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Gut, seine Teufel zu kennen

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Geschafft. Nicht nur mein Job ist für heute überstanden — ich selbst bin auch fix und fertig, ganz besonders meine Füße. Heute war so viel los, dass mir nicht mal Zeit blieb, mich zwischendurch an der Salat-Bar zu bedienen. Als ich mich vor meiner extra großen Portion Hühnerbrust mit Fenchel und Reis niederlasse, fühle ich mich zu erschöpft zum Essen. Das einzige, was ich in diesem Moment genieße, ist der Kontakt von Hintern mit Sitzfläche.

„Was denn — keinen Appetit?“ fragt Elli mit vollem Mund. „Dir müsste doch schon längst der Magen knurren.“

„Ja, wie ein Panther.“

Sie lässt ihre Gabel sinken, auf der sie ein Stück von ihrem Steak aufgespießt hat, und schüttelt den Kopf. „Was dir immer für Vergleiche einfallen.“

„Vielleicht, weil ich heute mal wieder ein Bild verkauft habe.“

Was der Panther mit dem Bild zu tun hat, scheint Elli nicht zu interessieren — sie hat etwas ganz anderes im Sinn: „Hey, da könnten wir doch endlich mal zusammen shoppen gehen! Du wolltest dir doch schon längst ein paar neue Treter gönnen.“

Jetzt bin ich dran mit Kopfschütteln: „Erstmal muss ich die Vorräte in meiner Küchen ein bisschen aufstocken. Und was dann noch bleibt, brauche ich für Material.“

„Also, wenn ich so leben müsste wie du, würde ich verrückt werden."

Auch wenn mir klar ist, dass Elli nur das Leben am Geldlimit meint, kann ich vor Lachen kaum antworten: „Verrückt bin ich schon. Davor brauche ich also keine Angst mehr zu haben."

Mein Gelächter hat eine positive Nebenwirkung: Wie eine frische Dusche spült es sämtliche Anspannung dieses Tages fort, und ich kann die Hühnerbrust genießen.

Die Art, wie mich meine bodenständige Kollegin beäugt, wirkt zwar wie eine Bestätigung meiner Aussage, doch ihr Kommentar ist das genaue Gegenteil: „Du magst ja manchmal sonderbare Einfälle haben — aber eigentlich kommst du mir ziemlich gesund vor. Mal abgesehen davon, dass du dich zu sehr einschränkst, deiner Kunst zu Liebe."

Tatsächlich hab' ich's sozusagen mit Brief und Siegel, in Form von Entlassungsgutachten aus der Psychiatrie. Aber wenn ich auch keinen schweren Ballast von felsenfesten Meinungen durch's Leben schleppe — von einer Sache bin ich überzeugt: Es ist gut, seine Teufel zu kennen. Wer vor ihnen die Augen zusammen kneift, sieht ja gar nicht, wie sehr sie das eigene Leben bestimmen. Wenn ich mich so umschaue, kommen mir die angeblichen Normalos dieser Welt (ein-schließlich VIPs, ob nun Stars oder Politiker) gestörter vor als ich. Würde man sie darauf aufmerksam machen — bestimmt wären sie zutiefst beleidigt. Und wenn ich schon beim Teufel bin: Nun... da sie weiblich ist, würde vielleicht Hexe besser passen? Die Hexe meiner Kindheit war definitiv meine Mutter. Nicht etwa eine dieser Märchenfeen, die mit einem Schwung ihres Zauberstabs einen Kürbis in eine Kutsche verwandeln können und einen Schmerz oder eine Furcht durch ein sanftes Lied zum Verschwinden bringen. Die wirkungsvolle schwarze Magie meiner Mutter bestand in ständigem Sich-Sorgen — und nicht etwa stillschweigend. Auf diese Weise gab sie sich redlich Mühe, all ihre eigenen Ängste in mich hinein zu stopfen. Klar, später blieb mir gar nichts anderes übrig, als ihr zu verzeihen. Allerdings noch nicht, als ich kapiert habe, dass diese Angst-Mästerei tatsächlich gut gemeint war, sondern erst, als ich verstand, dass das Weiterreichen ihre einzige Methode ist, um mit ihrem eigenen Kram klarzukommen. Ihre am meisten gehätschelte Überzeugung sieht offenbar so aus: Angst, und zwar in möglichst hoher Dosierung (vor Männern, dem eigenen Körper, davor, zur Zielscheibe von Klatsch und Tratsch zu werden, und so weiter und so fort...) ist genau das, was ein junger Mensch braucht, um für den Ansturm des Lebens gerüstet zu sein. Wenn du ständig das Schlimmste erwartest, kannst du nicht überrumpelt oder enttäuscht werden. Und doch habe ich es geschafft, sie zu enttäuschen.

Auch meine Mutter gehört zu denjenigen, die völlig außer sich geraten würden, sollte es jemand wagen, ihr auch nur einen Hauch von neurotischem Verhalten auf den Kopf zuzusagen. Gerade deshalb bin ich keineswegs unglücklich wegen meiner psychiatrischen Karriere. Ich habe meine Teufel kennen gelernt.

Ein Fall von Borderline

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