrosen, heut ist Tanz auf der Titanic, hahahahaha! Dynamo im Mahlstrom. Hundert Prozent Höllenqual.

In einem Dresdner Hotel in Stadionnähe hat sich die Mannschaft versammelt. In eine Ecke gedrückt, stehen die Spieler von Dynamo. Ihnen ist bang. Sie treten von einem Bein aufs andere. Betrachten auf den Displays ihrer elektronischen Geräte die letzten guten Wünsche. Sie möchten sich klein machen, unentdeckt bleiben. Draußen wartet der Bus. Der sie im Triumph zum Stadion geleiten wird. Der ihnen Deckung gibt. Und Schutz. Vor den Besoffenen, den Feuerköpfen, den Liebenden. Vor dem geballten Wollen der Fans wie der tiefsitzenden Angst, all diese Menschen zu enttäuschen. In ihren Trainingsanzügen wirken die Spieler wie eine zittrige Herde Schafe. Versunken in die Betrachtung des Schlachters. Heute soll es um alles gehen. Nein, um mehr als das. Um die Ehre, den Fortbestand des Vereins, den Weltuntergang.

Wo ist die gute Fee, die geschwind alles wiedergutmacht?

»Unser Capo ist in der Midlifecrisis. Der hat ’nen Burnout… Er soll Vater geworden sein… Er leidet unter Realitätsverlust«, murmeln die Fans vorm Spiel.

Im K-Block hinter dem Tor stehen die stimmgewaltigen Dynamofans. Zentral weht das Banner von UD. Ultras Dynamo. Die Stimmungsmacher im Block um den Capo Lehmi. Vorm Spiel gegen Arminia wird Lehmi vom Stadionsprecher interviewt. Er verspricht dem Stadion, heute geben wir alles. Durchhalteparolen. Vorwärts zum letzten Gefecht! Die meisten Zuschauer klatschen Beifall. Im K-Block hängt ein Banner mit der Aufschrift: »Versager?« Eine Drohkulisse, eine unnötige Ansage an die Spieler. Die wollen bestimmt nicht absteigen. Doch bedingungslose Liebe der Fans sieht anders aus. Das Banner wird vor dem Spiel wieder eingezogen. Eine Parole geistert durch die Ränge. Verliert Dynamo, bekommen alle Spieler eine aufs Maul.

Schlagermusik kreischt aus den Lautsprechern. Dynamos schlechter Musikgeschmack ist legendär. Die musikalischen Helden der Fans heißen Wolfgang Petri und Helene Fischer.

Dresdens Fanszene ist bunt. Dresdens Fanszene hat ein unübersehbares Gewaltpotential. Die Liste der Sünden ist lang. Das zieht die entsprechende Klientel magisch an. 2011 gab es zuletzt daheim Randale. Gegen Eintracht Frankfurt. Mit »Juden Frankfurt« und einem versuchten Blocksturm quittierten etliche rechtsgesinnte Dynamofans eine geschmacklose Provokation der Frankfurter: »Bomber Harris, mach’s noch einmal.«

Immer wieder das Trauma der Stadt. Februar 1945. Dresden in Flammen. Als tausende Dresdner im Phosphorhagel verschmorten.

»Kleinkriminelle Sachsen bestätigen bei Spielen ihres Clubs das Negativbild«, schreiben die Zeitungen. Besonders die Boulevardmedien sind mit ihrer Dynamo-Schelte immer schnell zur Hand, wenn’s irgendwo knallt und Dynamo dabei ist. Das entspricht der Natur ihrer Sache. Dynamo als Salz im billigen Brei aus Gewalt und Leidenschaft.

»Schönes Dresden, feines Sachsen, wo schöne Mädels auf den Bäumen wachsen.« Kein Chefredakteur schläft in Dynamo-Bettwäsche. Auch wegen der medialen Berichterstattung und des daraus resultierenden negativen Rufes von Dynamo werden Leute angezogen, die sich kaum für Fußball interessieren, sondern Action und Randale suchen. Dazu gibt es einige Leute, die aufgrund der permanenten Zuschreibung des »Randale-Fans« ein entsprechendes Verhalten an den Tag legen. Man will und muss dem Ruf gerecht werden.

Dresden ist negativ drauf. Dresden trauert. Was ist Dynamos Seele? DD ein Haufen Irrer? Chaos im Verein. Gewalt neben dem Platz. Das könnte die Wahrnehmung von Dresden sein. Kaum jemand will darüber offen reden.

Vorm Spiel gegen Bielefeld steht der Marsch zum Stadion. Organisiert von den Ultras. Der Bus mit den Spielern flankiert von Fans. Feuerwerk, Jubelrufe. Die Spieler schauen etwas ängstlich nach draußen. Ihre Köpfe rauchen. Was wollen all diese aggressiven Menschen nur von uns? Ob sie uns wirklich lieben? Den Kickern rutscht das Herz noch tiefer in die Hose. Wie sollen die armen Teufel im Bus auch der Stadt Dresden ganz allein Hoffnung schenken können? Eine schier übermenschliche Aufgabe.

Entsprechend verläuft das Spiel gegen Bielefeld. Tief sitzt die Angst in den Knochen. Das Stadion gibt alles, allein Dresdens Spieler können nicht mehr. Bielefeld spielt nach vorn. Bielefeld schießt die Tore. Als Mitte der zweiten Halbzeit Bielefeld mit zwei Toren in Front liegt, laufen einige Jungs im K-Block heiß. Der klassische Reflex. Liegt Dynamo hinten, bleibt nur Gewalt. Fußballträume im Klo. Minderwertigkeitsgefühle, der Mob tobt. Nun fliegen Böller, und die ersten Vollidioten beginnen sich zu vermummen. Noch mehr Böller und Bengalos segeln auf das Spielfeld. Entsetzte Eltern stürmen mit weinenden Kindern aus dem Stadion. Der Schiedsrichter schickt die Mannschaften in die Kabinen, um sie vorm gleich losbrechenden Platzsturm zu schützen.

Was nun passiert, ist auch Dynamo. Das ganze Stadion skandiert blitzartig: »ULTRAS RAUS! ULTRAS RAUS! ULTRAS RAUS!« Auch im K-Block. Das hatte es in dieser Intensität in Dresden noch nicht gegeben. Und rettet die Situation. Die meist jugendlichen Gockel, ob Ultra, Mitläufer oder Möchtegernhooligan, bemerken diese enorme Ablehnung der großen Mehrheit. Im letzten Moment hält der positive Wille der großen Mehrheit die gewalttätige Minderheit in Schach.

Das Spiel wird wieder angepfiffen, es folgt ein flüchtiges Wunder. Dresden gelingt binnen weniger Minuten der Ausgleich. Das hätte die Relegation bedeutet. Doch Bielefeld versetzt Dynamo nach einem Konter den Todesstoß. Aus, Ende, Depression auf Platz und Rängen.

Wenn Dynamo Dresden zu DDR-Zeiten im Europapokal zauberte, tanzte die ganze Stadt. Wenn Dynamo versagte, befand sie sich am nächsten Tag im Schockzustand. Bleischwere Stille auf den Straßen, Schulhöfen, Universitäten, in den Bussen und Straßenbahnen. In den Fabriken, den Verwaltungen, überall herrschte Trauer. Die Bewohner liebten Dynamo, obwohl der Namensgeber das Ministerium des Inneren war. Dresden ein Bullenverein. Egal! Der Fußball war einfach zu göttlich. Dynamo machte das DDREinheitsgrau bunt und spendete Freude. Die genialen Spielzüge von Kreische, Häfner, Dörner, Minge, Kotte, Lippmann brachten die Herzen der Stadt zum Leuchten.

Die Fans waren eine große, liebe Masse. Gewalt spielte eine untergeordnete Rolle. Die Dresdner Fanmassen kamen mit ihren legendären Dederon-Einkaufsbeuteln zum Bananenkaufen nach Ostberlin. Erster Halt für jeden Ossi war die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Dort warteten schon die Berliner auf sie. »Sag doch mal Cola!« »Goola.« Und schon hat es gerumst. Die Wurzeln der heutigen Gewalt sind auch im Niedergang des Sports zu finden. Dynamo war in Dresden so wichtig wie die Semperoper. Dauerkarten wurden vererbt, Eurocup war Standard. Opernstars wie Schreyers Peter und Theo Adam waren Fans. Schreyer hat Adam Wagner beigebracht, Adam hat Schreyer das Zu-Dynamo-Gehen gelehrt (oder umkehrt, der Volksmund kennt beide Varianten).

Jedenfalls war Dynamo große Oper, manchmal auch böse Oper, Skandaloper. Dynamo war auch von Stasispitzeln durchsetzt. Ede Geyer und Ulf Kirsten, zwei wesentliche Informelle Mitarbeiter des MfS.

Dresden-Fans waren gern besoffen, aber friedlich. Paar Schubsviecher darunter, insgesamt wurde aber der Dynamomob zu Zonenzeiten von Berlin und Leipzig belächelt.

Wenn 200 Biffzen oder Lokis kamen, rannten 4.000 Dresdner nach Heme (sächsisch für nach Hause). Bis 1990. Ankunft im Westen hieß für Dynamo – alle Stars weg. Von nun an Teil der unbedeutenden Pipiclubs. Die das Wort Europacup nicht mal buchstabieren konnten.

Von dieser tiefen Depression hat sich Dynamo seither nicht erholt. Dynamo Dresdens Leib ist von Narben übersät. Seit 1990 steht Dynamo für Überleben durch Kampf. Auf dem Rasen wie auf den Rängen. Fresschen Calmund und Konsorten kauften nach der politischen Wende den Fußballmarkt im Osten leer. Der DFB verhielt sich passiv. Jeder einigermaßen schlaue Zonenkicker machte die Fliege Richtung Westen. D-Mark, Malle, Muttis.

Die Clubs hatten dem nichts entgegenzusetzen. Dynamo verkaufte seine Seele mehrfach.

Der bekannteste Totengräber des Dresdner Fußballs war Rolf-Jürgen Otto. Vor der Wende unter anderem Kneipier und Boxveranstalter. Nach 1989 Goldgräber im Osten. Bauunternehmer. Dynamopräsident ab 1993. Fußballidioten sind nützlich für das Geschäft. Für die FDP im Dresdner Stadtrat. Auch nützlich. Seine Zeit in Dresden endete mit der Dynamopleite und einer Gefängnisstrafe wegen Veruntreuung von drei Millionen Mark. Für Halbkriminelle oder Schaumschläger hat Dynamo manchmal ein bisschen was übrig. Bis 1995 hält sich Dresden in der Bundesliga, dann verweigert der DFB aufgrund von zehn Millionen Mark Schulden die Lizenz. Dynamo wird in die drittklassige Regionalliga verbannt. Von diesem Abstieg konnte sich Dynamo bis heute nicht erholen. Im Jahr 2000 stieg Dresden sogar für zwei Jahre in die vierte Liga ab.

Bis 1990 war die Mannschaft der Star, wegen der ist man ins Stadion gegangen. Doch die Mannschaft stieg ab. Sinkflug. Erste Liga, zweite Liga, bis in die finstere Oberliga Nordost.

Dabei wünscht sich ganz Dresden doch nur attraktiven Fußball, Erlösung durch Schönheit. Dynamo als Schaubild sächsischer Lebenswirklichkeit. Daher diese übergroße Verletzlichkeit. Wie funktioniert das? Der gemeine Dynamofan ist mehr als ein Konsument. Er hat Insolvenzen überlebt, unvergessene Dramen, den fantastischen Dresdner Kreisel. Er hat mehrfach sein letztes Hemd gegeben, Blut gespendet, demonstriert, permanent die Spendierhosen an, um seine sieche Liebe nicht verrecken zu sehen. Sie fühlen sich wie ein Stück Dynamo. Umgekehrt wird ihnen vom Verein suggeriert, sie wären Dynamo. Wo jeder Euro dreimal umgedreht wird, ist der Fan König. Ihr seid Dynamo! Die Seele des Vereins ist die große und vielfältige Fanszene.

Doch die Dynamoseele fühlt sich permanent nicht verstanden, über den Tisch gezogen, schiebt den Ossimythos vor sich her. Das versucht dieser und jener für sich auszunutzen. Parteien, Volkstribune, Interessengruppen.

Die Ultras waren früher eher links. Che hing schon mal am Zaun. Fanden die Hools nicht so doll. Hängt den Quatsch mal ab. Als die linke Gruppe der Solo-Ultras vor einigen Jahren von rechten Fans aus dem Stadion geprügelt wurde, gab es wenig bis keine Proteste. Solo-Ultra gibt es noch immer, die Gruppe besucht heute fast ausschließlich Spiele der Nachwuchsteams. Höchstens zehn Prozent aller Stadiongänger finden Gewalt geil, der Rest leidet extrem darunter. Man spürt im Stadion auch die Sehnsucht, mit der eigenen Kackgeschichte zu brechen. Fünfundzwanzig Jahre mehr oder weniger andauernder Sinkflug im Sport haben Spuren hinterlassen. Das Einzige, womit Dynamo noch Schlagzeilen macht, sind Gewalt und Fanmasse. Im Gegensatz zur DDR-Zeit, als der Sport das Tor zur Welt und zum großen Fußball gewesen ist. Dynamo hat immer gepflegten, technisch starken Fußball gespielt und ließ genialen Individualisten den nötigen Raum. Stellvertretend für »die aus dem Tal der Ahnungslosen« eroberte Dynamo Europa. (»Tal der Ahnungslosen« wurde zur DDR-Zeit die Gegend um Dresden genannt, da man dort kein Westfernsehen und Westradio empfangen konnte.)

Durch die diversen Rettungsaktionen der Fans entstand der Mythos »NUN SIND WIR DER STAR!«. Die Fans. Nur die Fans haben Weltniveau. Berüchtigt, bestaunt wie eine besonders exotische Affenart im Zoo.

Die neunziger Jahre waren hoolgeprägt, Zuschauerzahlen gingen zurück. Ab 2001 kam wieder Stimmung im Stadion auf. Die Ultramode schwappte nach Dresden. Große Choreos, positive Stimmung, Dynamo war plötzlich für jüngere Leute wieder chic. Ultras Dynamo hat die Dresdner Massenbewegung neu entfacht, mit Dynamoschal rumzuwatscheln, bissel böse gucken, war wieder geil. Es folgten fünf bis sechs Jahre Fasching, Pyro, Rauch. Am Anfang wurden die Dresdner Ultras von der anderen starken Außenseiterfraktion, den Hools, kritisch beäugt. Auch zurechtgestampft, linke Folklore raus!

Mitte der Nuller tauchte FDO auf. Faust des Ostens. Kleinkriminelle mit Nazitouch. Sie verschwanden inklusive Banner wie durch ein Wunder vor einiger Zeit wieder aus dem Stadion.

Dann gibt es noch die Wald-und-Wiesen-Fraktion. Hooligans Elbflorenz. 2014 laufen noch immer Prozesse gegen HE. Einige ihrer Mitglieder haben heftige Naziverstrickungen, doch HE ist keine rechte Vereinigung. Eher ein loser Zusammenschluss von Hochleistungskampfsportlern, darunter auch Leute mit Migrationshintergrund, Kämpfer, Boxer aus dem Nichtrechten- und Nichtfußballspektrum.

Im März 2013 verurteilte das Dresdner Landgericht vier Mitglieder der Hooligans Elbflorenz wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung sowie teilweisen Landfriedensbruchs zu Haftstrafen zwischen neun Monaten und vier Jahren. 2008 hatten die vier neben fünfzig weiteren Vermummten drei Dönerläden anlässlich des EM-Halbfinalspiels zwischen Deutschland und der Türkei überfallen. Es hält sich bis heute hartnäckig die Geschichte, bei den Überfällen sei es nicht um Ausländerhass, sondern um Revierkämpfe unter Kriminellen gegangen. Drogen, Nutten. Wer hat die Macht in der Stadt?

Hooligans Elbflorenz und Faust des Ostens sind inzwischen offiziell aus dem Stadion verschwunden, ihre Exmitglieder nicht.

2009 wird das runderneuerte Rudolf-Harbig-Stadion eröffnet. Es bringt Dynamo neue Fans, der K-Block wird Heimstatt der Ultras, Kutten und Anverwandten. Trainer, Aufsichtsrat, Spieler und Funktionäre wechseln immer noch wie die Fliegen.

Heute sehen viele Dresdner die finanzielle Unterstützung Dynamos durch die Stadt kritisch. Auch die hohe Fluktuation in der Geschäftsführung und die fehlende Kontinuität im Verein werden bemängelt. Die Vereinsführung feuert Anfang 2014 den Geschäftsführer Christian Müller. Den Einzigen, der bei Dynamo Lobbyarbeit betrieb.

Obgleich in der DDR der Antifaschismus Staatsdoktrin war, spukte in den Köpfen der Bürger noch die Ideologie des Naziregimes. Wenn irgendwo etwas faul war oder bestimmte Teile der Bevölkerung scheinbar bevorteilt wurden, klickte der Schalter von links nach rechts. Die Juden waren wieder schuld. Egal ob in Dresden, Jena oder Magdeburg. Wie konnte man als Fußballfan im Schutz der anonymen Masse den DDR-Staat auch heftiger ärgern? Nazi zu sein, war die extremste aller Provokationen und gerade unter jugendlichen Fußballfans, die bis tief in die Neunziger hinein mehrheitlich aus dem Arbeitermilieu stammten, en vogue. Der DDR-Staat schwieg das Problem tot, in der Öffentlichkeit wurde es nicht thematisiert.

Aufklärung ist ein langer Prozess. Es gibt in der Dresdner Fanszene einige progressive Gruppierungen. Eine davon ist 1953international. 1953international gründete sich 2006 anlässlich rassistischer Ausfälle während des Spiels gegen die Sportfreunde Siegen auf Initiative des Dresdner Fanprojektes. Eines ihrer Hauptziele ist, den Verein dafür zu sensibilisieren, dass Rassismus in den Fanblöcken ein ernst zu nehmendes Phänomen ist. Von 1953international stammt der Spruch: »Rassismus ist kein Fangesang und kein Normalzustand im Stadion.« Neben vielfältigen bunten Aktionen lädt die Gruppe regelmäßig Asylsuchende zu Dynamospielen ein. Sie tun dem Verein gut. In seiner Öffentlichkeitswahrnehmung sind sie ein Plus. Vermutlich hält die rechte Szene 1953international für nützliche Deppen. Auch der Verein Dynamo Dresden fährt inzwischen eine Linie gegen rechts. Nicht zu vergessen das Dresdner Fanprojekt. Das alles sind konstruktive Entwicklungen hin zum Erträglichen.

»Ihr habt eine Stunde Zeit, unsere Stadt zu verlassen.«

Mit diesem geschmeidigen Spruchband sendet Dynamo Dresdens K-Block nach dem verloren gegangenen entscheidenden Spiel gegen Arminia Bielefeld einen letzten Gruß an die eigenen Spieler, die Gästefans, die Dresdner, die Zuschauer an den Fernsehgeräten, die Ultras in den Ultraforen. Diese finale Botschaft ist ein Desaster für den Club. Schlimmer als der Abstieg wiegt die Botschaft, wenn’s nicht läuft, bekommen alle von Dynamo eins aufs Maul.

Der Platz wurde nicht gestürmt, kein Spieler wurde verprügelt. Vielleicht war die Ankündigung auch nur ein böser Scherz. Oder die große Ablehnung gewalttätiger Aktionen wirkte lähmend auf alle potentiellen Gewalttäter? Dynamos Fanszene 2014 ist zutiefst gespalten. In den Gesichtern der Fans lag Müdigkeit, Resignation, Leere.

Aus dem Nichts ein Monstergewitter, prasselnder Regen, Hagel. Wie um den Schmutz, den Schweiß und die ausgeträumten Fußballillusionen aus Dresden zu spülen.

An dem Tag ist trotzdem etwas Gutes in Dresden passiert.

Kassiber aus der Gummizelle

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