Читать книгу Ich, Sergeant Pepper - Fred Reber - Страница 7

Der bist du nicht gewachsen

Оглавление

Weihnachten 1969

In der Bravo las ich, dass für eine neue Fernsehsendung junge Gesangstalente gesucht wurden. Dass ich talentiert war, wollte ich mit Songs der Beatles auf einer Demokassette beweisen. Immer wieder ließ ich Something laufen und übte wie besessen. You’re asking me will my love grow, I don’t know, I don’t know. Super wäre es natürlich gewesen, wenn ich mich auf der Gitarre hätte begleiten können. Die würde ich erst zu Weihnachten bekommen, hoffte ich jedenfalls. Mehr hatte ich nicht auf meinen Wunschzettel geschrieben.

War da jemand an der Haustür?

Es klopfte unten tatsächlich, und ich nahm die Nadel von der Platte. Verwundert stellte ich fest, wie dunkel es mittlerweile geworden war.

»Patrick?« Es war eine helle Stimme. »Ich kann dich hören.«

Julia? O Gott, ausgerechnet jetzt.

Ich schob mir die verschwitzten Haare aus der Stirn, nahm mein Drahtgestell ab, zog hastig die Pepperjacke aus und schlüpfte im Hinuntergehen in einen Pullover. Der Schnauzer! Ich riss ihn von der Oberlippe, ließ ihn in meiner Hosentasche verschwinden und öffnete.

»Da staunst du, was?«, fragte Julia und kam herein. »Mach mal Licht.«

Ich fand den Kippschalter nicht sofort. Meine Stimme versagte. Ich kam mir idiotisch vor.

Grinsend warf Julia ihre langen, zerfransten Haare nach hinten. Sie reichten ihr fast bis zum Po. »Ich wusste gar nicht, dass du singst?«

»War `ne Platte«, krächzte ich und räusperte mich. Ich war noch nicht gut genug, wollte mich nicht blamieren.

»Schade.« Julia stand am Treppenabsatz und hypnotisierte mich mit ihren graublauen Augen. Ich war kurz davor, nachzugeben, als sie fragte: »Hast du Blackbird

Ich jagte die Treppe hinauf und Julia folgte mir. Sie zog ihren Mantel aus und warf ihn in meinem Zimmer über den Stuhl. Sie trug eine enge schwarze Hose, die in fellbesetzten Stiefeln steckte. Sie bückte sich nach der Pepperjacke, die auf dem Boden lag und breitete sie auf meinem Bett aus. »Madonna! Wo hast du die denn gekauft?«

»Hat Oa mir genäht.«

Ich erschrak. Nie zuvor hatte ich einem Fremden gegenüber meine Großmutter so genannt.

»Vermisst du sie sehr?«

Ich antwortete nicht, zog das Weiße Album aus dem Regal unter der Dachschräge und legte die Platte auf.

Blackbird singing in the dead of night.

Dieser Song musste unbedingt mit auf die Demokassette.

»Am zweiten Weihnachtsfeiertag fahre ich mit Verwandten in die Berge«, sagte Julia nach einer Weile. »Mein Cousin Charlie wird mir das Skilaufen beibringen. Die Silvesterparty im Hotel wird bestimmt ganz toll. Um Mitternacht habe ich Geburtstag. Wann wirst du dreizehn?«

Dreizehn? Das hörte sich an, als sei sie erwachsen und ich noch ein Kind.

»Erst nächsten Oktober, am neunten«, sagte ich leise, nahm den Tonarm von der abgelaufenen Platte und legte ihn in die Halterung zurück. Dabei fiel mir die Kassette ein, die ich im Sommer für sie aufgenommen hatte. Ich nahm sie aus der Schreibtischschublade und gab sie ihr.

»Für nächstes Mal wünsche ich mir eine von dir besungene Kassette«, sagte Julia und grinste. Ich wurde rot. Natürlich hatte sie den Rekorder mit dem angeschlossenen Mikrofon auf meinem Schreibtisch längst bemerkt.

Im Fenster tauchten Scheinwerfer auf. Ausgerechnet heute musste meine Mutter so früh nach Hause kommen. Als unten die Tür aufgesperrt wurde, ging ich hinaus zur Treppe und sah meiner Mutter dabei zu, wie sie erschöpft ihren Mantel abstreifte. Sie sah in dem Moment zu mir herauf, als Julia zu mir trat.

»Na, wieder einmal zu Besuch bei deiner Großmutter?«, fragte meine Mutter.

»Ich wollte auch Patrick sehen.« Julia hob das Kinn, dann fuhr sie sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. »Ich muss jetzt los.« Sie holte ihren Mantel und sah mich an. »Bringst du mich zum Bus?«

Ich ging mit ihr hinunter, nahm Jacke und Schal von der Garderobe und schlüpfte in meine grauen Moon Boots.

»Schöne Weihnachten, Frau Neumann«, rief Julia in die Küche, wo ich meine Mutter hinter dem Sprossenfenster der Tür im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchen sah. »Das wünsche ich dir auch«, kam es zurück.

Unterwegs durch die Allee, sagte Julia: »Ich glaube, dass es meiner Mutter in Rom nicht gut geht. Sie passt da irgendwie nicht hin.«

»Dann kommt ihr zurück?« Ich zeigte, dass ich mich drüber sehr freuen würde.

»Das wird Papa nie zulassen. Eine Scheidung in Italien ist schier unmöglich.«

»Hm«, machte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.

Wir erreichten die Haltestelle an der Landstraße, als der Bus auch schon kam. Julia stieg ein, dann drehte sie sich noch einmal um, beugte sich zu mir herunter und umarmte mich. Ihr Haar roch nach Apfel.

Ich Blödmann! Wieso habe ich sie nicht nach einer Telefonnummer oder nach einer Adresse in Rom gefragt, durchfuhr es mich, während ich dem Bus hinterher sah. Wie ihre Großmutter mit Nachnamen hieß, wusste ich auch nicht. Mutter war meine letzte Rettung. Doch als ich ins Haus kam, sagte sie: »Der bist du nicht gewachsen.«

Ein eigenartiges Kribbeln breitete sich in meinen Lenden aus. Unter der Bettdecke schob ich die Hand durch den Schlitz meiner Schlafanzughose und mit der anderen tastete ich irritiert nach der Leselampe, knipste sie an, dann warf ich die Bettdecke zurück. Ich streifte die Hose ein Stück hinunter und starrte auf meinen Penis. Er war ganz steif und glänzte. Ich nahm ihn in die Hand, im selben Augenblick schrumpfte er zwischen meinen kalten Fingern auf die Größe zusammen, die mir vertraut war. Nun war endlich bei mir das eingetreten, was meine Klassenkameraden hinter sich hatten. Zumindest behaupteten sie das. Genau wie ich. Ich wollte schließlich nicht als Schlappschwanz gelten.

Es war nicht so, dass ich mir darüber große Sorgen machte, weil es mir bis jetzt nicht passiert war, schließlich las ich die Bravo, heimlich natürlich, denn das stand nur den Mädchen zu. Doch jetzt hätte ich schon liebend gern ganz genau gewusst, was da vor sich ging. Ich fasste ihn an, er reagierte nicht. Weil ich fror, zog ich die Hose wieder hoch und löschte das Licht.

Donner riss mich aus dem Schlaf. Vor meinem Fenster zuckte ein Blitz. Dann wurde das Glas blind vom Schnee.

Auf dem Wecker war es kurz nach halb neun am Morgen. Ich stand auf. Meine Schlafanzughose war klebrig. Entsetzt starrte ich auf das Bettlaken. Von Doktor Sommer, aus der Bravo, wusste ich, dass ich keineswegs ins Bett gemacht hatte. Dennoch wäre es mir peinlich, würde meine Mutter das sehen. Ich entfernte das Bettzeug und stopfte es unten in die Waschmaschine. Oft genug hatte ich Oa dabei zugesehen, um zu wissen, wie ich die Maschine zum Laufen bringen musste.

Beim Duschen stellte ich mir vor, die warmen Wasserstrahlen seien Julias Haare. Ein wohliger Schauer erfasste mich und mein Penis richtete sich auf.

Ich, Sergeant Pepper

Подняться наверх