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1. Röm 1,23 im Kontext des Römerbriefs

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Der Brief des Paulus an die ihm bislang unbekannten Christen in Rom ist nach herrschender Sicht das letzte Schreiben des Apostels. Es wurde abgefasst möglicherweise im Jahr 56 n. Chr. in Korinth und es blickt bereits vor auf die anstehende Reise zur Überbringung der Kollekte nach Jerusalem, an die sich der Besuch in Rom als Zwischenstation auf einer Missionsreise nach Spanien anschließen soll. Diese Vorhaben stehen unter der enormen Sorge, ja der Todesangst (Röm 15,22–33), dass bereits die erste Reisestation Jerusalem zu einer feindlichen Begegnung mit der jüdischen Gemeinde führen wird.1 Zwischenzeitlich ist die Kritik an Paulus und seiner Auslegung des Evangeliums in solch einem Maß gewachsen, dass der Apostel meint, im Osten des Römischen Reiches, also in seinem eigentlichen Missionsgebiet keine Wirkmöglichkeit mehr zu haben (Röm 15,23). Die besondere Situation der Abfassungsverhältnisse lässt mit Recht im Römerbrief ein von den anderen Gemeindebriefen des Apostels unterschiedenes Schreiben erkennen. Ohne die Gattungsfragen hier strapazieren zu wollen, deuten die Kategorien ‚Testament‘2 oder ‚Rechenschaft vom Evangelium‘3 die Richtung an, in der das Schreiben an die Römer gelesen sein will.

Im Anschluss an den üblichen Briefeingang, der mit der Propositio und des hier vorgelegten und sodann im Briefganzen durchhaltenden Themas der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium schließt (Röm 1,16f.), hebt der Brief zunächst zu einer umfangreichen und weit über ähnlich lautende Kritik in früheren Briefen4 hinausgehenden Anklage der Heiden (Röm 1,18–32) und der Juden (Röm 2,1–3,20) an. Sie endet für beide Gruppen mit dem Urteil, für das zurückliegende Fehlverhalten schuldig zu sein (Röm 1,32) bzw. mit der Feststellung, dass beide Gruppen, also alle gesündigt haben und der Herrlichkeit Gottes ermangeln (Röm 3,9.23), daher unter dem Zorn GottesZorn Gottes stehen (Röm 3,9–20).

Für das Verständnis des angekündigten Zorngerichtes Gottes sind einige exegetische Grundentscheidungen, die hier nur kurz angesprochen werden können, unabdingbar. Zunächst ist zu klären, auf welchen Zeitpunkt die Offenbarung des Zorngerichtes blickt und sodann, in welchem Verhältnis die Offenbarung des Zorngerichts zu der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium steht, von der zuvor in der Propositio oder dem Themavers des Römerbriefs (Röm 1,16f.) die Rede war. In beiden Fällen verwendet Paulus die Zeitform Präsens und liest ἀποκαλύπτεται. Während aber hinsichtlich der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch das Evangelium und ihrer Annahme im Glauben die Gegenwart angesprochen ist und im Blick auf die Rettung (εἰς σωτηρίαν) der Zukunftsaspekt nur angedeutet wird, steht dieser bei der Offenbarung des Zornes Gottes eindeutig im Vordergrund.5 Darauf deutet etwa die adverbiale Bestimmung ἀπ᾽ οὐρανοῦ, die, gemeinsam mit dem Begriff ὀργή, den apokalyptischen Hintergrund des ganzen Komplexes anzeigt (vgl. äthHen 91,7) und ohne den die Gerichtsansage nicht zu verstehen ist. Es geht mithin „… um das In-Erscheinung-Treten einer Wirklichkeit, die bei Gott verborgen ist, aber erst im Vollzug ihrer Offenbarung ankommt, real wird.“6 Während also in der Folge des kommenden zukünftigen Zorngerichts Gottes der Tod und die Verdammnis zu erwarten sind, eröffnet das Evangelium bereits gegenwärtig im Glauben den Zugang zum Leben. Diese unterschiedlichen Bezüge des Wortes ἀποκαλύπτεται, einerseits der zukünftige Zorn, andererseits die Gegenwart des Evangeliums, schließen es aus, die Offenbarung des Zornes entweder in die Vorgeschichte des Evangeliums7 oder auch in eine Gestalt bzw. Teil des Evangeliums8 zu verlegen. Beide Auslegungen sind, wie Michael Theobald mit Recht sagt, aus ihren Erkenntnis leitenden theologischen Interessen heraus obsolet geworden.9

Der erste Teil des Schreibens (Röm 1,18–3,20$Röm 1,18–3,20), der der Ansage der zukünftigen OffenbarungOffenbarung des Zornes Gottes Raum gibt, belegt im Blick auf Heiden und Juden, dass alle Menschen, ausnahmslos, unter der Sünde stehen (Röm 3,9.23). Weil sie Gott zwar erkannt, ihm aber die Ehre, die sich aus der Erkenntnis Gottes ergibt, verweigert haben, haben sie – in einem konsekutiven Sinn – jegliches Anrecht auf Verteidigung verloren (Röm 1,20: εἰς τὸ εἶναι αὐτοὺς ἀναπολογήτους; dann aufgenommen in Röm 2,1). Es kann also das Urteil gesprochen und vollzogen werden. In diesem Abschnitt sind Fehlverhalten – Anklage – Ausschluss einer Verteidigungsmöglichkeit – Strafurteil – Urteilsbegründung und Strafe wie in einem Rechtsverfahren nachzuvollziehen. Bereits gegenwärtig, noch vor der zukünftigen Offenbarung des Zornes GottesZorn Gottes, sprechen in Röm 1,24.26.28 drei Auslieferungsformeln10 eine bereits eingetretene Straffolge an. Daher ist im Folgenden auch nach dem Verhältnis der bereits eingetretenen Strafe zur Ansage des zukünftigen Zornesgerichts (Röm 1,18), also der zukünftigen Strafe zu fragen. Die Auslieferungsformeln benennen die Straffolgen durchgehend unter Verwendung der Sequenz διὸ bzw. διὰ παρέδωκεν αὐτοὺς ὁ θεός, und sie beziehen sich in der Beschreibung der Straffolge auf Sachverhalte, welche Aspekte der vorausgehenden Urteilsbegründung aufnehmen und nochmals erweitern. Daher finden sich die Anklagepunkte für die Urteilsbegründung auch in den Teilen, die eigentlich der Beschreibung der Straffolgen vorbehalten sind (Röm 1,21–23.24b.25.26b–27.28b). Dieser Befund erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass Paulus hier dem Grundsatz der adäquaten Vergeltung folgt. Die Strafe steht in einem adäquaten Verhältnis zur sündigen Tat (s.u.). Gemeinsam ist allen drei Schritten innerhalb der Urteilsbegründung, dass auf eine grundlegende Vertauschung im Denken und Handeln der Menschen eingegangen wird (zunächst ἀλλάσσω, sodann zweimal das Kompositum μεταλλάσσω).11

 Röm 1,23 und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauschtmit dem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschenund mit Vögeln und mit Vierfüßlern und mit Kriechtieren.

 Röm 1,24 Darum hat Gott sie dahingegeben in den Begierden ihrer Herzen an Unreinheit,dass ihre Leiber geschändet würden durch sie selbst.

 Röm 1,25 Haben sie doch die Wahrheit Gottes vertauscht mit dem Trugund Verehrung und Dienst erwiesen der Schöpfung statt dem Schöpfer –er sei gepriesen in Ewigkeit. Amen

 Röm 1,26 Darum hat Gott sie dahingegeben an schändliche Leidenschaften.Denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen.

 Röm 1,27 Ebenso sind auch die Männer, den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassend,in ihrem Verlangen gegenseitig entbrannt.Männer treiben mit Männern Schande und empfangen den gebührenden Lohn an sich selbst.

 Röm 1,28 Und weil sie es nicht wert geachtet haben, Gott zu haben in Erkenntnis,hat Gott sie dahingegeben in haltlosen Sinn, zu tun, was sich nicht gehört.

Paulus folgt in dieser Einheit dem antiken Grundsatz der adäquaten Vergeltung. Er lässt sich auch in die ihn prägende jüdische Weisheitstheologie zurückverfolgen und lehrt, dass die Strafe in einem adäquaten Verhältnis zur sündigen Tat steht (vgl. SapSal 11,16; TestNaph 3,2f.).12 Hier in Röm 1,23–28 steht also der von den Menschen jeweils vorgenommene frevelhafte Tausch in einer Entsprechung zu ihrer endgültigen Auslieferung durch Gott in frevelhaftes Verhalten, in deren Folge sich die Menschen in einer grundlegenden Fehlorientierung wiederfinden. Also: der von den Menschen vorgenommene Tausch rechter Gottesverehrung in Götzendienst hat seine Entsprechung darin, dass Gott sie preisgibt in solche dem GötzendienstGötzendienst entsprechende Unreinheit, in deren Folge die Leiblichkeit jeglicher Ehre (ἀτιμάζεσθαι) beraubt wird (Röm 1,23f.). Oder: die Vertauschung der Wahrheit mit dem Trug hat den Verlust der Ehre (ἀτιμία) im Bereich der SexualitätSexualität (Röm 1,25–27) zur Folge. Die Missachtung der Gotteserkenntnis schließlich führt zu untauglichem Denken und zu Handlungen, die den Bereich der allgemeinen Sitte (τὰ καθήκοντα) verlassen (Röm 1,28). Die Verirrungen der Menschen sind antiklimaktisch ausgehend vom Götzendienst der Bilder, die Strafen eher klimaktisch hin zum Verlust des Anschlusses an die allgemeine Sitte angeordnet.13 Es soll hier nur nochmals betont werden, dass auf der Textebene die sichtbaren Folgen der Auslieferung, also Götzendienst, sexuelles Fehlverhalten und Verhalten gegen das überkommene Ethos nicht selbst gewählte Optionen der Menschen sind, sondern Strafaktionen Gottes, die allerdings auf die vorhergehenden grundlegenden Vertauschungen der Menschen adäquat antworten.

Nun ist dies eine theologische Deutung, welche die Lebenswirklichkeit aufnimmt und von ihr ausgehend eine theologische Erklärung sucht.14 Der Einsatz der Einheit mit dem Thema des Götzendienstes (Röm 1,23) jedenfalls folgt einer grundlegenden Einsicht jüdischer Theologie, dass GötzendienstGötzendienst sozusagen der Anfang vom Ende ist (SapSal 14,27), alles Weitere folgt dann notwendig. Man wird die Zielrichtung der Auslieferungsformel daher mit Eduard Lohse auch so angemessen wiedergeben können: „Die fortdauernde Wirkung dieses Richterspruchs betrifft die Auslieferung gerade an die Unrechtstaten, deren sich die Menschen schuldig gemacht haben. Nun müssen sie in ihnen verharren und erfahren darin den Zorn Gottes.“15

Die Ansage des ZorngerichtZorngerichts (Röm 1,18) und die dreifache Auslieferungsformel (Röm 1,23–28) sind, wiewohl beide Ausdruck göttlichen Gerichts sind, sachlich und zeitlich zu unterscheiden. Die Auslieferungsformeln stellen eine schonungslose Analyse der eigenen Gegenwart dar und begreifen gewisse Erscheinungen wohl als Gericht, aber eben nicht als den vom Himmel herkommenden Zorn Gottes. Theobald spricht vom „Vorgeschmack des zukünftigen Gotteszorns“16. Man darf auch den Einfluss apokalyptischer Orientierung nicht unterbewerten. Vor dem Tag des Zornesgerichts nehmen Verkehrung der Natur und Anwachsen der Lüge und der Torheit zu und führen somit auf das Gericht hin.

In der Gesamtkomposition wird durch die Auslieferungsformel der Standort der Heiden, jedenfalls nach Maßgabe jüdischer Theologie, in vollkommen heilloser Weise festgehalten. Sie leben in Götzendienst (Röm 1,23), in sexuell abnormem Verhalten (Röm 1,26f.) und jenseits überkommener Sitte (Röm 1,28). Sie sind verblendet, nehmen ihr eigentliches Denken und Handeln nicht wahr, halten allerdings subjektiv ihr Tun für weise (Röm 1,21f.). Überdies wird dieser Standort durch Gottes Urteil festgeschrieben, insofern sie in solches Verhalten ausgeliefert und in ihm festgehalten worden sind und somit ihre Sünde beständig noch anhäufen.17 Daher sind sie, wiederum nach Maßgabe jüdischer Theologie und nach dem Maßstab der Tora (Röm 4,15), des Todes würdig (Röm 1,32). Paulus bedient mit solcher Analyse zweifelsfrei typische Wahrnehmungen der heidnischen Welt aus jüdischer Sicht. Und doch wird er diese Vorurteile sofort relativieren, insofern er in dem beschriebenen Verhalten kein exklusiv heidnisches erkennt (Röm 2,1).18

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