Читать книгу Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866 - Friedrich Freudenthal - Страница 7
2.
Vorbereitungen zum freiwilligen Eintritt und Abschied vom Heimathsdorfe.
ОглавлениеAls der Frühling des Jahres 1866 herannahte, hielt es mich nicht länger in der Schreibstube. Mit Einwilligung meiner Eltern gab ich meine Stellung auf, und in den letzten Tagen des März traf ich in der Heimath ein. Am 1. April wurde das Osterfest gefeiert und am 16. desselben Monats fand die alljährliche Rekruteneinstellung statt. Es wurde beschlossen, daß ich mich in Lüneburg bei dem Districts-Commissär zum freiwilligen Eintritt in das 3. in Hannover in Garnison stehende Jägerbataillon melden sollte.
Mein Wunsch war eigentlich, bei der Cavallerie zu dienen, aber meine Eltern erhoben ernstlichen Einspruch. Der Dienst bei dieser Waffe schien ihnen zu schwer und zu gefahrvoll; sie wußten von so vielen Unglücksfällen zu erzählen, die durch schlagende, beißende oder durchgegangene Pferde verursacht worden waren, daß es mir noch heute ein Räthsel ist, auf welche Weise sie damals zu einem so zahlreichen Schatz beklagenswerther hippologischer Ereignisse gelangt sein konnten.
Mit dem leichten Sinne der Jugend wußte ich mich über diese erste Enttäuschung hinwegzusetzen. Bei mir hieß es damals: Soldat um jeden Preis! Hatte ich mich bislang in meinen kindischen Träumereien als „kühner Reitersmann“ auf „stolzem Rosse“ mit dem „blitzenden Schwert“ in der Hand einhersprengen sehen, so stieg ich jetzt mit guter Fassung einige Stufen herab – Jägerbüchse und Käppi mit Roßschweif, sowie der grüne Rock mit schwarzen Kragen bildeten von nun an den Mittelpunkt meiner Zukunftsgedanken.
Die wenigen Wochen, welche mir bis zu meinem Eintritt verblieben, vergingen sehr rasch und so war denn der Tag meiner Abreise – es war dieselbe auf den 13. April festgesetzt – nahe und ich mußte die nöthigen Vorbereitungen zu meinem Vorhaben treffen. Weitläufiger Schreibereien bedurfte es dazu allerdings nicht. Eine kurze Bescheinigung des Ortsvorstehers, wodurch man sich nöthigenfalls legitimieren konnte, genügte. Als Alter des freiwilligen Eintritts beim Militär war das 17. Lebensjahr festgesetzt, ich hatte dasselbe noch nicht völlig erreicht, aber da man in hannoverscher Zeit nicht so ängstlich auf den Buchstaben sah und ich überdies, wenn auch nicht gerade groß, doch ziemlich zäh und kräftig war, so zweifelte ich nicht, daß ich angenommen werden würde.
Der Ortsvorsteher, welcher mir die Bescheinigung ausstellte, hielt große Stücke auf mich, er hatte mir immer mit großer Bereitwilligkeit Bücher geliehen, von denen er eine ziemliche Sammlung besaß. Jedesmal, wenn er – was häufig vorkam – eine Reise nach Hamburg machte, brachte er außer sonstigen für die Haushaltung erforderlichen Waaren auch ein Quantum geistiger Nahrung mit, die er „up de Kahr“, das heißt von jenen „fliegenden“ Antiquaren einkaufte, welche ihre Bücherschätze am Hopfenmarkt und auf anderen öffentlichen Plätzen auf einer dazu hergerichteten Karre feil zu halten pflegen. Von diesen Reisen war ich meistens schon vorher unterrichtet und mit großer Spannung harrte ich jedesmal der Rückkehr meines Gönners, denn es war unter uns eine stillschweigende Abmachung, daß ich die mitgebrachten Bücher zuerst zum Durchlesen erhielt. Dieses Wohlwollen, welches der gute Mann mir von jeher erzeigte, hatte durch meine zweijährige Abwesenheit keine Veränderung erlitten. Er wünschte mir das beste Fortkommen und ließ es sich nicht nehmen, mir auf das Bündigste zu bescheinigen, daß ich mir „keine Schlechtigkeit hätte zu Schulden kommen lassen und auch sonst mit der Feder gut umzuspringen wüßte“. Damit war diese Sache erledigt und es blieb mir nur noch die Aufgabe, mich von guten Freunden und Bekannten, „getreuen Nachbarn und desgleichen“ zu verabschieden. Da nun die Bewohner eines weltfernen Dorfes gewissermaßen eine große Familie bilden – selbstverständlich nicht dem Verwandtschaftsgrade, sondern der Art des Zusammenlebens nach, wie solches sich seit uralter Zeit herausbildete –, so waren die Abschiedsbesuche, welche ich abzuhalten hatte, recht zahlreich und erforderten fast den ganzen mir noch verbliebenen freien Tag.
Am Abende dieses Tages, als die Dämmerung bereits herein zu brechen begann, wanderte ich noch einmal die in friedlicher Stille sich zeigende Dorfstraße entlang. Ziemlich am Ende des Dorfes angekommen, lenkten meine Schritte sich allmählich einem etwas abseits gelegenen Gehöft zu. Obschon ich mich nun der Gedanken und Absichten, mit denen sich damals mein jugendliches Herz beschäftigte, heute nicht ganz klar mehr entsinne, so glaube ich doch, daß, wenn ich die Goethe’schen Verse
„Ich ging – –
So für mich hin
Und nichts zu suchen
Das war mein Sinn – –“
auf meine abendliche Wanderung hätte anwenden wollen, dies der „Logik der Thatsachen“ nicht völlig entsprochen hätte. Auch weiß ich bestimmt, daß ich nicht, wie der Goethe’sche Wanderer, „im Schatten ein Blümchen stehn“ sah, denn es war ja im April und Blumen und Waldesschatten gab es noch nicht – dafür aber erschienen mir sehr bald „wie Sterne leuchtend zwei Äuglein schön“ und zwar keine Blumenaugen, sondern liebe freundliche Menschenaugen. Als ich nämlich die Umzäunung des Gehöfts erreicht hatte, traf ich an der zum Uebersteigen der Einfriedung dienenden Vorrichtung, im Plattdeutschen „Stägel“ genannt, mit der Tochter des Höfners zusammen. Es war dies ein junges Mädchen von 18 Jahren, meine Jugendfreundin und Schulkameradin. Blauäugig und blondhaarig, schlank von Wuchs und mit hübschen, freundlichen Gesichtszügen ausgestattet, erschien Anna H... mir natürlich als der Inbegriff aller weiblichen Schönheit und Vollkommenheit.
Meine Freundin setzte sich auf das niedrige bankartige „Stägel“ und begann allerliebst zu plaudern von allerlei nichtssagenden Dingen, während ich, an den Zaun gelehnt, ihr zuhörte, oder auch ihre meist scherzhaften Reden nach besten Kräften zu erwidern versuchte. Anna vergaß bei alledem nicht, an dem baumwollenen Strickstrumpf, den sie in den Händen hielt, eifrig weiter zu stricken, was mir gar so recht nicht gefiel, denn wenn sie ab und zu lächelnd zu mir auf sah und ich gerade im Begriff stand, mich mit einem schwärmerischen Blick in die „unergründlich süße Nacht“ ihrer lieben Augen zu vertiefen, machte mir zu oft der böse Strickstrumpf einen Strich durch die Rechnung. Irgend eine entschlüpfte Masche oder ein sonstiges Hinderniß erforderte plötzlich Anna’s Aufmerksamkeit, ihr Blick wich dem meinen aus und wandte sich dem Werkzeuge zu, das sie in der Hand hielt, und statt in die schönen blauen Augen meiner Freundin zu schauen, mußte ich dann ohne daß ich es wollte auf die langweilige Fläche des im Werden begriffenen Strumpfes blicken. Dies verursachte mir jedesmal Mißbehagen und ich führe es auf jenen Abend zurück, daß ich mit der Zeit eine große Abneigung gegen „blaue Strümpfe“ jeder Art faßte.
Mittlerweile war die Dämmerung weiter fortgeschritten und ein Stündchen mochte uns Beiden in unschuldigem Geplauder vergangen sein. Anna schickte sich an, das Gespräch abzubrechen. Sie mußte sich, wie sie sagte, wieder ins Haus begeben, sonst würde sie von ihrer Mutter ausgescholten. Während sie das Strickzeug kunstgerecht zusammenrollte und dann Knäuel und Strumpf mit der mit der maschenfreien Nadel durchbohrte, richtete sie in scheinbar unbefangenem und gleichgültigem Tone die Frage an mich, ob ich in Lüneburg wohl Zeit behalten würde, Claus Eggers – den Sohn eines benachbarten Besitzers –, der bei der 8. Compagnie des 5. Infanterie-Regiments diene, aufzusuchen. Als ich meiner Freundin entgegnete, daß sich dies wohl ermöglichen lassen würde, bat sie mich, an Claus einen Gruß von ihr zu bestellen. Ich versprach, ihren Auftrag gerne ausführen zu wollen, denn Claus Eggers war auch mir befreundet, obschon er 3–4 Jahre älter war als ich.
Nach Erledigung dieses Zwischenfalles reichte Anna mir die Hand und wir nahmen Abschied von einander. Ich bat meine Freundin, mir ein freundliches Andenken zu bewahren; sie versprach mir dies und wünschte mir alles Gute auf den Weg. Mit den althergebrachten treuherzigen Worten: „Bliew gesund un munter, Fritz! Lat di’t man recht good gahn!“ ging sie von mir. Von Weitem rief sie mir noch eine „Gute Nacht“ zu, dann verschwand sie in der Thür ihres väterlichen Hauses und ich wandte mich der Straße zu und begab mich auf den Heimweg.
Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen. Eine milde, warme Frühlingsnacht war es die sich auf das Dorf herniedersenkte und Wiesen und Felder, sowie den Wald und die Heide in der Ferne in schwarze, undurchsichtige Schatten einhüllte. Die Bewohner der Bauernhäuser und Kathen, an denen mein Weg vorüber führte, ruhten meistens schon von der schweren Arbeit des Tages, nur in einzelnen Häusern noch stand die der Straße zugekehrte große Thür, welche die Einfahrt zur Diele bildet, offen und man sah die Bewohner bei dem auf dem niedrigen Herde hell brennenden Feuer beschäftigt. Vielleicht mengten die Frauen Teig an – „Süern“ nennt man dies in Plattdeutsch –, um am andern Tage Brod zu backen, oder eine andere unaufschiebbare Arbeit hielt die Insassen noch wach.
Friedliche Stille herrschte ringsum, kein Lüftchen regte sich in den noch unbelaubten Zweigen der hochstämmigen Eichen und Buchen auf den Hofplätzen; aus der Ferne erscholl allerdings der Gesang der Burschen und Mädchen, die sich zu frohem Zeitvertreib im Dorfe auf dem Platze bei der Linde versammelt hatten, und in den Pausen machte sich das Gequack der Frösche bemerkbar, welche in den Sümpfen einer in der Nähe des Dorfes gelegenen Niederung hausten. Diese braven unverwüstlichen Frühlingsbassisten ließen ihre Stimmen aber nur erst noch vereinzelt und unter bescheidenem Kraftaufwand ertönen. Es war das Piano des Erprobens und richtigen Abwägens der Stimmen; jeder feucht-versumpfte Sangesbruder übte noch für sich allein. Von einem kräftigen anhaltenden Chorgesange konnte noch nicht die Rede sein, dazu war die Saison noch nicht weit genug vorgeschritten.
Vom Dorfe herüber erklang es indessen:
„Morgen will mein Lieb abreisen,
Abschied nehmen mit Gewalt...
– – –
Laub und Gras das mag verwelken,
Aber treue Liebe nicht;
Kommst Du mir gleich aus den Augen,
Doch aus meinem Herzen nicht.“
Ohne über den Inhalt des alten Volksliedes weiter nachzudenken, stimmte mich die schwermüthig-langgezogene Weise ernst und wehmüthig und unter dem Eindruck dieser Stimmung erreichte ich die Behausung meiner Eltern.