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Das Haus am Entiako-See

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Peter Sattler trieb die Kühe, die auf der kurzgrasigen, ziemlich steilen Weide schon wieder auseinandergeschwärmt waren, hinter den Pferden her. Sie folgten unwillig, als ahnten sie, daß sich unten bald wieder der dichte Urwald rauh und ohne saftige Gräser über sie schließen würde.

Mit einem Auge aber suchte er auf dem Abstieg immer noch nach dem großen Weideland, von dem sie auf der ganzen Fahrt geträumt hatten. Von der Höhe tauchten aus dem gewaltigen Waldmeer schmale, hellgrüne Streifen, Taleinsenkungen mit dunklen Seeaugen und da und dort zarte Nebelschleier, unter denen Schluchten voll brausender Wasser verborgen lagen. Dies alles aber unterbrach kaum die ungeheure Einsamkeit und Leere des Waldlandes nördlich der Algack-Berge.

Auch dieser Tag verschleierte sich allmählich. Die unsichtbare Sonne mußte schon über die Mittagshöhe hinausgeschritten sein, als mit dem ersten niedrigen Kieferngebüsch sich auch die obere Waldgrenze wieder ankündigte. Langsam stieg die kleine Karawane zwischen abgestorbenem Gebüsch und klobigen Felsbuckeln tiefer. Die Fernen sanken unter den Horizont hinab. Auch die tröstlichen schmalen Waldlichtungen am Fuße des Bergzuges verbargen sich hinter der schweigenden Linie der Wälder.

Aus einem Bergspalt brauste ein weißgischtendes Wasser hervor, das von dem schmelzenden Schnee auf den höheren Hängen genährt wurde. Mac Lean hob die Hand. „Stopp, hier ist der richtige Lagerplatz! In dem verdammten Walddickicht unten kommen mir nachts immer so düstere Träume.“

Die Ranchers saßen auf den Pferden und lauschten. Worauf warteten sie? Auf das dunkle, ferne Klingen, das noch an jedem stillen Tag aus der Endlosigkeit heraufgestiegen war? Peer, der neben Rossy ritt, schauderte zusammen. Ohne sichtbaren Grund empfand er auf einmal geheime Angst.

Aber Bill sprang bereits vom Pferd, schlang den Leitriemen um ein Kiefernstämmchen und ging auf Holzsuche aus. Er kehrte bald mit einem ganzen abgestorbenen Busch aus der Schlucht zurück. Die dürren Flechten brannten wie Zunder an, und bald stieg eine steile Flamme in den gelbschleierigen Abendhimmel.

Jeder tat ohne lange Worte seine Arbeit. Zur Feier des Eintritts in das neue Land kochte Mutter Sattler wieder einmal duftenden Kaffee. Selbst die Pferde, die in der Nähe angepflockt standen, hoben schnuppernd die Köpfe. Nur die Kühe wiederkäuten gleichmütig in dem riemenumfriedeten Gehege. Peter Sattler hatte sich schon vor Jahren auch zum Melker ausgebildet; nun versah er seit dem Abmarsch vom Anahim-See dieses Amt an der Melkkuh, die neben den Zuchttieren eingekauft worden war. Diesmal floß der Strahl der Milch wieder besonders reichlich. Die Hungertage im Urwald der südlichen Algack-Berge waren überwunden.

Mac Lean hob am Feuer die Tasse mit heißem Kaffee.

„Verdammt, es müßte Whisky sein, damit wir den Eintritt ins neue Land richtig feiern könnten! Aber lassen wir es uns nicht verdrießen und wollen wir heute unsere verrückte Idee mit diesem Gebräu hochleben lassen. Niemand wird uns dreinreden, wo wir unsere Hütten aufbauen. Jeder Tag gehört uns, und unser Leben wird so frei sein wie noch nie!“

Peter Sattler nickte dem Gefährten zu. In ihm bohrte noch eine leise Ungewißheit, doch jetzt ließ er sie nicht gelten. „Nur der Schleier der Wälder liegt noch vor dem Land, das wir suchen. Eines Morgens werden sie zu Ende sein, und unser Weideland nimmt uns auf. Dann soll ein fröhliches Bauen und Ranchen beginnen!“

Mac Lean zwinkerte mit den Augen Bill und Peer zu. „Hört euch das an, ihr Greenhorns! Und wer wird unser Nachbar sein? Die Grizzlys und die schwarzen Wölfe werden verwundert den Rauch aus unsern Kaminen schnuppern; die wilden Gänse werden die Hälse verdrehen, wenn sie in den Tetachuk-See einfallen; die Ulgatchos werden um unsere Weidezäune schleichen, und wir werden die schmutzigen Boys zu Tisch laden. All devils, es wird ein feines Leben sein!“

Er wandte sich rasch um und hob seinen Revolver. Kurz und scharf peitschte der Knall zweier Schüsse in die Dämmerluft, daß die Pferde erschreckt hochstiegen. Es war der Salut zum Einzug der Ranchers in das neue Reich.

Dieser Abend jenseits des Passes hätte auch recht traurig sein können. Unter welchen Mühsalen hatten die Ranchers diese Höhe erreicht, und was hatten sie in Wirklichkeit dann gesehen? Nicht viel mehr als eine unübersehbare Wüste von Wald! Nur Mac Lean hatte die Hoffnung von neuem angefeuert. Die Sattlers waren ein ernsterer Schlag Menschen.

Als Bärbi Sattler sich an diesem Abend im Zelt in die Decken wickelte, konnte sie den Tränen nicht wehren. Sie hatte unter der Decke die Hände gefaltet. Bis jetzt hatte Gott immer seine Hand über die kleine, mutige Schar gehalten. Mit seinem Segen würden sie auch in der Zukunft finden, wessen sie bedurften.

Mit Tagesanbruch waren die Ranchers wieder auf den Beinen. Auf dieser Höhe wehte eine empfindlich kühle Morgenluft, und der heiße Tee tat den ausgefrorenen Körpern gut. Der fahle Himmel wechselte bald in ein zartes Grün. Die Morgensonne blitzte über hohe Felsgrate im Osten und versprach einen schönen Wandertag.

Solang es anging, wollten die Ranchers an der Baumgrenze entlang nach Norden weiterziehen. Vor ihnen zog sich ein Bergausläufer weit gegen Westen hinaus und hatte auch gestern einen Teil des nördlichen Horizontes verdeckt. Peter Sattler und Mac Lean hatten darum beschlossen, auch diese Höhe noch zu überqueren, ehe sie endgültig in die Tiefe der Wälder hinabtauchten.

Von neuem wuchs eine heimliche Spannung, als die Ranchers aus einer niedrigen Senke wieder zu dem Bergrücken emporstiegen. Auf dem letzten Stück zeigte sich der Grashang sogar von schmalen Felsbändern durchsetzt, und die Tiere mußten eines hinter dem andern in langen Kehren bergan steigen. Es fielen keine Worte mehr, jeder hatte scharf auf jeden Tritt zu achten.

Der Bergkamm zeigte sich vom Wind überweht und mit flachen Blättchen von Schiefergestein bedeckt. Drüben fiel eine hohe Wand jäh ab.

Diesmal saßen die Reiter eine lange Weile stumm auf ihren Pferden. Peter Sattler fuhr sich über die Augen. War es Wahrheit oder nur Gaukelei der Phantasie, was er jetzt sah?

Wald, Wald – aber in der Ferne ein dunkler, regloser See-Spiegel und an seinem Ufer, scharf abgehoben von dem Schwarzgrau der Tannen, eine weite zartgrüne Fläche.

„Das Land, das Weideland!“ sprach der Mann halblaut.

Mac Lean hatte bisher geschwiegen. Jetzt sprach er mit einer gefaßten Stimme, die keiner diesem frohen, lärmenden Cowboy zugetraut hätte: „Wir haben es gefunden, das Weideland im Norden.“

Bill und Peer wollten begeistert losbrüllen, aber Mac Lean hob die Hand: „Diesmal haltet den Mund, Boys; Frau Sattler soll das erste Wort sprechen.“

Als Bärbi Sattler alle Augen auf sich gerichtet sah, wurde sie rot bis hinter die Ohren. Was sollte sie jetzt sprechen? Sollte sie gar unter Männern eine Rede halten?

„Gott sei Dank!“ sprach sie schlicht. Und das war auch alles, was sie in diesem Augenblick sagte.

„Na, seht ihr!“ lachte Mac Lean. „Keiner von uns darf behaupten, daß wir besonders schlau wären. Aber wir haben dennoch hergefunden. Man braucht nur etwas zu tun. Und folgt man einem bestimmten Ziel, dann stellt es sich doch einmal einem vor die Nase!“

Noch immer ließ keiner die Augen von dem offenen Weideland am See. In einer majestätischen Weite lag es meilenweit nördlich des Waldgürtels, den die Ranchers noch durchqueren mußten. Und jetzt erst begriffen sie es ganz, in welch unsicheres Unternehmen sie sich hinausgewagt hatten. Alle Angaben waren ungewiß gewesen, aber sie hatten dennoch das Risiko auf sich genommen.

„Los, vorwärts!“ rief Mac Lean. „Was sollen wir noch länger hier auf diesem armseligen Bergrücken?“

Mac Lean ging sparsam mit seinen wenigen Zigaretten um. In dieser Stunde aber paffte er eine nach der anderen und hüllte sich in ganze Wolken von Rauch. Er bot auch Peer und Bill davon an, aber ein Blick des Vaters verbot den Söhnen, die Zigaretten anzunehmen. Wozu hatten sie den Kaugummi in ganzen Bündeln mitgenommen?

Die Ranchers mußten weit nach Westen hinüber ausweichen, bis sie den steilen Felsabhang umgangen hatten. Unten empfing sie wieder dichtes Gefilz von Kiefern und niedrigen Erlen. Die Rinder verschwanden bis zum Rücken in dem raschelnden Gebüsch, und sie wüsteten in dem jungen Geäst, daß die Zweige flogen. Nun ritten die zwei Männer voran, die Boys mußten sich um die Kühe kümmern. Halfter an Halfter gespannt, folgten hinter Bärbi Sattler und Rossy die ruhigen Tragpferde.

„Werden wir die Richtung auch einhalten können?“ fragte Peter Sattler einmal.

„Wozu haben wir die Sonne! Übrigens habe ich auf dem Hang oben meinen Kompaß eingestellt, wenn sich die gute Mutter am Himmel vor uns verbergen sollte.“

Mac Lean pfiff wohlgemut vor sich hin. Was sollte ihm auch jetzt noch Sorge machen, da die Weide unmittelbar auf sie wartete? Immer näher ließ sich das Rauschen eines Gewässers hören. Doch die Föhren standen so dicht, daß die Ranchers den Flußlauf erst sahen, als sie schon knapp an seinem Ufer standen. Steil fiel der Uferrand ab, und drüben stieg er ebenso jäh wieder an.

„Der Bach quert unsere Wanderrichtung. Aber hier können wir nicht über das Wasser“, stellte Peter Sattler fest.

„Mal flußabwärts zotteln, vielleicht wartet irgendwo eine Brücke auf uns!“

Aber Mac Lean dachte dabei nicht an einen Übergang, den Menschenhand geschaffen hatte; vielleicht breitete sich das Gewässer einmal aus, und die Reisenden konnten den Bach durchwaten. Sie mußten sich länger als eine Stunde durch wildes Strauchgewirr einen Pfad bahnen, bis sich endlich beide Flußufer allmählich senkten.

Mac Lean sprang vom Pferd und lockerte den Sattelgurt, damit das Pferd richtig atmen konnte, wenn es ins Wasser geriet. „Vielleicht müssen wir drüberschwimmen. Ich will es einmal für mich versuchen.“

Er zog die Stiefel von den Beinen und hängte sie über den Sattel, dann stieg er barfuß in den Steigbügel und schwang sich wieder auf das Pferd. Die Sattlers beobachteten seine Vorbereitungen mit ziemlicher Sorge.

Der Bach war hier etwa dreißig Meter breit, und da das Wasser ruhig floß, konnte man vom Ufer aus auch auf den Grund des Baches sehen. Man erblickte Steine, Geröll, aber keinen der gefährlichen, unter Wasser abgesunkenen Bäume.

Mac Lean trieb seinen Braunen behutsam in das langsam fließende Wasser hinab, Anfangs reichte es bis an die Brust des Pferdes, wurde aber rasch tiefer, und auf einmal sank das Pferd bis zum Rücken in die Flut. Schnaubend begann es zu schwimmen. Mac Lean hatte die Füße aus dem Steigbügel gezogen und hielt sich mit den Händen an der Mähne fest. In der Tiefe mußte eine stärkere Strömung des Wassers ziehen, denn der Braune wurde schnell abwärts getragen.

„Hüh, hüh!“ drückte Mac Lean mit der linken Hand am Zügel und mit der rechten an der Mähne den Kopf des Pferdes gegen das jenseitige Ufer.

In diesem Augenblick kippte das schwimmende Pferd um und schlug mit den Beinen brausend das Wasser. Mac Lean war abgeglitten und untergetaucht.

Die Hufe, die Hufe! Wenn sie den schwimmenden Mac Lean trafen, dann war er verloren.

Aber dieser tauchte abseits von seinem Braunen auf. Er hatte die Zügel nicht aus den Händen gelassen. Jetzt schwamm er mit raschen Schlägen gegen das Ufer zu und versuchte, das Pferd hinter sich herzuziehen. Auch der Braune gewann wieder Mut und schwamm ruhig weiter.

Tropfnaß kletterten Pferd und Reiter drüben aus dem Wasser. Sie mußten achten, daß sie auf den glatten Steinen nicht ausglitten, und tappten langsam höher empor. Jetzt erwies es sich, wie gut es gewesen war, daß Mac Lean seine Stiefel fest an den Sattelknopf gebunden hatte.

Während sich das Pferd schüttelte, daß ein weiter Sprühregen davonstob, riß Mac Lean Rock und Hemd herunter und wrang sie aus. Die Luft hatte sich wieder erwärmt, aber dennoch klapperte er laut mit den Zähnen.

Die Sattlers hatten das Abenteuer Mac Leans vom Ufer aus mit Schrecken verfolgt. Bill war vom Pferd gesprungen und hatte das Lasso schwingend in der Hand gehalten, bereit, es Mac Lean zuzuwerfen, wenn er Hilfe brauchte. Die Kühe brüllten unruhig und störrisch, und die Pferde wichen vor dem heimtückischen Wasser zurück.

„Hallo, nichts zu machen!“ rief Mac Lean von drüben. „Wir müssen für euch eine andere Furt suchen!“

So kam es, daß die Ranchers nun getrennt zu beiden Seiten des Wassers abwärts zogen. Mac Lean führte sein Pferd am Zügel nahe am Wasser und spähte immer wieder auf den ruhig fließenden Bergbach hinab. Doch hörte er ein stärkeres Rauschen in der Ferne, und es schien ihm jetzt, als könnte man das seichtere Wasser mit stärkerer Strömung leichter überqueren.

Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht. „Verdammte Geschichte, wir werden uns ein Floß bauen müssen“, knirschte Mac Lean. Wie sollte er sonst die Frauen trocken und heil über den Fluß bringen? Sie waren es nicht gewöhnt, auf Pferden durch das Wasser zu schwimmen.

Das fast eben auslaufende Tal nahm kein Ende. Der Nachmittag rückte weiter. Das dichte Gestrüpp hatte allmählich wieder hochstehenden Tannen Platz gemacht. Der kleine Ranchertrieb kam wieder rascher von der Stelle, aber er näherte sich mit keinem Schritt dem ersehnten Ziel im Norden.

„Hallo, hallo, Mac!“ schrie Bill. „Ist es dir recht, wenn wir ein Floß zusammenzimmern?“

„Ganz meine Idee!“ rief Mac hinüber. „Sucht euch Stangen, spannendick, zehn, zwanzig Stück, hackt sie auf halbe Länge und bindet sie quer übereinander. Werft mir das Lasso dann zu, dann ziehe ich die erste Traglast herüber.“

Die Karawane hielt an, und bald hallten Axtschläge durch die schweigende Einsamkeit. Bärbi Sattler und Rossy hielten die Kühe zusammen, und Peter Sattler trug Stange um Stange an das Ufer. In einer Stunde schwamm ein schwankendes kleines Floß auf dem Wasser. Peer und Bill versuchten, darauf zu stehen, aber sie sanken noch bis über die Knöchel in das Wasser.

„Noch einmal einen Stangenrost darüber“, riet Mac Lean.

Dann war die Tragkraft des Floßes so groß, daß einer der Jungen mit Packen und Kisten darauf Platz nehmen konnte. Bill schwang das Lasso, und Mac Lean fing es drüben auf.

„Eine brillante Seilfähre!“ lachte Mac Lean, als er die erste Fracht in Empfang nahm. „Jetzt aber Packen um Packen über den Fluß, und zuletzt sollen Mammy Sattler und Rossy drankommen!“

„Und die Pferde und Rinder?“ fragte Peer erschrocken.

„Die hängen wir mit Lassos zusammen. Sie müssen schwimmen! Peter und Bill werden sie ins Wasser treiben.“

Später saß Rossy hoch auf dem schwankenden Gepäck und ließ sich über den Fluß ziehen. Aus der schwarzen Tiefe spiegelte ihr verkehrt das eigene Bild entgegen. Als das Mädchen drüben aufatmend ans Ufer sprang, erschien es ihr, als wäre nun die letzte Verbindung mit der Welt jenseits der Urwälder abgeschnitten. Die Fähre glitt an einem zweiten Lasso zurück. Auch Mammy Sattler gelangte auf diese Weise über den schwarzen tiefen Fluß.

Bill und Peter hatten indessen die Pferde an Halfterstricken hintereinandergebunden. Der Zügel des ersten Reittieres wurde an das Lasso der Fähre gebunden. Jetzt kam der gefährlichste Augenblick. Widerstrebend folgten die Pferde dem anfeuernden Ruf Peter Sattlers, der auf dem Fährfloß stand und ein Tier nach dem andern zu sich auf das Wasser herabzog. Als das erste Pferd schwamm, überwanden auch die anderen ihre Furcht. Schnaubend und fast lautlos schwamm die Pferdeherde über das Wasser. Die Rinder brüllten nun verloren und verlassen, nur von Bill mühselig zusammengehalten. Und noch bevor Peter Sattler wieder an das Ufer zurückgekehrt war, tappten die ersten Rinder aus eigenem Antrieb an den Fluß hinab und folgten den Pferden durch die Flut.

Etwas abwärts wuchs hohes Schilfgras an einer sumpfigen Uferstelle. Dorthin wandten sich die Köpfe der Kühe, und schnaubend stiegen sie an das schlammige Ufer.

„Ah, darauf einen Dry Gin!“ stöhnte Mac Lean zufrieden, als alles auf dem Ufer versammelt war. „Jetzt aber ein großes Feuer und eine lange Wäscheleine dazu. Ich will endlich meine nassen Klamotten loswerden!“

Diesem Wunsch konnte rasch entsprochen werden. Bald loderte eine hohe Flamme empor, und in dem warmen Luftzug schwangen Hose, Hemd und Jacke Mac Leans an der Leine.

„Hoffentlich ist das der letzte Fluß vor dem Weideland“, sagte Peter Sattler, „sonst brauchen wir eine Woche länger, bis wir ankommen.“

„Bah!“ lachte Mac Lean „Allmählich bekommen wir ja Übung!“

Diesmal gab es zum Abend gebratenen Fisch. Noch niemals schien in diesem Gewässer jemand eine Angel ausgeworfen zu haben, denn kaum schwankte die Fliege über dem Wasser, schnellten die großen glänzenden Lachsforellen schon danach empor. So wuchs doch noch so etwas wie Freundschaft zu dem schwarzen Fluß in den Herzen der Ranchers.

Friedliche Nacht! Ab und zu ein Stampfen der Pferde oder ein wiederkäuendes Aufgurgeln der Rinder.

Ein blanker Morgen färbte den Himmel über den Tannen. Als die Pferde wieder gepackt standen und auch die Rinder endlich aus der schlammigen Suhle längs des Ufers heraufgetrieben waren, setzte der Treck seinen unterbrochenen Weg fort.

Der Boden stieg langsam an. Es war zu erwarten, daß hinter dieser Bodenwelle ein neues Wasser von den Bergen herabkam. Sobald der Grund wieder eben auslief, hielt der kleine Treck an. Mac Lean hatte schon nach schlanken Tannen Ausschau gehalten. Jetzt winkte er Bill heran: „Willst du nicht einmal deine Kletterkünste versuchen?“

Bill blickte fragend auf ihn. „Warum nicht?“

„Wir müßten eigentlich schon in der Nähe der ersten schmalen Weide sein. Vielleicht nimmt sich von dort oben die Gegend freundlicher aus.“

Bill schwang sich mit schnellen Griffen an den Ästen der schlanken Tanne hoch, dann und wann krachte ein dürrer Zweig auf den Boden herab, und zuletzt verschwand der Junge im grünen Gestrüpp des Baumes.

Lange hörten die Wartenden nichts. Bill schien bis zum letzten Ast emporgeklettert zu sein.

„He!“ rief Peter Sattler. „Was kannst du von oben erkennen?“

„Vater, Vater, ihr solltet alle heroben sein! Der See liegt schon vor uns. Eine Meile oder zwei noch, dann stehen wir an seinem Ufer!“

Bill kam ganz erregt vom Baum herunter. „Wir wären fast falsch gegangen. Der See liegt links von uns!“

„Wir brauchen die Weide, nicht den See!“ brummte Mac Lean.

„Das Land ist fast eben – die Weide sah ich nicht“, gab Bill verlegen zu.

„Na, dann an den See!“ knurrte Mac Lean. „Es wird wohl derselbe sein, den wir vom Berg oben sahen.“

Schweigendes, bedrücktes Dahinreiten. War das Weideland wieder untergetaucht, hatte sie der Blick in die Ferne nur genarrt? An diesem Tag erfaßte die Gemüter eine neue Niedergeschlagenheit. Mußte noch einmal ein Nachtlager unter den Tannen aufgeschlagen werden?

Bill und Peer hatten sich ausgebeten, eine Strecke vorausreiten zu dürfen. Sie tauchten zwischen Stämme hinein, und eine Weile später war auch der dumpfe Hufschlag nicht mehr zu hören.

„Wir kehren nicht eher um, bis wir diesen verdammten See gefunden haben!“ knurrte Bill.

„Die Entfernungen trügen im Wald. Vielleicht sind es noch viele Stunden bis zu dem Wasser“, gab Peer zu bedenken.

„Was, Stunden? Ich hab’ doch meine Augen im Kopf. Vor uns muß das Wasser liegen, zum Greifen nahe muß es sein!“

Vor den Jungen lichtete sich der bärtige Tannenwald immer mehr. Plötzlich erhob sich ein Rudel Hirsche aus einem nahen Gestrüpp und brach in wilder Flucht vor ihnen davon. Aber die Hirschkühe rannten nicht weit. Hundert Schritt vor ihnen blieben sie stehen, drehten sich um und betrachteten mit erhobenen Köpfen die seltsamen Wesen, die sie wohl noch nie gesehen hatten.

Unwillkürlich hielten die Jungen die Pferde an. „Sieh’ dort hinüber“, flüsterte Peer dem Bruder zu. Er schielte nach links. Dort standen unbewegt zwei Elchkühe in einer kleinen Senke, und vor diesen spiegelte sich Wasser.

„Der See, der See!“ flüsterte Bill. „Endlich haben wir ihn gefunden!“

Die Elchkühe wateten schwerfällig und langsam durch das hohe Schilf. Bill und Peer ahnten nicht, wie gefährlich diese urwelthaften Tiere gerade während der Sommermonate sein konnten. Es war jetzt die Zeit, da sie ihre Kälber säugten. Wer sich einem solchen nähern wollte, den traten die Muttertiere kurz und klein.

Die Jungen aber hatten jetzt nur Augen für den See. Sie hatten sein Ufer an einer schmalen Bucht erreicht. Als sie zwischen den letzten Tannen hinausblickten, dehnte er sich nach Norden und Westen viele Meilen weit, eingesäumt von dunklen Tannenwäldern.

„Wir müssen an der Bucht entlangreiten. Vielleicht finden wir sie dann!“

Die Jungen sprachen es nicht aus. Es ging nur um eines: um die Weide!

Bill und Peer durchquerten eine vorspringende schmale Landzunge. Sie ließen Spuren genug zurück, daß ihnen die Ranchers zu folgen vermochten. Als sie die leichte Bodenwelle überritten hatten, lichtete sich drüben von neuem der Blick. Die Jungen trieben die Pferde mit heftigen Bewegungen nach vorn. Sie konnten es nicht mehr erwarten.

Das Seeufer hatte sich zurückgezogen, vor ihnen lag die Weide!

Die Pferde schnupperten nach dem dichten, saftigen Gras, und als Bill und Peer aus den Sätteln gesprungen und ihnen die Zügel gelöst hatten, begannen sie schnaubend auf der Stelle zu weiden.

Staunend starrten die Jungen auf die grüne, blühende Welt, die sich plötzlich vor ihnen geöffnet hatte. Eine riesige Wiese zog sich längs des Sees unabsehbar weit dahin.

„Hier finden hundert Kühe Weide genug“, gab Peer endlich seinen Gedanken Stimme und Lauf.

„Was, hundert? Tausend Rinder haben hier genug zu fressen!“ lachte Bill überlegen.

Tausend Rinder, das waren viele! Peer schüttelte langsam den Kopf. „Da müßte es noch mehr solcher Weideländer geben!“

Bill hatte auf einmal einen neuen Einfall. „Reiten wir längs des Waldes noch eine Meile oder zwei. Bis die Ranchers am See eintreffen, sind auch wir wieder zurück!“

Endlich befanden sich die jungen Cowboys wieder in ihrem Element. Mit einem Jubelruf schwangen sie sich in die Sättel ihrer Pferde und ritten los. Sie jagten über die feste, trockene Wiese und ließen den Rand des Waldes nicht aus den Augen. Je weiter sie nach Norden kamen, desto mehr zog der Wald sich gegen Osten zurück. Zuletzt war der große See im Westen nur noch ein ferner, spiegelnder Streifen. Jetzt sahen sie auch im Norden wieder allmählich ansteigende Höhen. „Das müssen die Vorberge der Jawnies sein“, meinte Bill nachdenklich.

Die Pferde galoppierten Hals an Hals. Noch immer wollten die Jungen nicht umkehren. Es war eine unbändige Lust in sie gefahren, immer weiter zu reiten.

Wasser klatschte unter den Hufen der Tiere auf. Bill hielt seinen Braunen zurück. „Ein zugewachsener Sumpf!“

Sie hielten näher dem Wald zu und ritten vorsichtiger weiter.

„Wann kehren wir um?“ fragte Peer einmal.

„Ich will das Ende unseres Weidelandes sehen!“ entgegnete Bill. Hinter den lappigen Waldrändern dehnten sich immer neue Wiesen hinein. Erst wo der See ein Ende nahm, schien auch der Wald wieder bis an sein Wasser heranzutreten.

„Dort noch der Hügel vor dem hohen Wald! Möchte sehen, was sich dahinter verbirgt.“

Bill fand stets von neuem einen Grund weiterzureiten.

Die Pferde galoppierten empor, schiefrige Steinplättchen knirschten unter ihren Hufen. Ein Schock hoher Tannen wuchs auf der Höhe. Durch die jenseitige Senke murmelte ein frischer Bach quer über die Weide dem fernen See zu.

„Ah, der schönste Flecken, den wir finden können“, rief Bill. „Hier würde eine Hütte warm in der Sonne vor den Bäumen stehen, und Wasser, Wald und Weide treffen sich.“

Die Jungen kehrten wieder um. Nur der See zur Rechten in der Ferne war der Wegweiser, daß sie sich nicht in einen der schmalen Weidestreifen tief in die Waldsenken hinein verirrten. Sie mußten nur reiten und reiten, bis zum äußersten Ende des Sees.

Auch die Ranchers hatten inzwischen den See erreicht. Schon von weitem sahen die Jungen die Kühe auf der Weide grasen. Die abgesattelten Pferde liefen spielerisch durch das kniehohe Gras. Niemand hatte sich um die Jungen gesorgt. „Laß sie sich austollen!“ hatte Mac Lean gelacht, als der Vater brummend bemerkt hatte, die Jungen könnten sich auch ein wenig um den Treck kümmern.

Die Jungen fanden den Vater und Mac Lean über der großen Karte von Britisch-Kolumbien. Mac hatte eine Skizze daneben gelegt und verglich nun die beiden.

„Es kann der Tetachuk Lake nicht sein!“

„Wir haben den großen Sumpf umgangen und sind dabei immer mehr nach Nordosten abgedrängt worden. Wenn meine Orientierung stimmt, dann ist es der Entiako-See, der sein Wasser in den Nechako River schickt.“

Die Jungen traten jetzt heran. „Wir haben einen grauen Schieferhügel gefunden, Vater. Den solltet ihr sehen. Der beste Platz für unser Haus!“

Peter Sattler schüttelte den Kopf. „Hier ist gut sein, warum sollen wir noch weiterziehen!“

Schweigend drückten sich die Brüder. Sie bauten die Zelte auf, trugen Holz und Wasser herbei, wie sie es auf der ganzen langen Reise gemacht hatten. Aber in ihren Köpfen bohrte es doch: der Hügel, der Hügel!

Als Mac Lean allein mit den Jungen im Zelt war, fragte er: „Ihr habt von einem Hügel erzählt, werdet ihr ihn morgen wiederfinden?“

Es war dunkel im Zelt, und Mac Lean sah nicht, wie die Brüder vor Freude erröteten.

„Wir finden ihn bestimmt wieder, er ist nicht zu übersehen!“

„Morgen reiten wir hin, wir drei!“

Mac Lean schwieg. Er streckte sich und gähnte laut. Aber in seinem Kopf wuchs schon ein Plan. Ein Hügel, darauf ein Haus, von dem man weit über alle Weiden hinwegsehen konnte, große Gehege und tummelnde Rinder: ein freier Rancher inmitten seines Besitzes. Erfüllte sich jetzt nicht ein Traum seines Lebens? „Und dabei ist doch alles ganz einfach gegangen, nicht der Rede wert.“ Er drehte sich in seiner Decke murmelnd herum, in wenigen Minuten war er eingeschlafen.

Peter Sattler und Mac Lean hatten am nächsten Morgen eine lange Unterredung.

„Zunächst wollen wir unser zukünftiges Ranchland umreiten. Man muß doch wissen, womit man anfängt!“

Mac Lean spielte mit seinem Lasso und rollte sich zwischendurch eine Zigarette. Ihm erschien es, als begännen erst jetzt die richtigen Sorgen, da sie endlich auf der Weide angelangt waren. Bisher war es immer nur Reise, vergängliche Sache gewesen, aber nun mußte jeder Griff und jede Handlung auf Dauer eingestellt sein.

„Da wir keine Konkurrenten haben, ist das nicht so eilig“, warf Peter Sattler ein. „Mir ist es wichtig, einmal ein richtiges Gehege für die Rinder zu haben. Sieh doch, wie weit sie sich heute nacht zerstreut haben!“

„Nach Anahim können sie nicht mehr zurück!“ lachte Mac Lean. „Aber du hast natürlich recht. Wo soll das Ranchhaus stehen?“

Peter Sattler blickte um sich. „Hier ist es nicht übel. Doch –“

„– wie wäre es mit dem Vorschlag deiner Söhne?“ fragte Mac Lean.

„Gut, reiten wir!“

Anfangs schien es Bill und Peer, den beiden Brüdern, als könnten sie den Hügel nicht mehr finden. Sie erkannten erst jetzt, wie weit sie gestern geritten sein mußten. Hinter jede Waldbucht schauten sie, und manchmal umritten sie flache, alleinstehende Wäldchen. Doch endlich fanden sie ihn. Der Hügel stach auch den Männern sogleich in die Augen.

Und an diesem Tag wurden noch einmal die Packpferde aufgesattelt, ein letztes Mal wohl für lange Zeit.

Es wurde ein gemächliches, frohes Wandern über die endlose Weide hin. Die Bäuche der Rinder standen schon am Mittag prall, aber sie rupften immer wieder da und dort ein besonders saftiges Büschel Gras. Auch die Pferde trotteten mit ständig gesenkten Köpfen dahin, und mehr als einmal schien es, als wollte ihnen die Last über den Kopf hinabgleiten. Niemand wehrte es ihnen heute. Was machte es auch aus, ob man eine Stunde früher oder später am Hügel anlangte? Menschen und Tiere, alle hatten das Gefühl: Nun sind wir daheim, endlich daheim!

„Einen Rasttag haben wir uns alle verdient, aber morgen soll es losgehen!“ meinte Peter Sattler am nächsten Abend, als ein jeder einen ganzen Tag lang getan und gelassen hatte, was er nur wollte. Nur die Mutter hatte eine Ausnahme gemacht und auch an diesem Tag für alle gesorgt.

Ihre größte Sehnsucht ging nach einer wohnlichen Hütte. Aber sie wußte, daß der Hausbau warten mußte. Es stand noch vieles bevor, das wichtiger war.

Zuerst kam der Viehzaun. Am Morgen zogen die vier Männer mit geschulterten Äxten und der kleinen Motorsäge in den Wald hinauf. Den ganzen Tag summte der Motor der Säge, hallte der Schlag der Axt. Tanne um Tanne, lauter junge schlanke Tannen, sanken um, mit einigen Hieben flogen die Äste ab, und das scharfe Schäleisen schabte die Rinde von den Stämmen. Die Stangen wurden in Ketten gebündelt, und die Tragpferde schleppten sie auf die Wiese hinaus. Peter Sattler spitzte mit wuchtigen Hieben die Pfähle zu und steckte sie zum Ankohlen in das Feuer.

Der Zaun für acht Rinder mußte nicht allzuweit gezogen werden, aber später wollte man eine zweite Koppel anfügen, wenn die erste kahlgefressen war. Es war nicht gut, wenn man die Rinder so einfach über die endlose Weide dahinstampfen ließ.

Eine Woche lang trieben die Männer diese Arbeit, dann standen die Zäune. Dazwischen hinein hatten Mac Lean und Peter Sattler eine einfache und primitive Ranchhütte aus Pfählen und Rinden errichtet, eine Sommerhütte, damit man endlich der Zelte entraten konnte. Auf dem roh aufgestellten Steinherd ließ sich für Bärbi Sattler schon viel angenehmer kochen als auf dem großen Dreifuß über knatternden Flammen.

Rossy aber lernte zur Zeit das Melken der Kühe.

„He, morgen beginnt die Mahd!“ verbreitete Mac Lean eines Abends seinen neuen Plan.

Jetzt mußte sich das schwerste Stück bewähren, das sie auf dem langen Weg mit sich geschleppt hatten. Auf der Floßfahrt über den Fluß wäre es bald hinab in das Wasser gesunken: der kleine, hoch übersetzte Motormäher. Peter Sattler setzte ihn an, wo das Gras am fettesten stand, denn man mußte mit dem Benzin sparsam umgehen. Zwei, drei Stunden jeden Tag durfte der Motormäher rattern, dann lag ein weites Stück Weide gemäht. Alle übrige Arbeit, das Wenden und Heuen, das Zusammentragen zu hohen Schobern, mußte mit den Handwerkzeugen geschehen.

Peter Sattler fühlte sich wie in das ferne, ferne Europa zurückversetzt. Er war wieder Bauer geworden, schritt über eigenen Grund und mähte das Gras, wie er es als Bub in den glücklichen Jahren der Jugend geübt hatte. Zwischen damals und heute lagen viele Jahre voll Trauer und Bitterkeit, aber heute begann sich die letzte Bedrückung zu lösen. Und wenn er den Duft des knisternden Heues einsog, dann schien es ihm, als wäre er endlich wieder heimgekehrt.

Mac Lean war aus anderem Holz geschnitzt. Ihm sagte bald die zahme Arbeit im Heu nicht mehr zu, und eines Morgens entschloß er sich, zum erstenmal auf die Jagd zu gehen.

Bill und Peer schauten ihm sehnsüchtig nach, als er zwischen den Bäumen untertauchte. Den Rechen schieben, mit der Gabel Heu hochheben, ach, wie langweilig erschien ihnen solche Arbeit. Viel lieber hätten sie eine lange Flinte geschultert und wären den Wald hinan und durch Schluchten gepirscht, bis sie das Lager eines Grizzlybären gefunden hätten. Dann käme der Kampf und die Gelegenheit, sich zu bewähren.

Leise zischte der Rechen, blinkte die Gabel, rauschte das Heu; und drinnen im Gehege die friedlich weidenden Rinder und Tragetiere. Waren sie um dieser zahmen Lebensweise willen so weit nach dem wilden Nordwesten gezogen? Ach, einmal würde auch dieses langweilige Leben wieder zu Ende gehen. Vielleicht, wenn der Winter kam?

Der Entiako-See und sein Weideland befanden sich etwa fünfzig Kilometer vom Tweedsmuir-Provinz-Park entfernt, dem ungeheuren, viele Hunderte Quadratkilometer großen Naturpark des Nordwestens von Brifisch-Kolumbien. Von diesem durfte kein Land an die Ranchers verkauft werden, nur die Ulgatchos, die wenigen streifenden Sippen, hatten dort noch Gelegenheit, frei auf ihre Art ihr Leben zu gestalten.

Die Ranchers lebten nun schon zwei Wochen lang auf der Weide am Entiako-See, aber noch kein Indianer war ihnen begegnet. Offiziell herrschte längst Frieden zwischen Weißen und Indianern, aber es hatte in Anahim geheißen, daß in den äußersten Gebieten doch manche Zusammenstöße mit den Ulgatchos vorgekommen seien. Es gab Streit, auch manche Diebstähle geschahen. Bis aber die Mounted Police herbeigerufen werden konnte, waren die Ulgatchos längst wieder in der Weite der Wälder untergetaucht.

Seit einigen Jahren ging die Regierung daran, auch für die Indianer einen Ausweiszwang einzuführen. Bei den Vergehen gegen die Weißen handelte es sich immer nur um einzelne böse Elemente, im übrigen ließen sich den Sommer über immer mehr Ulgatchos als Viehhirten auf den Ranches anwerben. Erst im Winter zogen sie wieder zu ihren Familien in ihre versteckten, schmutzigen Dörfer zurück.

Eine ganze Woche über hatte das schönste Heuwetter geherrscht. Heute brauten sich schon am frühen Nachmittag um die Algack-Berge dunkle schwarze Wolken zusammen. Die Moskitos stachen, und die gepeinigten Tiere suchten Schutz in den rauschenden Büschen am Waldrand.

Alle fünf Sattlers schafften auf der Heuwiese. Peter Sattler und Bill schleppten hohe Heubündel zu den Schobern, wo um lange in den Boden getriebene Stangen das Heu festgetreten wurde. „Einen Wagen müßte man hereinschaffen“, brummte der Mann. Aber er dachte an die steilen Berghänge, an das dichte Gefilz des Urwalds, an die brückenlosen Flüsse, durch die sie geschwommen waren, und es schien ihm, daß niemals ein Wagen bis zum Entiako Lake gelangen könnte.

Die Sonne hatte sich inzwischen verdüstert, und dumpfes Gewitterrollen war zu hören. Rossy stand mit heißem Gesicht hoch auf dem Schober und trat Heu zusammen, das Peer heraufwarf.

Auf einmal stand sie erstarrt. Fern vor der Rindenhütte auf dem Hügel tauchten zwei Männer auf. Zwei Männer, Mac Lean und –?

Jetzt kamen sie mit Rechen und Gabeln auf den Schultern auf die Heuwiese heraus. Der Vater sah sie noch gar nicht. Sollte Rossy rufen?

Ach, es gab doch keine Gefahr, wenn Mac Lean dabei war!

Der Mann, der mit Mac Lean herauskam, hatte einen seltsam wiegenden Gang. Er schwang bei jedem Schritt mit den Beinen nach rechts und links aus, als trüge er lange Steigeisen an den Füßen. Die losen Ärmel seiner Lederjacke schlenkerten, der ganze Körper schien aus lauter wackelnden Gelenken zu bestehen.

Peer und Bill starrten den Ankommenden entgegen. „He, daß euch die Augen nicht aus dem Kopf rollen!“ rief Mac Lean von weitem. „Seht nur gut her, was ich für Jagdbeute heimbrachte!“

Dann begann er ein Lied zu trällern: „Nach einem Hasen ging ich aus und brachte einen Cowboy nach Haus!“

Inzwischen war auch Peter Sattler mit einem letzten Heubündel auf der Wiese herangekommen. Als er es ablegte, pflanzte sich der neue Besucher in seiner ganzen Länge vor ihm auf.

„Pat Bownie, wandernder Cowboy, Trapper und Rancher“, schnarrte er mit einer hohen Stimme seine Vorstellung. Er verzog dabei sein eingefallenes Gesicht zu einer Fratze, aber es konnte ebenso zu einem Weinen umschlagen. Seine Stimme klang bald milde, bald schrill. Mac Lean schien eine seltsame Sorte Mensch aufgelesen zu haben.

„Wir trafen kurz vor der Ranch zusammen“, begann Mac Lean zu erklären. „Ich sah plötzlich einen Mann zwischen den Stämmen sitzen, eine lange Flinte vor sich auf den Knien, und dachte bei mir, das sei nun ganz wie zu Zeiten des Lederstrumpf. Es sieht zwar nicht nach Überfall aus, aber jedenfalls sind wir entdeckt!“

Pat Bownie lachte heiser. „Ach, Mac, ich habe dich schon stundenlang hinter mir gefühlt. Der Geruch hat mich zu euch hergezogen, weißt du, der Rauch eines Feuers, der Geruch eurer Pferde, der meldet euch doch stundenweit im Umkreis an. Und überhaupt hatte ich irgendwo am Batnuni drüben läuten gehört, daß verrückte Ranchers unterwegs wären, mitten hinein zwischen die Ulgatchos.“

Peter Sattler versuchte, diesem sprunghaften Bericht zu folgen. Er hatte schon drunten im Anahim-Land von dem Urwald-Telegraf reden hören, der jede Neuigkeit auf seltsamste Weise bis zu den entlegensten Ranches hin in Windeseile verbreitete. Der Batnuni River lag fast zweihundert Kilometer im Norden von Anahim, und doch hatte man auch dort bereits von ihrem Unternehmen erfahren!

„Auf jeden Fall seid herzlich bei uns willkommen, Pat Bownie. Im Rindenhaus haben wir wenig Platz, doch eine schmale lange Bohnenstange wie Ihr wird auch noch unterzubringen sein!“

„Rindenhütte? Ich schlafe ebensogut zwischen den Bäumen. Jetzt ist doch Sommer.“ Dann aber blickte er zum Himmel empor, wo sich das Gewitter immer düsterer zusammenzog. „Heute allerdings, heute könnte auch mir ein Dach nicht schaden, wenn es überhaupt den Regen abhalten kann!“

Es erwies sich auch bald, daß das Rindendach dem ungeheuren Regensturz, der plötzlich niederprasselte, nicht gewachsen war. Die Ranchers saßen zusammengedrängt in einem Winkel der Hütte, über deren Dach dichte Tannenäste hinausragten und den schwersten Regen abhielten.

Aber als das schwere Gewitter sich verzog, wurde es an diesem Abend noch urgemütlich. Bill und Peer rissen Augen und Ohren auf, als sie von den Abenteuern Pat Bownies hörten. Ein ruheloser Streuner und Wanderer, dem die Wildnis längst zum Schicksal geworden war!

„Ihr kennt ja erst den Sommer im Indianerland“, erzählte Pat Bownie. „Aber seht euch vor, wenn der Winter kommt. Der erste Blizzard fegt eure Rindenhütte fort, und dann sitzt ihr auf dem bloßen Boden bei fünfzig Grad Kälte!“

„Stopp, alter Pat, wir haben nicht die Absicht, in dieser Rindenhütte zu überwintern“, mischte sich nun Mac Lean in das Gespräch. „Erst kommt das Vieh und dann die Menschen! Wenn wir genug Heu geborgen haben, dann werden wir auch an den Hausbau gehen. Und wenn Ihr im nächsten Jahr wiederkommt, dann sollt Ihr sehen, in welchem Palast wir hausen.“

Pat Bownie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Tief in die Erde bauen. Am besten in den Boden hinein. Das hält warm für den Winter. Und dicke Rasenziegel auf das Dach. In den neumodischen Häusern von Batnuni und Nazko erfrieren die Menschen fast im Winter, aber die ältesten Ranchhütten, die halten warm.“

Mac Lean wechselte einen raschen Blick mit Peter Sattler. „Wie wäre es, wenn du den Baumeister abgäbest, Pat Bownie?“ fragte er blinzelnd.

Aber der Gast wehrte ab. „Gern, gern, sehr gern, ein andermal. Diesmal habe ich noch eine lange Rundreise vor mir. Bei Rob Seter, südlich der Algacks, soll ich noch einen Plausch tun, und in den Itcha-Bergen drüben sitzt mein alter Freund Mac Donald. In Redstone unten ah der Anahimstraße wird für den Winter ein Viehfütterer gebraucht. Will diesen Job annehmen, bis wieder der Schnee von den Itchas schmilzt.“

„Dann eben nicht. Aber ein paar Tage gibst du uns wohl die Ehre“, lachte Mac Lean.

Pat Bownie nickte mit einem trüben Lächeln. „Ihr werdet noch gute Ranchers, will euch überall in der Umgebung empfehlen. Aber acht Kühe und die Riesenweide? Wollt ihr zwanzig Jahre hier hausen, bis eure Herde auf tausend Stück angewachsen ist und sich die Mühe lohnt?“

Pat Bownie hatte damit einen wunden Punkt in der Planung Mac Leans und Peter Sattlers berührt. Auch sie hatten es schon errechnet, daß ihre Herde viel zu langsam wachsen würde, um bald einen richtigen Ertrag abzuwerfen.

„Ach, wir machen eben Heu, solange der Sommer währt, vielleicht kommt einmal jemand und findet daran Gefallen!“ tat Lean großspurig.

„Nicht übel, nicht übel“, nickte Pat Bownie nachdenklich. „Aber inzwischen müßten auch die Ulgatchos Viehzüchter und Ranchers werden.“

Pat Bownie blieb zwei Tage bei den Ranchers. Er half ein wenig im Heu, aber wenn er ein schweres Bündel hob, dann knackten alle Knochen in seinem Körper. Bärbi Sattler tat dieser alte Herumstreuner leid. Ihm fehlte nichts als eine dauernde Unterkunft und ein geregeltes Essen. Wenn er abends mit rasselndem Atem hinter dem primitiven Tisch saß, schlang er soviel Essen in sich hinein, als hätte er schon acht Tage lang gehungert.

Pat Bownie sah ihren Blick und lächelte. „Draußen im Wald ist oft Schmalhans Küchenmeister. Seit ich kein Pferd mehr besitze, dauert eine Reise von einer Ranch zur andern oft länger als eine Woche. Und ich weiß nicht, woran es liegt, aber das Wild wittert mich von weitem. Manchmal ein Häslein, ein Eichhörnchen, aber ich habe auch schon von Murmeltieren und Siebenschläfern gelebt.“

Am dritten Morgen spiegelte sich der Entiako-See in der Ferne in einem verlockenden Glanz. „Muß doch mal hinübersehen“, sagte Pat Bownie, schulterte seine lange Büchse, hängte sich den zerlumpten Rucksack um und nahm Abschied. Die Sattler-Jungen sahen ihm noch lange nach, wie er durch das hohe Gras dahinschritt, schwankend, vornübergebeugt, bis er allmählich zu einem dunklen Strich zusammenschmolz, der hineintauchte in das spiegelnde Licht des hohen Sommers.

Der August war schon weit vorangeschritten. Längst hatten die Männer, um das letzte Benzin zu sparen, nur noch mit den Sensen Heu gemäht. Nun glaubten sie, daß es für die fünfzehn Tiere reichlich über den Winter langen würde.

„Jetzt den Rinderstall und dann das Haus“, sagte Peter Sattler nach erstem Überlegen. Die Hände der Männer verpechten und verklebten in den kommenden Tagen. Sie fällten mittlere Tannen, sie schleppten Steine für die Grundmauern zusammen, und als eines Morgens der erste Reif auf den Wiesen lag, gingen sie an den Bau des Blockhauses. Sie brauchten dazu etwa fünfzig behauene Stämme. Es wurde eine harte Arbeit, aber das Haus wuchs bald aus dem Boden empor. Rossy und Bärbi Sattler sammelten Moos im Wald und verstopften die Ritzen zwischen den Stämmen. Und während die Giebelwände sich allmählich schlossen, stachen Bill und Peer hohe Rasenstücke aus dem nahen, jetzt im Sommerende fast ausgetrockneten Sumpf. Das Dach wurde aus gespaltenen Stämmen zurechtgezimmert und darüber mit Rinden abgedeckt. Auf den flachen Giebel aber schichteten sie zuletzt die dicken Rasenstücke. Bis zu den kleinen Fensteröffnungen empor schütteten sie die Wände mit Erde zu. Das Glas, eines der wertvollsten Güter in dieser Einsamkeit, hatten sie glücklich über alle Berge bis hierher gebracht. Während Peter Sattler mit seinen Söhnen den Boden des Blockhauses aus gespaltenen Stämmen zimmerte, tat sich Mac Leans Fertigkeit im Einbauen der Lagerstätten und der Wandbänke hervor.

Draußen splitterte am Morgen das erste Eis, da begannen die Ranchers in das neue Haus am Entiako-See einzuziehen.

Am wichtigsten für das gute Überstehen des Winters war ein richtiger Rauchabzug des Ofens. Mac Lean klopfte und hämmerte aus leeren Proviantdosen ein langes Ofenrohr zusammen, das zuletzt hoch über das Hüttendach hinausragte. Hinter dem Hügel fand sich Lehm genug, und daraus hatten die Sattlers schon frühzeitig Ziegel geschlagen. Die halbe Rückwand der Blockhütte wurde nun mit diesen vermauert. Sie zogen, während das Feuer auf dem offenen Herd brannte, die Wärme an und gaben sie in der Nacht wieder allmählich ab.

Als auch der Rinderstall endlich stand, wehten die ersten kalten Winde von den Bergen herab. Man schrieb jetzt Anfang Oktober. Die Rinder, die immer noch draußen im Gehege weideten, hatten ein dichtes Fellkleid bekommen, auch das Fell der Pferde war struppig geworden.

Bill und Peer bekamen in diesen Monaten wahre Holzfällerhände. Manchmal mußte Mutter Sattler mahnend eingreifen, damit Peer sich nicht allzusehr erschöpfte. Mit seinen kaum sechzehn Jahren war er noch nicht jeder Arbeit gewachsen, obwohl er böse wurde und sich wehrte, wenn man ihn als Kind betrachtete.

„Du mußt noch wachsen, Peer“, sagte dann die Mutter lächelnd. Dann nahm sie ihn für einen Tag in die Hütte. Er mußte Späne schneiden, dünnes Dürrholz aufhacken und vor der Hütte ständig ein Feuer aus grünem Erlenholz unterhalten, in dessen Rauch die Fische konserviert wurden, die Mac Lean zuweilen im Entiako-See fing.

Jetzt begann die Zeit, da auch die Menschen sich Vorratsnahrung für den Winter zulegen mußten. Eine eiserne Reserve an Konservennahrung, die sie mit dem Treck mitgebracht hatten, mußte auf jeden Fall erhalten bleiben.

„Es wird Zeit, wir brauchen Wild!“ sagte Mac Lean eines Morgens. Er hatte bisher nur einige Hasen und Rehe erlegt. Nun trug er sich mit der Absicht, höher hinauf ins Gebirge zu wandern.

Eines Tages im Oktober erschien noch einmal Pat Bownie in der Ranchhütte.

„Ich hab’ mir’s anders überlegt“, begann er sofort zu erzählen. Er blickte auf Mac Lean. „Willst du mich nicht begleiten, hinüber zu den Batnunis? Dort drüben sind Viehhirten und Fütterer für den Winter vonnöten, du würdest eine Menge neuer Erfahrungen machen, und hier ißt du doch nur den Sattlers das Brot weg.“

Mac Lean überlegte den Vorschlag einen Tag lang. Peter Sattler hatte sofort von diesem Plan abgeraten. Aber am nächsten Morgen sagte Mac zu Pat Bownie: „Gut, ich will dich bis zu den Batnunis begleiten, aber wir wollen hinüber reiten, statt zu gehen, damit ich in einer Woche wieder zurück bin. Würde mich doch sehr interessieren, welchen zweiten Weg es aus dieser verdammten Wildnis hinaus noch gibt.“

Es war ein schneller Entschluß. Ein paar Stunden später ritten die zwei Männer fort.

Die Feuer der Wildnis

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