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Schlaf auf Rezept

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Die Zahl der Menschen, die das Gefühl hat, ungenügend zu schlafen, steigt stetig an. Und die Hoffnung, dass sich erholsamer Schlaf in der Apotheke kaufen lässt, ist unerschütterlich. Bei einer Krankenkassenumfrage aus dem Jahr 2017 sagten ganze 24 Prozent der Befragten, dass sie täglich Schlafmittel oder natürliche Schlafpräparate einnähmen.

Es gebe zwei Gruppen von Kunden für Schlafmittel, so erzählt es mir Nora, eine befreundete Apothekerin. Zur ersten Gruppe zählen Schichtarbeiter, gestresste Manager und Wochenendpartygänger, deren unsteter Lebensrhythmus ein normales Schlafverhalten schwierig macht. Einer ihrer Kunden ist ein Polizist, der dreimal Frühdienst hat, dann dreimal Spätdienst und dann dreimal nachts arbeitet. »Wenn ich Notdienst habe, kann ich auf meiner Liege in der Apotheke auch schlafen«, sagt Nora. »Die Polizisten können das nicht.«

Was viele Kundinnen und Kunden sich nicht klar machen: Die Schlafmittel, die sie kaufen, können keinen natürlichen Schlaf auslösen oder verlängern. Stattdessen versetzen sie, indem sie bestimmte Rezeptoren ausschalten, den Körper in eine Art Narkose. Der Schlaf, den sie bringen, ist immer ein manipulierter: bestimmte Schlafstadien sind verkürzt, und so wacht der Körper weniger erholt auf.

In den 2000er Jahren sind die Barbiturate, die starke Nebenwirkungen hatten, durch Nicht-Benzodiazepin-Agonisten und Antihistaminika ersetzt worden. Letztere waren, wie so vieles in der Pharmazie, ein Zufallsfund: ursprünglich als Antiallergika entwickelt, stellte man als eine ihrer Nebenwirkungen starke Müdigkeit fest – und nutzte sie fortan auch als Schlafmittel. Nebenwirkungen haben sie alle. Bei Antihistaminika ist die Abhängigkeitsgefahr vergleichsweise gering, dafür setzt nach einigen Wochen ein Gewöhnungseffekt ein. Dagegen ist bei den Nicht-Benzodiazepin-Agonisten die Suchtgefahr höher.

Die Apotheke meiner Freundin ist klein, aber selbst sie hat zwei, drei Kunden, die mit immer neuen Rezepten für Schlafmittel zu ihr kommen, die eigentlich nur kurz genommen werden sollen. Wenn es der erste Arzt nicht mehr verschreiben will, gehen sie zum nächsten, und wenn die Apothekerin stutzt, wechseln sie zu einer anderen. »Es ist ein Suchtverhalten«, sagt Nora, »physiologisch wie auch psychisch.« Etwa bei der gerade verwitweten Frau, die nachts nicht schlafen kann und sich mit dem Schlafmittel sozusagen ausschaltet, nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber, weil das Medikament auch dann noch dämpft. »Eigentlich müsste ihr auf psychiatrischer Ebene geholfen werden«, sagt meine Freundin. Der andere Weg löst das Problem nicht, aber er ist kürzer. So wie auch die Schichtarbeiter mit den Schlafmitteln nur die Symptome betäuben. Sie manipulieren damit einen Körper, der seinen Rhythmus nicht so willkürlich ändern kann, wie es ihr Dienstplan verlangt.

Und auch die zweite Gruppe, die bei Nora nach Schlafmitteln verlangt, setzt am falschen Punkt an – so sieht sie es zumindest. Es sind Menschen um die 70 herum, die über schlechten Schlaf klagen, weil sie nachts aufwachen. »Sind Sie denn dadurch am nächsten Tag beeinträchtigt?«, fragt Nora dann. »Nein«, sagen die Kunden. Nach einem Schlafmittel verlangen sie dennoch. Sie wüssten nicht, dass der Schlaf sich im Lauf des Lebens verändert, und erwarteten weiterhin sieben Stunden Schlaf am Stück. Dabei könnten möglicherweise fünf genügen. »Die Leute mögen sich nicht an den Körper anpassen, sondern verlangen, dass sich der Körper an ihre Gewohnheiten anpasst«, sagt Nora. Wie auch anderswo in einer Gesellschaft, die stetig Leistungsfähigkeit erwartet.

Manche Kunden lassen sich überzeugen, manche nicht. Schließlich sind sie in die Apotheke gekommen, um sie mit einer Schachtel Medikamente zu verlassen. Statt chemischer Schlafmittel schlägt Nora ihnen erst einmal pflanzliche vor: Baldrian, Hopfen, Passionsblume oder Melisse. Die fördern nicht das Durch-, sondern das Einschlafen. Man weiß, wie auch bei den chemischen Schlafmitteln, was ihre Wirkungsmechanismen sind, an welchen Rezeptoren sie ansetzen oder welche Ionenflüsse sie begrenzen. Aber warum das wiederum zum Ein- oder Durchschlafen führt, hat man bislang nicht verstanden.

Aber Nora, die Apothekerin, sagt ohnehin etwas, was dem Absatz von Schlafmitteln gar nicht förderlich ist: »Mit Aufklärung darüber, dass es ganz normal sein kann, nachts einmal wach zu sein, wäre vielen schon geholfen.«

Schlaf. 100 Seiten

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