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Das Elixier

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Es war mitten in der Nacht. Draußen heulte der Wind durch die schmalen Straßen und Gassen von Florenz. Eigentlich hatte der Winter den Kampf gegen den Frühling, gegen Sonne und Wärme schon längst verloren. Doch bevor er sich endgültig geschlagen geben wollte, bäumte er sich noch ein letztes Mal auf und biss zu wie ein in die Enge getriebener Hund.

Eisige Kälte kroch durch jede Ritze ins Innere von Cosimos Gemach, Kälte, die nicht einmal das Kaminfeuer hatte vertreiben können, obwohl es bereits seit den frühen Nachmittagsstunden brannte. Es war eine ungemütliche Nacht, eine Nacht, die man auf weichen Kissen und unter wärmenden Decken in seinem Bett verschlafen sollte. Doch nicht für Cosimo. Für ihn war es eine arbeitsreiche Nacht. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag das geheimnisvolle Pergament. Bereits seit Stunden brütete er darüber. Wohl war er in den vergangenen zwei Tagen und Nächten ein gutes Stück vorangekommen, und doch war es ihm immer noch nicht gelungen, das Rätsel der seltsam verschlungenen Buchstaben und der unverständlichen Sprache zu lösen.

Er war so versunken in seine Arbeit, dass er kaum bemerkte, wie stark die Kerze im Windzug flatterte, dass das Feuer im Kamin heruntergebrannt war und seine Finger allmählich steif vor Kälte wurden. Irgendwann im Laufe des Abends, nachdem sein Diener einige Scheite nachgelegt hatte, hatte er gefroren und war aufgestanden, um sich in eine Decke zu wickeln und eine Nachtmütze aufzusetzen. Doch selbst das war mittlerweile einige Stunden her. Seitdem saß er regungslos an seinem Schreibtisch und starrte mit brennenden Augen auf die seltsamen Zeichen, als könnte er sie kraft seines Willens dazu bewegen, ihm endlich ihr Geheimnis preiszugeben. Plötzlich schlug etwas gegen das Holz der Fensterläden.

Cosimo zuckte zusammen und lauschte. Er war so versunken in diese seltsame Handschrift und die Legende, die damit verbunden war, dass er im ersten Moment glaubte, das Geräusch könne nur von Drachenflügeln stammen, die gegen die Fensterläden schlugen. Oder von einem abscheulichen Dämon, der um Einlass begehrte, um sich seine Seele zu holen. Da war das Geräusch wieder. Cosimo war steif vor Schreck, und es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er dieses Geräusch kannte und dass es ganz harmloser Natur war.

Er trat ans Fenster, öffnete es, entriegelte die Läden und musste seine Nachtmütze festhalten, damit der Wind sie in seiner ohnmächtigen Wut nicht mit sich fortriss. Er hatte Recht, unten stand im schwachen, heftig zuckenden Schein einer Laterne Giacomo. Es war keinesfalls ungewöhnlich, dass sie einander mitten in der Nacht besuchten. Und die gegen die Fensterläden geworfenen Kiesel waren das von ihnen schon vor Jahren verabredete Zeichen. Cosimo nickte dem Freund zu, verschloss das Fenster wieder sorgfältig und eilte die Treppe hinab, um die Tür zu öffnen. Ohne ein Wort zu sagen, schlichen die beiden auf Zehenspitzen durch das dunkle, stille Haus. Niemand hörte sie auf ihrem Weg zu Cosimos Gemach.

Eine Weile betrachtete Cosimo den Freund schweigend, der sofort zum Kamin getreten war, um an der schwelenden Glut seine eisigen Finger zu wärmen.

»Was für eine schaurige Nacht«, sagte Giacomo. »Man könnte meinen, der Winter kommt zurück.«

»Vielleicht«, entgegnete Cosimo. »Ich glaube es aber nicht.«

»Cosimo, ich ...«

»Wo um alles in der Welt hast du gesteckt?«, brach es aus Cosimo heraus. »Seit zwei Tagen habe ich nichts von dir gehört. Und als ich dich besuchen wollte, hast du dich einfach verleugnen lassen. Warum bist du nicht ...«

»Ich war in der Kirche«, erwiderte Giacomo, ohne jedoch Cosimo dabei anzusehen. »Die ganze Zeit. Ich ...«

»Höre, mein Freund, mich kannst du nicht täuschen. Ich habe dich an deinem Fenster stehen sehen. Und du hast mich ebenso gesehen. Was also ist mit dir los?« Giacomo hob den Kopf und schaute ihn mit dem Blick eines geprügelten Hundes an.

»Verzeih, Cosimo, ich konnte nicht kommen. Wirklich, ich ...« Er brach ab und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, das ohnehin schon wild nach allen Seiten hin abstand. »Mein Stiefvater ließ es nicht zu. Er ließ mich nicht mehr aus den Augen, und außerdem ... Ich musste nachdenken. Über das, was diese Hexe gesagt hat. Und ... und über diese Schrift.«

»Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«

Giacomo antwortet nicht. Stattdessen deutete er zum Schreibtisch. »Ist es dir schon gelungen, sie zu entschlüsseln?«

Keine Antwort ist auch eine Antwort, dachte Cosimo mit einem Lächeln. Er kannte seinen Freund gut, und er verstand ihn auch so. Giacomo hatte sich für Cosimo, für ihr Geheimnis und gegen den Stiefvater entschieden – wenigstens im Augenblick.

»Leider immer noch nicht«, sagte er, »trotz aller Anstrengungen. Wer auch immer diesen Text verfasst hat, hat sich die Mühe gemacht, jedes einzelne Wort auf eine andere Art zu verschlüsseln. Oft kann ich noch nicht einmal erkennen, um welche Buchstaben in welcher Sprache es sich handeln soll. Ein paar Worte habe ich mittlerweile entziffern können. Nicht viel, aber immerhin ein Anfang.« Er reichte dem Freund einen Bogen Pergament, auf dem er Notizen gemacht hatte. »Dies ist die Ausbeute von zwei Nächten Arbeit. Wenn es so weitergeht, haben wir den vollständigen Text spätestens zur Weihnachtszeit.«

Aufmerksam las Giacomo, dann runzelte er die Stirn. »Das klingt wie das Geschwätz eines Wahnsinnigen«, sagte er. »Sieben ... dreiundzwanzig ... Maß ... neun ... Weizen ... wenig ... Körper ... Schlaf. Das ergibt doch keinen Sinn. Und was soll diese sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben? Wer soll daraus schlau werden?«

Cosimo zuckte hilflos mit den Schultern. »Keine Ahnung. Die Worte, die ich entziffern konnte, waren mit griechischen Buchstaben, aber in arabischer Sprache geschrieben. Außerdem fand ich noch ein paar lateinische Worte in gotischer Schrift. Ich vermute, dass der ganze Text in dieser Art verschlüsselt ist, doch irgendwie komme ich nicht weiter.«

»Lass mal sehen.«

Gemeinsam beugten sich Cosimo und Giacomo über das kostbare alte Pergament. Sie starrten auf die blasse Schrift, als versuchten sie mit ihren Blicken ein Loch hineinzubrennen.

»Das ist doch völlig unverständlich«, murmelte Giacomo mit gerunzelter Stirn. »Wer soll das denn jemals ... Moment mal, das hier kommt mir irgendwie bekannt vor.« Er kniff die Augen zusammen und deutete auf eines der vielen in seltsamen fremden Buchstaben geschriebenen Worte. »Aber ist denn das überhaupt möglich? Wenn ... Aber es muss so sein!« Plötzlich wurde er aufgeregt. »Schnell, Cosimo, ich brauche einen Spiegel.«

Cosimo eilte zu seiner Kommode und holte ein in Seide eingewickeltes und mit einer Schleife verziertes Päckchen aus der obersten Schublade. Darin war ein Handspiegel, ein Geschenk an seine Cousine zu ihrer bevorstehenden Verlobung. Doch die alte Handschrift war jetzt wichtiger. Er würde seiner Cousine ein anderes Geschenk machen. Hastig riss er die Schleife auf, streifte den Stoff von dem Spiegel und reichte ihn seinem Freund. Der drehte das Pergament, sodass die Schrift auf dem Kopf stand und hielt den Spiegel so, dass sich die Zeilen darin abbildeten.

»Das ist es«, sagte er, heiser vor Aufregung. »Ich dachte mir gleich, dass es mir bekannt vorkommt. Das sind hebräische Buchstaben.« Er richtete sich auf und sah Cosimo triumphierend an. »Hebräische Buchstaben, geschrieben in Spiegelschrift.«

Mit Hilfe des Spiegels entschlüsselten sie bald auch den Rest. Cosimo hatte nicht übertrieben, nahezu jedes Wort hatte seinen eigenen Code. Bei manchen waren nur die Buchstaben spiegelverkehrt, oder man musste das Wort rückwärts lesen, um seine Bedeutung zu erkennen. Doch meist war es viel komplizierter. Und oft genug mussten sie den Spiegel mehrmals anwenden, bis sich ihnen schließlich die wahre Bedeutung eines Wortes enthüllte. Aber sie ließen nicht locker. Ihre Wangen glühten vor Eifer, vergessen waren Kälte und Müdigkeit. Sie waren wie besessen. Cosimos Feder zuckte über das Papier, während Giacomo ihm Buchstaben für Buchstaben diktierte. Und endlich, als sich der neue Tag mit dem ersten Lichtschimmer und dem Morgengesang der Vögel ankündigte, war es geschafft – klar und deutlich lag der Text des alten Pergaments vor ihnen.

»Lies vor«, sagte Giacomo und stieß Cosimo in die Seite.

»Ich bin viel zu nervös.«

Cosimo räusperte sich. Seine Stimme klang seltsam heiser, als er langsam und stockend begann.

»... Ähnliche Ingredienzien benötigt folgendes Rezept, dessen Wirkung sich jedoch auf das Erstaunlichste von der des vorangegangenen unterscheidet. Der Magicus nehme ...« Es folgte eine Aufzählung von mindestens zwei Dutzend verschiedenen Zutaten und ihren genauen Mengen- und Gewichtsanteilen. Dann ging es weiter. »Die trockenen Zutaten werden miteinander gemischt und falls nötig im Mörser zu einem feinen Pulver zerstoßen, anschließend zu den flüssigen gegeben, die vorher ebenfalls sorgfältig gemischt wurden. Man koche nun das Ganze auf kleiner Flamme, bis sich alle Substanzen miteinander verbunden haben und die Flüssigkeit eine klare, dem Auge wohlgefällige tiefrote Farbe angenommen hat. Man ziehe nun den Topf vom Feuer, füge der Flüssigkeit noch eine Prise fein zerstoßenes Salz hinzu und lasse sie erkalten. Dann gebe man auf ein Maß des Suds fünf Maß guten alten Rotweines und mische beides wieder sorgfältig. Das fertige Elixier wird anschließend in kleine Phiolen abgefüllt. Tropfenweise eingenommen, vermag es den Magicus in die Lage zu versetzen, die Vergangenheit und somit die Wurzel aller Dinge zu schauen, wobei der Körper im Hier und Jetzt in einem dem gewöhnlichen Schlafe ähnlichen Zustand verbleibt. In höherer Konzentration erlaubt es sogar eine körperliche Präsenz in anderen Zeiten. Doch hierbei ist durchaus Vorsicht geboten, denn mit der Zeit tritt eine Gewöhnung ein. Höhere Dosen zum Erreichen der erwünschten Wirkung des Elixiers werden notwendig. Daher empfehle ich, nicht von der von mir beschriebenen Zubereitung abzuweichen. Außerdem ist zu bedenken, dass ...«

»Warum liest du nicht weiter?«, fragte Giacomo ungeduldig.

Cosimo schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Es geht nicht weiter. An dieser Stelle bricht der Text ab.« Ratlos drehte er das Pergament um, als könnte ihm die Rückseite mehr verraten. Doch sie war leer. »Vermutlich gehörte ursprünglich noch eine zweite Seite dazu. Sie muss verloren gegangen sein.«

Gemeinsam starrten sie nochmals auf die Zeilen, die sie in so mühevoller Arbeit entschlüsselt hatten.

»Vielleicht sollten wir erneut die Hexe aufsuchen und sie nach der fehlenden Seite befragen?«

»Wie denn, Giacomo? Sie hat doch schon vor zwei Tagen Florenz verlassen. Und wir wissen nicht einmal, Wohin sie wollte. Wir würden Wochen, wenn nicht gar Monate brauchen, um sie zu finden.«

»Na, ist ja auch gleich«, sagte Giacomo nach einer Weile und zuckte mit den Schultern. »Hauptsache ist doch, dass wir alle Zutaten kennen, die notwendig sind. Cosimo, ich kann es kaum abwarten, von dem Elixier zu kosten. Die Vergangenheit ... Glaubst du, wir bekommen alle Zutaten zusammen?«

Cosimo überflog die lange Liste.

»Salbei, Thymian, Wacholder ... Wenig davon ist ungewöhnlich oder schwer zu beschaffen. Ich denke schon. Wir müssen allerdings noch die Maßeinheiten umrechnen. Bei den meisten im Rezept verwendeten handelt es sich offensichtlich um griechische oder römische Mengenangaben, die heute nicht mehr verwendet werden. Aber das sollte das geringste Problem sein.« Er sah Giacomo an. »Du besorgst die eine Hälfte der Zutaten, ich die andere. Und morgen Nacht, nachdem der Nachtwächter seinen letzten Rundgang gemacht hat, treffen wir uns in der Apotheke von Luciano de Spalla wieder.«

Kurz nach Mitternacht öffnete Cosimo seinem Freund die Hintertür, die zum Haus des Apothekers Luciano de Spalla führte. Giacomo trug einen Sack über der Schulter, unter dessen Gewicht er ächzte und stöhnte, als wäre er mit Kieselsteinen anstatt mit Kräutern gefüllt.

»Hast du alles bekommen?«, fragte Cosimo.

»Ja«, antwortete Giacomo und drückte Cosimo den Sack in die Hand. »Es war aber wider Erwarten nicht ganz leicht. Vor allem nach den Venusmuscheln musste ich lange suchen. Erst bei einem Fischhändler hatte ich endlich Erfolg.«

»Gottlob, dann haben wir die Zutaten beisammen. Komm, wir gehen ins Laboratorium.«

Cosimo schulterte den Sack und stieg eine schmale, wacklig aussehende Treppe hinunter, die in ein niedriges, düster wirkendes Kellergewölbe führte. Der Boden bestand aus festgestampftem Lehm, die Mauern aus Ziegeln, die Alter und Ruß schwarz gefärbt hatten. Zwei Fackeln, deren zuckender Schein nur wenig Licht spendete, steckten in Haltern an den Wänden. Anders als in anderen Kellergewölben war das Mauerwerk frei von Feuchtigkeit und Schimmel. Selbst der Boden machte einen trockenen und überraschend sauberen Eindruck, so als würden die großen Steinfliesen täglich gefegt. Und trotzdem schwebte ein seltsamer unangenehm beißender Geruch in der Luft, der an Fäulnis und Verwesung erinnerte.

»So, hier ist es«, sagte Cosimo und stieß eine schwere eisenbeschlagene Tür auf. Die beiden Freunde standen in einem Vorratsraum. Vor ihnen auf Regalen, die vom Boden bis zur niedrigen Decke reichten, stapelten sich Säcke mit Mehl und getrockneten Früchten ordentlich übereinander, Krüge mit Öl standen nebeneinander aufgereiht, unter mit Salzwasser getränkten Tüchern lagen mehrere Käselaibe von unterschiedlicher Größe, und von der Decke baumelten Würste und zwei herrliche Schinken. Cosimo stellte den Sack ab und schob ein Regal zur Seite, auf dem Gläser und Krüge mit in Essig und Öl eingelegten Oliven, Pilzen und anderem Gemüse aufbewahrt wurden. Dahinter verborgen befand sich eine weitere Tür. Sie war schmal, unscheinbar und machte einen nutzlosen Eindruck, so als hätte sie vor langer Zeit einmal in einen Raum geführt, den es nun schon seit vielen Jahren nicht mehr gab. Doch wer genauer hinsah, erkannte, dass sie erst vor kurzem mit Eisen verstärkt und einem überaus komplizierten Schloss versehen worden war. Cosimo holte einen Schlüssel hervor und öffnete die Tür zu einem kleinen Raum, der von einer Öllampe erleuchtet wurde.

»Worauf wartest du noch? Komm rein!«, forderte Cosimo seinen Freund auf, der in der Tür stehen geblieben war, als wäre er von einem Moment zum nächsten zu Stein erstarrt. Giacomo deutete auf die seltsamen Gerätschaften, die auf zwei schmalen an den Wänden stehenden Tischen aufgereiht waren – feine Waagen und winzige Gewichte aus Messing, mit denen sich selbst kleinste Mengen genau abwiegen ließen; Glaskolben unterschiedlicher Form, Größe und Farbe auf Eisengestellen; verschiedene Gläser mit Pulvern, Kräutern und Kristallen; mehrere Kessel und dreibeinige Pfannen aus Kupfer und Eisen; dunkle Flaschen, in denen offensichtlich Flüssigkeiten aufbewahrt wurden; außerdem ein aus Ziegeln gemauertes Kohlebecken mit Aufsatz und ebenfalls gemauerter Esse, das wohl als Herd diente.

»Ist dies ... ist dies etwa die Küche eines Hexenmeisters?«, fragte er mit zitternder Stimme.

Cosimo lachte nicht. Er konnte das Entsetzen seines Freundes durchaus nachempfinden. In diesem Gewölbe sah es wahrhaftig so schaurig aus, dass einem auf Anhieb alle Geschichten einfielen, die man je über Hexerei, Zauberei und Dämonenbeschwörung gehört und die einen als Kind so geängstigt hatten. Er selbst hatte es ähnlich empfunden, als er vor einigen Monaten zum ersten Mal mit Luciano hier unten gewesen war.

»Nein, keine Sorge«, antwortete er, während er den Sack öffnete und den Inhalt auf einen der beiden Tische stellte. »Luciano ist kein Hexenmeister, wohl aber ein Gelehrter, ein Forscher. Und dies hier ist sein geheimes Laboratorium. Hier geht er seinen Forschungen nach und führt seine Experimente durch. Er war so gütig, es uns für diese Nacht zur Verfügung zu stellen. Wir dürfen sogar alle Gerätschaften benutzen.«

Giacomo trat immer noch zögernd ein. Mit deutlichem Argwohn betrachtete er jeden einzelnen Gegenstand, nahm schließlich eine der Flaschen in die Hand, öffnete den Korken und roch daran.

»Das stinkt ja wie im Abort des Teufels«, sagte er und stellte die Flasche angewidert an ihren Platz zurück. »Und wie können wir sicher sein, dass dieser Luciano uns nicht verrät? Woher willst du wissen, dass nicht jeden Augenblick die Stadtwachen hier sind?«

»Er wird uns nicht verraten«, erklärte Cosimo. »Es ist etwa zehn Jahre her – Luciano war damals noch keine zwanzig Jahre alt -, als wohlwollende Nachbarn wegen des seltsamen Gestanks, der Tag für Tag aus seiner Wohnung drang, die Stadtwachen riefen. Er wurde verhaftet und wegen des Verdachts der Hexerei vor Gericht gestellt. Mein Onkel war einer der Beisitzer in dem Prozess. Er erkannte schnell in Luciano den herausragenden Geist und konnte es nicht zulassen, dass dieser auf dem Scheiterhaufen zu enden drohte. Also nahm er die Angelegenheit selbst in die Hand. Er trieb Entlastungszeugen auf, sorgte dafür, dass die belastenden Aussagen widerlegt wurden, und bürgte sogar selbst mit seinem Wort und einer ansehnlichen Summe für Luciano. Der wurde daraufhin von allen Punkten der Anklage freigesprochen, und damit er ungestört weiterforschen konnte, erwarb mein Onkel diese Apotheke in seinem Namen. Wie du siehst, hat Luciano meiner Familie mehr als nur sein Leben zu verdanken.«

Cosimo schämte sich dafür, wie hochmütig diese Worte in den Ohren eines Außenstehenden klingen mussten. Und trotzdem war es nicht mehr als die Wahrheit. Eine Wahrheit, wie sie in der Familie der Medici nahezu alltäglich war. Er hätte Giacomo wohl noch hundert vergleichbare Geschichten erzählen können. Und auch wenn es viele andere nicht verstehen konnten, wenn Familien wie die Pazzi dieses Verhalten der Medici Künstlern und Forschern gegenüber als Prahlerei und Verschwendung bezeichneten – er war stolz darauf.

Er räusperte sich. »Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Wir wollten das Elixier herstellen, und allmählich läuft uns die Zeit davon. Wenn wir noch vor Sonnenaufgang fertig werden wollen, sollten wir jetzt endlich beginnen.«

Giacomo nickte, und sie machten sich an die Arbeit. Sie wogen Pulver, Blätter und Kristalle, maßen Flüssigkeiten tropfen- und löffelweise ab, zerstampften Muschelschalen im Mörser zu einem Pulver, feiner als das feinste Mehl. Als endlich der Kupferkessel über dem Kohlenfeuer hing, waren beide völlig erschöpft. Ihre Arme und Hände schmerzten von dem ungewohnten Gebrauch des schweren eisernen Stößels, und jeder von ihnen dachte das Gleiche – hoffentlich haben wir bei der Entschlüsselung des Textes keinen Fehler gemacht. Hoffentlich haben wir uns bei den Mengenangaben nicht verrechnet. Hoffentlich haben wir wirklich so genau gewogen und gemessen, wie erforderlich. Hoffentlich klappt alles.

Unermüdlich rührte Giacomo in dem Kessel. Das Elixier war noch weit davon entfernt, eine »klare, dem Auge wohlgefällige tief rote Farbe« anzunehmen. Tatsächlich war es eher eine trübe dunkelbraune Brühe, die nicht nur ziemlich dickflüssig war, sondern außerdem noch abscheulich stank. Nervös trat Cosimo von einem Bein auf das andere. Der Kessel hing nun schon ziemlich lange über dem Feuer. Bald würde die Sonne aufgehen. Bald würde Luciano kommen und sie auffordern, sein Laboratorium zu verlassen. Wenn bis dahin nicht ...

»Cosimo!«, rief Giacomo aufgeregt. »Sieh nur. Ich glaube, es ist gleich so weit.«

Sie beugten sich über den Kessel. Die Flüssigkeit begann allmählich zu brodeln. Zitternd vor Anspannung sahen sie zu, wie von einem Augenblick zum nächsten aus der trüben, dicken, stinkenden Suppe eine klare Flüssigkeit wurde, deren schöne tiefrote Farbe an kostbaren Rotwein erinnerte. Und gleichzeitig erfüllte der köstliche Duft von Mandeln und Veilchen das kleine Laboratorium.

»Es ist so weit«, stimmte Cosimo zu. »Nimm den Kessel vom Feuer.«

Sie streuten noch die geforderte Prise Salz hinein und warteten. Die Zeit, bis die Flüssigkeit endlich erkaltet war, wurde ihnen unendlich lang. Mit zitternden Händen gössen sie die angegebene Menge Rotwein hinzu. Und dann war das Elixier fertig. Ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten, füllten sie es in Phiolen ab. Cosimo hob eine der kleinen zarten Glasflaschen hoch und hielt sie gegen das Licht der Öllampe. Die rote Flüssigkeit schimmerte wie ein kostbares Juwel.

»Wollen wir jetzt ...«

»Natürlich«, antwortete Cosimo ohne nachzudenken. »Wir werden es sofort ausprobieren.«

»Kannst du dir vorstellen, dass wir in wenigen Augenblicken in einer anderen Zeit sein werden?«, fragte Giacomo und hielt seine Phiole gegen das Licht der Lampe. »Wenn das Elixier tatsächlich die versprochene Wirkung hat, wohin würdest du reisen wollen?«

Cosimo zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Allerdings würde ich gern einmal Dante Alighieri persönlich begegnen. Vielleicht sogar ein paar Worte mit ihm reden. Und du?«

»Ich möchte meinen Stiefvater zu einer Zeit besuchen, als er selbst noch ein Knabe war.«

»Tatsächlich?« Cosimo war überrascht. Da hatten sie die Möglichkeit, allen wahrhaft großen Männern zu begegnen, die im Laufe der Geschichte der Menschheit Bedeutung erlangt hatten. Er konnte Virgil, Homer, Julius Cäsar, ja, vielleicht sogar dem Herrn Jesus Christus persönlich gegenüberstehen, und wen wünschte Giacomo in der Vergangenheit zu treffen? Seinen Stiefvater, der ihn bereits im täglichen Leben eher zu oft als zu selten mit seiner Gesellschaft beehrte. »Warum denn das?«

Giacomo zuckte mit den Schultern. »Nur so. Vielleicht um ›die Wurzeln aller Dinge‹ zu ergründen.«

Cosimo schüttelte verständnislos den Kopf. Nun, jeder Mensch hatte eigene Interessen, eigene Vorlieben. Auch Giacomo.

»Wenn das Elixier überhaupt diese Wirkung hat«, fügte Giacomo düster hinzu. »Möglicherweise wachsen uns auch nur die Haare davon oder wir werden in eine abscheuliche Gestalt verwandelt.«

»Deshalb sollten wir die Wirkung auch nicht gleichzeitig probieren«, schlug Cosimo vor, der des Redens allmählich müde wurde und endlich zur Tat schreiten wollte, »sondern einer nach dem anderen, damit wir beide sehen, was geschieht. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich zuerst von dem Elixier kosten. Und wenn ich wieder zurück bin, werde ich dir alles erzählen.«

Giacomo war einverstanden.

Cosimo nahm den gläsernen Verschluss von der Phiole und träufelte sich etwas von der Flüssigkeit auf den Zeigefinger. Er betrachtete seine Fingerspitze. Der winzige Tropfen sah aus wie Blut, wie frisches dunkelrotes Blut, so als hätte er sich gerade eben in den Finger gestochen.

Wenn Giacomo doch Recht hat, dachte Cosimo und streckte langsam die Zunge heraus. Wenn dies eine Falle ist und jeder, der von diesem Elixier nimmt, in ein Ungeheuer verwandelt wird oder in der Hölle landet oder ...

Sein Herz klopfte bis zum Hals, die Kehle wurde ihm eng. Doch bevor Angst und Mutlosigkeit den Sieg über ihn erringen konnten, leckte er den Finger ab.

Für einen kurzen Augenblick dachte Cosimo, dass sein Herz stehen geblieben war. Doch dann merkte er, dass ihn lediglich die Angst verlassen hatte. Denn was er jetzt erlebte, war einfach überwältigend. Der köstliche Geschmack von Veilchen, süßen Mandeln und Honig breitete sich auf seiner Zunge aus. Er fühlte sich heiter und beschwingt, fast berauscht, als hätte er zu viel Wein getrunken. Doch fehlte diesem Rausch jene bleierne Schwere, die nur allzu oft mit dem Genuss von Rotwein verbunden war. Er wollte tanzen, Giacomo erzählen, wie wunderbar alles war, doch die Gegenstände um ihn herum nahmen seltsame Gestalt an. Sie wirkten verzerrt und verschwommen in einem Nebel, der sich wie ein Schleier aus feiner durchsichtiger goldener Seide über alles legte. Cosimo streckte seine Hand aus, langsam und vorsichtig. Er konnte den Nebel fast berühren. Und plötzlich hatte er das sichere Gefühl, dass er seine Reise beginnen würde, sobald er selbst in diesen Nebel eintauchte. Erneut begann sein Herz heftig zu klopfen, doch die Erregung darüber, das Geheimnis des Elixiers zu ergründen, übertraf seine Furcht. Er straffte die Schultern, atmete tief ein und trat einen Schritt vor. Wohlige Wärme ging von dem Nebel aus, und Cosimo wagte einen weiteren Schritt. Jetzt berührte er ihn tatsächlich. Er war weich und zart wie das feinste Gewebe. Und dann dieser Duft! Es war, als befände er sich inmitten einer Wiese voller in Blüte stehender Veilchen. Er ließ sich betören, wagte noch einen Schritt und noch einen. Und dann dachte Cosimo an nichts mehr.

Verschwörung in Florenz

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