Читать книгу Crossover - Fred Ink - Страница 16

Оглавление

Der Jäger zog sich von der Treppe zurück. In geduckter Haltung setzte er einen Fuß vor den anderen, verstohlen und bedacht. Es bereitete ihm kaum Mühe, sich auf eine Weise zu bewegen, die kein hörbares Geräusch verursachte.

Selbstverständlich wusste die Frau trotzdem von seiner Präsenz. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet. Aber sehen oder hören würde sie ihn nicht.

»Wer immer dort ist, ich danke Ihnen«, schallte es zu ihm herauf.

Er gab keine Antwort. Dass er überhaupt eingegriffen hatte, kam ihm wie ein Frevel vor. Die Sache hatte ihn nicht direkt betroffen, daher ging sie ihn auch nichts an.

Aber als er die Treppe hinabgespäht und die Frau gesehen hatte, war etwas in ihm berührt worden. Sie hatte sich ungeachtet ihrer Todesangst an das Wesen herangeschlichen, mit dem Mut der Verzweiflung für das Überleben ihres Kinds gekämpft wie eine Löwin. Dabei besaß sie die Augen eines Rehs, tief und voller Mysterien. Die Spuren, die das Leben auf ihrem Gesicht und in Form einer weißen Haarsträhne hinterlassen hatte, ließen auf melancholische Geschichten schließen, die es zu ergründen galt.

Das Kind, obschon zweifelsohne zurückgeblieben und allein nicht überlebensfähig, faszinierte ihn ebenfalls. Er fühlte sich von seiner Unvollkommenheit nicht abgestoßen, wie er es eigentlich erwartet hätte. Vielmehr übten die Naivität sowie die fast schon krankhafte Lebensfreude der Kleinen – als der Jäger sich abgewandt hatte, war sie gerade damit beschäftigt gewesen, ihre Mutter zu kitzeln, wohl, um diese ebenfalls zum Lachen zu bringen –, eine unerklärliche Anziehungskraft auf ihn aus. Ein Gefühl regte sich in ihm, das er nur als Sympathie bezeichnen konnte.

Deswegen musste er fort von den beiden. Er wollte keine Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Die Vorstellung ängstigte ihn, weil … ja, warum eigentlich? Weshalb hielt er sich von allen fern? Aus welchem Grund jagte er nur, anstatt etwas zu erlegen, im übertragenen Sinn gesprochen? Er spürte, dass die Antwort sich in einem Winkel seines Verstands verbarg, aber noch bekam er sie nicht zu fassen.

Es hatte etwas mit dem zu tun, was er war. Er sorgte sich dabei weniger um sich selbst, als um die Menschen, die er an sich heranließ. Fürchtete er, ihnen Leid zuzufügen? Oder dass sie durch die Hand eines Anderen Leid erfahren würden, wenn sie sich mit ihm abgaben?

»Bitte zeigen Sie sich«, forderte die Mutter mit wieder erstarkter Stimme. »Wir tun Ihnen nichts, versprochen. Lassen Sie uns nicht allein!«

Der Jäger zog sich noch weiter zurück. Weil er nicht bei der Sache war, zertrat er ein Stück Kunststoff. Es knackte spröde; das Geräusch war zigmal lauter als das der Kugel, die den Schädel des leuchtenden Wesens hatte zerplatzen lassen. Beim nächsten Mal würde der Schalldämpfer bereits weniger effektiv sein.

Der Jäger verfluchte sich selbst und versteinerte, während die Frau abermals die Stimme erhob. »Wer ist dort oben? Ich kann Sie hören!«

Was dann geschah, sah er ganz deutlich vor sich: Seine Weigerung, sich der Frau zu erkennen zu geben, wurde von ihr als beunruhigendes Signal gewertet. Aus einem Retter, über dessen Anwesenheit sie erfreut gewesen war, wurde eine namenlose Bedrohung. Die nächsten Sätze, diesmal in einem Tonfall vorgetragen, der Stärke demonstriert hätte, wäre das Beben darin nicht gewesen, überraschten ihn daher nicht.

»Ich habe eine Pistole! Kommen Sie also nicht auf dumme Gedanken!«

Der Jäger kniff die Augen zusammen. Die Pistole. Die Waffe, derentwegen er sich diesem Abschnitt des Gebäudes überhaupt erst genähert hatte. Weshalb hatte er sie nicht genommen, nachdem die Frau die Treppe hinabgefallen war? Dadurch wäre er in ihr Blickfeld geraten, sicher, aber er wäre im Nu wieder verschwunden gewesen und hätte zur Abschreckung gleich mit zwei Pistolen drohen können. Stattdessen hatte er lediglich eine Kugel vergeudet und zugelassen, dass kostbare Ressourcen in unqualifizierte Hände fielen. Was war nur los mit ihm?

»Wir kommen jetzt rauf!«, rief die Mutter. »Falls Sie irgendwas Dummes tun, werde ich schießen.«

Tapfere Löwin, dachte er. Sie musste unbeschreibliche Angst verspüren, aber die Anwesenheit des eigenen Nachwuchses gab ihr Kraft.

Ohne recht darüber nachzudenken, stoppte der Jäger seinen Rückzug. Er schlich in den nächstbesten Raum, hüllte sich in die dunkelsten Schatten, duckte sich hinter einen Haufen aus Trümmern und spähte in den Gang hinaus. Die Dunkelheit war so dicht, dass auch mit daran gewöhnten Augen kaum etwas zu erkennen war. Sie würde ihn nicht sehen, sogar wenn sie direkt an ihm vorüberging.

Knapp dreißig Sekunden später tauchte sie auf, selbst kaum mehr als ein Schemen. Aber die Augen des Jägers waren geschult. Ihm fiel sofort auf, dass sie ihren Pullover nicht mehr trug. Mit nacktem Oberkörper, lediglich durch einen schmucklosen Büstenhalter ein wenig verhüllt, tastete sie sich voran. Ihre eine Hand hielt die Pistole ausgestreckt, die andere zog das Kind hinter ihr her. Der Jäger sah, wie der Lauf der Waffe zitterte, er hörte das Beben in den Atemzügen der Frau.

Das Verhalten des Kinds stand in krassem Gegensatz zu dem seiner Mutter. Es schien das grauenvolle Erlebnis bereits vergessen zu haben; voller Neugier schwenkte sein Kopf erst in die eine, dann in die andere Richtung. Der verletzte Unterarm war mit etwas Unförmigem verbunden worden. Es dauerte einen Moment, bis der Jäger den Pullover der Frau erkannte. Die Entdeckung ließ ihn anerkennend nicken. Angesichts des feuchtwarmen Klimas konnte man zwar nicht wirklich von einem Opfer sprechen, das erbracht worden wäre – die Frau würde ihre Körpertemperatur auch ohne das Kleidungsstück mühelos regulieren können. Aber der Jäger war sich sicher, dass sie auf exakt dieselbe Weise handeln würde, wenn sie sich innerhalb einer Polarstation befände. Er wurde Zeuge bedingungsloser Selbstaufopferung.

Kurz bevor das Paar an der Türöffnung vorbei war und somit außer Sicht geriet, fuhr der Kopf des Mädchens herum. Der Blick großer, neugieriger Augen richtete sich auf ihn. Und verharrte dort.

Nein, dachte der Jäger, sag jetzt nichts, geh einfach weiter.

Seine Nackenhärchen richteten sich auf, als die Kleine nickte. Sie schritt aus, gab dem Zug der Mutter nach, der sie tiefer in den Gang beförderte. Aber sie nahm die Augen nicht von ihm, bis sie an der Türöffnung vorbei war.

Der Jäger stellte fest, dass seine Atmung sich beschleunigt hatte. Sie war in der Lage gewesen, ihn zu sehen! Und sie hatte allem Anschein nach auf seine Gedanken reagiert. War es Zufall? Bestimmt. Niemand sollte zu so etwas in der Lage sein, schon gar nicht, wenn er geistig behindert war. Und dennoch …

Er konnte sich nicht davonmachen. Erst wenn er diese beiden Geschöpfe enträtselt hatte, würde er mit der Sache abschließen können. Bis dahin musste er sie weiter beobachten.

Der Jäger schlich hinter dem Schutthaufen hervor und stellte fest, dass er lächelte.

Crossover

Подняться наверх