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Zweiter Auftritt

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Thibaut. Raimond. Johanna.

THIBAUT.

Jeanette, deine Schwestern machen Hochzeit,

Ich seh sie glücklich, sie erfreun mein Alter,

45Du, meine Jüngste, machst mir Gram und Schmerz.

RAIMOND.

Was fällt Euch ein! Was scheltet Ihr die Tochter?

THIBAUT.

Hier dieser wackre Jüngling, dem sich keiner

Vergleicht im ganzen Dorf, der Treffliche,

Er hat dir seine Neigung zugewendet,

50Und wirbt um dich, schon ist’s der dritte Herbst,

[7]Mit stillem Wunsch, mit herzlichem Bemühn,

Du stößest ihn verschlossen, kalt, zurück,

Noch sonst ein andrer von den Hirten allen

Mag dir ein gütig Lächeln abgewinnen.

55– Ich sehe dich in Jugendfülle prangen,

Dein Lenz ist da, es ist die Zeit der Hoffnung,

Entfaltet ist die Blume deines Leibes,

Docht stets vergebens harr ich, dass die Blume

Der zarten Lieb aus ihrer Knospe breche,

60Und freudig reife zu der goldnen Frucht!

O das gefällt mir nimmermehr und deutet

Auf eine schwere Irrung der Natur!

Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt

Sich zuschließt in den Jahren des Gefühls.

65RAIMOND.

Lasst’s gut sein, Vater Arc! Lasst sie gewähren!

Die Liebe meiner trefflichen Johanna

Ist eine edle zarte Himmelsfrucht,

Und still allmählich reift das Köstliche!

Jetzt liebt sie noch, zu wohnen auf den Bergen,

70Und von der freien Heide fürchtet sie

Herabzusteigen in das niedre Dach

Der Menschen, wo die engen Sorgen wohnen.

Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillem

Erstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift

75In Mitte ihrer Herde ragend steht,

Mit edelm Leibe, und den ernsten Blick

Herabsenkt auf der Erde kleine Länder.

Da scheint sie mir was Höh’res zu bedeuten,

Und dünkt mir’s oft, sie stamm’ aus andern Zeiten.

80THIBAUT.

Das ist es, was mir nicht gefallen will!

Sie flieht der Schwestern fröhliche Gemeinschaft,

Die öden Berge sucht sie auf, verlässet

Ihr nächtlich Lager vor dem Hahnenruf,

Und in der Schreckensstunde, wo der Mensch

85Sich gern vertraulich an den Menschen schließt,

[8]Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel,

Heraus ins graulich düstre Geisterreich

Der Nacht, tritt auf den Kreuzweg hin und pflegt

Geheime Zweisprach mit der Luft des Berges.

90Warum erwählt sie immer diesen Ort

Und treibt gerade hieher ihre Herde?

Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnend

Dort unter dem Druidenbaume sitzen,

Den alle glückliche Geschöpfe fliehn.

95Denn nicht geheu’r ist’s hier, ein böses Wesen

Hat seinen Wohnsitz unter diesem Baum

Schon seit der alten grauen Heidenzeit.

Die Ältesten im Dorf erzählen sich

Von diesem Baume schauerhafte Mären,

100Seltsamer Stimmen wundersamen Klang

Vernimmt man oft aus seinen düstern Zweigen.

Ich selbst, als mich in später Dämmrung einst

Der Weg an diesem Baum vorüberführte,

Hab ein gespenstisch Weib hier sitzen sehn.

105Das streckte mir aus weitgefaltetem

Gewande langsam eine dürre Hand

Entgegen, gleich als winkt’ es, doch ich eilte

Fürbass und Gott befahl ich meine Seele.

RAIMOND (auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend).

Des Gnadenbildes segenreiche Näh,

110Das hier des Himmels Frieden um sich streut,

Nicht Satans Werk führt Eure Tochter her.

THIBAUT.

O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sich’s mir

In Träumen an und ängstlichen Gesichten.

Zu dreien Malen hab ich sie gesehn

115Zu Reims auf unsrer Könige Stuhle sitzen,

Ein funkelnd Diadem von sieben Sternen

Auf ihrem Haupt, das Zepter in der Hand,

Aus dem drei weiße Lilien entsprangen,

Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern

120Und alle Fürsten, Grafen, Erzbischöfe,

[9]Der König selber, neigten sich vor ihr.

Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?

O das bedeutet einen tiefen Fall!

Sinnbildlich stellt mir dieser Warnungstraum

125Das eitle Trachten ihres Herzens dar.

Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit – weil Gott

Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt,

Mit hohen Wundergaben sie gesegnet,

Vor allen Hirtenmädchen dieses Tals,

130So nährt sie sünd’gen Hochmut in dem Herzen,

Und Hochmut ist’s, wodurch die Engel fielen,

Woran der Höllengeist den Menschen fasst.

RAIMOND.

Wer hegt bescheidnern tugendlichern Sinn

Als Eure fromme Tochter? Ist sie’s nicht,

135Die ihren ältern Schwestern freudig dient?

Sie ist die hochbegabteste von allen,

Doch seht Ihr sie wie eine niedre Magd

Die schwersten Pflichten still gehorsam üben,

Und unter ihren Händen wunderbar

140Gedeihen Euch die Herden und die Saaten;

Um alles was sie schafft, ergießet sich

Ein unbegreiflich überschwänglich Glück.

THIBAUT.

Ja wohl! Ein unbegreiflich Glück – Mir kommt

144Ein eigen Grauen an bei diesem Segen!

– Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;

Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?

Ich kann nichts tun als warnen, für sie beten!

Doch warnen muss ich – Fliehe diesen Baum,

Bleib nicht allein, und grabe keine Wurzeln

150Um Mitternacht, bereite keine Tränke,

Und schreibe keine Zeichen in den Sand –

Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister,

Sie liegen wartend unter dünner Decke,

Und leise hörend stürmen sie herauf.

155Bleib nicht allein, denn in der Wüste trat

Der Satansengel selbst zum Herrn des Himmels.

Die Jungfrau von Orleans

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