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5. Die Schwankung zwischen dem verletzlichen und dem grandiosen Selbst


Eine sehr starke Überhöhung des Selbst hat ihren Ursprung fast immer in einem verletzlichen Selbst. Das grandiose Selbst dient dabei als Schutzschild und Maske, die zum Teil so stark mit dem wirklichen Selbst verwächst, dass auch der Narzisst selbst nicht mehr weiß, wer er wirklich ist und dass in ihm etwas leicht Zerstörbares enthalten ist. Das führt zu seiner Selbstüberschätzung, die andere als unerträglich empfinden, die ihm selbst jedoch gar nicht auffällt oder nur in einem vertretbaren Rahmen.

Genauso kann das grandiose Selbst auf wirklichem Talent und Intellekt aufgebaut sein und seine Stärke aus dem eigenen Können beziehen. Nicht immer geht es um Selbstüberschätzung. Im Vergleich reagiert ein bescheidener Mensch bei der Anerkennung seiner Leistung zurückhaltend und freut sich im Stillen. Einigen ist das Lob anderer sogar peinlich. Der Narzisst dagegen weiß, was er kann, und muss es dennoch auch ständig betonen. Er kann die Anerkennung seines Gelingens nicht für sich verarbeiten. Er muss das alles hinausposaunen, der Welt mitteilen und sich so immer wieder neu selbst bestätigen.

5.1 Das grandiose Selbst

Das grandiose Selbst, das in der Welt seinen Auftritt benötigt und auf die meisten Menschen im ersten Moment immer imposant und charmant wirkt, baut sich letztendlich aus Machtgier, Erfolgs- und Leistungsstreben auf. All das fördert die moderne Gesellschaft und findet es im Narzissten extrem gespiegelt. Diese Maske überdeckt jedoch nur die verletzlichen Persönlichkeitsanteile, die ihren Anteil fordern. Sie lassen sich nicht ausmerzen oder stilllegen.

Daher überspielt die Selbstgefälligkeit letztendlich nur die eigene Unsicherheit. Die Intoleranz und fehlende Empathie für andere Menschen soll die Schwierigkeiten ausgleichen, sich selbst nicht zu mögen und zu kennen. Kompensiert wird das Ganze mit einer Selbstüberschätzung, die viele Ausdrucksformen gewinnt.

Sehr intelligente Narzissten empfinden den Rest der Menschen als minderwertig und blöde. Sie möchten dann ihr Wissen auch nicht weitervermitteln, sondern verlieren sich in abstrakten Höhen oder in einem abgeschotteten Vakuum. Das ist besonders interessant, weil diese Abstraktionen für andere dann kaum noch nachvollziehbar sind, was dem Narzissten dabei völlig gleichgültig ist. Er setzt voraus, unverstanden zu bleiben. Die Selbstidealisierung erfolgt auf vielen Ebenen, darunter z. B. als Chefarzt, als Philosoph, als Lehrer, als Firmenchef, als Guru, als Künstler oder Politiker. Es gilt dabei auch, immer wieder neue Grenzen zu überschreiten. Die Allmachtfantasie ist ein sehr typischer Ausdruck des grandiosen Selbst. Es formt sich mit den Erlebnissen, die ein Narzisst macht, und festigt gleichzeitig seine Existenz.

5.2 Das verletzliche Selbst

Das verletzliche Selbst dagegen ist bereits in der Kindheit geprägt und steht im starken Gegensatz zum Ideal-Ich, das sich der Narzisst von sich selbst macht. Das führt dazu, dass es permanent zu Wechselbädern der Gefühle kommt. Da keine Bewältigung möglich ist, steht der Narzisst ständig unter Spannung. Die Schamgefühle sind früh entstanden, da bereits das Kind versucht, schlechte Erfahrungen oder den empfundenen Entzug der Liebe mit idealisierten Traumvorstellungen auszugleichen. Das authentische Selbst ist dann immer durch die Maske und gespielte Rolle in der Öffentlichkeit gefährdet.

Das führt notgedrungen zu einer Spaltung zwischen grandiosem und verletzlichem Selbst, zu einer Stärke und einer Schwäche, die einander überlagern. Aggressiv versucht der Narzisst dann, sein grandioses Selbst zu verteidigen. Er empfindet das verletzliche Selbst als Fremdkörper in sich. Umso stärker wird dann auch seine eigene Kälte und Empathielosigkeit anderen gegenüber. Erscheinen ihm diese schwach, fühlt er sich unbewusst an sich selbst erinnert und reagiert mit Ablehnung.

Das kann so weit reichen, dass das verletzliche Selbst bald vollständig verdrängt ist. Trotzdem wird dieses permanent angegriffen und muss durch das grandiose Selbst kompensiert werden. Dieses wird dann mit Fantasien ausgestattet, die auch nach außen hin gelebt werden. Unsicherheit, Angst oder Depressivität sollen durch die Selbstdarstellung verdeckt werden.

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dann durch die allmählich einsetzende Überforderung gegeben, das fragile Selbst mit dem grandiosen oder idealisierten Ich zu überlagern. Auf Dauer lässt sich die Maske nicht aufrechterhalten und zeigt erste Risse. Der nach außen dargestellte Selbst-Exhibitionismus wird von der Verletzlichkeit und Unsicherheit korrumpiert. Kraft kann dann auch nicht aus dem Inneren geschöpft werden. Denn dieses ist weder stabil noch intakt.

Verständlich wird das besonders dann, wenn die Entstehung eines so inkohärenten Selbst nachvollzogen werden soll. Wer in sich ein grandioses Selbstbild entwickelt, das ihm die Möglichkeit der Selbstliebe gestattet und dieses dann meistens auch mit Idealvorstellungen bereichert, wird diese Fantasien weder ausleben können noch dauerhaft bestätigt bekommen. Das wiederum fördert die verborgenen Gefühle der Bedeutungslosigkeit, Nichtigkeit und damit den Neid und Hass auf andere. Hier meldet sich das verletzliche Selbst und fordert Tribut. Eine innere Unruhe wächst, da das Gleichgewicht permanent gestört ist. Weil dabei die Maske des grandiosen Selbst immer nur Selbstschutz ist, findet der Narzissmus oftmals unbewusst seinen Ausdruck. Statt Arroganz und Selbstsucht wirkt der Narzisst dann sensibel und verletzlich.

Die Prägung des verletzlichen Selbst in der Kindheit kann viele Ursachen haben. Das kann durch Vernachlässigung, Belastung, Gewalt oder Entwertung sein oder durch die einfache Unfähigkeit der Eltern, auf das Kind und dessen Bedürfnisse angemessen zu reagieren. Hier bildet sich eine geringfügige Traumatisierung des Selbstwertgefühls heraus, das durch die komplizierte Phase der Pubertät dann noch stärkere Ausprägungen findet. Der eigene Selbstwert ist geschwächt, nicht nur bei Liebesentzug und Bestrafung, sondern auch bei überschwänglichem Lob und zu hohen Erwartungen. Wenn das Kind das Gefühl hat, dass es nur dann Liebe erhält und verdient, wenn es eine entsprechende Leistung erbringt, entstehen erste narzisstische Krisen durch das verletzte Selbst. Die Phasen der Verletzlichkeit können dann auch anhalten. Das instabile und empfindliche Selbst bleibt als Grundkern in jedem erhalten, wird dann von den einen überwunden und von den anderen stärker ausgeprägt. Beim Narzissten bildet es sich zum überverletzlichen Selbst heraus, das durch das grandiose beständig überdeckt werden soll. Das bedingt, dass im Narzissten das schwache Kind immer einen Teil der Persönlichkeit bildet, das er unbewusst schützen möchte.

Der Narzissmus

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