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Beziehungen

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Wir begegnen einander. Das erscheint so selbstverständlich wie banal. Dabei ist das menschliche Aufeinandertreffen ein hochkomplexes und letztlich sogar fragiles Geschehen. Manch einer sagt sogar in Anlehnung an den lateinischen Dichter Plautus “ Homo homini Lupus“ - der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Das ist sicherlich übertrieben. Von einer grundsätzlichen Feindschaft der Menschen untereinander kann man nicht ausgehen. Aber menschliche Begegnung ist immer auch potenziell gefährlich.

Zu unseren frühesten Lernerfahrungen gehört es daher, die Regeln für Begegnungen zu erkunden. Wie wird das Gegenüber angesprochen, welche Rituale von Begrüßung und Abschied sind angemessen? Was darf gefragt, über welche Themen kann gesprochen werden? Was kann voneinander erwartet werden? All das und noch viel mehr ist kulturell geregelt und muss erlernt werden. Ohne solche Gestaltungsregeln wäre das Zusammenleben wahrscheinlich kaum möglich.

Eine gute und wertvolle Begegnung besteht aber nicht nur daraus, dass diese Regeln befolgt werden. Interessant wird es dann, wenn die Grenzen dessen, was erlaubt ist und erwartet werden kann, ausgereizt oder vielleicht sogar ausgedehnt werden. Hier zeigt sich, dass neben dem Erlernen der kulturellen Regeln für Begegnungen noch eine zweite Fähigkeit entwickelt werden muss, nämlich ein Gespür für das Gegenüber und für das jeweils ganz eigene Gefälle eines Zusammenseins.

Damit sind auch die zwei Seiten markiert, die immer berührt werden, wenn irgendeine Form des Zusammenseins von Menschen betrachtet wird. Es geht um kulturelle Vorgaben, Bewertungen und Rahmensetzungen. Zugleich werden ganz subjektive Ziele, Wünsche und Persönlichkeitsstrukturen Einzelner angesprochen. Zwischen den Menschen, die einander begegnen, entsteht eine Beziehung; sei es beim Einkaufen die Beziehung zu dem Menschen an der Kasse, sei es bei Sexualkontakten in einem Darkroom zu dem Partner gemeinsamer Lust, sei es bei einem tiefen und bewegenden Gespräch zu dem Gesprächspartner.

Die Beziehungen, die hier entstehen, können allein auf der funktionalen Ebene liegen, wie im Beispiel von Verkäufer und Kunde. Sie können aber auch auf einem Interesse gründen, das ein Anderer als Person auslöst, wie im Beispiel des Sexual- oder dem des Gesprächspartners. Manche dieser Beziehungen sind einzig für den Augenblick wichtig um danach in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Immer wieder werden aber aus diesen abgeschlossenen Punkten von Begegnungen auch Linien, haben diese Beziehungen eine Bedeutung, die über den Augenblick hinausweist. Sie wirken fort und bilden einen neuen Rahmen für zukünftige Begegnungen. So entstehen andauernden Beziehungen, und sie sind es, die zu einem gewichtigen Teil das ausmachen, was wir sind. Andere Menschen gehören zu uns, unsere Geschichte ist nicht erzählbar ohne zu sagen, was sie in der Vergangenheit für uns bedeutet haben, welche Rolle sie in der Gegenwart für uns spielen und was wir künftig von ihnen erwarten, befürchten oder erhoffen.

Ein altgriechisches Sprichwort, das vielleicht auf Sokrates zurückgeht, lautet: „Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.“ Damit wird zum Ausdruck gebracht, von welcher Bedeutung das Netz von Mitmenschen ist, in dem sich jeder befindet und vorfindet. Allerdings wäre es eine deutliche Verkürzung, wenn man nur die freundschaftlichen Beziehungen im Auge hätte. Man könnte auch sagen: „Zeige mir deine Feinde“ oder „Zeige mir deine Kollegen und ich sage dir, wer du bist.“ Alle, mit denen wir in einer Beziehung stehen, machen einen wesentlichen Teil dessen aus, was wir sind.

Daneben steht noch ein anderer Aspekt. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gefühl, mit dem Leben einigermaßen zufrieden zu sein, ist die Zufriedenheit mit den Beziehungen, in denen man steht. Das gilt in gleicher Weise für die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen wie für die zu Freundinnen und Freunden. Grundlage und Motivation der jeweiligen Beziehungen ist mit Blick auf ihre Bedeutung für die Lebenszufriedenheit nicht entscheidend.

So wichtig und wesentlich für das Lebensgefühl Beziehungen im hier skizzierten Sinne auch sein mögen, so wenig scheinen sie doch mit dem zu tun zu haben, worum die eingangs erwähnten Bücher kreisen. Wer würde nach Ratschlägen dafür suchen, Freunde, Bekannte oder Kollegen zu finden? Die Kategorie „glücklich“ erscheint auch nicht nahe liegend, um eine solche Beziehung zu beschreiben, wenn sie sich positiv gestaltet. Erst recht scheinen diese Beziehungen nichts zu sein, das gerettet werden könnte, sollte oder müsste. Es muss also eine Art von Beziehungen zwischen Menschen geben, der im Allgemeinen eine solche Bedeutung zugemessen wird. Bevor sich auch dieser Text mit dieser besonderen menschlichen Beziehung auseinandersetzt, soll noch einmal betont werden, dass es nur eine von vielen Beziehungsformen auf dem weiten Feld der menschlichen Beziehungen ist.

Liebe jenseits von Paarbeziehungen

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