Читать книгу Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether - Страница 1
Vorwort
Оглавление785 beugte sich der Sachsenherzog Widukind fränkischer Übermacht und nahm in der Pfalz zu Attigny die christliche Taufe an. Karl, König der Franken und später der Große genannt, höchstpersönlich war sein Taufpate. Er versprach den sächsischen Stämmen eine relative Freiheit im Gefüge des Frankenreichs. Er hielt sein Versprechen nicht, konnte es nicht halten, da unzählige Interessen kleiner und größerer Herrscher, mehr oder weniger uneigennützig handelnder Missionare, Priester und weiterer Verkündiger der christlichen Lehre und nicht zuletzt die sich etablierende sächsische Adelsschicht dagegen standen. Anhänger der alten Götter, sie waren oft auch Anhänger der alten Freiheit, wurden verfolgt, gedemütigt, getötet. Und doch lebte er weiter, der in Natur und Mensch verankerte Glaube, der sich auf Wodan, Saxnot, Freya, auf alle Götter der nordischen Lande berief. Und auch er lebte weiter, der Traum von Freiheit, von gleichberechtigten, allein der Mehrheitsentscheidung unterworfenen Menschen.
Kaum waren die sächsischen Lande unterworfen, zogen Karls Truppen gegen die Friesen, das Volk, welches den letzten Landstrich bis zur Nordsee und die vorgelagerten Inseln bevölkernd, schon immer stolz auf seine Eigenständigkeit war und sich für lange Jahre keiner feudalen Herrschaft unterwarf, stets dagegen die friesische Freiheit, die von freien Bauern getragene und durch gewählte Rechtssprecher erhaltene Ordnung ohne Hochadel betonte, eine Freiheit, die ihnen von Karls Gnaden gewährt und von seinen Nachfolgern nicht angetastet wurde. Doch obgleich diese Lebensform tief in der Seele der von Sturm und Flut geprägten, fest in ihrer mitunter überschwemmten Erde verwurzelten Menschen begründet lag, spielten in den taktischen Schachzügen der Frankenherrscher ganz andere Gesichtspunkte eine Rolle. Die Friesen galten als wenig aufsässig. Ihre Edlen nahmen in weiten Teilen den neuen christlichen Glauben widerstandslos an. Ihre Wehrhaftigkeit, Ausdauer und ihr zäher Mut wurden nicht nur zur Verteidigung des Landes gegen die Kräfte der Natur, sondern regelmäßig auch gegen einfallende Wikingerkrieger benötigt. So entsprang die friesische Freiheit durchaus politischem Kalkül der eigentlich Herrschenden.
Ein drittes Volk verlor sich nach Unterwerfung durch das karolingische Franken und Streitigkeiten mit seinen Nachbarn komplett im Nebel der Geschichte, das Volk der Awaren, dessen Einflussgebiet einst von der Ostsee bis zur Wolga reichte und dem man noch heute gedenken sollte, wenn man Steigbügel aus Metall verwendet, eine Erfindung, welche diesen einst stolzen Steppenreitern zugeschrieben wird. Dabei hätte alles so anders kommen können, gab es durchaus ernsthafte Bemühungen der Verbrüderung von Sachsen und Awaren. Gemeinsam wäre es ihnen vielleicht gelungen, die europäische Geschichte ganz anders zu schreiben.
Weit im Norden lebte eben jenes Volk, gegen das Karl die Friesen stellte, ein streitbares Volk, dessen Taten legendär sind, dessen Andenken noch immer lebendig ist, dessen Seele noch immer in Nachkommen jener berühmten Seefahrer und Eroberer wohnt. Man nannte diese Menschen später Wikinger. Ihr Glaube unterschied sich wenig von dem der Sachsen und Friesen. Selbst mit awarischen Vorstellungen gab es Übereinstimmung. Doch wie die anderen Völker auch, so gerieten die Nordmenschen unter den Einfluss des Christentums. Karl war es nicht, der sie missionierte, es kam aus ihren eigenen Reihen. Und es blieb vieles in ihren Vorstellungen erhalten, was bereits ihren Vorfahren als unzweifelhaft galt.
In diesem Kontext suchen zwei Menschenkinder, ein Sachsenjunge und ein Friesenmädel, nach Liebe und Freiheit. Sie werden herausgerissen aus ihrer kleinen Welt. Sie werden Teil der fränkischen Expansionsbestrebungen. Sie finden vieles, auch das, was sie suchen?