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Die unendliche Geschichte des Betriebsklimas

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Wer hätte im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung, als das Proletariat und die Bourgeoisie Hochkonjunktur feierten und das Patriarchat Firmen regierte, gedacht, dass zwei Frauen ein Buch darüber schreiben würden, wie Menschen sich bei der Arbeit im Miteinander wohlfühlen können und dass Partizipation der Arbeitnehmenden am Unternehmenserfolg auf Augenhöhe erfolgen kann? Vermutlich niemand. Aber das ist, zumindest aus der Sicht der Mehrheitsbevölkerung des 21. Jahrhunderts, ein großer Erfolg und vielleicht der beste Beweis dafür, dass Veränderungen und Weiterentwicklungen durchaus positive Effekte haben. Oder, wie es sprichwörtlich heißt: »Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.« Doch wie haben sich unsere Arbeitswelt und die damit einhergehenden Vereinbarungen zur Gestaltung dieser Zwangsgemeinschaft – immerhin suchen wir uns unsere Kolleginnen und Kollegen oder die Vorgesetzten in der Regel nicht aus – eigentlich verändert? Werfen wir einen Blick zurück.

Wie alles begann

Im antiken Griechenland war das Arbeiten als niedere Tätigkeit noch Frauen, Sklaven und Knechten vorbehalten. Hier lohnt sich ein Blick auf die eigentliche Bedeutung des Begriffs »Arbeit«, und ohne die Pointe vorwegnehmen zu wollen: Es bedeutet nichts Gutes. Denn es heißt übersetzt »sich plagen, quälen, abmühen und leiden«. Erschreckend? Finden wir auch. Doch Gott sei Dank kam mit dem Christentum auch eine Umdeutung des eingestaubten Konzepts »Arbeit« und es galt fortan das Motto: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.«

Erst im Mittelalter, also Tausende Jahre später, wandelte sich die Bedeutung der Arbeit erneut. Bis dato galt sie als etwas, das erledigt werden muss, als etwas, das uns vom eigentlichen Spaß des Lebens abhält. Mit Martin Luthers Einfluss auf Moral und Lebensstil änderte sich das vorherrschende Bild im Mittelalter und die Arbeit wurde zur Berufung, der Müßiggang zur Sünde. Die Früchte dieses revolutionären Mindset-Change ernten wir noch heute. Denn nur auf dieser Grundlage, der Identifizierung mit unserem Beruf, kann es überhaupt zu etwas wie Betriebsklima in unserem Sinne kommen – natürlich neben der Tatsache, dass es überhaupt einen Betrieb gibt. Dafür wurde im 17. Jahrhundert in Form von Manufakturen, in denen verschiedene Handwerker (wir vermuten, es waren allesamt Männer) gemeinsam an einem Produkt arbeiteten, der Grundstein gelegt.

Mit der Erfindung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert veränderte sich das gemeinsame Arbeiten noch einmal elementar und die industrielle Revolution war nicht mehr aufzuhalten. In großen Fabriken kamen plötzlich Hunderte Menschen zusammen und führten dort eine spezifische Aufgabe aus. Frederick Winslow Taylor, Gründervater des Taylorismus, legte noch eine Schippe drauf und verschärfte die innerbetrieblichen Prozesse. Es wurde nach detaillierten und sehr spezifischen Zielvorgaben gearbeitet: kein Handschlag mehr zu viel und für alle galt das Prinzip »one best way« – es gibt nur einen richtigen Weg, eine Tätigkeit auszuführen. Hier begann nun auch die groß angelegte Abhängigkeit der Arbeitnehmenden von einem Unternehmen. Wer nicht spurte, krank wurde oder vielleicht sogar das System kritisierte, wurde schnurstracks ausgetauscht und landete auf der Straße. Was das mit dem Betriebsklima gemacht hat, liegt auf der Hand. Es herrschte Angst und Ehrfurcht vor dem Patriarchen, und die wechselseitige Beziehung bestand aus dem reinen Austausch von Arbeitsleistung und Lohn. Das Einzige, was hier unter Betriebsklima verstanden wurde, waren vermutlich tatsächlich die viel zu heißen oder viel zu kalten Temperaturen in den Fertigungshallen.

Im 20. Jahrhundert wurden die ersten Gewerkschaften und Betriebsräte gegründet, Frauenrechtsbewegungen organisiert, gesetzliche Regelungen zu Arbeitsbedingungen beschlossen und die Sozialversicherung eingeführt, die den Lebensunterhalt auch außerhalb der Erwerbstätigkeit sicherte. Durch die neu gewonnene Freiheit der Menschen, aber auch durch komplexer werdende Tätigkeiten, die unsere heutige Dienstleistungsgesellschaft mit sich bringt, entwickelte sich mehr und mehr das Verständnis von Arbeitgebenden, dass der reine Austausch von Lohn und Arbeitszeit nicht mehr ausreicht, um effektiv und effizient zu arbeiten. Ein Mitdenken und das Engagement jedes/jeder Einzelnen, der Blick für das Große und Ganze, für all jenes, was nicht vertraglich definiert werden kann, erhielt eine größere Bedeutung. In der Managementliteratur wird dazu häufig das Zitat des Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry herangezogen:

»Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.«

In der Soziologie wird dies auch als »Subjektivitätsbedarf von Organisationen« beschrieben – ein Begriff, mit dem Sie gerne im nächsten Meeting glänzen dürfen. Unternehmen sind auf das Mitdenken ihrer Mitarbeitenden angewiesen. Es beginnt sich hier also ein Bewusstsein dafür zu formen, dass die Einstellung, die Werte, die Meinung, die Überzeugung und die Identifikation von Mitarbeitenden eine wichtige Stellschraube für erfolgreich arbeitende Unternehmen darstellen.

Wo wir heute stehen

Wagen wir nun den Sprung in die Neuzeit und schauen uns etwas feingliedriger an, was sich im 21. Jahrhundert noch alles getan hat. Unbestritten befinden wir uns in einer Dienstleistungsgesellschaft, die sich nicht nur durch eine rasante technische Weiterentwicklung auszeichnet, sondern auch durch eine veränderte Einstellung zur Arbeit. Taylorismus ist out: »one best way« wird zu »many best ways«. Und auch Martin Luther wäre stolz auf uns, denn heute spielt die Identifikation mit dem eigenen Beruf eine große Rolle.

In der Generation der Babyboomer, also den Geburtenjahrgängen Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre, galt, geprägt durch den Zweiten Weltkrieg, ein sicherer Job noch als das Maß der Dinge. Bereits die darauffolgende Generation X, auch als Generation Golf bekannt, die die Geburtenjahrgänge 1965 bis 1985 umfasst, setzte neue Maßstäbe und der Begriff Work-Life-Balance hielt Einzug in den Volksmund. Beide Generationen sind es gewohnt, regelmäßige Arbeitszeiten in Unternehmen vorzufinden, einen festen Arbeitsplatz, möglicherweise sogar ein eigenes Büro. Sie erleben technische Revolutionen, die die Arbeitswelt verändern. Von der Übermittlung von Inhalten via Lochstreifen über die elektronische Schreibmaschine und das Faxgerät, die ersten Drucker und Computer, Mobiltelefone und E-Mails – das Wissen über all das musste man sich angeeignen und die Arbeitswelt beschleunigte sich schwindelerregend schnell.

Die darauffolgende Generation Y (1985 bis 1995) wächst mit all diesen Technologien wie selbstverständlich auf – obwohl hier vermutlich niemand mehr Lochstreifen kennt. An die unbegrenzten Möglichkeiten von Innovationen glaubend, strebt sie nicht mehr nur nach Work-Life-Balance, sondern stellt die Art der Arbeit grundsätzlich infrage. Sie will Flexibilität, Aufstiegschancen und einen Job, der sie erfüllt. Arbeitgeberwechsel sind für sie kein Problem, sondern Normalität und, um beruflich weiterzukommen, sogar unabdingbar.

Ähnliches gilt für die Geburtenjahrgänge 1995 bis 2015, die Generation Z, die neben den Millennials in den Startlöchern steht und ihren Teil des Kuchens abbekommen möchte – am liebsten zu ihren Bedingungen. Die Konzepte New Work, Agiles Management und die VUCA-Welt sind für die Generationen Y und Z erstrebenswerte Zustände, auf deren Einstellung sie sich nicht erst einlassen müssen. Diese Pluralität, die Fähig- und Fertigkeiten, die Einstellung zur Arbeit und auch der Anspruch an das Miteinander haben Auswirkungen auf das Betriebsklima und müssen in Einklang gebracht werden. Doch eines haben alle Generationen gemeinsam: Sie arbeiten gerne und es steigert ihre grundsätzliche Lebenszufriedenheit, in Lohn und Brot zu stehen.

Rettet das Betriebsklima!

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