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Hochzeitsgesellschaft

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Vor dem Reet gedeckten, geschichtsträchtigen Hotel Waldesruh, füllten sich die Parkplatzreihen mit den frischpolierten Fahrzeugen der geladenen Gäste. Die auserlesenen Fünfzig, der Aumühler Gesellschaft folgten der Einladung des zugezogenen Hamburger Werksleiters. Greenpeace Besetzungen des Dioxin emittierenden Schornsteins in den Achtzigern, standen noch in den Sternen und der homophile Sohn war auch noch nicht sonderlich auffällig geworden. Der Empfang hatte allgemein befremdet. Doch neugierig war man dennoch nicht minder. Die älteste Tochter hatte kurz vor Weihnachten, in beigefarbener Latzhose, ohne Not, standesamtlich geheiratet. Man munkelte, sie sei trotz der Hast und Heimlichkeit der Blitzaktion nicht schwanger. Die Hochzeitsreise nach Goa stand noch bevor. Niemand wusste wo Goa lag. Ihre Familie hatte dem Ruf der Karriere und des Wohlstands nicht widerstehen können, als die Ludwigshafener Geschäftsleitung, Dr. Krumm für den schmutzigen Werksleiterposten an der Alster vorgeschlagen hatte. Der Bungalow am Waldrand der bismarckschen Ländereien versprach Lebensqualität mit Pinienduft und Gesellschaftsanschluss, inmitten der Backsteinvillen traditionsreicher Handelshauspatriarchen. Man hatte sich redlich Mühe gegeben, den Standards und Gepflogenheiten nahe zu kommen. Frau Mutter, von Hause aus Schaufensterdekorateurin, hatte dem jungen Herrn Dr. der Chemie, Mitte der Fünfziger, mit ihren großen blauen Augen den Kopf verdreht und mit der Hochzeit den Weg in die Bridgeklubs und Teestunden der etablierten Geselligkeit gefunden. Ihre von Natur aus unreflektierte Geschwätzigkeit half ihr dabei offensichtlich mehr als sie schadete. Sie waren alle gekommen, an diesem Sonntagmorgen. Die Bargons, von Bismarcks, von Bredows, von Tiedemanns; fein herausgeputzt wie ihre Karossen auf dem Parkplatz; Die Krampfadern hinter feste Stützstrümpfe komprimiert, lichte Stellen, chemisch kolorierter, gefestigter Haarpracht, fein säuberlich übertoupiert;

Mit den Wappen der Hockey-, Rotary- und Lyonsklubs auf den Revers der Cocktailblazer, signalisierte man Status im Nahkampf. Wenn in den Konversationspausen Augenkontakte mit nachlassender Aufmerksamkeit zusammenbrachen, mit leeren Toastsprüchen, zu randvoll gefüllten Veuve-Clicquot Kelchen, vergeblich versucht wurde, dem „small talk“ etwas Inhalt zu verleihen, dann wurde dem jungen Ehemann heiß unter seinem Kostüm. Seine Wirbelsäulenrinne füllte sich mit Schweiß, wie damals im blauen Kommunionanzug, am angeblich schönsten Tag seines Lebens. Der Cocktailempfang war das Ergebnis reiflicher Überlegungen der Brauteltern. Dabei galt es einen vertretbaren Bogen zu schlagen, zwischen Erklärung und Entschuldigung für die unstandesgemäße, heimliche Hochzeit der ersten Tochter. So dreist wie der Schwiegersohn am Heiligabend, formatfüllend im weißen Schleiflack Türrahmen des Bungalowportals aufgetaucht war und seinen neuen Status als Familienmitglied einforderte, so knifflig war die Frage nach der angemessenen Form seiner Einführung in die Gesellschaft. Oberste Priorität hatte die maximale Schadensbegrenzung, der bereits stark beschädigten Etikette. Das Familienmanagement hatte unter der beruflichen Last des Patriarchen augenscheinlich Langzeitschäden davongetragen. Eine außer Kontrolle geratene Tochter, wieder in die zeremoniellen Spielregeln einzufädeln, forderte unerwartete Asekte von Führungsqualitäten. Der Bräutigam hatte sich nach langen Diskussionen zum beigegestreiften Einreiher überreden lassen und seine Angetraute präsentierte sich im bordeauxroten Seidenkleid. Dr. Betriebsleiter hatte mit seinen Urteilen über den „Gigolo“, der nun als legitimer Schwiegersohn „verkauft“ werden musste, nie hinter dem Berg gehalten. Sie bekamen zwar einen dünnen Draht zueinander über humanistische Themen und überhitzten denselben jedoch augenblicklich, wenn es um Politik und Ökologie ging. Nun war aber nicht mehr der Moment über Familien interne Divergenzen zu reflektieren. Die Stromlinienversion der offiziellen Verlautbarung galt es zu formulieren und unumstößlich zu präsentieren. Den Kontrollinstanzen der inquisitorischen Prüfungsstunde, mit dem Etikett „Cocktailempfang“, Rede und Antwort stehen, lautete der aktuelle Auftrag der Agenda . Eine Explosion im Chemiewerk, mit Verletzten und Toten, hätte Herr Doktor der Presse leichter erklären können, als die Unverfrorenheit seiner Ältesten, einen in seinen Augen dahergeflogenen „Niemand“, Studenten der Philologie und Philosophie, mittellos und ohne Referenzen, vom Fleck weg zu heiraten. „Es muss Liebe sein“, begann er seine Ansprache mit hochrotem Kopf auf seinem korpulenten Oberkörper, der bereits unter der Last der zu verrichtenden Pflichtübung zu dampfen schien.„Liebe Freunde, Nachbarn, Verwandte, wir freuen uns, sie heute hier empfangen zu dürfen um ein großes Glück unserer Familie mit ihnen zu teilen. Die Überraschung, die sie bei ihrer Einladung empfunden haben werden, teilen meine Frau und ich gleichermaßen mit ihnen. Eine neue Generation mit Spontaneität und Nonchalance stellt sich dem gemeinsamen Leben. Wir laden Sie mit dieser Cocktailstunde zum Auftakt eines erfrischenden Kapitels unserer Familiengeschichte ein, um mit ihnen zusammen die Gläser zu erheben und dem jungen Paar ihre guten Wünsche für die Zukunft zu übergeben.“ Er hob den Kelch in Richtung seiner Tochter und dem Fremden neben ihr, ging einen Schritt auf sie zu und begann den kristallenen Klangreigen der zusammenstoßenden Champagner Gläser. Nach dem ersten Schluck ging des Doktors Blutdruck in die Höhe. Seiner Frau war der Ernst des beklemmten Gatten nicht verborgen geblieben. Sie zog das adäquate Medikament zielsicher aus ihrer Krokodilleder Handtasche, um es dem Hochdruckgatten unauffällig in die bereits geöffnet wartende, verschwitzte Hand zu drücken. Reflexartig schnappten die siegelberingten Wurstfinger, mit den tief ins Nagelbett eingefurchten Nägeln nach der Droge. Die Pille kam in letzter Sekunde. Seine Ansprache hätte kein Wort länger dauern dürfen. Er hatte es so gerade eben geschafft, die Gäste auf die emotionale Ebene der Angelegenheit umzuleiten und somit die richtige Nebelbombe gezündet, die hoffentlich die gefürchteten Fragen nach Herkunft, Beruf, und Stand zerstreuen würde.

Mit einem tiefen zweiten Schluck spülte er das Blutdruckmittel seinen feisten Hals hinunter, worauf er sich erst einmal beruhigte. Kleine Gesprächsgruppen formierten sich in dem überschaubaren Foyer mit Blick auf den Park. Frau Bargon, eine hagere Mitsiebzigerin nahm direkten Kurs auf den Bräutigam. „Wie schön, dass ich sie jetzt kennen lernen kann. Wir haben schon viel von Ihnen gehört. Ihre Schwiegermutter schwärmte schon von ihrer Sportlichkeit und den literarischen Sprachstudien, die sie noch neben der Fliegerei verfolgen. Sollte da etwa ein neuer Saint-Exupéry am literarischen Horizont aufsteigen?“ Verdutzt bedankte sich der Angesprochene brav für die geschmackvolle Plexiglaspfeffermühle. „Wie man denn so jung schon Lufthansa Kapitän werden kann, fragte sich neulich mein Mann, der im Zweiten Weltkrieg Jagdflieger war. Haben sie eine besondere Begabung in die Wiege gelegt bekommen?“ Der vermeintliche Flugkapitän wurde nachdenklich, erhob seinen schlanken braunen Kopf und sah seine Gesprächspartnerin aus klaren braunen Augen fixierend an. „Meine Schwiegermutter hat ihnen berichtet, ich sei Kapitän? Sind sie da ganz sicher?“ Sie warf einen irritierten Blick zurück in die Fragezeichen der sich erweiternden Pupillen ihres Gegenüber. „Ja, selbstverständlich. Mein Mann holte mich gerade vom Damenbridge ab, als wir über sie sprachen. Warum fragen sie nach?“ „Nun, mich interessieren Feinheiten. Die Literatur, die Sophistik, Fremdsprachen, das haben sie schon richtig verstanden, sind Felder, die ich gerne beackere. Nur für die Eignungstests zur Pilotenausbildung waren meine Mathematiknoten im Abitur nicht ausreichend. Da mich an der Fliegerei hauptsächlich die Möglichkeit des Kontakts mit anderen Kulturen reizt, bin ich mit meiner Anstellung als Steward sehr glücklich. Zudem kann ich mit meiner Frau zusammen die Welt bereisen und mich überall zuhause fühlen.“ Frau Bargons ohnehin schon langes, hageres Gesicht verlängerte sich noch einmal um den Abstand von Oberlippe zu Unterlippe, als ihr Kinn unter dem erstaunt geöffneten Mund auf das runzlige, Perlenketten behangene Truthahndekolleté rutschte. „Wollen sie bald Kinder haben?“

Schoß sie blitzschnell ihre nächste Frage hinterher. „Wie gesagt, wir vergnügen uns im Augenblick recht abwechslungsreich, da haben wir keinen zusätzlichen Unterhaltungsbedarf.“ Der abrupte Themenwechsel der alten Dame unterstrich die Brisanz der soeben aufgedeckten Lüge über den beruflichen Status. Sensibilität und Konversationstraining einer Gesellschaftsdame hatte ihr verboten nachzuhaken, gegenüberzustellen, aufzuklären. Am Abend vergewisserte sie sich noch einmal vor dem Schlafengehen bei ihrem Gatten über den Inhalt der Darstellung der Brautmutter. Während der zehn folgenden Ehejahre vor der Scheidung, gab es nie mehr einen gesellschaftlichen Anlass, bei der die Antwort auf die kritische Frage ein Rolle gespielt haben könnte. Mit dieser ersten und letzten Cocktailstunde hatte sich das junge Paar für die Liste der „Persona ingrata“ qualifiziert.Herr Doktor laborierte noch einige Jahre in seiner Giftküche. Nachdem der Mutterboden umliegender Gemüsefelder, Dioxin verseucht entsorgt worden war, gelang dem Patriarchen noch ein Hattrick. In aufwendigen PR-Kampagnen präsentierte er die Werksschließung als Resultat einer politischen Verschwörung gegen die Industrie. Den Suizid seines HIV-infizierten Sohnes fingierte er zum heldenhaften Notausgang, eines leidenden Krebspatienten im Endstadium. Durch die zweite Hochzeit, seiner mittlerweile gesellschaftlich kompatiblen Tochter, mit einem internationalen Gedärmekaufmann, stilisierte er deren Überwindung jugendlicher Irrungen zum finalen gesellschaftlichen Triumph.

Honni soit, qui mal y pense!

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