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2. Kapitel
ОглавлениеDer Forstmeister hatte die Weschkalene zum Wagen begleitet und sich dann wieder in seine Amtsstube an den Schreibtisch begeben. Mächtige Rauchwolken stiegen aus seiner Pfeife auf, aber dazu wollte das behagliche Lachen, das der Forstschreiber von Zeit zu Zeit hörte, gar nicht passen. Mit einem Male brach er los: »Sie Racker, Sie, Mooslehner, Sie haben gestern die erste Schnepfe geschossen und mir nichts gesagt!«
»Jawohl, Herr Forstmeister, aber die Abromeitene wollte Sie heute mittag mit der Schnepfe überraschen, dann wollte ich es Ihnen erst sagen.«
»Sie sehen doch, daß es vor mir keine Heimlichkeiten gibt . . . Hier sind ein paar Briefe, die uns was Neues bringen. Wir bekommen einen Forstassessor, der den Wald neu vermessen soll, und für den Hegemeister ist ein Forstaufseher zur Unterstützung bewilligt worden . . . na, lassen Sie nur, ich gehe selbst zu ihm 'rüber!«
Er hielt inne und drehte sich zur Tür, durch die eben ein paar junge Mädchen hereinstürmten.
»Was wollt ihr denn hier im Allerheiligsten der Königlichen Oberförsterei Makunischken?«
»Ach, nicht viel, Onkel Ottomar!« erwiderte die Kleinere, eine reizende Blondine mit merkwürdig dunklen Augen. »Zwischen Dietrichswalde und Starrischken ist heute früh wieder Krieg ausgebrochen. Unsere Herren Väter können sich nicht einigen, wo heute abend Skat gespielt werden soll, das sollst du entscheiden. Bei uns gibt's einen Hammelrücken als Wild frisiert und eine frischmilchende Kuh, direkt aus der Schönbuscher Brauerei bezogen . . . sie liegt schon seit gestern auf Eis.«
»Bei uns gibt's das Schwanzstück eines großen Hechtes, als Hase in der Pfanne gebraten, und pro Kopf eine Flasche Rüdesheimer Hinterhaus!« fuhr die andere fort, indem sie sich zärtlich an den alten Herrn anschmiegte. Sofort sprang die Kleinere um den Stuhl herum und schmiegte sich von der anderen Seite an ihn.
»Kinder, die Entscheidung ist sehr schwer, wenn man so zwischen zwei Heubündeln sitzt . . .«
»Pfui, Onkel, wie kannst du uns mit Heubündeln vergleichen?« rief die Kleinere, Erna von Degenfeld.
»Ich meine ja nicht euch beide, sondern die beiden Gerichte . . . das eine esse ich ebenso gern wie das andere, aber ich entscheide mich für das Hinterhaus . . . es wird also in Starrischken heute Skat gespielt.«
»Dann kommt mein wilder Hammel morgen an die Reihe. Aber nun sag' mal, Onkel, was hast du der Abromeitene angetan? Sie sitzt in der Küche und heult wie ein Kettenhund, vor sich auf dem Küchentisch hat sie einen Verlobungsring liegen und schluchzt immerzu: ›Nu soll ich hier fort!‹«
Der alte Herr lachte laut auf. »Eigentlich ist es rührend! Das ist der Trennungsschmerz, sie wird den Kallweit heiraten.«
»Die Abromeitene den Kallweit? Und was tust du dann, Onkel Ottomar?«
»Ich muß auch heiraten, mir bleibt nichts anderes übrig. Na, wie wäre es mit einer von euch beiden? Hat eine von euch Lust?«
»Ich nehme dich sofort, Onkel Ottomar!« erwiderte Erna keck. »Du bist, abgesehen von deinem gutmütigen Poltern mit dem Donnerwetter, ein tadelloser Kavalier, hast eine angesehene Stellung in der Welt, und als Mann bist du noch so stattlich, daß ich mir danach mein Ideal gebildet habe!«
»Du kleiner Racker, du bist ein Schmeichler . . . Na, wir wollen uns mal die Sache beschlafen. In meinem Alter ist man nicht mehr so stürmisch in Liebesangelegenheiten. Ich möchte mich erst entscheiden, wenn Ihr den Heiratskandidaten gesehen habt, der in der nächsten Zeit hier eintrifft!«
»Sehr richtig, Onkel!« fiel ihm jetzt die Liesbeth von Grumkow ins Wort. »Wir sind noch nicht in dem Stadium, daß wir sofort ausrufen: ›Wo ist er?‹ Wir fragen auch noch nicht: ›Was ist er?‹ Wir wollen wissen: ›Wie ist er?‹ Na, und wie heißt er?«
»Forstassessor von Sperling heißt er. Mein Freund, der Forstrat, schreibt mir persönlich, daß der Herr Assessor ein sehr reicher Mann ist, sehr verwöhnt, denn er ist mehrere Jahre als Feldjäger zwischen den Höfen Europas und Berlin hin und her gereist . . . er bringt Koch und Diener mit . . . das leerstehende Steueraufseherhaus soll für ihn ausgebessert werden, er wird sich dort häuslich einrichten, und da aus dem Assessor ein Oberförster und schließlich ein Forstmeister wird, so wollen wir uns drei die Sache reiflich überlegen und erst die Ankunft dieses jungen Herrn abwarten . . . Wollt ihr mitkommen? Ich will mir mal gleich die alte Baracke ansehen, ich fürchte, daß mit einigen Quadratfuß Brettern und einem Eimer Kalk die Sache für den Forstfiskus nicht abgemacht sein wird . . . Mooslehner, hier sind noch ein paar Briefe, die Sie beantworten müssen . . . Na, dann kommt, Kinder! Ich will bloß dem Krummhaar noch eine kurze Mitteilung machen.«
Gleich auf der anderen Seite des schmalen Weges lag die Försterei. Die beiden Grünröcke, die miteinander schon ein Menschenalter gelebt hatten, verkehrten sehr vertraut und zwanglos miteinander. Manchmal standen sie stundenlang, jeder hinter seinem Hoftor mit einer langen Pfeife, sich gegenüber und plauderten. Zum Schluß pflegte sich stets ein Wettstreit zu erheben, wer dem anderen zum Abendbrot folgen sollte . . .
Der Hegemeister hatte als Feldwebel beim Jägerbataillon den jungen Forstreferendar Schrader als Einjährig-Freiwilligen ausgebildet und ihn dabei als Freund gewonnen. Dann hatte das Schicksal sie hier vor dreißig Jahren wieder zusammengebracht, da war es kein Wunder, daß das Verhältnis vom Vorgesetzten zum Untergebenen nur vor Fremden zum Ausdruck kam . . .
Der Forstmeister war ans Hoftor der Försterei getreten. Mit lauter Stimme rief er: »Hegemeister!« Keine Antwort. »Krummhaar!« Keine Antwort. »Adam!« Keine Antwort.
»Ah, heute hat er seinen militärischen Tag!« meinte er lachend zu den beiden Mädchen. »Na, dann: Herr Feldwebel!«
»Herr Hauptmann!« ertönte es im selben Augenblick in scharfem Ton aus der offenen Tür des Holzschauers. Ein mittelgroßer Mann mit eisgrauem Schnurr- und Knebelbart kam eilfertig angeschritten. Auf dem Kopfe trug er eine alte Soldatenmütze . . . »Was befehlen der Herr Hauptmann?«
Mit ernsthafter Miene kommandierte der Forstmeister: »Rühren, Herr Feldwebel . . . Was haben Sie denn heute Militärisches vor?«
»Mobilmachung gegen die Krebse!« erwiderte der Graubart. »Ich bessere die Krebsteller aus, und am Nachmittag will ich Frösche jagen . . . Ich bin der Meinung, und Herr Hauptmann werden mir beipflichten, daß die alte Küchenregel von den Monaten ohne ›r‹ ein großer Unsinn ist. Die Krebse schmecken nie besser als jetzt im April, und vom Oktober ab bis zum Zufrieren . . .«
»Ganz meine Meinung, lieber Herr Feldwebel!«
»Danke gehorsamst, Herr Hauptmann! – Na, Kinder,« wandte er sich lachend an die beiden Mädchen, »wofür hat sich der Herr Forstmeister entschieden? Für Hammel oder Hecht?«
»Für Hecht, Onkel Adam!« erwiderte Liesbeth.
»Na, dann halt' mal einen Kessel mit kochendem Wasser bereit, ich bringe ein Schock große Krebse mit.«
Er nickte den beiden Mädchen, die mit ihm ebenso vertraut waren wie mit dem Forstmeister, freundlich zu, machte stramm linksum kehrt und marschierte im Stechschritt über den Hof ab.
»Halt, kehrt!« rief ihm der Forstmeister nach. »Jetzt habe ich noch ein Wort mit dem Herrn Hegemeister zu sprechen. Krummhaar, die Regierung hat Ihnen den Forstaufseher bewilligt, er soll bei Ihnen sein Forstexamen machen.«
»Ei, was Sie sagen, Herr Forstmeister! Wie heißt denn der Jüngling?«
»Ferdinand Schnabel.«
»Schnabel – Schnabel? Doch nicht der Sohn von Nante Schnabel aus Wersmeninken?«
»Ich glaube, ja . . .«
»Das ist ein Unglück, Herr Forstmeister. Ich nehme den Menschen nicht auf, obwohl er mein Patenkind ist. Der frißt mir ja die letzten Haare vom Kopfe.« Er nahm die Mütze vom Kopf und strich mit der linken Hand vom Genick her die »Sardellen« über den blanken Schädel.
»Was haben Sie denn gegen den jungen Menschen, Adam?«
»Gar nichts, Herr Forstmeister, er soll ein guter, lieber Kerl sein, aber er frißt uns alle arm. Wissen Sie denn nicht? Das muß eine Krankheit sein, die sich schon vom Großvater her in der Familie vererbt . . . Das muß ich Ihnen erzählen. Also, der Nante, sein Vater, wird nach Wersmeninken versetzt. Am Quartalsersten – es war gerade Markttag – kommt er nach Lasdehnen; er trifft mich auf der Straße, hält an und fragt: Mensch, sagt er, Adam, wo kehrt Ihr hier ein? Wir kehren alle beim Fleischer Eindrigkeit ein . . . paar Häuser bloß von hier. Du wirst keinen zu Hause finden, aber das schadet nichts. Auf dem Tische und in der Ofenröhre findest du was zu essen . . . Er fährt dann auch weiter . . . So um die Mittagszeit 'rum gehe ich mit dem Kollegen Schwarzkopf zu Eindrigkeit, um etwas zu verbeißen. Ja, prost Mahlzeit . . . denken Sie sich, einen abgekochten Schinken von zehn Pfund, ein halbes Schock Eier und ein Fünf-Groschen-Brot hat der Kerl verpulvert und eine Flasche Korn dazu getrunken!«
»Adam, das Latein ist etwas sehr stark!«
»So wahr ich lebe und gesund bin, Herr Forstmeister, das sind doch keine Jagdgeschichten, das kann Ihnen hier jeder Mensch bestätigen . . . und die drei Jungen haben von ihm denselben Appetit geerbt. Wenn Wersmeninken nicht so 'ne gute Stelle gewesen wäre, dann wären die vier Mann verhungert.«
»Na, einen werden wir doch hier satt kriegen; wenn Sie nicht wollen, werde ich ihn in Kost nehmen. Wie soll der Mensch sonst mit seinem Gehalt von sechzig Mark monatlich auskommen?«
»Da tun Sie ein gutes Werk, Herr Forstmeister. Dafür sollen Sie auch heute mittag schon ein halbes Schock Krebse haben. Ich habe gestern die Dorfjungens belapst . . . die Kröten kriechen doch jetzt bei dem Wetter bis an die Brust in das eiskalte Wasser und holen die Krebse mit den Händen aus den Löchern . . . Na, dann auf Wiedersehen, Herr Forstmeister, auf Wiedersehen, Kinder. Liesbeth, ich werde so um acht bei euch sein, zu warten braucht ihr nicht, der Hecht schmeckt auch kalt gut, wenn bloß heiße Kartoffeln dazu sind!«
»Dafür wird gesorgt, Onkel Adam!«
»Ein merkwürdiger Kauz, dieser alte Adam, aber ein Herz wie Gold!« meinte der Forstmeister, als er mit den Mädchen weiterging.
»Na, weißt du, Onkel,« erwiderte Liesbeth, »das hat mir heute gar nicht von ihm gefallen, daß er den Forstaufseher nicht bei sich aufnehmen will.«
»Ach, Kinder, das ist doch ein so schlauer Trick von dem Adam, er weiß doch, daß ich dem jungen Menschen kein Geld abnehmen werde, und ebensooft wird er sich bei ihm sattessen wie bei mir. Sagt mal, Kinder, ich wollte euch was fragen: kennt ihr vielleicht zufällig die Nichte der Weschkalene, die jetzt bei ihr zu Besuch ist?«
Erna faßte ihn unter dem Arm und zwang ihn, stillzustehen. »Onkel Ottomar, das ist eine sehr verdächtige Frage. Die Abromeitene geht von dir weg. Du erklärst uns, daß du heiraten mußt, und jetzt fragst du nach der Madeline Mazat . . . Kurz, ehe wir zu dir kamen, war die Weschkalene bei dir . . .«
»Du bist ja gefährlich klug, Erna.«
»Bitte, mich in das Kompliment einzuschließen,« rief Liesbeth von der anderen Seite, »dann will ich dir bereitwillig Auskunft geben. Also, zuerst das Signalement: Alter achtunddreißig Jahre, Haare blond, Augen blau, Nase, Mund gewöhnlich; besondere Kennzeichen: keine.«
Der Forstmeister lachte laut auf. Er hatte bei der Beschreibung an einen sehr schlechten Witz denken müssen. Erna, die ihn links untergefaßt hatte, stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite: »Was ist dabei zu lachen? Ich werde die Beschreibung ergänzen: sie ist eine bildhübsche, forsche Person, sanftmütig und von Herzen demütig, wie es in der Bibel heißt.«
»Na, und weiter?«
»Ist dir das noch nicht genug? Ach so, ihre übrigen Personalien willst du wissen? Ihr Mann war Katasterkontrolleur und Hauptmann der Reserve, wie du . . .«
»Ja, Kinder, woher wißt ihr denn das alles?«
»Das ist unser Geheimnis!« erwiderte Liesbeth.
»Ach, Unsinn, Liesbeth, wozu die Geheimniskrämerei. Die Weschkalene war gestern nachmittag bei uns.«
»Bei uns auch!« rief Liesbeth. »Sie hat uns das alles und noch viel mehr erzählt.«
»Du siehst also, Onkel Ottomar,« fuhr Erna fort, »die intimsten Fäden dieser Heiratsgeschichte sind bereits bloßgelegt, aber wir schweigen wie das Grab . . . wir schwören es dir!«
»Ihr Rackerzeug, ihr braucht nicht zu schwören, ihr seid ganz auf dem Holzwege!«
»So – dann nimm dich bloß in acht, Onkel, daß du übermorgen bei der Weschkalene nicht zu viel Alaus trinkst!«
»Ich werde mich hüten. Aber, nun bitte ich euch in allem Ernst: nehmt eure Zunge etwas in acht, aus einer harmlosen Neckerei kann ein dummes Gerede werden.«
»Aber selbstverständlich, Onkel Ottomar!« erwiderte Liesbeth ernst, »du hast uns ja dazu angestiftet . . . aber nun sieh mal die alte Baracke, was soll denn aus der gemacht werden, da fehlt ja nicht mehr als alles.«
Sie wies auf das alte, strohgedeckte Häuschen, vor dessen zerfallenem Zaun sie standen. Die Sträucher verwahrlost, das Strohdach vom Winde zerzaust, die Fenster zertrümmert. Im Innern sah es nicht besser aus. In den Dielen Löcher, der Kalkverputz von den Wänden in großen Stücken abgefallen . . . Kopfschüttelnd ging der alte Herr herum.
»Das wird ein schönes Stück Geld kosten. Aber wenn der Herr Assessor es bezahlen will, der Fiskus wird wohl dafür danken. Na, meinetwegen.«
Die Mädchen hatten sich verabschiedet, um nach Hause zu gehen. Langsam wanderte der Herr Forstmeister den Weg zurück . . . Die Frühjahrssonne hatte über die Nebel gesiegt, heller, warmer Sonnenschein lag auf den Feldern und den weißen Birken, deren Zweige bereits grün zu schimmern begannen. Von dem Saatfeld stieg die Lerche auf und sang jubilierend ihr einfaches Lied, und dazwischen schmetterte der Buchfink frohlockend seine kurze Strophe . . . Dem alten Herrn wurde so merkwürdig zumute; die Uniform hatte er weit geöffnet, den Krückstock wirbelte er um die Hand. »Ach, Unsinn«, sagte er ein paarmal vor sich hin, und dann begann er zu pfeifen: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.«