Читать книгу Die Jungfrau von Orleans - Friedrich Schiller - Страница 7
Zweiter Auftritt
ОглавлениеThibaut. Raimond. Johanna.
THIBAUT.
Jeanette, deine Schwestern machen Hochzeit,
Ich seh sie glücklich, sie erfreun mein Alter,
45Du, meine Jüngste, machst mir Gram und Schmerz.
RAIMOND.
Was fällt Euch ein! Was scheltet Ihr die Tochter?
THIBAUT.
Hier dieser wackre Jüngling, dem sich keiner
Vergleicht im ganzen Dorf, der Treffliche,
Er hat dir seine Neigung zugewendet,
50Und wirbt um dich, schon ist’s der dritte Herbst,
[7]Mit stillem Wunsch, mit herzlichem Bemühn,
Du stößest ihn verschlossen, kalt, zurück,
Noch sonst ein andrer von den Hirten allen
Mag dir ein gütig Lächeln abgewinnen.
55– Ich sehe dich in Jugendfülle prangen,
Dein Lenz ist da, es ist die Zeit der Hoffnung,
Entfaltet ist die Blume deines Leibes,
Docht stets vergebens harr ich, dass die Blume
Der zarten Lieb aus ihrer Knospe breche,
60Und freudig reife zu der goldnen Frucht!
O das gefällt mir nimmermehr und deutet
Auf eine schwere Irrung der Natur!
Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt
Sich zuschließt in den Jahren des Gefühls.
65RAIMOND.
Lasst’s gut sein, Vater Arc! Lasst sie gewähren!
Die Liebe meiner trefflichen Johanna
Ist eine edle zarte Himmelsfrucht,
Und still allmählich reift das Köstliche!
Jetzt liebt sie noch, zu wohnen auf den Bergen,
70Und von der freien Heide fürchtet sie
Herabzusteigen in das niedre Dach
Der Menschen, wo die engen Sorgen wohnen.
Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillem
Erstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift
75In Mitte ihrer Herde ragend steht,
Mit edelm Leibe, und den ernsten Blick
Herabsenkt auf der Erde kleine Länder.
Da scheint sie mir was Höh’res zu bedeuten,
Und dünkt mir’s oft, sie stamm’ aus andern Zeiten.
80THIBAUT.
Das ist es, was mir nicht gefallen will!
Sie flieht der Schwestern fröhliche Gemeinschaft,
Die öden Berge sucht sie auf, verlässet
Ihr nächtlich Lager vor dem Hahnenruf,
Und in der Schreckensstunde, wo der Mensch
85Sich gern vertraulich an den Menschen schließt,
[8]Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel,
Heraus ins graulich düstre Geisterreich
Der Nacht, tritt auf den Kreuzweg hin und pflegt
Geheime Zweisprach mit der Luft des Berges.
90Warum erwählt sie immer diesen Ort
Und treibt gerade hieher ihre Herde?
Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnend
Dort unter dem Druidenbaume sitzen,
Den alle glückliche Geschöpfe fliehn.
95Denn nicht geheu’r ist’s hier, ein böses Wesen
Hat seinen Wohnsitz unter diesem Baum
Schon seit der alten grauen Heidenzeit.
Die Ältesten im Dorf erzählen sich
Von diesem Baume schauerhafte Mären,
100Seltsamer Stimmen wundersamen Klang
Vernimmt man oft aus seinen düstern Zweigen.
Ich selbst, als mich in später Dämmrung einst
Der Weg an diesem Baum vorüberführte,
Hab ein gespenstisch Weib hier sitzen sehn.
105Das streckte mir aus weitgefaltetem
Gewande langsam eine dürre Hand
Entgegen, gleich als winkt’ es, doch ich eilte
Fürbass und Gott befahl ich meine Seele.
RAIMOND (auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend).
Des Gnadenbildes segenreiche Näh,
110Das hier des Himmels Frieden um sich streut,
Nicht Satans Werk führt Eure Tochter her.
THIBAUT.
O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sich’s mir
In Träumen an und ängstlichen Gesichten.
Zu dreien Malen hab ich sie gesehn
115Zu Reims auf unsrer Könige Stuhle sitzen,
Ein funkelnd Diadem von sieben Sternen
Auf ihrem Haupt, das Zepter in der Hand,
Aus dem drei weiße Lilien entsprangen,
Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern
120Und alle Fürsten, Grafen, Erzbischöfe,
[9]Der König selber, neigten sich vor ihr.
Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?
O das bedeutet einen tiefen Fall!
Sinnbildlich stellt mir dieser Warnungstraum
125Das eitle Trachten ihres Herzens dar.
Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit – weil Gott
Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt,
Mit hohen Wundergaben sie gesegnet,
Vor allen Hirtenmädchen dieses Tals,
130So nährt sie sünd’gen Hochmut in dem Herzen,
Und Hochmut ist’s, wodurch die Engel fielen,
Woran der Höllengeist den Menschen fasst.
RAIMOND.
Wer hegt bescheidnern tugendlichern Sinn
Als Eure fromme Tochter? Ist sie’s nicht,
135Die ihren ältern Schwestern freudig dient?
Sie ist die hochbegabteste von allen,
Doch seht Ihr sie wie eine niedre Magd
Die schwersten Pflichten still gehorsam üben,
Und unter ihren Händen wunderbar
140Gedeihen Euch die Herden und die Saaten;
Um alles was sie schafft, ergießet sich
Ein unbegreiflich überschwänglich Glück.
THIBAUT.
Ja wohl! Ein unbegreiflich Glück – Mir kommt
144Ein eigen Grauen an bei diesem Segen!
– Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;
Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?
Ich kann nichts tun als warnen, für sie beten!
Doch warnen muss ich – Fliehe diesen Baum,
Bleib nicht allein, und grabe keine Wurzeln
150Um Mitternacht, bereite keine Tränke,
Und schreibe keine Zeichen in den Sand –
Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister,
Sie liegen wartend unter dünner Decke,
Und leise hörend stürmen sie herauf.
155Bleib nicht allein, denn in der Wüste trat
Der Satansengel selbst zum Herrn des Himmels.