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Kapitel 1 Mutlose Manager

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Es sollte ein Abend werden wie andere auch, ich räumte die Flaschen ein, überprüfte die Kühlung, um genügend Eis zu haben, und polierte die Gläser. Einfach die Dinge, die ein Barmann vor Dienstantritt macht. Ich dachte, dass mich nicht mehr viel überraschen konnte, aber an diesem Abend und in dieser Nacht veränderte sich mein Leben. Mein kleines Lokal hatte an der Bar zehn Plätze, an vier Tischen nochmals Platz für 16 Personen. Im oberen Stock, wo eine Wendeltreppe hinführte, stand ein Pool-Billardtisch. Um 18 Uhr öffnete ich die Bar. Ein Mann, um die fünfzig, etwa 180 cm groß, schwarze Jeans, ein auffälliger breiter, brauner Ledergürtel mit einer silbernen Schnalle, die graviert war, graues Polo, schöne, braune gelochte Rauhledermokassins und ein dunkelblaues legeres Sakko, etwas längere grau melierte Haare, betrat das Lokal und setzte sich an die Bar. »Geben Sie mir ein Bier bitte, dass brauche ich jetzt.« »Hatten Sie einen starken Tag?« fragte ich. »Ja, das kann man wohl sagen«.sagte er.

Ich zapfte das Bier, als gleichzeitig weitere zwei Herren, in ähnlichem Alter das Lokal betraten. Der eine sagte im Hereingehen »Da können Sie mir auch gleich eines herunterlassen.« Die beiden Herren gehörten wohl nicht zusammen, denn sie saßen nicht nebeneinander, sondern einige Barhocker voneinander entfernt. Der das Bier schon im Gehen bestellt hatte, war gut gekleidet, ein sportlicher Anzug, aber keiner von der Stange, zumindest ein bekanntes, aber vor allem ein teures Label. Die schwarzen Haare zurückfrisiert und mit Gel haltbar gemacht. Er zog eine Duftwolke nach sich, Rasierwasser war das keines. Hier musste schon kräftig gesprüht worden sein. Kein schlechter Duft, aber too much. Der andere machte eher einen „alternativen“ Eindruck, er trug eine runde Brille, einen Siebentagesbart und die Kleidung, die er trug, dürfte in dreißig Jahren wieder modern werden. »Was darf es für Sie sein«, fragte ich den Dritten. »Haben Sie eine Cocktailkarte?« »Nein, so etwas habe ich nicht, aber ich mixe Ihnen jeden Cocktail, den Sie kennen und auch solche, die Sie nicht kennen.« Nachdem ich die beiden Herren mit Bier versorgt hatte, bestellte der Dritte: »Einen trockenen Weißwein bitte.« »Also keinen Cocktail?« sagte ich. »Nein, vielleicht später.« Der Erstbesteller setzte zu einem Riesenschluck an, das Glas war fast leer, nachdem er es wieder absetzte.

»Ein Scheißtag,« sagte er, nachdem er sich den Schaum von der Oberlippe wischte. »Wem sagen Sie das, solche Tage streiche ich im Kalender immer mit einem braunen Stift an. Wenn ich mehr als dreißig braune Tage im Jahr angestrichen habe, belohne ich mich selbst mit einer neuen Uhr.« sagte der zweite Biertrinker. Alle blickten auf seine Uhr, die, wenn sie echt war, den Wert eines Kleinwagens gleichkam. »Wie oft haben Sie denn mehr als dreißig beschissene Tage im Jahr?« fragte der Mann im dunkelblauen Sakko. »Jedes Jahr, also muss ich mir jedes Jahr eine neue Uhr kaufen.« »Stellen Sie sich vor, ich war heute vorstellen, aber nicht als ich selbst, sondern als jemand anderer«. schmiss der Mann im dunkelblauen Sakko in die Runde. »Wie darf man das verstehen« fragte ich. »Also, ich bekam einen Anruf von einer Personalfirma zu einem Vorstellungsgespräch, um mich bei einem Berater, einem gewissen Dr. Wenig vorzustellen. Nun muss ich vorausschicken, dass ich schon reiflich genervt bin, da ich schon seit fünf Jahren einen Job suche. Wie auch immer, jedenfalls hatte ich schon unzählige Termine mit Personalfirmen, machte die Spielchen deren Assessment Center mit und sagte mir, jetzt halte ich denen einmal den Spiegel vor. Ich ging also zu dem Gespräch, aber verkleidet, kaufte mir einen Magnum Schnauzer und eine Perücke. Ich sah so verkleidet aus, als ob ich auf ein Kostümfest gehen würde.

Ich saß also Doktor Wenig gegenüber, der blätterte in den Unterlagen, nahm das Blatt mit dem Foto und sah mir ins Gesicht. »Sie sehen dem Foto aber nicht ähnlich.« sagte er. »Kein Wunder«, sagte ich, »das bin ich ja auch nicht.« »Ja, dann muss ich wohl die Bewerbungsunterlagen verwechselt haben, « merkte Wenig an. »Nein« sagte ich, »Sie haben schon die richtigen Unterlagen, nur ich bin nicht der Bewerber. « Doktor Wenig´s Stirn legte sich nun in Falten und sein Kopf drehte langsam ein bisschen nach links und ein bisschen nach rechts, dann räusperte er sich und suchte nach den richtigen Worten. »Würden Sie mir das erklären« kam es jetzt mit einem lauteren und gereizten Tonfall. Ich lehnte mich zurück, setzte ein leichtes Lächeln auf und sagte nun auch mit etwas lauterer, aber mit einem Tonfall, den man nur mit lächelndem Mund hat: »Die Sache ist doch ganz einfach, Sie sind ein externer Personalberater und führen Sondierungsgespräche und ich bin ein Firmenberater und führe für meinen Klienten, dessen Unterlagen Sie vor sich haben, Sondierungsgespräche.« Das Kopfschütteln des Doktor Wenig wurde nun heftiger, er richtete seinen Oberkörper auf und stützte sich in die Armlehnen seines Stuhls. Bevor er zu einem neuen Satz ansetzen konnte, stellte ich ihm schon eine Frage. »Nun, Herr Doktor Wenig, können Sie mir einiges über die Firmenstruktur, die Unternehmenskultur und das Aufgabengebiet für die ausgeschriebene Position, für die sich mein Klient beworben hat, erzählen.« Wenig holte Luft, und es hatte den Anschein als ob er etwas sagen wollte, blies die geholte Luft aber durch die Lippen wieder aus und als er wieder hörbar Luft holte, fuhr ich schon wieder fort: »Weiters ist es von Interesse, wo sieht sich das Unternehmen in fünf Jahren, kann es den wachsenden Ansprüchen der Globalisierung auch folgen und vor allem, denken sie, dass das Jahresgehalt für diese Position ausreichend ist?« Wenig bekam jetzt eine gesunde Gesichtsfarbe, die graugelben Wangen wurden jetzt rot und am Hals konnte man die Schlagader pulsieren sehen. »Ich glaube, wir sollten das Gespräch jetzt beenden.« sagte er mit aufgebrachter Stimme. »Wenn ihr Klient - wie Sie es nennen, es nicht für notwendig hält, hier persönlich zu erscheinen, dann kann ich keine Auswahl treffen.« »Ihr Auftraggeber findet es ja auch nicht notwendig, persönlich mit meinem Auftraggeber zu sprechen« konterte ich. »Ja, ja Herr Doktor Wenig, wir sind schon in einer verrückten Welt, nicht wahr, die Entscheidungsträger verstecken sich hinter Personal- und Unternehmensberatern, nur um Fehlentscheidungen nicht selbst verantworten zu müssen.« Er stand auf, packte die Unterlagen zusammen und hielt mir die ausgestreckte Hand vor die Nase. »Guten Tag und richten Sie Ihrem Klienten aus, er soll entweder selbst kommen oder die Stelle vergessen.« Ich stand auf und reichte dem Personalberater die Hand und verabschiedete mich mit den Worten:

»Das Gleiche können Sie ihrem Auftraggeber ausrichten.« Die Herren hatten ausgetrunken und bestellten noch einmal die gleichen Getränke. Mittlerweile hatten sich noch ein paar Gäste eingefunden. Zwei Männer in den Zwanzigern, die immer zum Poolspielen zu mir kamen, gingen gleich nach oben. Die hatten immer denselben Trick, sobald Fremde am Tisch standen und zusahen, spielten sie, als ob sie blutige Anfänger wären. Doch die beiden spielten jeden Tag und waren so gut, dass sie bei Meisterschaften hätten mitmachen können. Aber die wollten nur Spaß haben und sich die Getränke mit Pool finanzieren. Sobald nämlich vermeintlich Clevere ihnen ein Angebot machten, um Geld oder Drinks zu spielen, wurden diese abgezockt. An einem Tisch gesellten sich zwei Damen, die eine dürfte Ende dreißig gewesen sein, die andere vielleicht zehn Jahre jünger. Die ältere der beiden Damen trug eine hellblaue, enge Jeanshose im Destroyedlook und eine gelbe Bluse mit Rüschen, der Ausschnitt war so gestaltet, dass man den schwarzen spitzenbesetzten Büstenhalter samt Inhalt gut sehen konnte. Sie hatte kurze schwarze Haare und riesige rote Ohrgehänge, die zu den roten Pumps gut passten. Die andere hatte einen leichten, weißen Sommerrock an, dazu eine kobaltblaue Bluse, die aber hochgeschlossen war. Sie hatte eine unglaublich schöne dunkelblonde Mähne. Die Konturen ihres wohlgeformten Körpers zeichneten sich in Rock und Bluse ab.

Wenn Sie, als Mann, jemals so eine Frau gesehen haben, mit einem zarten Sommerrock, der ganz leicht transparent ist, ganz leicht den Slip durchscheinen lässt, bei jedem Schritt die Schenkel und der Po sich abzeichnen, dann wissen Sie wovon ich spreche. Das ist Phantasie pur, das schlägt jedes stangentanzende Gogo-Girl. Sie beherrschte den Gang in ihren Highheels perfekt. Jeder Mann, der hierbei nicht zusieht, ist schwul. Beide würde man als sehr attraktiv bezeichnen. Meinen männlichen Gästen waren sie natürlich auch nicht entgangen. Wenn jeder Blick als Text eingeblendet werden würde, wären die Damen wahrscheinlich gleich wieder gegangen. Gut, dass es so etwas (noch) nicht gibt, aber manchmal sagen Augen sowieso mehr als Worte. »Sie sind doch auch schon ein paar Wochen über 40« sagte der stark parfümierte Herr zum Erzähler der Vorstellungsgeschichte. »Ja, das ist es ja, in unserer Gesellschaft gehört man zum alten Eisen.« Plötzlich meldete sich der Herr mit dem Siebentagebart. »Der von mir sehr geschätzte englische Dramatiker William Somerset Maugham sagte: Wenn man genug Erfahrungen gesammelt hat, ist man zu alt, sie auszunutzen.« »Da ist was dran«, bemerkte ich. »Also, ich kann meine Erfahrungen sehr gut ausnutzen, obwohl ich auch schon über vierzig bin.« sagte der Herr mit der teuren Uhr. »Was machen Sie beruflich?«, fragte der Arbeitslose. »Ich bin - und jetzt wurde er mit Blick auf die Damen, leiser - Gynäkologe.«

Die beiden Herren blickten nun auch zu den Damen, um zu sehen ob sie etwas gehört hätten, doch die waren in ein Gespräch vertieft und dürften nicht allzu viel Interesse an den Herren gehabt haben. »Sie wissen, was Schopenhauer gesagt hat?« fragte der Rundbebrillte. Um es uns auch gleich mitzuteilen: »Der einzige Mann, der wirklich nicht ohne Frauen leben kann, ist der Frauenarzt.« »Sie zitieren wohl gerne« gab der Gynäkologe zurück. »Ja, ich bin Buchhändler und schon berufsbedingt sehr belesen, aber auch den bewegten Bildern sehr zugetan, manche bezeichnen mich auch als Serienjunkie.« »Ich nehme noch einmal dasselbe.« sagte der Arbeitslose, die zwei anderen schlossen sich an. »Was haben Sie eigentlich beruflich gemacht?« wollte der Frauenarzt mit Blick auf den Arbeitslosen wissen. »Ich bin professioneller Lügner.« »Also in der Werbebranche.« sagte der Arzt. »So ist es.« »Die Franzosen sagen: »Selbst der liebe Gott hat es nötig, dass für ihn die Glocken geläutet werden.« zitierte der Buchhändler. Der Werbefuzzi und der Arzt warfen sich einen Ob-der-immer-so-ist?-Blick zu. Die Gläser wurden rasch geleert und meine Strichliste brauchte mehr Raum. Die drei Herren hatten sich nun auf einen Tisch zusammengesetzt, um nicht immer die Hälse verdrehen zu müssen. Außerdem hatten sie einen besseren Blick auf die Damen und ich mehr Bewegung.

Der Buchhändler hatte offenbar genug vom trockenen Weißwein, der übrigens genauso trocken war wie seine Zitate. Er wollte nun, wie er es schon deponiert hatte, einen Cocktail. »Ich nehme einen Martini, aber ganz klassisch zubereitet.« »Sie mögen anscheinend alles Trockene,« sagte der Gynäkologe, »aus meiner Praxis kann ich Ihnen jedoch sagen, feucht ist besser als trocken.« Der Werber lachte so laut, dass die Damen aus ihrem Gespräch gerissen wurden und zu den Herren blickten. »Wollen wir nicht auch auf etwas Härteres umsteigen?« fragte der Werber den Arzt. »Natürlich, hart ist besser als weich.« »Ich nehme einen Single Malt und Sie?« »Da bin ich dabei, aber einen Doppelten, da müssen Sie nicht so oft gehen.« »Also, zwei doppelte Single Malts und einen Krug Wasser« bestellte der Arzt. Nachdem sie die Getränke erhalten hatten, sagte der Werber: »Ich bin Leo« »ich heiße Paco«, der Buchhändler stellte sich mit Theo vor. »Theo, du hast doch sicher einen Trinkspruch für uns.« sagte der Arzt. »Natürlich, noch dazu vom deutschen Dichterfürsten Goethe: »Euch ist bekannt, was wir bedürfen, wir wollen starke Getränke schlürfen.«

»Bist du eigentlich verheiratet« fragte Leo Paco. »Verheiratet? Nein, Käfighaltung ist nichts für mich, ich bin für Freilandhaltung!« Er nahm eine Visitenkarte aus seiner Sakkotasche und zeigte sie seinen Mittrinkern. Seine Praxis hatte den Namen: „Viva la vulva“. Der Werber war amüsiert, der Buchhändler fand das nicht lustig, dabei war das doch trockener Humor. »Ihr müsst wissen, sagte Paco, die Frauen wollen immer, dass ich so bin, wie sie mich haben wollen.« »Das haben Frauen so an sich, ich habe ja eine Theorie, warum es zwischen Frauen und Männern nicht klappt« sagte Leo. »Lass hören«, kam von Theo. »Nun, eine Frau lernt einen Mann kennen und will, dass er sich ändert, aber er ändert sich nicht. Ein Mann lernt eine Frau kennen und will, dass sie sich nicht ändert, aber sie ändert sich.«

Der Sohn des Glücklichen

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