Читать книгу Gefangen im schrecklichen Ich - Franz Bingenheimer - Страница 5

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Nur der Papst konnte ihn nach einer Aussage bei der Polizei wieder in die Kirche aufnehmen und ihn in seinem priesterlichen Amte erneut einsetzen.

Ja, Seefeld zweifelte an seiner Lossprechung, die er soeben vollzogen hatte.

Konnte er Herbert Kranz überhaupt lossprechen von seinem grausamen Sexualmord, den er begangen hatte.

Nein! Es ist nicht im Interesse Gottes und der Gerechtigkeit, überlegte er, und zweifelte seine Arbeit im Auftrag der Kirche an.

Seefeld war sich zum ersten Mal richtig bewusst, was er soeben getan hatte.

Er sprach einen für die Menschheit noch gefährlichen Sexualmörder, der noch immer auf freiem Fuß war, kraft seiner Amtsvollmacht im Namen Gottes, und im Auftrag der katholischen Kirche von seiner schweren Schuld frei?

War er damit nicht zum Komplizen von Herbert Kranz geworden? fragte er sich.

Dann stand er auf, zog den Vorhang des Beichtstuhls zur Seite und ging schweren schuldhaften Gewissens aus dem Beichtstuhl.

Das Gotteshaus war jetzt menschenleer.

Die Stille in der Kirche erdrückte ihn fast. Er fühlte sich einsam und verlassen von der irdischen Welt.

Denn er war jetzt alleine mit seinem Gott, dem er bis heute in Ehrfurcht gedient hatte.

Langsamen Schrittes ging er vor zum Altar, küsste seine Stola und kniete sich vor dem großen hölzernen Gott nieder. In Anmut sah Jesus, demonstrativ an das Kreuz genagelt leidvoll auf ihn herunter.

Hilfesuchend schaute Pfarrer Seefeld hoch über den Altar auf das Dreifaltigkeitszeichen, das von mehreren Heiligen umgeben war und sprach: >>Herr vergib mir! Entscheide Du! Denn ich kann es nicht! <<

Verzweifelt suchte er nach dem Gespräch mit Gott, in der weiß aus Holz geschnitzten Taube, die für ihn den heiligen Geist symbolisierte.

*

Zur gleichen Zeit saß im Untersuchungsgefängnis in München Stadelheim Karl-Heinz Kramer depressiv in einer 2 auf 4 Meter kleinen Einzelzelle und starrte apathisch an die Decke.

Morgen sollte er wegen Platzmangel in eine Zwei-Mann-Zelle verlegt werden. In der Gefängniszelle, in der er jetzt eingesperrt war, gab es nur ein kleines Fenster, wodurch nur wenig Tageslicht drang und aus dem man auch stehend nicht hinaussehen konnte. Es gab nur die Lichtquelle einer Leuchtstoffröhre an der Decke, dessen Lichtschalter irgendwoher außerhalb der Zelle eingeschaltet wurde. Tagsüber war es so gut wie dunkel in seiner kleinen Gefängniszelle.

Durch das defekte Fenster, hinter dem ein sicheres Eisengitter zu sehen war, zog es nachts. Ein normales Schlafzimmer war für ihn Übernacht zum Luxus geworden.

Die alten zerschlissenen Möbel in der Zelle waren mit eisernen, schon zum Teil verrosteten Schrauben an der Wand befestigt. Und das offene Klo roch penetrant nach Gülle. Auch hatte es keinen Deckel. Auf einem angenagelten Holzbrett über dem kleinen Kaltwasser-Waschbecken, hatte Karl-Heinz Kramer sein Toilettenzeug, das man ihm bei der Einkleidung ließ, abgestellt.

Den Rasierapparat nahm man ihm weg.

Da Suizidgefahr bestand, musste er auch seine Schnürsenkel aus den Schuhen entfernen und abgeben.

Keine spitzen Gegenstände besaß er jetzt mehr. Nur den alten verbogenen abgenutzten Blechlöffel, der bei der Einkleidung, in der Effektenkammer, in einer Blechschüssel lag, hatte man ihm gelassen.

Zwei an der Wand befestigte Holzbretter, die Tisch und Stühle darstellen sollten und ein starkes Sperrholzbrett, das man als Bett gedacht hatte, war alles an Mobiliar in der Nasskalten nach Moder riechenden Gefängniszelle.

Die drei Tage, die Karl-Heinz Kramer in der acht Quadratmeter kleinen Zelle verbrachte, kamen ihm wie eine Ewigkeit vor.

Der Gedanke, ein Leben lang hier einzusitzen, brachte ihn fast um den Verstand.

Immer wieder lief er die letzte Nacht nachdenklich von der Angst getrieben in der Gefängniszelle hin und her, um einen Beweis für seine Unschuld, zu finden.

Apathisch stand er jetzt auf, ging an den schmalen Schrank. Dann schlug dreimal mit großer Gewalt seine Stirn an die offenstehende Schranktür.

Ja, die Schmerzen in seinem Kopf wollte er spüren. Es sollte für ihn ein Zeichen sein, das er noch lebte.

Verletzt am Kopf ging er zurück und legte sich auf das Bett, dessen Überzug mit gelben Speichelflecken verschmutzt war. Ob ein Weiterleben noch einen Sinn hatte, fragte er sich und tupfte das Blut an seiner Stirn mit etwas Toilettenpapier ab. Seine linke Augenbraue war von dem heftigen Stoß an der Türleiste des Holzschrankes aufgeplatzt.

Die qualvollen Schmerzen, die er jetzt in sich spürte, lenkten ihn ab von den wahnsinnigen Angstvorstellungen, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen.

Langsam zog er in schüttelfrostartigem Zustand die raue Filzdecke über seinen Körper.

Das flache Kopfkissen, auf dem er jetzt lag, roch unangenehm nach Kaltem, ekelig erregendem Schweiß.

Ja! Wie weit war es mit ihm gekommen? Seine pädophile sexuelle Neigung hatte ihn in eine fürchterlich aussichtslose Lebenslage gebracht, aus der er mit eigener Kraft nicht mehr herauskam. Ja! Wäre der Schulmeister nicht gekommen, wäre es wirklich geschehen. Denn sein normaler menschlicher Verstand war ausgeschaltet, als er sich an der kleinen Klara vergehen wollte.

Sein Geist glich im Augenblick der Tat, dem Verstand eines Tieres, das seinen Trieb um der Selbstwillen befriedigen musste. Ja, er wollte Klara Seifert sexuell missbrauchen und was danach geschah, war ihm in diesem Augenblick des zwanghaften Handelns völlig egal, dachte er jetzt und drehte sich unruhig auf der durchgelegenen Matratze hin und her.

Dreiundzwanzig Stunden saß er jetzt schon in der Gefängniszelle. Nur für eine Stunde durfte er am Vormittag unten auf dem Innenhof des Gefängnisses ein paar Runden gehen. Ansonsten passierte nichts!

>>Du fieses geiles Schwein! Du erbärmlicher Kinderficker! Wir machen dich fertig! <<, riefen ihm ein paar Knackis aus den Zellen hinter den vergitterten Fenstern zu, als er alleine heute Morgen seine Runden hinter den hohen Gefängnismauern im Innenhof drehte. Es war ja kein Wunder! Denn in Windeseile hatte sich seine Ankunft im Zellentrakt herumgesprochen. Alle Zeitungen brachten auf der ersten Seite ein Bild von ihm. Und dass er jetzt in München-Stadelheim in Untersuchungshaft saß, meldeten die Fernsehsender in ihren aktuellen Tagesnachrichten.

Was werden wohl meine Kinder denken, wenn sie in den Nachrichten hören, dass ihr Vater unter dringendem Verdacht steht, Klara Seifert sexuell missbraucht und ermordet zu haben, überlegte er und stand wieder auf.

Nach wenigen Sekunden des Grübelns lief er ähnlich wie ein eingesperrtes Tier in einem Käfig verzweifelt, in der vier Meter langen Zelle unruhig auf und ab.

Plötzlich wurde die Zellentür von draußen aufgeschlossen und der eiserne Riegel zurückgezogen.

Karl-Heinz Kramer stellte sich ängstlich in die hintere linke Ecke der Gefängniszelle und wartete ab was geschah.

Jetzt wurde die schwere hölzerne Zellentür mit einem festen kräftigen Ruck aufgestoßen.

>>Kommen Sie mit! <<, befahl ein hünenhafter kräftiger Vollzugsbeamter, der draußen auf dem Flur breitbeinig stehen blieb.

>>Wohin? <<, fragte Kramer sofort misstrauisch.

>>Sie haben Besuch! <<

>>Meine Frau? <<, fragte er ein wenig erfreut, und ging auf den Beamten der vor der Tür stand zu.

>>Nein! Hauptkommissar Obermayer vom LKA München.

Er möchte ihnen ein paar Fragen stellen<<, antwortete Fred Platz, der Gefängniswärter und zeigte mit einer Handbewegung an, dass er vorausgehen sollte.

Dass er während der Untersuchungshaft keinen Besuch empfangen durfte und die Post für ihn von einem Richter zensiert wurde, wusste Karl-Heinz Kramer nicht, als er nach seiner Frau fragte. Denn ein Brief dauerte in der Regel drei bis sechs Wochen, bis er bei den Angehörigen ankam.

Also vergingen mindestens ein bis zwei Monate bis Antwort kam. In Ausnahmefällen genehmigte man private Besuche. Aber alle 14 Tage nur 30 Minuten in einem kleinen Raum, der überwacht wurde, von einem strengen Vollzugsbeamten.

>>Helfen Sie mir bitte! Ich bin unschuldig. Auch habe ich keine Erfahrung mit dem Knastleben<<, sagte jetzt Karl-Heinz Kramer hilflos leise, während er zwei Schritte voran den langen Gefängnisflur zum Ausgang ging.

Ja, er war sehr dankbar für jeden Hinweis, der ihm das harte ungewohnte Gefängnisleben erleichterte.

>>Das sagen sie alle! <<, antwortete Platz und ließ einige Sekunden vergehen, bevor er weitersprach.

>>Nehmen sie sich einen Rechtsanwalt, sonst sind sie ohne jeglichen Schutz hier in Untersuchungshaft. Aber passen sie auf! Es gibt auch schwarze Schafe unter den Anwälten. Außerdem würde ich ihnen raten die Wahrheit zu sagen. Desto früher sie gestehen, umso schneller sind sie hier aus der Untersuchungshaft. Im normalen Strafvollzug geht es ihnen besser, als hier! <<

Jetzt waren sie beide an der eisernen Gittertür am Zellentrakt- Ausgang angekommen. Ein Schließer, der vor der Tür in einem verglasten Wachhaus saß, hatte sie gesehen und entriegelte die Tür durch einen Tastendruck auf seinem Steuerpult in seinem verglasten sicheren Wach-Büro.

Nachdem sie durch eine Sicherheitsschleuse und durch eine zweite Stahl-Sicherheits-Tür, die auch geöffnet wurde, gegangen waren, kamen sie in den Bürotrakt des Gefängnisses.

Gefangen im schrecklichen Ich

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