Читать книгу Billy Joel - Fred Schruers - Страница 11

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Anfang der Siebzigerjahre, als Billy Joel einen letzten Anlauf unternahm, um es doch noch als Musiker zu schaffen, war die Ära der Singer-Songwriter angebrochen – eine Zeit, in der Joni Mitchell, Carole King, James Taylor und andere empfindsame Balladensänger große Erfolge verbuchten. Folk-Rock wandte sich allmählich von den eher traditionellen, konventionellen Mustern seiner eigentlichen Wurzeln ab und wurde zu einer Plattform für den Blick auf die eigenen Gefühle. Allerdings mochte Billy auch unter diesen neuen Stimmen immer noch am liebsten den kehligen, rückwärtsgewandten Stil eines Gordon Lightfoot. Die neue, mehr auf ihre Texte konzentrierte Garde zählte ebenso wie die vom Rock beeinflussten Musiker Neil Young oder Jackson Browne zu den einflussreichsten Größen ihrer Zeit – ganz besonders für einen aufstrebenden Solokünstler, der noch immer seinen eigenen Weg suchte. „So etwas würde ich auch gerne machen“, dachte Billy damals, als er sich mehr und mehr mit dieser Stilrichtung beschäftigte. Allerdings legte er nicht mehr so viel Wert darauf, selbst auf der Bühne zu stehen. „Ich will kein Rockstar mehr sein“, dachte er. „Ich möchte Songs für andere schreiben.“ Aber Irwin Mazur machte seinem jungen Schützling klar: „Alle Größen im Musikgeschäft, mit denen ich gesprochen habe, sagen dasselbe: Wenn du willst, dass deine Songs gehört werden, dann solltest du erst einmal eine eigene Aufnahme davon machen.“

Wie später an seinen Texten abzulesen war, war Billy nun nach Oyster Bay auf Long Island gezogen und schrieb dort höchst produktiv einen Song nach dem anderen, ungeduldig darauf wartend, sich endlich einen Namen zu machen. Er nahm Demos von Songs auf, die sich später teilweise auf Cold Spring Harbor wiederfanden. Einige weitere bewahrte er für das drei Jahre später erscheinende Album Piano Man auf, beispielsweise „Captain Jack“, Teile von „The Ballad Of Billy The Kid“ und erste Anfänge von „Scenes From An Italian Restaurant“. Die darin enthaltene Zeile „Things are okay with me these days“ lautete anfangs „Things are okay in Oyster Bay“.

Schon bald besserte sich die Lage. Irwin besorgte Billy auf der Grundlage von zwei oder drei Songs einen Vorschuss vom Woodstock-Impresario Michael Lang – reine Ironie, wenn man bedenkt, wie wenig Billy das Festival gefallen hatte. Lang führte das Unternehmen Just Sunshine und hatte einen Produktionsvertrag mit einem Gulf + Western-Ableger namens Paramount Records; in einem ihrer Konferenzräume nahm er mit Billy ein Demo auf. Allerdings war Billy nicht sein Schwerpunktkünstler, er kümmerte sich vor allem um einen Möchtegern-Hendrix namens Velvert Turner. Aber Lang glaubte, genau den richtigen Ansprechpartner für Billy gefunden zu haben, den bereits etwas berüchtigten Geschäftsmann Artie Ripp. Beide, Ripp und Lang, sicherten sich schließlich einen Platz in der Rock-Geschichte – unter anderem, weil sie sich ein großes Stück von Billys kommenden Einkünften sicherten.

„Eines Abends saß ich mit Michael Lang zusammen, der bei Paramount Music das Büro neben mir nutzte“, erinnert sich Artie Ripp. „Es war wohl schon Mitternacht, und er erzählte mir von einem Band, das er bekommen hatte: Mein Ding ist das nicht, aber vielleicht kannst du was damit anfangen. Dann spielte er es mir vor – Klavier, Gesang, ein Demo. Ich fragte: Der Typ, der da singt und spielt – hat er die Melodie und den Text auch selbst geschrieben? Michael sagte: Ja. Was du da hörst, ist von jeder Plattenfirma in New York abgelehnt worden. Das fand ich verblüffend. Der Typ ist doch großartig. Wie heißt er denn? – Billy Joel. – Okay, gibt mir mal den Namen und die Nummer des Managers, sagte ich und griff zum Telefonhörer. In New York war es wahrscheinlich halb fünf oder fünf, aber es ging trotzdem jemand ran. Ich sagte: Michael Lang hat mir gerade ein Band von Ihrem Künstler Billy Joel vorgespielt, das ich phantastisch finde. Ich würde ihn gerne unter Vertrag nehmen. Wie sehen denn Ihre Bedingungen aus?“

Irwin Mazur war sich wahrscheinlich bewusst, dass Ripp beruflich gute Beziehungen zu Morris Levy pflegte, der für ihn eine Zeitlang eine Art Mentor gewesen war; Ripps Family Productions vermittelten einige Künstler an Levys Label Tiger Lily – ein Unternehmen, das regelmäßig hoffnungslos unverkäufliche Alben auf den Markt warf und deswegen bereits in den Blick der Behörden geraten war, weil das nach Steuerhinterziehung roch. (Als Levy 1990 mit 62 starb, stand er kurz davor, eine zehnjährige Haftstrafe wegen Erpressung antreten zu müssen.)

Zwar war sich Irwin durchaus bewusst, dass es im Musikbusiness genügend unseriöse Geschäftemacher mit halbseidenen Praktiken gab, aber er beschloss spontan, sich mit Ripp einzulassen, schon allein, weil Billy kurz davor war, die Musik für immer aufzugeben. Lang erinnert sich: „Beim ersten Treffen sagte Irwin, er würde 15.000 Dollar benötigen, weil Billy über Selbstmord nachdächte.“ Das stimmte zwar inzwischen nicht mehr, erwies sich aber als nützliche Übertreibung. „Also trafen wir uns, und am nächsten Tag kam Billy zu mir und sang mir ein Dutzend Songs vor; dann redeten wir eine Weile. Zwar hatte ich an dem Tag nicht das Gefühl, dass er selbstmordgefährdet sei, aber Irwin beharrte darauf.“ Als Lang dann erlebte, wie Billy seine Songs selbst präsentierte und mit seinem virtuosen Klavierspiel eine Reihe Effekte einflocht, die andeuteten, wo weitere Instrumente einsetzen sollten, war er von seinem Talent überwältigt: „Ich wusste, dass ich ihn unter Vertrag nehmen würde, aber man spürte, dass etwas Unberechenbares an ihm war und dass jeden Augenblick irgendetwas würde passieren können.“

Auch wenn Billy auf Lang zunächst einmal etwas instabil wirkte, er war erleichtert, überhaupt auf irgendeinem Label zu sein. Nachdem er lange genug eine Ablehnung nach der anderen erfahren hatte, war er nun bereit, jeden Deal einzugehen. Passenderweise war das Logo von Arties Family Productions inspiriert von der klassischen etruskischen Skulptur von Romulus und Remus, den Zwillingen, die angeblich von einer Wölfin gesäugt worden waren, bevor sie Rom gründeten. Billy, der sich schon damals in Geschichte gut auskannte, war diese Legende natürlich vertraut, schließlich waren es die Römer gewesen waren, gegen die Attila einst gekämpft hatte, und er wusste, dass man die Zwillinge gerettet hatte, nachdem sie in den Tiber gestoßen worden waren. Vielleicht war dieses Logo ein Zeichen dafür, dass auch seine Rettung nahte.

Allerdings bedeutete sie auch einen Abschied von der Ostküste. Ripps Firma hatte ihren Sitz in Los Angeles, und dort, so teilte man Billy mit, sollte am großen Durchbruch gearbeitet und die neue Platte eingespielt werden.

Will man heutzutage einen neuen Künstler im Musikgeschäft aufbauen, dann werden zunächst einmal über die leicht zugänglichen elektronischen Kanäle einige Songs verbreitet, bevor dann das Material fleißig auf Tournee vorgestellt wird. Diese Herangehensweise gleicht in vieler Hinsicht der aus den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern, als gern versucht wurde, zunächst einmal einen Hit zu produzieren und dadurch genug Schubkraft für alles Weitere zu gewinnen. Aber Ende der Sechziger, als Billy seine ersten Sporen verdiente, mussten aufstrebende Musiker ein Label finden, dessen Budget für die Aufnahme einer Langspielplatte reichte, die dann mit entsprechendem Budget beworben und live präsentiert werden konnte. Mit der richtigen Kombination aus Talent, Glück und Radioeinsätzen konnten Künstler und Plattenfirma mit den Albumverkäufen jede Menge Geld verdienen.

Das erfolgreichste Album des Jahres 1967 war More Of The Monkees, die erste Rock-Pop-LP, die es auf den ersten Platz der Billboard-Charts schaffte; die Platte enthielt unter anderem den von Neil Diamond komponierten Song „I’m A Believer“, der gänzlich von Sessionmusikern eingespielt worden war. Sie verkaufte sich fünf Millionen Mal, damals ein überwältigendes Ergebnis, und stellte damit sogar die zeitgleich erschienenen LPs der Beatles und der Rolling Stones in den Schatten. Im folgenden Jahr stiegen die Absatzzahlen kontinuierlich, und die Beatles führten die Charts mit dem White Album an. Von nun an sollte es in diesem Geschäft immer neue Verkaufsrekorde geben, und die Bee Gees, Michael Jackson oder Peter Frampton lieferten Alben ab, die die 20-Millionen-Marke anpeilten.

An derartige Erfolge dachte Billy ganz am Anfang seiner Karriere sicherlich nicht, und es sollte auch noch fast zehn Jahre dauern, bis er in derartige Höhen vorstieß und die im Oktober 1978 veröffentlichte LP 52nd Street zum Bestseller des darauf folgenden Jahres wurde. Heutzutage, da er mühelos große Hallen ausverkauft und dabei oft vor 20.000 Fans steht, muss er sich auch keine Gedanken darüber machen, dass es kaum noch Album-Megaseller gibt und nur noch wenige Künstler große Verkaufserfolge landen: „Die Leute vergessen, dass damals die gesamte Maschinerie bei den Labels und auch bei den Radiosendern darauf ausgerichtet war, LPs zu verkaufen“, sagt Billy. „Keine Singles, und schon gar keine Downloads, die man im Internet hätte stehlen können. Diese ganze Formel funktioniert längst nicht mehr.

Ich will mich jetzt nicht wie ein alter Knacker gebärden, der spielende Kinder von seinem Rasen verjagt, aber in den frühen Jahren des Rock’n’Roll, als Elvis zum Beispiel ‚Heartbreak Hotel‘ aufnahm, bekam man vielleicht einmal eine Elvis-LP zu Weihnachten. Und auch wenn Kids sich selbst keine Alben kauften, so kauften sie doch immer Singles. Die Mädchen ließen sie endlos auf ihren kleinen Plattenspielern laufen. So ging es mit dem großen Rock-Geschäft überhaupt erst los.“

Billy, ein großer Fan des 1965 erschienenen Beatles-Albums Rubber Soul, war bewusst, wie stark die Briten die Entwicklung der Langspielplatte als Kunstform geprägt und befördert hatten. Das Format an sich gab es bereits seit 1948 und war von Billys späterer Plattenfirma Columbia entwickelt worden, die damit einen Tonträger schaffen wollte, der die Sinfonien des Stardirigenten Bruno Walter ohne Unterbrechung abspielen konnte. (Toscanini, dessen Werke damals von RCA auf Platten mit 78 Umdrehungen pro Minute veröffentlicht wurden, drängte sein Label, sich diesem neuen Trend anzuschließen.) Die LP verdankte ihre steigende Beliebtheit in den USA unter anderem Show-Aufnahmen wie South Pacific, die 1958 in keinem Haushalt mit Plattenspieler fehlen durften, und profitierte von Stars wie Frank Sinatra oder Tony Bennett. Billy zufolge lautete das Erwachsenen-Ethos der damaligen Zeit: „Eine LP auflegen, ein paar Martinis mixen und dann vielleicht ein bisschen mit der Gattin rumknutschen.“

Erste „Konzeptalben“ wurden sporadisch von Pionieren wie Woody Guthrie oder Johnny Cash erdacht, die Songs zu bestimmten, beliebten Themen zusammenstellten, aber auf Billy hatte besonders Sinatra mit seinem Album In The Wee Small Hours von 1955 großen Eindruck gemacht, dessen Hymnen an die Einsamkeit tief in sein künstlerisches Ich eingedrungen waren. Das zeigt sich beispielsweise an einem der wenigen nach 1993 entstandenen Joel-Songs, „All My Life“ aus dem Jahr 2007, den Billy ganz im Stil von Sinatras Einsame-Herzen-Balladen komponierte – und der dementsprechend mit einem Making-Of-Video begleitet wurde, in dem Billy in einem riesigen Studio allein mit Gangsterhut und gelockerter Krawatte zu sehen war.

Doch Ende der Sechzigerjahre waren die Beatles die bestimmende Kraft in der Musik. „Der schlichte, jugendliche Überschwang, den die Beatles verkörperten, ist kaum von dem zu trennen, was sie musikalisch in Bewegung setzten“, meint Billy. „Zu Beginn ihrer Karriere definierten sie sich über ihre Singles, mit denen sie alle möglichen Rekorde brachen. Aber die wahre Leistung vollbrachten sie auf dem Gebiet der LP. Als ich mich intensiv mit ihnen zu beschäftigen begann, hatten sie die Drei-Minuten-Grenze für Songs schon längst überschritten und gingen wesentlich konzeptorientierter an ihre künstlerische Arbeit heran.“

Eben dieser Prozess war es, der Billy faszinierte, auch wenn er ihn gleichzeitig als quälend empfand: Es war sehr anstrengend, auch nur einen einzigen Song zu schreiben, geschweige denn, ein ganzes Album. Doch da er in der Ära der Konzeptalben aufgewachsen war, hielt er sich während seiner ganzen Karriere an den Grundsatz, alle Songs einer Platte mit einem mehr oder weniger klar erkennbaren Thema zu verbinden. „Zu meiner Songwriter-Zeit hatte man die Möglichkeit – oder eben auch den Druck – für ein kohärentes Feeling und eine Botschaft zu sorgen, die neun oder zehn Tracks durchzogen. Daran habe ich mich stets diszipliniert gehalten, bis hin zu River Of Dreams.“

Die Beatles ließen auf Rubber Soul weitere Meilensteine folgen – Revolver (1966) und Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967). Aber Billy blieb nicht verborgen, „dass nicht nur die Beatles, sondern auch andere Leute gute Sachen ablieferten: Cream, The Who, Hendrix, Traffic. Es gab jede Menge gute Bands. Und ich wurde auch ganz gut. Aber man darf nicht vergessen, wie sehr sich diese Songwriter und diese Bands anstrengen mussten, um Songs für ein ganzes Album zusammen zu bekommen. Meist bestand eine Gruppe ja aus einem Gitarristen, einem Drummer und einem Bassisten, und einer davon musste noch ein guter Songwriter sein, damit die Platte dem Wettbewerb standhalten konnte.“

Wenn ein Album diese Hürde genommen hatte, wurden auf den amerikanischen UKW-Sendern, bei denen die DJs große Freiheiten genossen, nicht nur die poppigeren Songs daraus gespielt, sondern auch abseitigere Titel. Die Rockmusik erlebte eine nie da gewesene und auch nie übertroffene Blütezeit. „Wenn den Leuten das letzte Album gefallen hatte, dann kauften sie auch das neue“, sagt Billy. „Und wenn sie es nicht so toll fanden, weil es ein paar schwache Songs gab, weil man es zu eilig gehabt hatte oder das Konzept nicht funktionierte, dann kauften sie sich eben eine Platte von jemand anderem.“

Wer 1970, wie Billy, eine Solokarriere anstrebte, begab sich künstlerisch und kommerziell in dasselbe Fahrwasser, in dem sich erfolgreiche Songs wie der bluesgeschwängerte Bombast von Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ ebenso tummelten wie das rau-dynamische „Fortunate Son“ von Creedence Clearwater Revival, die empfindsame Poesie von Simon & Garfunkels „Bridge Over Troubled Water“ und James Taylors „Sweet Baby James“ – Hits, die aus den Langspielplatten, zu denen sie gehörten, ausgekoppelt und zum Rock-Soundtrack einer ganzen Generation geworden waren; ganz abgesehen von anderen, ungeheuer beliebten Dauerbrennern aus dem Jahr 1969, wie George Harrisons sanfter Ballade „Something“ und den kosmischen Lennon-Krachern „Come Together“ und „I Want You (She’s So Heavy)“, die auf Abbey Road enthalten waren. Denkt man dann noch an Joe Cocker, Crosby, Stills, Nash & Young und verschiedene andere Künstler, die nicht nur Rockstars, sondern veritable Kulturikonen waren, dann wird deutlich, welcher Konkurrenz Billy damals entgegensah.

Billys Manager und Berater, der ihn auf den ersten Schritten ins große Rock-Geschäft begleitete, war kein entspannter, kalifornischer Hipster-Impresario mit neuen Ideen wie Lou Adler (der die Monkees, aber auch The Mamas & The Papas betreute) oder Elliot Roberts (Neil Young und Joni Mitchell), sondern ein harter Kerl aus der Bronx. „Als ich nach L.A. kam, war mein erster Eindruck von Artie Ripp, dass er ein bisschen dick auftrug – tiefe Stimme, Pferdeschwanz und weit ausholende Gesten und Handbewegungen“, erinnert sich Billy. „Man könnte wohl sagen, dass er so ein bisschen gangstermäßig wirkte.“

Allerdings schien Artie dessen ungeachtet zu wissen, wovon er sprach: „Er erzählte mir diese ganzen Geschichten, dass er mit den Lovin’ Spoonful gearbeitet hatte und die ganzen Labels wie Roulette, Chess, Red Bird oder Kama Sutra kannte. Jedenfalls warf er mit jeder Menge Namen um sich, die mir etwas sagten, und deswegen dachte ich, okay, der Typ weiß, was er tut. Er weiß, wie man eine Platte macht.“

Daher ließ er sich auf Arties Pläne ein, jedenfalls zu Anfang. Im Juli 1971 begannen im Record Plant in Los Angeles die Aufnahmen zu Cold Spring Harbor, das nach einem von Billys Lieblingsplätzen in der Nähe von Oyster Bay benannt war. Bei Billy hat sich dabei besonders eingeprägt, dass das ganze Studio mit Gartenmöbeln eingerichtet war. Er vermutete, dass Artie selbst sich als Dekorateur betätigt hatte, da das durchaus seinem Geschmack entsprach: „Immerhin hatte er in seinem Büro bei sich zu Hause einen Stuhl, der wie eine übergroße Hand gestaltet war. Das sagte eigentlich schon alles. Wenn man da drin saß, hatte er einen sozusagen in der Hand.“

Billy hasste die Aufnahmen. „Ich hätte die Melodien zwei, drei, höchstens vier Mal singen und ganz schlichte Arrangements verwenden sollen. Kein Orchester, keine Glocken und Flöten, sondern ganz schnell rein, raus, fertig. Andere Singer-Songwriter machten ähnlich simple, folkorientierte Sachen.“

Doch Artie bestand auf 15 oder 20 Takes. „Es war wie Zähneziehen. Kannst du das jetzt noch mal mit mehr Feeling bringen? Ich hasste die Streicher. Ich wollte die Sessionmusiker nicht. Das ganze Ding war total überproduziert.“

Billy verfügte über eine junge, kraftvolle Stimme, einen hellen, vollen Bariton, der mühelos zum Tenor wechseln und sogar Falsetttöne erreichen konnte, aber über die vielen Takes, zu denen Artie ihn zwang, verlor er das Gefühl dafür, wie er die Songs auf ganz natürliche Weise hätte bringen können. „Ich wusste am Schluss nicht einmal mehr, wie ich singen sollte“, sagt er. „Ich konnte es nicht erwarten, die Aufnahmen endlich hinter mir zu haben. Es war steril, es war kalt, und ich hatte den Eindruck, dass Artie im Studio überhaupt keine Ahnung hatte.“

Bei der Abmischung machte Ripp dann den entscheidenden, legendären Fehler. Was genau geschah, fand Billy nie heraus: „Ich weiß nur, dass das Masterband – was ich damals nicht mitbekam – irgendwie zu schnell lief und Artie kein Geld mehr hatte, um den Fehler zu beheben.“

Zwar erinnert sich Artie daran, dass die Platte sich beim Mix irgendwie komisch anhörte, aber er sagte das Billy nicht, und auch heute zeigt er keine Reue, was die Panne betrifft. „Bei einem der Playbacks merkte ich, dass da etwas nicht stimmte. Wir hatten den Mix auf einem Zweispur-Band aufgezeichnet, das zu langsam lief – sagen wir mal, mit einer Geschwinkdigkeit von 14,7 Zoll pro Sekunde. Wenn man das dann mit einem Standardgerät abspielte, das mit 15 Zoll pro Sekunde lief, war das dann natürlich zu schnell.“

Die Testpressung, die Artie ihm schickte, hörte Billy zum ersten Mal, als er wieder in seiner kleinen Wohnung in Oyster Bay saß, zusammen mit seinem Tourmanager Bob Romaine (einem Vietnamveteranen, der später den Song „Angry Young Man“ inspirierte), seinem Soundmixer Brian Ruggles, seinem Parkway-Green-Kumpel Bob Coilisanti und ein paar Mädchen. Man hatte sich zum ersten Hören getroffen, es gab ein paar Drinks, und dann senkte sich die Nadel auf die Rille.

„Ich fühlte mich so erniedrigt“, berichtet Billy. „Bob Romaine fing als erster an zu lachen. Das hört sich ja an wie Alvin & The Chipmunks, sagte er. Dann lachte auch Brian. Ich war so außer mir, dass ich das Ding vom Plattenteller riss und auf die Straße warf. Es schlug ein paarmal auf, dann brach es in Stücke; die Testpressungen waren ja keine Vinylplatten, sondern Acetate. Und das war’s. Ich wäre am liebsten in mein Klavier gekrochen und hätte den Deckel zugemacht. Natürlich rief ich sofort bei Artie an: ‚Was ist da passiert, verdammte Scheiße?‘

Du meine Güte, es war schon so eine elende Quälerei gewesen, das Album mit Artie einzuspielen. Irgendwann hatte ich mich dazu durchgerungen, alles so zu machen, wie er es wollte, weil er ja vielleicht recht hatte und wir eine tolle Platte machen würden. Und dann zu erleben, dass die tolle Platte dieses scheußlich klingende Ding geworden war – das war unglaublich deprimierend.“

Irwin Mazur wurde hinzugezogen, um zu retten, was zu retten war, aber weil wohl das Geld fehlte (was vermutlich auch der Grund dafür gewesen war, dass Ripp nicht sofort etwas unternommen hatte), herrschte anschließend, wie Billy sich erinnert, „lediglich ziemliches Durcheinander“. In dieser Zeit erkannte er, dass Artie trotz seiner Referenzen, die bis zu einer weißen Doo-Wop-Gruppe namens The Four Temptations zurückreichten, eine Phantasie auslebte, die seine eigentlichen Fähigkeiten überstieg: „Ich denke, Artie sah mich als eine Möglichkeit, sich als Musikimpresario zu beweisen, der im Studio ein echter Macher war und nicht nur ein zigarrenkauender Produzent“, sagt Billy. „Und dafür sollte ich das Instrument sein.“

Trotz dieser Pannen weiß Billy Arties Leistungen anzuerkennen. „Nachdem mich so viele Leute in der Branche abgelehnt hatten, war Artie Ripp derjenige, der wollte, dass ich als Künstler Erfolg habe. Niemand sonst hatte in meinen Songs das gewisse Etwas erkannt, wollte mich unter Vertrag nehmen oder mit mir arbeiten. Artie bot mir einen Vertrag. Er hatte in meinen Songs etwas gehört, das ihm gefiel. Ob es das war, was ich als Künstler verwirklichen wollte? Nein. Ob es meiner Vision von einer Platte entsprach? Nein. Ob es ein guter Deal war? Nein, der Vertrag war übel. Aber er war es, der dafür sorgte, dass man mich überhaupt erstmal wahrnahm.“

Sieht man von der Aufnahme und den technischen Problemen ab, lässt sich in der Musik, die in diesen Sessions entstand, schon vielerlei von dem erkennen, was Billy Joel später ausmachte. Sein eigener musikalischer Stil, der sich als so facettenreich erweisen sollte wie bei kaum einem anderen größeren Popstar seiner Zeit, bildete sich erst noch heraus. Selbst heute sagt er immer noch, er wäre lieber nur „ein Typ in einer Band“ gewesen – aber nun kam seine Karriere schneller in Schwung, als er erwartet hatte. Und weder seine Lehrzeit in Cover-Bands (auch die Originale der Hassles hatten sich unüberhörbar stark an aktuellen Songs orientiert) noch die rauschhafte Psychedelik von Attila hatte die Basis für die Qualitäten gelegt, die er als Songwriter und Live-Künstler schließlich einmal unter Beweis stellen sollte.

Da Billy davon ausgegangen war, seine Songs würden von den folkbeeinflussten Musikern interpretiert, die er bewunderte, bestanden sie auf Cold Spring Harbor überwiegend aus Midtempo-Nummern, deren Länge von 2:42 bis 6:05 Minuten reichte und die von seinem virtuosen Spiel auf Klavier, Orgel, Cembalo und Mundharmonika geprägt waren. Die Stimmung war überwiegend melancholisch; in „Why Judy Why“ sehnte sich der Sänger deutlich nach der emotionalen Unterstützung einer Frau, die nicht zufälligerweise denselben Namen trug wie seine Halbschwester.

Auch verlorene Liebe spielte eine große Rolle in den Texten, inspiriert von der Ungewissheit, die auf seine Affäre mit Elizabeth und der Auseinandersetzung im Rock House gefolgt war. Als er die Songs einspielte, hatten er und Elizabeth allerdings schon wieder zusammengefunden und versuchten es erneut miteinander. Aus dem ganzen Beziehungsdurcheinander entstand zumindest ein Juwel: „She’s Got A Way“ war als erster Titel gut gewählt, dank seiner packend ansteigenden, dann wieder abfallenden Melodie, der ergreifenden Klavierbegleitung und vier Strophen, in denen Billy in offenen, nie kitschigen Worten seine Geliebte beschreibt. Zwar versucht er herauszufinden, wie sie ihn glücklich macht, aber es will ihm nicht gelingen: „I don’t know what it is / But there doesn’t have to be a reason anyway.“

Anyway – das letzte Wort hängt in der Luft, schließt die Überlegungen ab und verhallt. Es bricht das Tempo und scheint sich ganz dem Gefühl hingeben zu wollen, in dem man, hin- und hergerissen zwischen Herz und Hormonen, in die Liebe selbst verliebt ist.

Wollte man den Song sezieren, ginge seine schlichte Wirkung verloren, denn Joel legt es hier weniger auf Cleverness an, sondern vielmehr auf das, was auch John Donne in seinen Sonetten sucht: die Erforschung der eigenen Leidenschaft. 1981 präsentierte Billy seinen Fans auf dem Album Songs In The Attic eine neue, live eingespielte Version, die rein technisch und in der Tonlage des Gesangs das Original bei weitem übertrifft, aber dennoch nicht die Eindringlichkeit der frühen Fassung erreicht. Bebend, aber klar wird der Gesang zum Ende hin immer resoluter und erstirbt dann beinahe kurz vor der letzten Strophe und dem alles entscheidenden Wort „anyway“ – „sowieso“.

Billy behauptete in den Liner Notes des Live-Albums, das zehn Jahre später erschien, der Song sei zwar „1970 geschrieben worden, aber ich fühle heute noch dasselbe“. Der zweite herausragende Titel des Albums, „Everybody Loves You Now“, zeigt hingegen die Schattenseite einer offenbar kriselnden Beziehung. Begleitet von hämmerndem Klimperklavier formuliert er darin sowohl eine Zurückweisung als auch ein kompliziertes Bekenntnis zur eigenen Lust:

Ah they want your white body

And they await your reply

Ah, but between you and me and the Staten Island Ferry

So do I

Es ist ein dynamischer, treibender Song, in dem Billy die Angesprochene erinnert: „You have lost your innocence somehow.“ Nebenbei unterbricht er sich immer wieder einmal, um wie im Plauderton kleine Spitzen zu setzen: „Ah, but you ain’t got the time / To go to Cold Spring Harbor no more.“

Als Joel den Titel live für Songs In The Attic noch einmal einspielte, sprach er von der „typischen Macho-Reaktion auf eine Zurückweisung. Sie verlässt mich? Dann muss sie einfach eine selbstsüchtige Kuh sein! Und es war ja auch nicht so, dass alle anderen sie geliebt hätten. Das dachte ich bloß.“

Auch wenn er sich zwei Jahre nach dem Verfassen dieser Liner Notes von Elizabeth scheiden ließ, schreibt er nicht alle Gehässigkeiten aus diesem Song ihrer Beziehung zu. „Es ist ein Saure-Trauben-Song über unerwiderte Liebe, die zum Teil von der Art von Entfremdung geprägt ist, wie man sie bei Bob Dylan findet – ‚This is what you wanted, ain’t you proud / ’Cause ev’rybody loves you now‘. Ich bringe diesen Song immer noch unheimlich gerne.“ Ihm zufolge fiel der Gesang unter anderem auch deswegen so bitter aus, weil er allmählich genug von den Aufnahmesessions hatte und die eigenen Songs selbst langsam nicht mehr hören konnte, nachdem er sie auf Artie Ripps Geheiß auf der Jagd nach dem besten Take ein ums andere Mal hatte wiederholen müssen. Aber dennoch lässt sich der Text wohl auch auf die emotionale Stresssituation zurückführen, die eine schmerzliche Dreiecksbeziehung mit sich bringt: „Ich hatte ja gerade diese traumatische Erfahrung hinter mir und dachte: Das ist doch sicher eine gute Inspiration für einen Song.“

Trotz der katastrophalen Erfahrungen bei den Aufnahmen des ersten Albums ging Billy Joel Ende 1971 auf Tournee und stellte Cold Spring Harbor in mehreren Städten vor. Bei der Zusammenstellung seiner Live-Band half ihm Rhys Clark, der schon auf der Platte Schlagzeug gespielt hatte. Artie Ripp machte sich an die Promotion, auf die altbewährte Art, die er am besten beherrschte, und sorgte dafür, dass einflussreiche Medienvertreter besondere Anreize geboten bekamen. Und so fragten sich Billy und seine Bandkollegen verblüfft, weshalb in einigen Städten kleine Grüppchen junger Frauen bei den Gigs erschienen. „Sie hätten College-Studentinnen sein können, aber sie wirkten auch ein bisschen wie Marketing-Mädels“, erinnerte sich Billy. Zuerst vermutete er, sie wären so etwas wie die Bikini-Modelle, die bei den großen Autosalons der damaligen Zeit lächelnd neben den neusten Wagen standen. „Und dann kapierten wir es endlich – es waren Prostituierte, die Artie angeheuert hatte, um den DJs der Lokalsender mein Album schmackhaft zu machen.“

Als Radiomoderator genoss man in der damaligen Zeit viele Privilegien, und Artie war lediglich jemand, der das herrschende System unterstützte: „Ich will nicht sagen, ich wäre ein Heiliger gewesen“, meint der Produzent. „Ich war schon jemand, der ein ganzes Hotelstockwerk mietete, in jedem Zimmer ein paar Mädchen unterbrachte und den DJs sagte: Jetzt bist zu mit der Rothaarigen fertig, als nächstes kommt die Blondine. Aber ich weiß nicht, ob du Manns genug bist, es mit ihr aufzunehmen.“

Trotzdem blieb das Airplay für das Album weitgehend überschaubar, und die Band sorgte dafür, dass diese Art der Truppenbetreuung wieder abgeschafft wurde. Oder, in Billys Worten: „Wir sagten ihnen, sie sollten verschwinden.“

Nach ein paar Konzerten in amerikanischen Clubs, bei Showcases und Musikmessen brachen Billy und die Band zu einer internationalen Tournee auf. Ein besonders wichtiger Termin war der Auftritt beim Mar y Sol-Festival im April 1971, Puerto Ricos Antwort auf Woodstock (Regen eingeschlossen), das gleichzeitig das erste internationale Festival auf der Insel darstellte. Es traten einige prestigeträchtige Künstler auf, darunter auch die Jazz-Legende Dave Brubeck, in dessen Gegenwart Billy kaum ein Wort herausbekam. Als er selbst, ein noch weitgehend unbekannter Newcomer, ans Mikrofon trat, tummelten sich kaum Zuschauer auf der schlammigen, aufgeweichten Fläche vor der Bühne. Irwin Mazur behauptet, er habe Billy zugeraunt, er solle „The Letter“ bringen, und zwar nicht nur als Cover des Box-Tops-Hits, sondern in der verschärften Version, bei der sich Billy meisterlich an die Interpretation von Joe Cocker hielt, von der rauen Stimme bis hin zu Cockers einmaliger Körperhaltung und Gestik. Schon bald strömten die Festivalbesucher zur Bühne, weil sie Joe selbst dort vermuteten, und sie zeigten sich so begeistert von Billys Show, dass er nicht nur sein gesamtes Programm spielen, sondern auch noch ein paar weitere Cover bringen konnte.

Don Heckman von der New York Times schrieb in seiner Kritik, der größte Teil des Festivals habe aus „monotonem Gedröhne“ bestanden, während es mit der Gastronomie und den sanitären Anlagen kontinuierlich bergab gegangen sei, aber er fand Billys Set offenbar recht ordentlich: „Bei Billy Joels gospelbeeinflusstem Rock kam zum ersten Mal richtig Stimmung auf. Er und seine Band brachten Leben in eine sonst eher deprimierende Veranstaltung.“

Gerüchteweise war auch Clive Davis vor Ort, bekam Billys Auftritt mit und wollte ihn daraufhin unter Vertrag nehmen. In seiner Autobiografie erklärt der damalige Labelchef von Columbia jedoch, der Promotion-Mitarbeiter Herb „The Babe“ Gordon habe ihn auf Billy aufmerksam gemacht, nachdem er eine Live-Version von „Captain Jack“ in Philadelphia im Radio gehört hatte.

Bis zum Vertragsabschluss mit Davis sollte es nur noch ein knappes Jahr dauern, aber zunächst einmal musste Billy seine Tour zu Ende bringen – eine Reihe von Gigs in Europa, die der Band, ähnlich wie die Konzerte in den USA, nur sehr wenig Geld einbrachten. Als Billy nach seiner Rückkehr nach Long Island erkannte, dass er kaum Platten verkauft hatte, schrieb er die ganze Tour als Verschwendung von Zeit und Mühe ab.

Immerhin hatte Artie für Billy und Elizabeth eine Wohnung in Hampton Bays angemietet. Aber nachdem auch die letzten Tourneeeinnahmen aufgezehrt waren, blieb im Sommer 1972 eines Monats der Scheck für die Miete aus, und der Vermieter erschien nur wenige Tage später, um danach zu fragen.

Billy, dem diese Lage sehr peinlich war und der inzwischen völlig desillusioniert war, was Ripp betraf, setzte sich mit Elizabeth zusammen und sagte ihr, dass es so nicht weitergehen könnte. „Ich erinnere mich noch ganz genau“, sagt Billy, „ich hatte gerade Der Pate gesehen, im März 1972, und der Film hatte mich sehr beeindruckt, so wie die meisten Männer. Wir zitierten daraus wie aus Shakespeare, all diese Sachen – dass man sich um seine Familie kümmern muss, und dass man eben tun muss, was nötig ist, um sie zu unterstützen. Al Pacino durchläuft diese vollständige Wandlung vom netten Kerl, dem heldenhaften Marinesoldaten, bis zum knallharten Mafiaboss. Und ich sagte mir: Ich muss tun, was eben getan werden muss. Wir müssen hier raus, wir gehen wieder an die Westküste. Ich werde mir einen Anwalt nehmen. Und dann werde ich mir ein ganz neues Team aufbauen, das mich unterstützt. Ich werde alles tun, was nötig ist, damit die Dinge wieder in Ordnung kommen.“

Dabei gab es zunächst einmal zwei Hindernisse. Das größte davon war Elizabeths fünfjähriger Sohn aus ihrer Ehe mit Jon Small, Sean. Elizabeth wollte den Jungen natürlich mitnehmen, fürchtete aber, dass sein Vater dem nie zustimmen würde. Wieder kam es zu einem Missverständnis zwischen Elizabeth und Billy. Billy ging davon aus, dass sie und Jon sich geeinigt hatten und „Jon einverstanden war, wenn wir Sean mit an die Westküste nahmen“. Wie sich schon bald herausstellte, war das ein Irrtum.

Das kleinere Problem war, dass Billy immer noch keinen Führerschein besaß. (Er legte erst 1973 die Fahrprüfung ab.) Zwar war er schon einige Jahre Motorrad gefahren, hatte aber für Fortbewegungsmittel mit vier Rädern nichts übrig; in seinen jungen Jahren fuhren meist Freunde oder seine Freundinnen das Auto. Elizabeth besaß einen kompakten, grünen Datsun-Kombi, und in den packten die beiden nun ihre Habseligkeiten, setzten Sean auf den Rücksitz, und dann chauffierte Elizabeth sie quer durch die USA. Damit war die Sache mit dem Führerschein einstweilen gelöst, aber das Problem Jon Small blieb bestehen.

Sie planten eine Übernachtung in Albuquerque ein, wo Elizabeths Schwester Josephine wohnte. „In dem Song ‚Worse Comes To Worst‘ auf Piano Man gibt es eine Zeile, die lautet: ‚It doesn’t matter which direction, though / I know a woman in New Mexico / Oh worse comes to worse, I’ll get along.‘ Darum geht es in dem Song“, sagt Billy. „Ich wusste nicht, was in der Zukunft auf mich wartete. Ich hatte keine Ahnung, wie wir das nötige Geld zum Überleben auftreiben sollten. Wir hatten keinerlei Aussichten. Alles erschien so unsicher. Ich versuchte, das Beste aus einer wirklich üblen Lage zu machen. Das bedeutete, dass wir einstweilen untertauchen mussten, denn es gab jede Menge vertragliche Fußangeln.“ Würde Artie Billy wegen irgendwelcher unerfüllten Vertragspunkte verklagen? Und was war mit dem wütenden Jon, der hinter ihnen her war? Sie hatten ihre Abreise so geheim wie möglich gehalten, aber keiner der beiden Flüchtigen besaß die Kenntnisse eines Meisterspions, die es ihnen ermöglicht hätten, ganz und gar von der Bildfläche zu verschwinden. Wovon sollten sie leben? „Worst Comes To Worst“ beginnt mit der Zeile: „Today I’m livin’ like a rich man’s son / Tomorrow mornin’ I could be a bum“ – heute lebe ich wie ein reiches Söhnchen / Morgen früh könnte ich schon ein Obdachloser sein.

Elizabeth fuhr jeden Tag mehrere hundert Kilometer. Als die Ostküsten-Staaten im Rückspiegel hinter ihnen verblassten, fühlten sie sich für einen kleinen Augenblick wirklich frei. Sie hatten keine Pläne und suchten sich jeweils am Ende eines Tages ein Motel zum Übernachten. Wenig später schrieb Billy den Song „You’re My Home“, der auf Piano Man und später auch auf Songs In The Attic erschien. In denLiner Notes wurde er so beschrieben: „Kitschig, aber wahr: Ich war damals, 1973, völlig pleite, und deshalb schrieb ich am Valentinstag dieses Lied als Geschenk für meine Frau.“

Home can be the Pennsylvania Turnpike

Indiana early morning too

High up in the hills of California

Home is just another word for you.

Etwa eine Woche nach ihrer Abreise kamen Billy, Elizabeth und Sean etwas erschöpft in Los Angeles an. Billy hatte Abstand von der Ostküste und den unangenehmen Erfahrungen mit der Musikindustrie gewinnen „und vom Angesicht der Erde verschwinden“ wollen. Aber Jon Small hatte er nicht abgeschüttelt.

„Eines Tages wollte ich meinen Sohn Sean besuchen, und er war nicht da“, berichtet Jon. „Ich rief überall an und erkundigte mich nach ihm und seiner Mutter. Keiner wusste, wo sie waren. Am gleichen Tag bekam ich einen Anruf von Billy. Hey, ich habe gehört, du suchst mich. – Ja, stimmt, wo steckst du denn? Und er antwortete: Äh, also, ich bin in Kalifornien. Ich meinte daraufhin: Das ist ja witzig. Elizabeth ist weg und Sean auch. Ich habe keine Ahnung, wo sie sind.“

Nach ein paar unbehaglichen Sekunden begriff Billy, dass Elizabeth Jon nichts davon gesagt hatte, dass die drei nach L.A. reisten.

Jon war fuchsteufelswild und beendete den Anruf schnell. „Sofort, nachdem ich aufgelegt hatte, setzte ich mich in den nächsten Flieger nach L.A., und dort mietete ich mir ein Auto. Als erstes fuhr ich den La Cienega Boulevard entlang, weil Billy mir erzählt hatte, dass er im Troubadour auftrat. Im Club wollte mir niemand verraten, wo er sich aufhielt, aber am nächsten Tag, als ich gerade von einer Telefonzelle auf dem Santa Monica Boulevard meine Mutter anrief, sah ich Billy, wie er aus dem Tropicana Hotel schlenderte. Kurz darauf kamen Elizabeth und Sean die Treppe runter. Ich rief noch: Ich hab sie, ich hab sie, Ma, dann warf ich den Hörer auf die Gabel und rannte über die Straße, als sie gerade ins Auto steigen wollten. Ich schlug mit der Hand auf die Kühlerhaube und rief: Hab ich euch erwischt!“

Trotz allem, was passiert war – letztlich konnte die unangekündigte Reise durchaus als Kindesentführung gewertet werden – war ihnen allen die Absurdität der Situation bewusst. „Wir gingen wieder ins Hotel“, berichtet Jon, „und 20 Minuten später lachten wir schon wieder, weil uns klar wurde, wie sehr wir einander vermisst hatten. Ganz plötzlich fühlte ich mich großartig. Ich war mit meinem Kumpel zusammen, und obwohl mir nicht gefiel, was Elizabeth getan hatte, mochte ich sie immer noch. Die beiden waren meine besten Freunde, und wir hatten viel Spaß. Sean war auch da – alles war bestens.“

Als der Abend heraufzog, begann Jon weiter über die Sache nachzudenken. „Elizabeth hatte mir gesagt, sie würde am nächsten Tag mit mir nach New York zurückkehren. Wir wollten fliegen. Es war wirklich lustig: Billy und Liz verschwanden im Schlafzimmer, und ich sollte mit Sean im Wohnzimmer schlafen. Ich rief meine Mutter an, und die sagte mir als erstes: Wir haben Detektive losgeschickt. Als ich erklärte, dass alles geregelt sei, beharrten meine Eltern: Nein, nein. Du kannst Billy nicht vertrauen. Die Detektive sollten gegen drei Uhr morgens bei euch ankommen. Mach dich bereit für die Rückreise.“

Die Besorgnis seiner Eltern färbte auf Jon ab, der grübelnd die Minuten zählte und keinen Schlaf fand. „Ich wartete und dachte darüber nach, was später passieren würde. Wenn es nach mir ging, dann wollte ich mir, wenn diese angeheuerten Typen hier auftauchten, Sean schnappen und mich leise mit ihm davon schleichen. Billy und Elizabeth schliefen ja fest, sie würden gar nichts mitbekommen, bis wir schon im Flugzeug saßen. Aber als diese Kerle im Hotel aufkreuzten, klopften sie laut an, und der eine sagte: Wir wollen mit ihr reden. Sie weckten Elizabeth, und Billy natürlich auch, und plötzlich war Elizabeth nicht mehr bereit, Sean aufzugeben. Aber die Detektive bedrängten sie und machten ihr Angst. Schließlich fuhren wir los, diese beiden Typen, Elizabeth, Sean und ich. Sie war total sauer auf mich. Wir saßen auf dem Rücksitz ihres Autos und diese Kerle fragten Elizabeth, wo es lang ging – Wie kommen wir denn hier zum Flughafen? Sie meinte nur: Fuck you.

Am Flughafen begegnete uns als erstes ein Polizist. Elizabeth lief auf ihn zu und sagte: Die wollen mich entführen! Einer von den beiden Jungs erklärte: Wir sind Privatdetektive aus New York, und daraufhin meinte der Cop: Ihr habt hier überhaupt keine Gesetzesgewalt. Verzieht euch. Sie reisten also allein ab, und ich fuhr mit Elizabeth zurück ins Hotel. Als wir am Tropicana ankamen, stand Billy mitten auf dem Parkplatz und war völlig fertig. Wir waren nur 40 Minuten unterwegs gewesen. Am nächsten Tag reisten dann wir drei – Elizabeth, Sean und ich – zurück nach New York. Billy blieb in Kalifornien.“

Jon fährt fort: „Es war eine sehr herzzerreißende Geschichte, nicht nur für mich, sondern auch für ihn. Und sicher auch für Elizabeth. Wenn es eines gibt, das ich daraus gelernt habe: Liebe ist wirklich stark. Wenn man jemanden liebt, dann tut man alles für ihn. Und Billy ist ein ziemlicher Romantiker. Ich wusste, dass es ihm wehtat, es war auch für mich sehr schmerzhaft. Und ich bin mir sicher, dass es ihn heute noch umtreibt.“

„Was diese Nacht angeht“, sagt Billy, „so erinnere ich mich nur an die zwei Privatdetektive, die sagten: Wir nehmen Sean jetzt wieder mit nach New York. Sie haben ihn illegal hierher gebracht, bla bla bla.“

Zwar hatte Billy nicht das Gefühl einer körperlichen Bedrohung, aber er wusste nicht, mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen er eventuell rechnen musste. „Sie schienen das Gesetz auf ihrer Seite zu haben“, sagte er über die Privatdetektive, „und deshalb ging Elizabeth mit ihnen mit. Ich wusste überhaupt nichts davon.“ Das Misstrauen und die Entfremdung, die sich später zwischen Billy und Elizabeth entwickelten, nahmen möglicherweise unbewusst schon hier ihren Anfang.

„Es war ziemlich heftig. Plötzlich war ich allein im Tropicana: keine Freundin, kein Kind. Alle waren weg.“

Billy Joel

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