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6. »Unser Haus brennt«

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2020 stand unser Haus tatsächlich in Flammen. In Australien brannten monatelang riesige Waldflächen und zerstörten mindestens 70 einheimische Tierarten. Im selben Jahr brannte die halbe Welt. Die sibirische Stadt Werchojansk war bisher für ihren Kälte-Weltrekord von minus 76 Grad bekannt. Am 20. Juni 2020 wurde dort, nördlich des Polarkreises, eine ganz andere Rekordtemperatur gemessen: plus 38 Grad, 18 Grad über den jahreszeitlichen Mittelwerten.

Auf dem virtuellen Weltwirtschaftsforum 2021 in Davos hieß das Motto »It’s the climate«. Klimaerhitzung und Umweltschäden seien die größten Gefahren für die Wirtschaft der Zukunft. Beim Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Pandemie müsse der Klimaschutz zwingend berücksichtigt werden. Das letzte Jahrzehnt war das heißeste seit 1880. Seit 1980 werde jedes Jahrzehnt wärmer, ermittelte die Weltmeteorologiebehörde WMO. In den letzten 150 Jahren sei es global bereits um 1,2 Grad wärmer geworden. Schon in wenigen Jahren, vielleicht sogar schon 2024, könnte die globale Temperatur nahe am Paris-Ziel von 1,5 Grad angelangt sein.

Alle Umfragen zur Umwelt, aber auch die praktizierte Willkommenskultur gegenüber einer Million Flüchtlingen im Jahr 2015 zeigen, dass die Zivilgesellschaft offener, flexibler, hilfsbereiter und zukunftsfähiger ist als die Institutionen, welche diese Gesellschaft abbilden sollen. Sie ist oft viel weiter als die Agrarlobby, die Autolobby, die Kohlelobby oder die Autobahnlobby und oft auch weiter als die Politik. Deshalb besteht gerade jetzt die Chance, dass der Kampf gegen die Klimaerhitzung aus den Lektionen der Corona-Krise Energie bezieht für eine gerechtere und ökologischere Welt. Der Green New Deal der Europäischen Union könnte hierfür ein Anfang sein. Daraus können sich ungewöhnliche Allianzen ergeben für eine wirkliche Transformation. Eine bessere Welt ist möglich.

Während ich dieses Buch schrieb, wurde ich von einem US-amerikanischen Magazin gefragt, was Eltern tun können, um ihre Kinder bei der »Fridays for Future«-Bewegung zu unterstützen. Meine Antwort:

»Erstens: Eltern sollten zusammen mit ihren Kindern auf die Straße gehen und für eine effizientere Klimaschutzpolitik ihrer Regierung demonstrieren.

Zweitens: Eltern und Kinder sollten gemeinsam überlegen, wie viel Energie sie in ihrer Wohnung einsparen können.

Drittens: Eltern und Kinder sollten gemeinsam versuchen, möglichst viel Energie über Sonne und Wind selbst zu erzeugen oder Ökostrom zu beziehen.

Viertens: Gemeinsam sollen sie überlegen: Brauchen wir wirklich ein großes Auto, oder steigen wir auf ein kleineres Elektro-Auto um? Können wir für das E-Auto den Strom selbst produzieren? Und …

Fünftens: Wir sollten unser Essen auf gesunde biologische Nahrung umstellen.«

Unter meinen Leserinnen und Lesern wird es kaum jemanden geben, der diese Vorschläge, zumindest teilweise, nicht umsetzen könnte. Wir haben so viel selbst in der Hand.

Die nächste Frage lautete: Was kann ein Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit tun? Und meine Antwort:

»Erstens: Den Papierverbrauch reduzieren.

Zweitens: Wasserverbrauch und Energieverbrauch minimieren.

Drittens: Weniger Dienstreisen und mehr Video-Konferenzen.

Viertens: E-Autos statt Benziner.

Fünftens: Mehr Arbeit im Homeoffice.«

Niemand hindert Sie daran, liebe Leserin und lieber Leser, für diese Vorschläge in Ihrem Betrieb zu werben.

2021 ist ein gutes Jahr, um für das 21. Jahrhundert damit zu beginnen. Aus den Erfahrungen in und mit der Corona-Krise können wir Energie und Inspirationen für die gegenwärtigen Krisen gewinnen. Die Dynamik der Marktkräfte kann auch das Positive, wie die erneuerbaren Energien, exponentiell wachsen lassen, wenn die Politik dafür die richtigen Rahmenbedingungen schafft, zum Beispiel eine allmählich ansteigende CO2-Steuer.

Trotzdem: Die katastrophalen Auswirkungen der Massentierhaltung sind uns längst bekannt, aber handeln wir bei unseren Einkäufen danach? Die Welt zu retten, fängt auf dem Teller an. Doch die Mehrheit von uns konsumiert noch immer nach dem Motto »Hauptsache billig«. Dabei ist nichts so teuer wie billiges Essen. Jahr für Jahr müssen wir Deutschen 75 Milliarden Euro für Gesundheitskosten aufbringen wegen des billigen, aber ungesunden Essens. Alle Mediziner sind sich einig: Wir essen zu viel Fleisch. Mit weniger oder keinem Fleisch »schenken wir uns selbst Gesundheit, Tieren das Leben und der Welt Frieden, weil wir damit Hungernden nichts mehr wegessen und der Umwelt eine Verschnaufpause gewähren« (Rüdiger Dahlke).

Der erste Schritt zur Rettung ist die Erkenntnis, dass die Klimakrise letztlich eine Menschenkrise ist. Deshalb ist der Klimawandel in uns die Voraussetzung für den Klimawandel um uns. Wir leben im Zeitalter der Mensch-Natur-Krise. Deshalb die Klimaerhitzung, deshalb das Artensterben, deshalb die Corona-Krise!

99 Prozent der Wissenschaftler geben uns noch 15 Jahre Gnadenfrist, 15 Jahre für eine mögliche Umkehr. Ökologisches Leid entsteht überall auf der Erde, es nimmt Jahr für Jahr zu und trifft alle Lebewesen. Die ganz große Frage ist: Schaffen wir die Umkehr im Sinne von Konfuzius durch Nachdenken, durch Nachahmen und durch Erfahrung? Der bekannteste deutsche Klimaforscher, Hans Joachim Schellnhuber, hat das Buch »Selbst-Verbrennung – Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff« publiziert. Tatsächlich benehmen wir uns wie Pyromanen, denn wir verbrennen heute an einem Tag so viel Kohle, Gas und Erdöl, wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Damit verbrennen wir die Zukunft unserer Kinder, Enkel und Urenkel. Tatsächlich ist die Klimakrise eine Menschenkrise. Nicht das Klima ist das Problem, sondern der von Menschen gemachte Klimawandel.

Das schwierigste politische Problem ist, dass die Klimaschmutz-Lobby (Autoproduzenten, Agrarverbände, Energiekonzerne) noch immer stärker ist als die Klimaschutz-Lobby (Umweltverbände wie Greenpeace oder BUND, die Vertreter der erneuerbaren Energien und Energiegenossenschaften). Während der Legislaturperiode 2013 bis 2017 hatten in Berlin die Vertreter der Klimaschmutzverbände 43 Termine im Kanzleramt und im Wirtschaftsministerium, die Vertreter der Klimaschutzverbände vier Termine. Verhältnis zehn zu eins! Alles klar?

UNO-Generalsekretär Guterres sagte im Dezember 2020 an der Columbia-Universität in New York drastisch: »Die Menschheit führt einen Krieg gegen die Natur. Lassen Sie uns klar sagen: Menschliche Aktivitäten sind die Wurzel unseres Abstiegs ins Chaos … Unser Planet ist kaputt. Die neue Realität sind apokalyptische Feuer und Überschwemmungen.« Die Corona-Krise biete aber auch eine Chance: »Die Corona-Erholung und die Reparatur des Planeten können zwei Seiten derselben Medaille sein.« In diesem Sinne könne Corona »eine Generalprobe für die Welt der kommenden Herausforderungen« sein. Könne! Beides ist möglich: Wir können den Gestaltungsraum nutzen oder ihn auch verschlafen. (Eine solche Weckruf-Rede war zuvor – außer vielleicht von Greta Thunberg – vor der UNO noch nie gehalten worden. Leider hat sie auch in den deutschen Medien eine viel zu geringe Beachtung gefunden. Deshalb ist sie im Anhang dieses Buches komplett abgedruckt, s. S. 272 ff.)

Seit 20 Jahren warnen die Generalsekretäre der UNO, »jetzt« sei endlich Zeit zu handeln beim Klimaschutz. Die Staaten sollten endlich »den Klimanotstand ausrufen«, mahnte Guterres. Seine Rede klang wie die Worte eines Verzweifelten. Der Klimanotstand ist schon längst da. »Ob man ihn so nennt oder nicht, macht keinen Unterschied«, schrieb die »Süddeutsche Zeitung«.

Das gilt beim Klimaschutz genauso wie bei den vielen Reden zur Abrüstung, die seit Jahrzehnten vor der UNO gehalten werden.

Hinzu kommt: Nach großen Erfolgen bei der Abrüstung der Atomwaffen in den Neunzigern stehen wir heute vor einem erneuten atomaren Wettrüsten und damit vor der Gefahr eines Atomkriegs.

Doch es gab und gibt auch Lichtblicke und Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft:

 Am 7. Juli 2017 haben 123 Staaten in der UNO den Atomwaffen-Verbots-Vertrag beschlossen. Er trat am 22. Januar 2021 in Kraft, nachdem ihn 50 Staaten ratifiziert haben. Das ist ein großer Erfolg für die Friedensbewegung und ist ein wichtiger Schritt hin zu einer Welt ohne Atomwaffen, das bisher deutlichste Zeichen für eine atomwaffenfreie Welt. Ein Sieg für die Menschheit.

 Seit dem Jahr 2000 hat sich der Solarstrom global mehr als ver-120-facht und der Windstrom ver-80-facht. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der erneuerbaren Energien. Das könnte der konstruktive Beitrag für den Rettungsprozess sein.

 In Deutschland wurden zur Jahrtausendwende etwa fünf Prozent Ökostrom produziert, heute über 50 Prozent.

 Selbst unter dem Klimaleugner Donald Trump, der Kohle, Öl und Fracking-Gas favorisierte, ist in den Jahren 2016 bis 2020 die Solarenergie in den Vereinigten Staaten etwa 5-mal schneller gewachsen als die US-Wirtschaft im selben Zeitraum. Warum? Weil die Menschen es so wollten und selbst organisierten. Das ist »Unsere Zukunft neu gestalten« ganz konkret und praktisch.

 Die Unternehmensberatung McKinsey hat errechnet, dass durch die Energiewende bis 2050 in der EU sechs Millionen Jobs wegfallen, aber elf Millionen neue Jobs hinzukommen.

 Seit Ende 2020 gibt es endlich Hoffnung für den Klimaschutz: Der Fantasterei völlig unverdächtige Regierungen haben innerhalb weniger Monate bekannt gegeben, dass sie bis zur Mitte des Jahrhunderts »klimaneutral« werden wollen: China, Südkorea, Japan und nach Bidens Sieg auch die USA. Die EU hat sich mit dem Green Deal diesem Ziel schon 2019 verschrieben. Damit haben sich immerhin zwei Drittel der Weltwirtschaft zum effektiven Schutz des Weltklimas entschieden. Vielleicht ist 2021 das Wendejahr, um beim Klimaschutz gerade noch die Kurve zu kriegen. »Die Zeit« dazu: »Zukunft passiert nicht, sie wird gemacht.« Klimaneutralität meint: Weniger Treibhausgase emittieren, mehr zurückholen. Immer mehr Firmen werben mit klimaneutralen Produkten. Die Klimawissenschaft sagt uns freilich: Um noch das Schlimmste zu verhindern, müssen sich alle komplett von fossilen Rohstoffen verabschieden, und zwar bereits spätestens zwischen 2035 und 2040. Nie gab es so viele ökonomische Anreize, in die richtige ökologische Richtung zu denken, zu handeln und zu investieren. Es ist bereits erwiesen, dass ein höherer CO2-Preis verhindert, dass wir weiterhin die Atmosphäre als Müllkippe missbrauchen. Das ist ein Grund zur Hoffnung. Die Chance ist groß, dass die Zwanzigerjahre unseres Jahrhunderts das Jahrzehnt der erneuerbaren Energien werden. Donald Trumps Plan, das Pariser Klimaabkommen kaputt zu machen, ist krachend gescheitert.

 14 Länder – darunter wichtige maritime Nationen, wie Japan, Kanada, Australien, Norwegen, Kenia, Chile und Indonesien, aber auch kleine Inselstaaten, wie Fidschi und Palau – haben beschlossen, bis 2025 eine zu 100 Prozent nachhaltige Bewirtschaftung der Meere vor ihren Küsten zu erreichen. Nur wenn es gelingt, die Erwärmung bei 1,5 Grad gegenüber 1880 zu stoppen, können diese Ziele auch erreicht werden. Zudem will diese »G14«, dass künftig mindestens 30 Prozent der gesamten Meeresfläche unter Schutz gestellt wird. Das heißt, dass hier zum Schutz der Meeresumwelt Bergbau und andere Formen der Ausbeutung von Ressourcen verboten sind. Meere zu schützen, zahlt sich langfristig ökonomisch und ökologisch aus. Bisher sterben weltweit die Korallen. Doch sie sind die Baumeister am Meeresgrund. Ausgedehnte Reservate können das Artensterben und die Klimaerhitzung bekämpfen.

 Corona hat unerträglich überlaute Lärmmaschinen beseitigt: die viel zu vielen Flugzeuge am Himmel. Die Zahl der Flugreisenden ging 2020 global um zwei Drittel zurück.

 Der Abstand zwischen Europa und Afrika wird kleiner. Die Lebenserwartung steigt, die Sterblichkeitsrate von afrikanischen Müttern und Kindern sinkt. Es entstehen mehr innerafrikanische Handelsbeziehungen. Die afrikanische Mittelschicht wächst. Europäische Medien befassen sich zu wenig mit den positiven Veränderungen in Afrika. Afrika kam mit seinen langen Pandemie-Erfahrungen besser durch die Corona-Krise als Europa. »Europa hätte von Afrika lernen können«, sagt die frühere Ministerpräsidentin von Senegal, Aminata Touré, dem »Spiegel«.

 Äthiopien hat im Jahr 2019 innerhalb von zwölf Stunden 345 Millionen Bäume gepflanzt. Davon inspiriert und von der kenianischen Umweltpolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Wangari Muta Maathai beeindruckt, gründete der damals neunjährige Felix Finkbeiner die Kinder- und Jugendorganisation »Plant-for-the-Planet«; sie hat in den letzten zwölf Jahren über sechs Millionen Bäume gepflanzt (s. S. 150 ff.). Ihr Ziel: 1000 Milliarden Bäume pflanzen! Wir können »Eine Kultur der Freude bauen« (Rony Lüthi).

 Eine kleine kirchliche Jugendorganisation in Kenia hat, finanziell unterstützt von einer bayerischen Kirchengemeinde, eine Million Bäume gepflanzt. Der Organisator, Engelbert Groß, ein deutscher Theologie-Professor, schrieb über das Ergebnis: »Die Gegend war durch enorme Waldrodungen zur Halbwüste geworden. In den Jahren zwischen 1985 und 1997 haben wir eine Million Bäume gepflanzt. Heute sind die Bäume groß gewachsen und haben ein dichtes Blätterwerk. Das Klima in der Region hat sich durch den neuen Bewuchs verändert. Es gibt mehr Regen, die Flüsse führen mehr Wasser, die Ernten sind ertragreicher. Die Einkommen der Menschen sind gestiegen. Früher gab es in dieser Gegend eine weiterführende Schule. Heute gibt es sechs davon … Unsere Bäume gedeihen prächtig. Sie dienen nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren. Sie spenden Schatten, und in der Trockenzeit können die Blätter an die Ziegen, Schafe und Kühe verfüttert werden.« Solche Beispiele können wir millionenfach wiederholen.

 Im Januar 2021 beschlossen 50 Staaten auf dem »One Planet Summit« in Paris, Afrika dabei zu helfen, eine »große grüne Mauer« in der Sahelzone zu errichten, eine Wand aus Milliarden Bäumen vom westafrikanischen Senegal bis zum ostafrikanischen Dschibuti aufzuforsten, ein 15 Kilometer breiter und 8000 Kilometer langer Wald.

 Zugleich wurde beschlossen, bis zum Jahr 2030 dreißig Prozent der Land- und Meeresfläche unseres Planeten unter Schutz zu stellen.

 Afrika und die Sonne! Unser südlicher Nachbar kann ein Kontinent der Hoffnung werden. Deshalb habe ich in einem »Offenen Brief an Papst Franziskus und an die Bischöfe aller Konfessionen« vorgeschlagen s. S. 280), dass sich die Kirchen und alle Weltreligionen an die Spitze einer weltweiten Aufforstungs-Aktion stellen. Kein Netzwerk ist weltweit so gut aufgestellt wie das der Kirchen. Wälder sind die Zierde der Erde. Sie bieten ein Obdach für Kriechtiere und Vögel, für Insekten und Menschen und Nahrung in Hülle und Fülle.

 Die ganz große Hoffnung für die Zukunft heißt »Fridays for Future«. Weltweit treibt die Ignoranz der Alten eine ganze Generation auf die Straße.

 Die G20-Staaten einigten sich auf die gerechte Verteilung des knappen Impfstoffs gegen Corona – auch an die armen Länder des Südens.

 Der Verkauf von Elektro-Autos ist in Deutschland von 2019 auf 2020 um mehr als das Doppelte gestiegen, der Verkauf von Diesel- und Benzin-Autos um 44 Prozent zurückgegangen. Erstmals werden in der EU mehr E-Autos gekauft als Diesel. Noch einige Jahre zuvor war die Antwort der deutschen Autowirtschaft auf die Zukunft des Autos: Diesel-Manipulation statt Innovation. In Norwegen fahren im Jahr 2020 bereits 60 Prozent aller neu gekauften Autos elektrisch.

 Die Regierung des klassischen Kohle-Landes England hat beschlossen, bis 2025 komplett aus der Kohle auszusteigen und ab 2030 keine Benzin-Autos mehr produzieren zu lassen. Englands Premierminister Boris Johnson kündigte am 8. Dezember 2020, am fünften Jahrestag des Pariser Klimaschutzabkommens an, sein Land werde die Treibhausgase »schneller als jede andere führende Wirtschaft der Welt reduzieren. Damit übernehmen wir heute die weltweite Führung.« Seine Regierung strebe an, die CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 68 Prozent zu verringern. Bislang waren 57 Prozent Reduktion vorgesehen.

 Corona hat die deutsche Wirtschaft hart getroffen. Doch viele Unternehmer glauben, dass sie ihre Marktposition gehalten oder sogar verbessert haben – mit Ausnahme der Autofirmen. »Der Spiegel« titelte: »Deutsche Industrie wird gestärkt aus der Pandemie hervorgehen.«

 2020 ist das Glücksniveau der Deutschen trotz Corona- be­dingter Einschnitte kaum gesunken. 80 Prozent der Befragten gaben an, sie seien froh, während der Corona-Krise in einem Land wie Deutschland zu leben. Die meisten Deutschen vermuten, dass sie 2021 wieder genauso zufrieden sein werden wie vor der Pandemie.

 Die Wähler in den USA haben Donald Trump abgewählt. Der neue US-Präsident Joe Biden und seine Vize-Präsidentin Kamala Harris haben angekündigt, dass die stärkste Volkswirtschaft der Welt bis 2035 im Strombereich klimaneutral sein werde. Joe Biden ist der erste Klima-Präsident der USA. Biden und Harris haben mit dem Thema Klimaschutz die Wahl am 3. November 2020 gewonnen. Präsident Trump war ein Klimawandel-Leugner. Mit John Kerry ist nun erstmals ein »Sonderbeauftragter für das Klima« berufen, der als Außenminister unter Präsident Obama das Nuklear-Abkommen mit dem Iran, aber auch das Pariser Klimaschutz-Abkommen vorantrieb.

 Laut der Albert-Schweitzer-Stiftung verpflichten sich die Lebensmittel-Discounter Aldi-Süd und Aldi-Nord zu mehr Tierwohl für Hähnchen in ihrem Sortiment. Schon 350 Konzerne haben sich der Masthuhn-Initiative der Stiftung angeschlossen, darunter auch Nestlé. Die Stiftung hofft, dass sich weitere Konzerne anschließen. Sie setzt auf mehr Tierwohl und auf eine vegane Lebensweise.

 Im Dezember 2019 wählte das finnische Parlament die 34-jährige Sanna Marin zur jüngsten Regierungschefin der Welt. Ihre Koalition besteht aus fünf Parteien, die allesamt von Frauen geführt werden, welche um die 35 Jahre alt sind. Im finnischen Parlament sitzen etwa gleich viele Frauen und Männer. Eine größere Balance zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist die zentrale Voraussetzung für eine bessere Welt. Wenn es uns gelingt, die feminine und die maskuline Schöpferkraft, die in beiden Geschlechtern schlummert, zu integrieren, schaffen wir die eigentliche Voraussetzung für eine bessere, ökologische und friedlichere Welt. 6000 Jahre Patriarchat hat unsere Welt dorthin gebracht, wo wir heute stehen: an den Abgrund! Die Natur sieht immer Ausgewogenheit, Vielfalt und Balance vor, nicht Einseitigkeit, Einfalt und Ungleichgewicht. Alle Umfragen zeigen: Vor allem Frauen und Jugendliche fordern von ihren Regierungen mehr Umwelt- und Klimaschutz.

 Keiner der 30 Dax-Vorstände in Deutschland wurde Ende 2020 von einer Frau geführt. Deutsche Chefetagen sind so einseitig männlich besetzt wie ein Männergesangsverein. Die Unterrepräsentation von Frauen in Politik und Wirtschaft wurde bisher als so selbstverständlich hingenommen wie ihre Überrepräsentation im Niedriglohnsektor, bei der Hausarbeit und bei der Armut. Doch 2020 hat die Große Koalition eine Frauenquote beschlossen. Für die 600 größten Konzerne heißt das: In Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern müssen sie künftig mindestens eine Frau berufen. Noch lange keine Gleichberechtigung, aber immerhin ein Durchbruch zu diesem Ziel.

 In Belarus haben 2020 vor allem mutige Frauen den Diktator Lukaschenko ins Wanken gebracht; seine Wahlmanipulation war offenkundig. Die eigentliche Wahlsiegerin Swetlana Tichanowskaja sagt: »In unseren Köpfen hat eine Revolution stattgefunden … Uns sind förmlich Flügel gewachsen.« Sie ist überzeugt: »Die friedliche Revolution wird siegen.« Die gewaltfreie Revolution in Belarus hat ein Gesicht: Es ist weiblich, hat funkelnde Augen, ist mutig, freundlich und entschlossen zugleich. Es strahlt Kraft und Klugheit aus. Die Heldentaten der friedlich demonstrierenden Belarussinnen und Belarussen werden zu fortschrittlichen Ergebnissen führen. Hoffentlich auch bei den Helden des arabischen Frühlings, der auch nach zehn Jahren nicht vergessen ist. 2011 verdichtete sich der Abscheu gegenüber Repression und staatlicher Willkür von Tunis über Kairo bis nach Tripolis, von Damaskus bis nach Sanaa in dem Slogan: »Das Volk will den Sturz des Regimes.« Diese Freiheitsrufe wirken ansteckend. Solange die Rufe nach Brot, Freiheit und Gerechtigkeit nicht gehört werden, ist die Frage nicht, ob es zu neuen Aufständen kommt, sondern wann. Der nächste Aufstand kommt bestimmt.

 Zum Jahresende 2020 schrieb eine Frau in einem Leserbrief der Süddeutschen Zeitung: »Corona hat mir 2020 vor allem gezeigt, was wichtig im Leben ist: Freundschaft, Liebe und ein achtsamer Umgang miteinander. Und natürlich die Gesundheit.« Viele Menschen in unserer Umgebung erlebten auch eine lustvolle Renaissance des Spaziergangs. Gehen ist mehr als Bewegung, Zeitvertreib und Zerstreuung.

 Am 1. Januar 2021 lebten 7.837.693.000 Menschen auf unserem Planeten. Viele Menschen fürchten, dass wir bald über zehn Milliarden sind, und sehen im Bevölkerungswachstum das größte Problem unserer Zeit. Zehn Milliarden sind nicht auszuschließen. Aber auch hier zeichnet sich in der Ferne eine Lösung ab: In den letzten 50 Jahren hat sich das Wachstum der Weltbevölkerung bereits halbiert. Die Ursachen: Die Verteilung moderner Verhütungsmittel und der Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen haben sich weltweit verbessert. Bevölkerungssoziologen gehen davon aus, dass ab etwa 2050 die Erdbevölkerung nicht weiter wächst und in vielleicht 50 Jahren zurückgeht, sodass wir in etwa 200 Jahren noch drei bis vier Milliarden Menschen sein werden.

Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten

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