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Vorwort

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Neuenmühle, den 9. November 1928.

Post Letzlingerheide (Kr. Gardelegen)

Mein lieber Junge!

Es ist heute gar nicht wie November. Nicht wie ein neunter November, der seit 1918 für uns immer wie in ein trübes Grau getaucht zu sein scheint.

Auf meinen Schreibtisch und auf die alten Kriegspapiere malt die Mittagssonne eines späten Indianersommers ihre Kringel, und draußen vor meinem Fenster tobt Ihr Jungens froh und lärmend durch den Garten und versucht Euch am stählernen Reck.

Ich will an diesem freien Sonnabend und Sonntag mein Kriegsbuch abschließen. Es soll nun doch gedruckt werden, lesbar sein für andere, obwohl es eigentlich für Dich allein geschrieben und gedacht war.

Heute, wo ich Euch so fröhlich tummeln sehe, kommt mir der Gedanke, ob Ihr Jungens uns, Eure Väter, einstmals überhaupt verstehen werdet. Uns, die wir aus der Welt des Friedens und des Krieges kommen, aus einer Welt, die Ihr ja nicht kennt.

Wird nicht eine große Lücke des Nichtverstehens zwischen unseren Generationen klaffen, ein tiefes Tal, ohne dessen überbrücken es einen gesunden Fortgang deutscher Geschichte nicht geben kann?

Ich will mit versuchen zu helfen, diese Brücke zu schlagen.

Wenn Ihr wisst, was wir im Kriege erlebten und wie uns dieses Erleben traf und formte, dann werdet Ihr uns später doch verstehen.

Dann reichen sich doch zwei Geschlechter die Hände.

Ihr müsst Euer Leben selber leben, Eure Erfahrungen selbst machen. Die Unzulänglichkeit dieser Erde und dieses Lebens lässt es wohl nicht zu, Erfahrungen und Wissen richtig zu vererben und so zu vermitteln, dass man das Lebensrezeptbuch der Vorfahren ohne weiteres benützen und weiterleben könnte. Neue Menschen müssen neue, eigene Erfahrungen gewinnen.

Trotzdem bemüht sich immer wieder jede ältere, starke Generation, der kommenden zu helfen.

In China gibt es ein Buch der Weisheit, in das Könige viertausend Jahre lang das Erlebte mit klugen Folgerungen zu Nutz und Frommen ihrer Nachfahren eintragen ließen. Und so hohes Ansehen gewann dieses geheimnisvolle Buch, dass die Japaner vor dem Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges seine alten Weisheiten befragten.

Uns Deutschen hinterließ Bismarck seine Gedanken und Erinnerungen mit der Widmung: „Den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft“

Mein Kriegsbuch, mein lieber Junge, ist kein Buch der Weisheit, kein Roman, keine schwungvolle Dichtung.

Es ist der Bericht von dem, was wir draußen in vier Jahren erlebten.

Es ist nichts Sentimentales und Nachträgliches hineingeheimnist worden.

Es ist ein Auszug aus meinen Kriegsbriefen, aus den Befehlsbüchern der Maschinengewehrkompanie des Infanterieregiments Altmark und aus meinem Tagebuch.

Manchmal kostete es große Mühe und Überwindung, sich dazu zu zwingen, täglich und nächtlich seine Eintragungen zu machen. Aber wenn Müdigkeit und Erschöpfung sich auflehnten, die Stichpunkte niederzuschreiben, dann habe ich daran gedacht, dass vor Jahren einmal ein junger Geschäftsreisender auch abends und nachts so manchmal todmüde die Zähne zusammenbeißen und die Augen aufreißen musste, um sich zu zwingen, seiner Firma den täglichen Reisebericht und die Aufträge zu überschreiben.

Das alles wirst Du sehen, wenn Du einmal einen Blick in die Briefe, Skizzen, Karten und Papiere wirfst, die in den Kriegskoffern und -kisten wohl gebündelt liegen. Genauso wie Du noch in den Archiven der Firma die handschriftlich geschriebenen Briefe und Geschäftsbücher Deines Großvaters und Urgroßvaters nachlesen kannst.

Das Wort Firma, mein lieber Junge, ist ja in unserer Familie immer ein bestimmter und bestimmender Begriff gewesen. Über Erziehung und Werdegang stand das Wort „Firma“ wie unser Schicksal, und es wird auch über Deinem Leben stehen.

Das begleitete mich auch im Kriege, und Familie und Altmärker Blut taten das ihrige.

Davon kann man sich nicht frei machen, und lächelnd wirst Du einmal später empfinden, dass vielleicht ein Kapitel Kriegsbericht etwas von einem Geschäftsbericht der Firma an sich hat. Dann wirst Du aber auch wohl weiter die Wandlung merken, die in diesen vier Kriegsjahren in uns Frontsoldaten vor sich ging. Wir Reservisten oder Aktiven des Feldheeres von 1914 standen mitten im Leben. Wir waren gediente Soldaten und hatten unsern Lebensberuf. Wir setzten voll unsere Kräfte ein, mit klarem Blick Gewinn und Verlust erwägend. Mit vollem Empfinden dessen, was wir beim Ausrücken in den Verteidigungskrieg in der Heimat zurückließen.

Wir waren bis Ende 1914 von der großen deutschen Begeisterung getragen. Wir begriffen Anfang 1915, dass die Begeisterung verflogen war und die Pflicht als oberster Begriff an ihre Stelle zu treten hatte.

Und dann — nach der großen Sommeschlacht — wurden wir die harten Frontsoldaten, die vollendeten Beherrscher der Kriegsmaterie, deren Einblicke, Sorgen, Zweifel und eigene Ansichten schon damals jene innere Wandlung vorbereiteten, die uns in der Nachkriegszeit zum bewussten deutschen Staatsbürger werden ließ.

Der Krieg ist ganz anders gewesen, als wir ihn uns gedacht hatten.

Wir gingen mit Schwung hinein. Wir wollten siegen und wir wollten Weihnachten 1914 wieder in der Heimat sein. Alles ganz einfach gedacht.

Es ist alles anders gekommen.

Der Krieg hat uns Frontsoldaten bis ins Mark getroffen, aber er hat uns nicht gebrochen.

Er konnte es auch nicht, denn wir waren zwar seine Söhne, aber auch seine Meister.

Er konnte uns nicht zerbrechen, denn durch ihn sind wir Frontsoldaten ja erst zu dem geworden, was und wie wir sind — durch ihn: den Vater aller Dinge.

Wir Frontsoldaten haben den Krieg bestanden.

Der Krieg ist uns zum Erlebnis geworden. Der Krieg und die Kameradschaft.

Der Krieg hat uns Frontsoldaten zu neuen Menschen, zu einem Volk im Volke gemacht.

Wir, die wir seine ganzen Schrecken kennengelernt haben, wollen keinen neuen Krieg. Aber wir sind bereit, wenn es sein muss, mit der Waffe unser Vaterland zu verteidigen und seinem Lebensrecht Geltung zu verschaffen.

Solange die Front stand, war Deutschland frei und frei vom Feinde. Deutschland wird wieder frei sein, wenn das deutsche Volk seinen Frontsoldaten vertraut — und der deutschen Jugend.

Gott sei mit Dir!

Dein Vater.

M.G.K.

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