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ОглавлениеBrodsky verzieh Unregelmäßigkeiten nicht. Durch Christinas Tod hatte ich mein inneres Gleichgewicht verloren, meine Seele war in Aufruhr. Aufgewühlt und verzweifelt zog ich durch die Nachtbars, trank, suchte bei Bardamen Trost, aber fand keinen. Zwei Tage meldete ich mich nicht mehr bei Brodsky. Ein Fehler. Ich hätte einen Job machen sollen. Brodsky war verärgert. Der Organisation war ein Schaden entstanden. Das war gravierend. Sie hatten sich auf mich verlassen und ich war ausgefallen. Der Tod einer Freundin spielte keine Rolle.
Ein Mann musste sich unter Kontrolle haben. Solche Fehler konnte Brodsky einfach nicht dulden. Außerdem musste die Bardame, die Champagner liebte und mit der ich öfter geplaudert hatte, Brodsky erzählt haben, dass ich einmal eine Story geschrieben hatte. Sie war die Einzige, die das wusste. Ich hatte die Story unter einem anderen Namen veröffentlicht, selbst wenn Brodsky sie gelesen hätte, wüsste er nicht, dass sie von mir war. Er konnte es nur von ihr erfahren haben. Als ich ihn anrief, um mich zurückzumelden und ihm mitzuteilen, dass Christina gestorben sei und ich verzweifelt gewesen und dadurch ein wenig aus dem Takt gekommen sei, machte er eine winzige Andeutung.
„Du hast ja eine Seele wie ein Künstler. Ich kann das verstehen. Deine Freundin hat dir wohl viel bedeutet, was?“
Dann sagte er: „Du hast einen Fehler gemacht. Wir haben auf dich gesetzt. Du warst nicht da. Du hast uns warten lassen. Ich bin ein bisschen sauer auf dich, Mike. Mach das nie wieder, kapiert?“
Danach legte er auf.
Ich hatte verstanden. Ich war zum Risikofaktor für seine Organisation geworden. Einen Künstler konnten sie nicht brauchen. Ich nahm an, Brodsky kannte das. Erst arbeiteten sie für den CIA, dann stiegen sie aus, schrieben irgendwelche Thriller und ließen den Laden hochgehen. Brodsky würde kaum wollen, dass es ihm und seiner Firma genauso ging.
Ich musste sofort handeln, sonst war ich ein toter Mann. Ich musste ihm zuvorkommen und ihn töten.
Eigentlich heiße ich Johannes, Brodsky sagte aber immer Mike zu mir, nachdem ich ihm einmal erzählt hatte, dass ich mich meistens Michael nannte, wenn ich unterwegs war. Die Leute müssen nicht alles über einen wissen. Du weißt nie, wer deine Spur verfolgt. Natürlich benutzte ich auch noch andere Namen, aber meistens Michael, um eine gewisse Stetigkeit zu erzielen, da, wo man mich kannte.
Im Baccara wurde ich natürlich legal mit meinen Papieren als Managementassistent geführt, auch wenn ich für andere Aufgaben eingesetzt wurde, und ich versteuerte mein Einkommen völlig regulär. Die Polizei würde also bei Recherchen zu Brodskys Tod meine Identität ganz einfach feststellen können. Auch ich würde verhört werden. Würde ich überraschend untertauchen, wäre ich der Hauptverdächtige. Ich musste also einen Weg finden, Brodsky geschickt und ohne Indizien und Spuren, die auf mich hinwiesen, zu erledigen.
Dann musste ich einen Weg finden, um die Organisation zu verlassen, ohne selbst beseitigt zu werden. Ich konnte von Glück sagen, dass Brodsky meine Tätigkeit immer verschleiert hatte, sodass nur wenige Leute wussten, was ich eigentlich machte. Und ich musste schnell sein. Brodsky durfte noch keinen Killer auf mich angesetzt haben, bevor ich mich mit ihm treffen konnte.
Daher handelte ich sofort. Ich rief Brodsky an, sagte ihm, ich sei wieder völlig fit und wolle unbedingt mit ihm sprechen. Es sei wichtig. Er sagte: “Okay, Mike. Wir treffen uns in zwei Tagen, also am Donnerstag, im Baccara, 17.00 Uhr. Es ist schön, dass du wieder fit bist, Mike.“ Dann legte er auf.
Ich hatte also 48 Stunden Zeit. Ich rechnete meine Chancen durch. Selbst töten konnte ich Brodsky nicht. Ich wusste zwar, dass er einen Herzfehler hatte, aber das würde mir nichts nützen. Erpressen konnte ich ihn auch nicht, ich kannte zwar einige seiner illegalen Aktivitäten, aber selbst, wenn ich sie genau beschrieben, schriftlich niedergelegt und zu meiner Sicherheit Duplikate davon hinterlegt hätte, die bei einem eventuellen überraschenden und unnatürlichen Todesfall meinerseits geöffnet würden, würde ich damit nicht durchkommen. Er könnte die Spuren sicher rechtzeitig verwischen. In geschäftlichen Dingen war Brodsky ungeheuer vorsichtig, er war kaum zu fassen. Alles, was ich direkt selbst unternehmen konnte, war zum Scheitern verurteilt.
Glücklicherweise hatte ich vorgesorgt. Bei meinen Reisen für Brodsky hatte ich weitgehende Kontakte in der Unterwelt geknüpft und mich umgehört. Nach Kontakten, nach Möglichkeiten, die ich nutzen konnte, wenn ich sie brauchte. Von dem Geld, das ich bei Brodsky verdient hatte, habe ich immer Summen abgezweigt und auf Nummernkonten hinterlegt. Geld für den Notfall. Ich wusste, dass Brodsky Feinde hatte. Ich wusste, dass es Killer gab, die ihn für Geld ohne Bedenken töten würden. Und ich kannte jemanden, der an einen solchen Mann herankam. Ich hatte das Verfahren für einen solchen Notfall, der ja auch unabhängig von Brodsky hätte eintreten können, mit ihm abgemacht. Das Codewort, das mich identifizierte, Personenbeschreibung, Zeit und Ort, relevante Informationen. Wäre es nicht möglich, Zeit und Ort im Voraus zu bestimmen, würde der Killer selbstständig handeln. In diesem Fall würde sich der Preis erhöhen. Ich rief den Mann an. Sagte ihm, worum es ging und was ich wollte. Er nannte einen Preis, dem ich zustimmte. Das Geld würde ich ihm bringen, den Killer würde ich nie sehen.
Am Donnerstag, den 25. September 1987 wurde Charles Brodsky vor der Tür seines Nachtclubs Baccara in Basel erschossen. Der Täter wurde nie gefasst.
Mein erster Mordauftrag hatte mich 100.000 Dollar gekostet.
Danach setzte ich mich nach England ab. Die Geschäfte im Baccara ließ ich auslaufen. Jetzt, wo Brodsky tot war, hatte ich keine Funktion mehr. Ich stellte mich dumm, ich sei auf seine Befehle und Anweisungen angewiesen gewesen, im Grunde nur ein besserer Laufbursche. Außerdem sei ich krank, habe Depressionen wegen des Todes meiner Freundin Christina und wolle mich behandeln lassen. Zudem hätte ich Alkoholprobleme. Ich wisse nichts oder nicht viel, Brodsky habe alles unter seiner Kontrolle gehabt. Für die Organisation sei ich wertlos. Sie ließen mich gehen.
Ich löste meine Wohnung in Freiburg auf, verkaufte meine Möbel und nahm mir eine möblierte Wohnung in London. Ich wollte noch einmal ganz von vorne anfangen. Meinen Porsche verkaufte ich auch, ich wollte herunterschalten, Geld sparen und erst einmal unauffällig leben, außerdem brauchte ich einen Wagen für den Linksverkehr.
Meine neue Wohnung lag in Chelsea, Zwei schöne Räume mit einem großen altmodischen Schreibtisch und einem Kamin, alles recht komfortabel ausgestattet. Die Sprache war auch kein Problem, ich hatte immer gern englischsprachige Bücher und Zeitungen gelesen, außerdem lernte ich schnell.
Ich verlegte mich wieder auf das Schreiben und verfasste auch eine Horrorgeschichte mit dem Titel „Bloke 7“. Es ging um Liebe, Satanisten und einen Serienmörder. Alles ein bisschen gruselig. Aber die Story wurde später sogar verfilmt. Lief sogar im englischen Nachtfernsehen. Im Abspann sieht man die Satanisten beten. Zu ihrem Gott. Ein echter Mitternachtsschocker.
Ich hatte lachen müssen, als ich die Geschichte schrieb. Für mich war es im Wesentlichen ein Spaß. Schwarzer Humor. Nicht ganz ernst zu nehmen. Dennoch: Die Verwirrungen des menschlichen Herzens hatten mich immer interessiert. Es gab solche Dinge. Es gibt Menschen, die blasphemisch sind. Das Böse, es ist real. Wozu ist der Mensch fähig? Was gibt es, wozu er nicht fähig wäre? Welche Abgründe tun sich auf, wenn du den Menschen studierst? Die alte Frage: Ist der Mensch gut? Was ist das, der Mensch?
Aber ich wollte natürlich nicht philosophisch werden. Ich wollte schreiben.
Ich blieb bei Noir-Stoffen. Eine andere düstere und unheimliche Story, die ich zu dieser Zeit schrieb, hieß: „Undercover in Manhattan“. Auch diese Geschichte wurde veröffentlicht und beachtet.
Christinas Tod machte mir schwer zu schaffen. Jener Abend hatte mich schwer erschüttert und verfolgte mich am Tag und im Schlaf. Christina hatte im Tod überirdisch und entrückt gewirkt mit ihren wunderschönen, nun gebrochenen Augen, in denen sich noch ein Abglanz ihrer einstigen Klarheit fand. Wie ein Spielzeug des Teufels hatte sie in ihrem Bett gelegen, um ihre Träume betrogen, an ihrer Liebe zerbrochen. An mir zerbrochen. Und dazu diese Musik, dieses Cello, diese Todesmusik, die sie auf ihrem Weg aus dem Leben begleitet hatte. Blut, Musik und Tod! Eine innige, grausige Verbindung! Eine Nacht, die ich nie vergessen konnte.
Zuvor war ich so glücklich, so voller Hoffnung gewesen. Ich hatte wirklich an einen neuen Anfang mir ihr geglaubt. Jetzt hatte ich einen neuen Anfang, hier in London. Aber nicht mit Christina, sondern allein. Und nicht im Glück, sondern in der Verzweiflung und im Schmerz. Ein zerstörter Traum! Und noch dazu war ich ein Mörder, auch wenn es in meinen Augen Notwehr war. Die Polizei würde es anders sehen.
Ich wollte in London Fuß fassen, Christinas Tod abschütteln oder mit ihm fertig werden (was mir beides allerdings nie ganz gelang) und mich um meine Zukunft kümmern.
Ich kaufte mir einen schwarzen Morris Mini und erkundete London. Für die Sehenswürdigkeiten und die Schönheit der Stadt hatte ich zunächst in jenen dunklen Tagen keinen Sinn. Ich klapperte sie zwar alle ab. Buckingham Palace, Westminster, Big Ben, Parlamentsviertel, Soho, aber sie sagten mir nichts.
Ich fuhr mit dem Wagen und mit der U- Bahn, prägte mir den Stadtplan, das Verkehrsnetz und die Lokalitäten ein, spazierte umher und hatte schon nach einigen Wochen ein recht gutes, detailliertes Bild von London. Irgendwann merkte ich dann: Die Engländer mochten ein bisschen schrullig sein, aber hier konnte man leben.
Die Einsamkeit und der Schmerz machten mir zu schaffen, aber schon bald war ich wieder recht umtriebig, wie es meine Art war. Und ich machte mir einen Plan. Eine gewisse Zeit am Tag wollte ich mit Schreiben verbringen, den Rest des Tages unterwegs sein, Kontakte knüpfen, mich unterhalten, an meinen Sprachkenntnissen arbeiten, die Stadt genießen und das britische Leben kennen lernen.
Ich wurde Mitglied in der Westminster Bibliothek und beschäftigte mich mit einigen der Philosophen und Schriftsteller, die in London gelebt hatten. Ich wollte auch das englische Geistesleben ein wenig verstehen, wenn ich schon hier als Gast weilte.
Ich fragte mich, ob ich eine Figur in einem Roman von Charles Dickens hätte sein können, wenn ich im 19. Jahrhundert gelebt hätte. Ich entschied mich dafür, dass ich das nicht hätte sein können. Ich hatte ein Dunkel in mir, das Dickens niemals durchschaut hätte, auch wenn er sonst alles sah.
Ich beschäftigte mich noch ein bisschen mit Bertrand Russel, dem Logiker, Mathematiker und Philosophen, und ein paar ältern Denkern, dann hatte ich genug von Theorien und Abstraktion und wandte mich wieder der Gegenwart zu. Ich hatte meine eigenen Gedanken. Ich wollte leben. Und ich wollte Spaß.
Abends fuhr ich gern nach Soho, hatte schon bald meinen Stamm-Pub und lernte durch Zufall ein paar Künstler kennen, darunter auch Schriftsteller und Musiker. Ich erzählte ihnen, dass ich auch Schriftsteller sei, schon einige Storys veröffentlicht habe und hier in London jetzt neue Eindrücke sammeln wolle. Vielleicht würde ich sogar ein Bändchen mit Kurzgeschichten verfassen, die ich „Londoner Impressionen“ nennen wollte. Woran ich wirklich arbeitete, sagte ich ihnen nicht.
Sie fanden meine Äußerungen interessant und fragten mich, was ich bisher geschrieben habe, und ich erzählte ihnen ein bisschen von meinen Storys. Ich sagte ihnen natürlich auch, ich sei nur ein ganz kleiner Schriftsteller und müsse noch sehr, sehr viel lernen, sie hätten mir da sicher einiges voraus. Sie fühlten sich geschmeichelt und ich fragte dann, was sie so machten. Sie sprachen gern und ausführlich über ihre Projekte und ich lernte manches Nützliche dabei.
Von nun an traf ich mich öfter mit ihnen. Ich erschien ihnen ganz amüsant und unterhaltsam und sie luden mich auch zu ihren Partys ein. Ihren Freunden und Bekannten stellten sie mich als jungen, hoffnungsvollen Schriftsteller aus Deutschland vor und ich war durchaus eine kleine Attraktion. Zudem sah ich gut aus, und es gab einige junge Damen, denen ich recht gut gefiel. Ich war zufrieden. Ich hatte den Einstieg in London geschafft. Ich konnte ein neues Spiel beginnen.