Читать книгу Abstürzen für Anfänger - Franziska Hochwald - Страница 4

Hank

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Vielen Dank, du Verrückte! Wegen dir sitz ich jetzt hier drin. Vier Wände. Acht Quadratmeter. Ein Fenster so weit oben, dass ich nicht rausschauen kann. Alles gekachelt, so dass man sich vorkommt wie im Schlachthaus. Das machen die sicher mit Absicht so, Zermürbungstaktik zur Vorbereitung eines Geständnisses. Aber ist natürlich super praktisch, auf der anderen Seite. Wenn ich ihnen die Bude vollkotzen würde, könnten sie einfach einmal mit dem Schlauch durch und fertig. Ich frag mich, wie oft die das wohl schon gemacht haben. Wieviele Schichten Kotze wohl schon hier drauf waren und mehr schlecht als recht wieder abgewaschen wurden. Irgendwie riecht es auch muffig. Oder säuerlich. Oder beides. Meine Speicheldrüsen werden dick und ich muss schlucken.

Es gibt kein Bett, nur so was wie ne Stufe im Raum, ist fest eingebaut, genauso steril gekachelt, und darauf liegt so was wie eine Matte, die ist mit Plastik bezogen.

Ich habe also zwei Sitzgelegenheiten, diese Liegefläche und das Klo. Wer hätte gedacht, dass einem in U-Haft so viele Möglichkeiten bleiben. Ich dachte, da gilt die Unschuldsvermutung! Wirklich, die haben doch nicht mehr alle auf der Kette, wenn ich unschuldig bin, kann ich wohl erwarten, dass man mir mehr bietet als einen Zwinger mit Kackschüssel, oder?

Wie lange ich hier drin bleibe, weiß keiner. Vielleicht geht es von hier aus direkt weiter in den normalen Knast. Wahrscheinlich sogar. Wenn sie dich erst einmal in U-Haft haben, lassen sie dich nicht mehr so schnell gehen. Hab noch nie gehört, dass einer vor der Verhandlung wieder rauskam.

Wenn es wenigstens nur die Sache mit dem BTM wäre. Aber nein, die dumme Nuss muss ja den Felsen runterspringen. Ich hätte es wissen müssen, dass das übel ausgeht, schon als ich sie da gesehen habe auf unserem Platz am Grünen Felsen, mit ihrem billigen Alk und dem Tabak, das ist doch nicht normal in dem Alter.

Ich bin ja auch selber schuld, wenn ich mit lauter Halbwüchsigen abhänge. Das sind keine Freunde. Das sind Anhängsel. Die mögen nicht mich, die mögen mein Zeug und dass ich immer einen baue, wenn wir oben am Grünen Felsen chillen.

Aber hey, ist das meine Schuld, dass diese Gestörte den Abgang macht? Definitiv bin ich nicht für den Rest der Welt verantwortlich. Wäre doch kein Problem gewesen für die Gang, einfach abzuhauen, und gut ist. Aber nein, Finn, das Weichei, kriegt seinen Moralischen und fängt an rumzuheulen und Hilfe zu schreien. Nun gut, nicht jeder hat starke Nerven. Aber muss man deshalb gleich die 110 wählen? Und muss man dann ausgerechnet mich vorwurfsvoll anstarren, wenn die Cops kommen und fragen, wie das passiert ist? Das sind doch alles Vollpfosten, die Jungs, ich sitz im Knast nur wegen denen.

Und dass ich mein Zeug überhaupt dabei hatte, war ja auch nur wegen denen. Die zahlen ja nicht mal regelmäßig dafür, die Abzocker. Die finden ja wohl, dass ihre Gesellschaft mir das wert sein sollte, dass sie es verdient haben, wenn ich sie für umme mit gutem Ot versorge. Hätte ich mal früher drüber nachdenken sollen, was ich da eigentlich mache. Und jetzt kann ich noch froh sein, wenn die Bullen mich nur wegen BTM drankriegen. Wenn sie mir die Sache mit der Alten nicht auch noch in die Schuhe schieben.

Ich hab sie doch nur ein bisschen angemuckt, da muss die doch nicht gleich komplett hohle drehen, oder?

Ich kann bloß hoffen, dass die sie wieder zusammenflicken und sie ne Aussage machen kann. Sonst bin ich auch noch wegen allem Möglichen dran. Aber mal ehrlich, wie ist sie da runtergeraten? Ich hab sie doch nicht mal angefasst. Das kann mir echt keiner anhängen.

Besuch wär auch mal was, darf man ja kriegen in U-Haft. Aber wer soll mich hier schon besuchen. Ist ja auch ein Aufwand mit richterlicher Erlaubnis einholen und dem Ganzen.

Meine Mom kommt jedenfalls nicht. Die wusste bis gestern nicht mal, wo ich mich zur Zeit rumtreibe, und war ist auch besser so. Ich bin eine Zumutung für die gutbürgerliche Vorzeige-Familie. Ja, heute gehört die Scheidung wohl dazu zum gutbürgerlich sein, das ist nichts Ehrenrühriges, sondern Programm. So ist das eben, sagte meine Mom, man lebt sich auseinander, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind. Sehr witzig. Ich bin neunundzwanzig, und ich glaube, ich bin im Gröbsten drin.

Jedenfalls, dass meine Mutter jetzt einen Neuen hat, so einen Rechtsanwalt aus Villingen-Schwenningen, das geht schon klar in ihren Kreisen. Vielleicht kann er nichts Sinnvolles beitragen, wenn sie mit ihrem Kulturkreis ins Theater geht, aber wenigstens ist er teuer angezogen und fährt nen Audi Quattro, der Schleimer. Für meinen Fall kann er auch nichts Sinnvolles beitragen, denn natürlich ist er Zivilrechtler. Da verdient man richtig fett und hat es nicht mit so Leuten wie mir zu tun, die er sowieso nur „Pack“ nennt. Arbeitet in einer Kanzlei mit Wirtschaftsprüfern und so.

Jedenfalls hab ich jemand angeben müssen, den ich anrufe, und es war zwar eigentlich voll daneben, aber mir fiel niemand anderes ein als der Typ von meiner Mutter. Matthias also. Er sagte, ich soll keine Aussage machen und auch sonst nichts sagen und er käme jede Minute. Ich glaub ja gar nichts mehr. So viel Hilfsbereitschaft für den lästigen Anhang hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Wahrscheinlich freut er sich schon richtig drauf, mich in der Scheiße sitzen zu sehen. Was erzähl ich ihm bloß? Jedenfalls die Wahrheit, was die Alte angeht, denn da hab ich mir definitiv nichts vorzuwerfen. Er muss mit ihr reden. Oder mir wenigstens sagen, wie sie heißt und wo sie wohnt, damit ich mal bei ihr anrufen kann. Falls sie noch lebt. Und falls die mich lassen.

Draußen klackert ein Schlüsselbund, und Space Admiral Rodcocker erscheint in der Tür. Er sieht original aus wie der Wärter aus Orange Is The New Black, der Typ, mit fettig glänzender Glatze, einem fleckigen Gesicht, dem man eine aknegeplagte Jugend ansieht, und wässrigen blauen Augen. Ob der in seiner Freizeit wohl auch Netflix guckt? Ich würde was drum geben, wenn ich hier ein paar Serien anschauen könnte, um mich abzulenken.

„Sie haben Besuch“, bellt er mich an.

Ich glaub es ja gar nicht.

„Bewegen Sie sich heute noch oder was?“

Ich rapple mich auf und trotte ihm hinterher in den Besucherraum. Der Admiral geht nach draußen, wahrscheinlich um meinen Besucher rein zu holen. Ich vertreibe mir die Zeit damit, mir seine zwei Schwänze vorzustellen und wie er sie wohl einsetzt bei seinen Liebesspielen in allen möglichen kosmischen Dimensionen. Oder doch lieber nicht. Gefängnis-Serien anschauen ist weit amüsanter als selber einzusitzen. Ich muss zugeben, die Rolle von Crazy Eye, der perversen Porno-Schriftstellerin, ist echt gut erfunden, man kommt wirklich auf weirde Ideen, wenn man nichts anderes zu tun hat als nichts zu tun.

Durch die Glasscheibe kann ich draußen am Empfangsschalter einen Mann stehen sehen, er hantiert mit Papieren. Schon von hinten erkenne ich Matthias. Er liebt diese amerikanischen Frisuren, an der Seite kurz und oben die Haare perfekt zu einer Seite gekämmt. Wahrscheinlich findet er, dass das einen männlichen Eindruck macht. Hier im Knast verändern sich die Perspektiven, mir fällt auf, dass es gut ist ihn zu sehen, selbst mit dieser Frisur. Er kommt rein mit zwei Dosen Cola in der Hand, die er wohl aus dem Automaten gezogen hat. Auch wenn ich Cola hasse, freue ich mich komischerweise wie blöd darüber. Er setzt sich mir gegenüber und schaut mir in die Augen, ich schaue weg.

„Tja, Hendrik, du machst Sachen.“

Ich fixiere die Coladose. Was soll man auf so eine Einleitung schon sagen? Ich hasse meinen Namen. Ich hab keine Ahnung, was sich meine Mutter dabei gedacht hat, ich finde, er hört sich komplett schwul an. Ich hab nichts gegen Schwule. Und ja, man soll sowas nicht sagen. Aber ist doch so. Ich steh nun mal auf Frauen, und beim Kennenlernen ist Hendrik echt keine Hilfe. Mein Spitzname Hank ist da schon besser. Den hab ich von meinem Vater. Vielleicht das einzig Gute, was ich je von ihm gekriegt habe. Aber jetzt ist keine Zeit, über meinen Vater nachzudenken, Matthias legt mir kumpelhaft die Hand auf die Schulter.

„Also, Hendrik, jetzt erzähl mal, setze mich ins Bild, wie du in diese Lage gekommen bist.“

Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, und er wartet einfach ab. Matthias legt dabei erstaunlich viel Geduld an den Tag. Trotz Rumgekumpel eigentlich ganz cool. Dabei hasst er mich, dachte ich zumindest immer. Denn er belatscht meine Mutter schon seit Monaten, dass sie mich endlich rausschmeißen soll, aber bisher hat sie es noch nicht gemacht.

Ich nehme einen Schluck von der Cola. Wenn er jetzt mein Anwalt ist und die Kifferei sowieso aktenkundig, ist es vielleicht das Beste, wenn ich mir keine Stories ausdenke sondern Klartext rede. Also gut. Ich fange an mit meinen Kumpels und dem Platz auf dem Grünen Felsen und erzähle ihm alles genau so, wie es gewesen ist. Auch wenn ich nicht mehr ganz so stolz bin auf meine Rolle in der Geschichte. Ich hätte die Alte ja auch in Ruhe ihren Whisky abkippen lassen können, denke ich jetzt. Aber das hilft jetzt auch nichts mehr.

Als ich fertig bin, nickt Matthias und macht sich noch einige Notizen. Er scheint die Sache richtig ernst zu nehmen.

„Du hast Glück“, sagt er schließlich. „Die Dame, die in diese Sache verwickelt ist, blieb in einem Gebüsch nur kurz unterhalb der Felskante hängen und konnte nur leicht verletzt geborgen werden.“

So fühlt es sich wohl an, wenn einem ein Stein vom Herzen fällt. Ich atme tief durch und nehme einen tiefen, wunderbaren Schluck von meiner lauwarmen Cola.“

„Na dann“, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, „na dann ist doch alles super.“ Zum ersten Mal seit vielen vielen Stunden fühle ich einen warmen Strom von Entspannung durch meinen Körper fließen.

„Dann ist doch alles Bestens. Warum sitze ich hier überhaupt noch?“

Matthias runzelt die Stirn.

„Ja, das ist so eine Sache. Bislang hat sie noch keine Aussage gemacht. Und es ist auch völlig offen, wann sie wieder vernehmungsfähig ist. Und solange bleibt der Mordverdacht gegen dich bestehen, leider.“

„Was soll das heißen?“

Matthias antwortet nicht. Mir wird ganz heiß. Voll die Achterbahn, das kann nicht gesund sein für den Organismus so auf Dauer. Tunnelblick. Frösteln. Schweißhände. Schwindel. Das ganze Programm.

„Das kann die doch nicht machen!“, schreie ich.

„Ruhe“, schreit Space Admiral Rodcocker zurück, „sonst ist die Besuchszeit schneller rum, als du Tschüssi sagen kannst!“

„Das kann sie doch nicht machen“, wiederhole ich noch einmal flüsternd, weil mir nichts anderes einfällt.

„Ist doch alles nicht meine Schuld. Ich muss unbedingt mit ihr reden. Ich muss!“

Matthias zuckt die Schultern. Dann schaut er mich lange an, so als wollte er telepathisch in mein Gehirn eindringen.

„Hast du schon mal Probleme mit Körperverletzung oder so gemacht?“

Ich bin perplex.

„Wie kommst du auf die Idee? Du sagst doch selber immer, das ich eine Memme bin. Und auf eine Art hast du damit sogar Recht.“

Ich glaub es gar nicht, dass ich das vor ihm zugebe, aber es kommt einfach so aus mir raus.

„Ehrlich Matthias, ich hab mich noch nie in meinem Leben geprügelt. Dresche gekriegt schon, aber nie angefangen. Und leider auch nie wirklich zurückgehauen.“

Der schnieke Lover meiner Mutter denkt sehr lange nach, dann macht er ein undefinierbares Gesicht.

„Wie gesagt, es leider im Moment nicht möglich mit der Dame zu sprechen.“ Dann beugt er sich vor und schaut mich mit verschwörerischem Blick an.

„Die Lage ist folgendermaßen. Frau Grube wurde in Reutlingen in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht, und bis sie vernehmungsfähig bist, wirst du leider warten müssen. Deine Kaution ist immerhin auf 10 000 Euro festgesetzt, das ist kein Pappenstiel. Aber vielleicht lässt sich ja was machen.“

Ich versteh überhaupt nicht, warum er mir jetzt so zuzwinkert, und wahrscheinlich glotze ich ziemlich blöd, denn er kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann klopft er mir auf die Schulter, steht auf und geht.

„Nen Gruß an meine Mutter!“, rufe ich ihm hinterher und er nickt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich schaue ihm nach, bis mich der Space Admiral an der Schulter packt und zurück in meine Zelle bringt.

Hier hat man viel Zeit zum Nachdenken. Hilft bloß nichts, weil nichts dabei rauskommt. Ich weiß nicht, ob mich jetzt alle für einen psychopathischen Mörder halten. Ich weiß nicht, ob ich künstlerisch begabt bin. Rudolf, der Prof an der Aka, sagte immer, ich hätte Potential, und irgendwas an meiner Mappe muss ja wohl auch was getaugt haben, dass die durchging. Aber hey, wer weiß, vielleicht hatten die Profs einfach nur einen guten Tag. Oder einen blinden Tag. Oder haben gewürfelt.

Wahrscheinlich bin ich also künstlerisch begabt. Vielleicht bin ich in Anais verliebt. Aber wenn ich hier drin festsitze, ist das schwer zu sagen. Sobald ich rauskomme, fahre ich runter nach Freiburg und finde raus, wie es ist mit ihr und mir.

Ich könnte auch mal meinen Dad anrufen, wenn ich schon da unten in der Gegend bin. Hab ihn nicht mehr gesehen, seit dem einen Mal in der Bierakademie, als wir uns eigentlich nur auf ein schnelles Weizen verabredet haben. Kann sein, dass ich da überempfindlich reagiert habe. Aber mal ehrlich, wenn er sagt, er hätte Mom nie heiraten sollen, das ist schon der Hammer. Was mich angeht, heißt das nämlich: Ich hätte dich nie zeugen sollen. Du hättest nie auf die Welt kommen sollen. Ich bereue, dass es dich gibt.

Aber wer weiß, vielleicht hat er ja recht. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre den Fels runtergesprungen und diese Mutti wäre da oben sitzen geblieben auf unserer Bank. Ich hätte es jedenfalls richtig gemacht, nicht so panisch und unprofessionell. An einer guten Stelle, an der man nicht im Gestrüpp hängen bleibt und dann das ganze Elend mit Notarzt und Hubschrauber hat. Die Lady weiß wahrscheinlich nicht mal, ob sie noch laufen kann. Ob sie jemals wieder da hochlatschen und runterspringen könnte, wenn sie wollte. Aber wie soll man das rauskriegen.

Ich lasse das Gespräch mit Matthias noch einmal durch den Kopf gehen. Warum hat er nur so komisch geschaut vorhin? Oh Mann, ich bin so eine Dumpfbacke. Er hat mir was gesagt, was er eigentlich nicht sagen sollte. Ihren Namen. Und sogar so mehr oder weniger, wo man sie finden kann. Diese Infos hat er bestimmt aus irgendwelchen Akten gezogen. Keine Ahnung, ob ein Anwalt den Namen des angeblichen Opfers einsehen darf. Aber dass er mir das überhaupt gesteckt hat, war sicher nicht ganz so legal. Echt nett von ihm. Auch wenn es mir hier drinnen nichts bringt.

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