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1.

Wer ist Gott? An dieser Frage reiben sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die Menschen auf, in unserem Kulturkreis die Juden, die Christen und die Muslime. Ist er der Gott der Juden, Jahwe, ist er die dreieinige Gottheit, Gott, Christus und Heiliger Geist oder ist er Allah, den Mohammed beschrieben hat?

Oder findet sich Gott gar in den Religionen der fernöstlichen Religionen, ist er Buddha, männlich, Shiva, weiblich, mehrere Götter wie im Shinto oder noch weiter?

Ist Gott nicht einer und nicht viele, ist Gott nicht alles, in allem und über allem?

Ist Gott vielleicht im mittleren Westen der USA, in dem aufrechte und ehrfürchtige Bewohner hadern mit der modernen Welt, Menschen, die die Erkenntnisse der Physik, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung der Arten aus dem Schulunterricht zu verbannen suchen, weil diese Weisheiten nicht denen ihrer Heiligen Schrift entsprechen?

Oder ist Gott vielleicht gar nicht? Ist er vielleicht untergegangen, hat aufgegeben angesichts der Gier des modernen Menschen der sogenannten westlichen Welt nach immer mehr Geld, Konsum oder Macht, nach Frauen und Luxus?

Oder hat er nie existiert, ist er die Erfindung von Menschen, die in namenloser Furcht vor dem Tode Schutz suchten in der Vorstellung von einer besseren Welt nach diesem Tode, in ihrer Angst vor den Schrecken des Lebens den Trost brauchten des Unterdrückten vor den Gewalten der Unterdrücker, die vor der Regellosigkeit des Lebens eine Regel, ein Gesetz suchten?

Fragen über Fragen, deren Antwort wir nicht kennen und auch nicht zu erfahren hoffen. Auf unserem Weg zur Formulierung dieser Fragen, nicht zu ihrer Beantwortung, stoßen wir auf eine Reihe von Überlieferungen, eine aufregender als die andere, Überlieferungen, die von Gründungen berichten, von Untergängen, von Brüchen, von Kriegen und Friedensschlüssen, einige banal, andere von dramatischer Bedeutsamkeit. Wir sahen Reiche wie das Perserreich, die griechischen Republiken, das Römerreich, das Heilige römische Reich deutscher Nation, aufsteigen und untergehen, wir sahen Nationen entstehen und vergehen.

Und wir fragten uns nach ihren Göttern, nach denen, die die Ideologie dieser Reiche bestimmten, nach den Religionen der Menschen und wo sie herkamen.

Auf diesen Reisen begegnete uns immer wieder ein uraltes Staatsgebilde, das sich über Jahrhunderte und Jahrtausende hielt, dessen Untergang wir sahen, nicht aber sein Entstehen, Ägypten. Als die jüdisch christliche Tradition begann, mit Abraham, Isaak und Jakob, waren die Pyramiden längst erbaut, in damals schon grauer Vorzeit, in die schon zu der Zeit niemand hinunterblicken konnte, keine Überlieferung gab es, nur verschwommene Nachrichten.

Und in diesem uralten Reich begegnet uns eine Gestalt, breit und hoch, schwarzbärtig, angestrengt, energisch und stotternd von Glauben, rechthaberisch und machtvoll: Moses. Moses, an den von den drei großen Religionen, die ihren Ursprung in jenem Stück Wüste zwischen Ägypten, dem Roten Meer, Sinai und Palästina haben, erinnert wird, Moses, der das Volk der Hebräer lehrte, es gebe nur einen Gott und die Götter der Ägypter seien sündhaft, ihre Lebensart verdammenswert. Damit brach er alle Traditionen der Religion, die bisher jede Art von Gottheit zu verehren gestattete, der erste Stifter einer Religion, in der ein eifersüchtiger Gott darauf achtete, dass es außer ihm keinen Gott gebe. Der erste?

Forscher haben auf ein seltsames Phänomen hingewiesen: Ob Moses je gelebt hat, ist unter Historikern äußerst umstritten, um nicht zu sagen, wird geleugnet. Ein anderer ist in Ägypten gewesen, dessen Existenz verbürgt ist und der ebenfalls gelehrt hat, es gebe nur einen Gott und die Verehrung aller anderen Gottheiten sei sträflich und verwerflich: Amenhotep der Vierte, ein Pharao in Ägypten, der sich selbst während seiner Herrschaft in „Echn´aton“ umbenannte und der weit vor der Zeit, in der das Leben Moses vermutet wird, gelebt hat. Echn´aton nahm ein schlimmes Schicksal, nicht nur, dass ihm nur relativ kurze Zeit zu herrschen vergönnt war, eine Zeit, in der es ihm trotz ihrer Kürze gelang, einen totalitären und repressiven Gottesstaat aufzubauen. Seine Erinnerung wurde auch noch von den ihm folgenden Pharaonen aus den Annalen getilgt, zu gefährlich war diese Lehre, als dass man sie in der Welt hätte lassen können. Er sei ein Ketzerkönig gewesen, dessen Nennung strafbar war, so strafbar, dass er tatsächlich für mehr als dreitausend Jahre vollkommen vergessen war, bis erste Kunde von ihm Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckt wurde.

Der eine, Echn´aton, geschichtlich verbürgt, vergessen, der andere, dessen historische Existenz höchst zweifelhaft ist, Moses, durchgängig bis in unsere Tage erinnert und verehrt. Wer war er also, dieser Moses, oder besser, wer war er nicht und an wen erinnern wir uns? Wir jedenfalls glauben an seine Geschichte, er gab seinen Zeitgenossen, den Hebräern, den einen Gott, und der gab ihnen das Gesetz. Wer also ist dieser Gott? Ist er Gott oder ist er das Gesetz? Wir wollen diesem Moses in seine Zeit folgen, wollen ihm hinterher spüren, um unseren Fragen näher zu kommen.

2.

Wir wollen es ganz zu Anfang bekennen: Wir erzählen die Geschichte Moses, weil wir von den Geschichten des Alten Testamentes nicht loskommen, Geschichten, die voller Leben sind, voller Abenteuer, Tod und Verdammnis, aber auch voller Liebe und unendlichem Glück. Es sind Geschichten, die das Alte Testament erzählt, es ist nicht Geschichte, die beschrieben wird. Wollten wir Geschichte schreiben, nicht Geschichten, ist sehr fraglich, ob wir uns der Person Moses überhaupt genähert hätten.

Geschichtsschreiber haben sich erbitterten Streit geliefert, zum Beispiel, ob die Religion des Einen Gottes, die über den Glauben der Juden, über das Christentum, oder über den Islam auf uns gekommen ist, ihren Ursprung in Ägypten hatte. Ja, sagen die einen, vor Moses hat der genannte Echn´aton als Pharao in Ägypten regiert und die Lehre von dem Einen Gott verbreitet, er war der erste.

Nein, antworteten die Zweiten, vor Echn´aton hat sich schon Abraham, dem Urvater unseres Glaubens, Jahwe offenbart, der eine, der der Alleinige Gott ist.

Aber, erwidern wieder die ersten, woher wollen wir denn wissen, ob Abraham je gelebt hat, ob er wirklich Gott gesucht und gefunden hat? Von Echn´aton wissen wir, er ist in den ägyptischen Schriften genannt. Von Abraham wissen wir nichts, nur das, was im Alten Testament steht.

Moses hat zur Zeit Ramses des Zweiten gelebt, sagen Geschichtsschreiber. Ramses der Zweite war einer der mächtigsten Pharaonen in der Geschichte Ägyptens überhaupt. Hätte der zugesehen, wie sechshunderttausend waffenfähige Männer aus Ägypten auszogen und vierzig Jahre vor seiner Nase im Sinai herumzogen? Niemals!

Hat Moses also vor oder nach Ramses gelebt? Hat Moses überhaupt gelebt? Mit diesen Fragen müssten wir uns beschäftigen, wenn wir Geschichte schreiben wollten, und tatsächlich hat es Versuche genug gegeben, Moses als geschichtliche Figur einzuordnen, mit mehr oder weniger Sachkenntnis, aber immer mit viel Spekulation, sowohl was die Personen, die Zeiten und die geographischen Verhältnisse angehen.

Wir lassen die geschichtlichen Fragen unangetastet. Wir werden die Rätsel, die um Moses ranken, nicht auflösen. Wir wollen einer Geschichte hinterherspüren, die wir uns spannender nicht ausdenken können, die aber in der Quelle, dem Alten Testament, an entscheidender Stelle für unseren Geschmack von zu großer Kürze ist, die Zusammenhänge nicht berührt, die uns an der Geschichte interessieren. An anderer Stelle ist die Quelle, vor allem, wenn es um Stammbäume geht oder um die einzelnen Gesetze, die Gott gab, von einer ausschweifenden Ausführlichkeit, die wenigstens uns manchmal langweilig erschien.

Wir haben uns daher vorgenommen, die Geschichte zu erzählen, damit sie sich für uns wieder hören lassen kann.

Moses, der Wanderer

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