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2. Kapitel. Die Schutzschilde

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Durch die Stille des heißen Sommernachmittags erscholl plötzlich eine schmetternde Trompetenfanfare: So leben wir, so leben wir!

Erstaunt sahen einige Köpfe aus den Fenstern der Straße in Jülich, in der das Generalkommando des Armeekorps lag. Um die Ecke bog ein Auto, das sich um das mächtig große Schild „Straße gesperrt“ nicht kümmerte, sondern bei dem großen Hause vorfuhr, dessen Kommandoflagge den Standort des Generalkommandos anzeigte.

Oben öffnete sich ein Fenster, ein Stabsoffizier sah empört heraus: „Was ist denn das für ein unerhörter Lärm?“

Leutnant Stahl, der als Beifahrer neben dem Lenker saß, sprang vom Sitz herunter und verbeugte sich mit äußerlich höflicher Miene gegen das strenge Gesicht da oben: „Ich darf mich sofort melden.“

Während er aber die blaue weiche Manövermütze mit dem Helm vertauschte, brummte er zur Freude seiner beiden Maschinengewehrmänner: „Wenig feiner Empfang da oben. Der innere Krieg hat ebenso seine Schärfen. Erst schießen sie uns bei Brandenburg als feindliches Goldauto an, dann haben wir die Schlacht mit dem Benzinoberleutnant, und nun begrüßen sie hier die vornehmen Vertreter der Maschinengewehrkompanie in dieser Tonart. Kinder, ich glaube, ihr macht ein Maschinengewehr klar und heizt die Pistolen schon langsam an, während ich oben die friedlichen Verhandlungen führe.“

Stahl hatte sich nicht geirrt. Zuerst begrüßte ihn das Donnerwetter eines Generalstabsoffiziers wegen des unerlaubten Vorfahrens. Als er jedoch kurzen Bericht erstattete und sich den Standort seines Truppenteils für die Weiterfahrt erbat, wurden die hinzugetretenen Stabsoffiziere sehr interessiert und liebenswürdig und luden ihn zu einer Tasse Kaffee ein.

Nachdem Stahl die Regimentsquartiere in Loverich und Floverich erfahren hatte, drängte es ihn, weiterzukommen.

Beim Durchfahren einer kleinen Ortschaft zeigte Albis plötzlich auf einen großen Torweg: „Herr Leutnant, da liegen ja woll die schweren Fußer?“

„Donnerwetter, das ist ja sogar die zweite Batterie, bei der mein Bruder steht“, rief Stahl.

Stahls Bruder, der Artillerist, war aber nicht im Quartier, sondern mit einer Furagekolonne unterwegs. Stahl hinterließ Grüße für den Bruder und für die Batteriekameraden, mit denen er früher zusammen Hockey gespielt hatte.

Bei Abenddämmerung erreichte der Wagen Loverich. Die Posten verlangten die Parole, von der natürlich die Autofahrer keine Ahnung hatten. Obwohl es Mannschaften des eigenen Regiments waren, ließ man sie nicht passieren, und erst als der Infanteriekompanieführer nach einem sehr frischen Gespräch zwischen Posten und Autobesatzung herbeigerufen war, konnte man weiterfahren.

Auf dem Kirchhof des Dorfes war gerade Appell der Maschinengewehrkompanie.

Die bekannte Stimme des Hauptmanns Seebach knarrte herüber: „Ich bitte mir aus, Jungs, dass die Schützen auch nach den Anstrengungen des Marsches sich tadellos in Waffenpflege und Haltung führen, und dass die Maschinengewehrkompanie ihr altes Renommee hochhält. — Wegtreten! — — Feldwebel Bach !“

Während die Kompanie wegtrat und der Kompaniefeldwebel sich vor dem Hauptmann aufbauen wollte, ließ Stahl gewaltig die Hupe tönen.

Sofort war die ganze Kompanie wie ein Bienenschwarm um den Wagen versammelt und begrüßte mit Hurra die Ankömmlinge.

„Ein Maschinengewehroffizier, zwei Waffenmeistergehilfen und Schutzschilde zur Stelle“, meldete Stahl.

„Na, habt ihr eure Klempnerarbeit fertig? Wir freuen uns sehr, dass Sie richtig angekommen sind. Seien Sie herzlich im Kreise der Familie willkommen“

Die beiden Leutnants Redern und Rose waren hinzugetreten und ließen die Schutzschilde sofort herausnehmen und auspacken. Alles war aufs höchste gespannt, teils neugierig, teils skeptisch. Inzwischen war der Waffenmeister Dicksch zur Übernahme herangekommen und ging mit seinen beiden wiedergewonnenen Gehilfen an das Verpassen der Schilde und an die Verteilung auf die einzelnen Maschinengewehre.

Die Schilde passten bis auf Kleinigkeiten ausgezeichnet. Bei dem Verpassen am Gewehr aber zeigte sich erst, aus welchem zähen Stahl sie bestanden. Obwohl das Kruppwerk besonders gute Feilen und Durchschläge für den zähen Chromnickelstahl mitgegeben hatte, arbeitete die Waffenmeisterei, unterstützt von Wielands Feldschmiede, die halbe Nacht, bis der letzte Schild exakt am Gewehr saß.

In der Zwischenzeit übernahm Leutnant Stahl seinen Zug, den bis dahin der älteste Vizefeldwebel Jäckel vertretungsweise geführt hatte. Darauf besuchte er die Pferde im Stall, sprach mit den Pferdeburschen und Gefechtsordonnanzen, revidierte sein Gepäck und fand Menschen, Tiere und Dinge, wie es sich bei den Preußen gehört, in bester Ordnung.

Stahl hatte sich gerade in dem ihm zugewiesenen freundlichen Bürgerquartier gewaschen, rasiert und wieder menschlich gemacht, als sein Kompaniekamerad Leutnant Rose mit dem Feldartilleristen Leutnant Landmann erschien, um ihn zum gemeinschaftlichen Abendbrot abzuholen.

Die drei Leutnants standen sich persönlich nahe. Stahl kannte Rose durch seine Übungen beim Regiment. Landmann war der Sohn einer Freundin von Stahls Mutter.

So hatten sie viel Gemeinsames und hatten sich viel zu erzählen. Zuerst berichteten Rose und Landmann über den Ausmarsch ihrer Truppenteile aus der alten lieben Garnison. Stahl hörte sinnend zu. Das hatte er ja genau so erlebt.

Dann sprachen sie über ihre Familien, über den Abschied, über Brüder und Verwandte, die alle mit der gleichen Begeisterung zu den Fahnen geeilt waren.

Die Dunkelheit war schnell hereingebrochen.

Sie saßen auf der überdachten Terrasse von Roses Quartier. Die Zigarren glühten auf, und vor ihnen stand das Glas, gefüllt mit der Spende des Quartierwirtes, mit köstlichem deutschem Rheinwein.

„Und nun, mein lieber Landmann“, sagte Rose, „jetzt müssen Sie entschuldigen als Artillerist, jetzt müssen wir Maschinengewehrleute einmal etwas fachsimpeln. — Unser Stahl kommt nämlich alleine dem Regiment nachkutschiert von einem Spezialauftrag. Dieser Kerl, frech und unverschämt, wie die Reserveoffiziere nun einmal sind, hat sich erlaubt, in letzter Minute noch eine Maschinengewehrerfindung zu machen, hat Schutzschilde entworfen und bei Krupp gebaut und hat die Dinger tatsächlich heute herangeschleift. Ich brenne darauf, zu hören, wie er sie gemacht hat, wie das bei Krupp in diesem Kriegsbetrieb überhaupt noch möglich war, und was er alles während seiner Exkursion erlebt hat.“

„Donnerwetter nochmal“, lachte der Artillerist, „das hört sich ja riesig interessant an. Schießen Sie los, Stahl.“

„Ja, mein lieber Landmann, natürlich ist das interessant. Besonders für einen Artilleristen. So einfach, wie bei euch, wo man bloß einem Jaul ‘ne Kanone an den Schwanz bindet und mit schlechter Marschordnung durch das Manövergelände trottet und der Infanterie das Leben schwer macht, so einfach ist das bei der Intelligenzwaffe, beim Maschinengewehr, nicht.“

Alle drei Leutnants schmunzelten, und Rose trank Stahl zu.

„Na also gut. — Wie Rose weiß, kam mir plötzlich der Gedanke, unsere Maschinengewehre mit leichten zerlegbaren Schutzschilden zu versehen. — Unser famoser Häuptling war sofort dafür, der Regimentskommandeur auch, und der gab mir volle Bewegungsfreiheit. Dr. Streit, unser alter, gemeinsamer Tennisgegner, half mir die Skizzen und ein Pappmodell herstellen, und ich fuhr mit einem Auto nach Berlin, um dort mit den Stahlwerken wegen schneller Anfertigung zu sprechen. Der ganze Chromnickelstahl des Lagers war aber von der österreichischen Heeresleitung gekauft worden. Guter Rat war teuer. Schließlich kam ich darauf, an die Kruppwerke nach Essen ein langes Brieftelegramm zu schicken.

In Berlin erlebte ich durch diese Fahrt einen Mobilmachungstag. Kinder, ich sage euch, es war fabelhaft, es riss einen nur so mit. Unser Auto wurde mit Blumen bombardiert. Man hielt uns wahrscheinlich für ganz was Feines. Meine beiden Maschinengewehrschützen und Gewehrschlosser Albis und Schwarz strahlten vor Begeisterung. Albis hatte seine Trompete mitgenommen, und wenn ich ihn Unter den Linden seine Fanfare „So leben wir, so leben wir“ blasen ließ, dann winkte und jubelte uns alles wie toll zu.

Über Brandenburg und Genthin ging es zur Garnison zurück. Unterwegs kamen wir zum ersten Mal ins feindliche Feuer. Wie ihr wisst, war alles verrückt auf feindliche Spione und Goldautos. Uns schrie ein Bäuerlein an, zu halten, und ballerte zu gleicher Zeit seinen Vorderlader auf unser Auto los. Na, wir haben schnell gehalten, und ich habe ihm sanft eine zur Belehrung geklebt. An der nächsten Station hatten sie die Brücken nachts mit Ochsenketten gesperrt. Ein uralter Major mit Epauletten wie Dachziegel, wehendem Rauschebart und wahrscheinlich Inhaber der Tapferkeitsmedaille aus den Freiheitskriegen, war tief gekränkt, dass wir von seiner Parole keene Ahnung hatten und seine Scheißketten einfach kaputt fuhren. Na, wir kamen also mit heiler Haut durch, und als wir in der Garnison ausgepennt hatten, traf von Krupp das Rücktelegramm ein, dass die Schilde sofort noch gemacht werden könnten, wenn genaue Modelle und Spezialarbeiter mitgebracht würden.

Kinder, da hättet ihr unsern Waffenmeister Dicksch sehen müssen, wie dem die Augen vor Kummer übergingen, dass er nicht selber mitdurfte, sondern seine Assistenten mitgeben musste.

Na und dann ging die Reise los. Ich konnte gerade noch unser wundervolles Liebesmahl und Abschiedsmahl im Regimentskasino mitmachen, und dann saß ich schon im Zug nach dem Westen. In meiner Ungeduld fuhren mir natürlich die Transportzüge mit ihrem 40-Kilometer-Tempo zu langsam, aber Langeweile haben wir doch keinen Augenblick gehabt.

Überall der Jubel und die Liebestätigkeit der Bevölkerung. Kinder, was mussten unsere Leute alles essen und trinken. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Albis und Schwarz Maschinenschlosser und Mechaniker von Beruf waren, so hätte ich geglaubt, sie wären Rekordfresser einer Jahrmarktbude.

Und dann hatten wir noch einen Riesenspaß dadurch, dass die Militärbehörde uns drei Maschinengewehrmännern nicht einen Extrazug wie sonst jedem gewöhnlichen Bataillon oder jeder einfachen Artillerieabteilung gestellt hatte, sondern dass wir uns nach Essen auf die verschiedenste Art durchwürgen und durchmogeln mussten.

Zuerst fuhren wir mit einem Infanteriebataillon, dann mit einem Pferdetransport, und endlich erwischten wir den Zug der Königshusaren. Donnerwetter, die waren in Stimmung, sag ich euch. Und wisst ihr, wie ich so unter diesen eleganten Bengels saß und mir ihre scharfen Rassegesichter ansah, da empfand ich es immer wieder: Blut und altes Geschlecht ist doch ‘ne Sache.

Und dann Essen und der Industriebezirk. Die Feuer der Hochöfen und Fabriken in der dunklen Sommernacht. Das Leben auf den Bahnhöfen und in den Straßen. Und überall der Jubel der Bevölkerung und der Arbeiter. Besonders bei Krupp selbst. Im Essener Hof gab es für uns Maschinengewehrleute ein picobello Essen nebst Umtrunk und zwei Fürschtenzimmer, wie sich es meine Maschinengewehrmänner in ihren kühnsten Phantasien nicht hatten träumen lassen. Das hättet ihr sehen müssen, Kinder, wie die beiden in ihren blütenweißen Betten unter den roten, seidenen Steppdecken pennten. Und daneben die ausgepackten Tornister und die nägelbeschlagenen Knobelbecher, einfach großartig.

Und dann erst die Arbeit bei Krupp, wo die Lampen der Nachtschicht glühten, Gepoch und Gehämmer und Gesause von Transmissionsriemen zu einer Melodie der Arbeit und der Kraft zusammenklangen, dass wir Maschinengewehrmänner selbst mit davon erfasst wurden — —“

Stahl lehnte sich in seinen Korbsessel zurück. Das Bild des arbeitsdröhnenden Essen sah er noch einmal leibhaftig vor sich. „Großartig“, sagte Rose, „man könnte Sie um dieses Erlebnis beneiden. Prost Kinder! Mensch, Stahl, erzählen Sie weiter.“ „Nun also kurz, wir haben viel gesehen, viel erlebt und verflucht scharf gearbeitet. Die Meister und die Arbeiter der Fahrzeugabteilung, wo unsere Schilde gemacht wurden, stimmten nach den üblichen fachmännischen Bedenken und Erwägungen zu. Wir einigten uns nach einem Vorschlag von fünf Tagen Lieferzeit auf anderthalb bis zwei Tage. Raus aus der feinen neuen feldgrauen Kluft — rin wir dreie in den blauen Monteuranzug, und dann gab‘s nichts zu lachen.

Erst haben wir gemeinsam die richtigen Chromnickelstahlplatten ausgesucht. Danach haben wir sie mit großen Schneidemaschinen nach dem Modell geschnitten und die nötigen Löcher hineingestanzt. Mit heißen Walzen bekamen die flachen Schilde die leicht gewölbte Form. Einmal flogen sie ins Feuer und dann wieder ins Wasser, und sie schrien hell auf und dampften und zischten, als sie danach stundenlang von Spezialarbeitern mit langgestielten Federhämmern hart und zäh geschlagen wurden.

Und ein Tönchen, Kinder, bei der Arbeit, großartig. Wir waren im Nu mit den Ingenieuren, Meistern und Arbeitern ein Herz und eine Seele.

An Schlaf war trotz unserer Fürstenzimmer natürlich nicht viel zu denken. Man hatte ihn vielleicht auch in dieser Spannung gar nicht nötig. Denn was haben wir alles gesehen in den paar Tagen! Auch die Verladung einer 42er Batterie. Ich glaubte erst, mein lieber Landmann, man wollte mir als gelerntem Infanteristen einen Bären aufbinden, als man mir von der Konstruktion und der Munition dieser Dinger erzählte. Aber sie haben ja bei Lüttich recht behalten.

Endlich, das heißt eigentlich rasend schnell, sind wir fertig geworden. Man half uns ein Auto requirieren, packte uns und die feingebündelten Schilde und vom Krupphotel noch einen riesigen Fresskorb hinein, und dann sind wir unter Hurra der Belegschaft losgebraust. Durch das Industriegebiet. Bei Düsseldorf über den Rhein. Dreimal Hurra. Im Breidenbacher Hof Fünf-Uhr-Tee und offizieller Abschied von der Kultur. Dabei leichtes Gefecht mit einem Benzinoberleutnant, der sich nur langsam davon überzeugen ließ, dass man einen Maschinengewehrleutnant und zwei Maschinengewehrschützen natürlich zuerst grüßt. Ich vorher noch an unsern Alten telegraphiert, der mir Jülich als Standquartier des Armeekorps zurückdrahtet. Na, da bin ich dann fein, wie sich das für die Maschinengewehrkompanie Altmark schickt, mit Tätterätä vorgefahren, hab mir den üblichen Anschiss und die Auskunft über euer Verbleiben geholt und sitze nun hier.“

Rose hob den Römer: „Prost, alter Stahl, auf Ihr Wohl! Das haben Sie verdient. Das habt ihr fein gemacht.“

„Ja, Donnerwetter“, nickte Landmann. „Ich glaube, die Idee mit den Schutzschilden kann sich sehr segensreich für euch auswirken.“

„Ich glaube es auch“, sagte Stahl, „ich glaube überhaupt an das Maschinengewehr. Und“, er lächelte zu dem alten Rennreiter Landmann hinüber, „und ich bin auch um des Maschinengewehrs willen und nicht etwa nur wegen der Pferde als Reservetiger zur MGK. gegangen.“

Bis gegen Mitternacht saßen die drei noch zusammen. Sie hatten sich festgeredet, und die Sitzung wäre wohl noch lange nicht aufgehoben worden, wenn nicht schließlich dem Leutnant Landmann ein Meldereiter den Befehl zum Antreten der Artillerie um 3 Uhr morgens gebracht hätte.

Man richtete die alte, aber immer schöne Frage an den Artilleristen: „Wann fahrt ihr morgen früh los?“ Und die Antwort erfolgte satzungsgemäß: „Wir reiten um 3 Uhr ab.“ —

Die drei Kameraden trennten sich mit festem Händedruck. Landmann ging zu seiner Batterie. Stahl nahm den Heimweg über den Parkplatz der Kompanie. Es trieb ihn zu seinen Schutzschilden.

Prüfend strich er über den Stahl und fühlte seine Härte. — Die Schilde waren gut.

M.G.K.

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