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4. Kapitel

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Am andern Morgen in aller Frühe fuhr der Forstmeister mit Krummhaar und Mooslehner zur Nachsuche . . . Im Wiesental stand noch der Nebel über mannshoch. Die Sonne war eben aufgegangen . . . Einen Augenblick erglühten die Wipfel der Bäume in einem hellroten Schein, der mit zauberhafter Schnelligkeit an den Stämmen abwärts lief. Die Vögel schwiegen noch, denn es war bitter kalt, nur der Specht hatte bereits sein Tagewerk begonnen. Ein paar hundert Schritte oberhalb der Brücke, die über das Flüßchen führte, spektakelten einige Krähen, andere kamen eilig dazugeflogen. »Da werden wir wohl die Bescherung finden,« meinte der Forstmeister und deutete auf die Galgenvögel, »und ich stehe mit dem Hund keine fünfhundert Schritt davon entfernt, ich alter Esel.«

»Bitte, keine Injurien gegen unseren Herrn Forstmeister,« erwiderte Krummhaar trocken, »den alten Esel will ich mir lieber zu Gemüte ziehen, denn ich hätte daran denken können, daß der Naujoks wieder los war.« Die Hunde hatten, während der Wagen langsam fuhr, den Waldrand abgesucht. Jetzt gab Schraders Hund Laut, als wenn er ein Stück Wild tot verbellte. Die Grünröcke stiegen aus dem Wagen und gingen der Stimme des Hundes nach. Er stand vor einer verkrüppelten Fichte, deren Zweige den Boden bedeckten. Mooslehner bückte sich und zog unter den Ästen ein Bündel hervor, die Decke eines Rehbocks mit Kopf und Gehörn, die um das Gescheide gewickelt war . . .

»Da haben wir die Bescherung!« brummte der Forstmeister grimmig.

»Ein anständiger Kerl ist er doch,« meinte der Hegemeister, »er schießt nie eine Ricke.«

»Das ist ein schlechter Trost«, erwiderte der Forstmeister. »Aber nun los nach Wersmeninken. Trab, Jons . . .« Eine halbe Stunde später hielt der Wagen an einem ausgebauten Gehöft, das still und friedlich dicht am Walde lag. Eine Margell mit gefülltem Milcheimer kam eben vom Stall her. Als der Wagen auf den Hof fuhr, trat in die Tür des Hauses ein Mann, der sich vor seiner eigenen Haustür bücken mußte, vielleicht noch einen Zoll größer als Nante Schnabel, das Gesicht rund und voll . . . Jedenfalls sah man ihm das Jahr, das er im Gefängnis abgesessen hatte, nicht an.

»Ei, sieh da, die ganze Makunischker Oberförsterei! Na, was führt Sie denn her, meine Herren?«

»Das wissen Sie doch schon, Naujoks,« erwiderte der Forstmeister, »wir müssen wieder bei Ihnen Haussuchung halten.«

»Das lohnt nicht, Herr Forstmeister, ich bin gestern früh erst aus dem roten Hause zurückgekommen.«

»Sie sind aber gestern abend schon wieder in der Forst gesehen worden, und wir haben bereits die Decke des Bockes gefunden.«

»Ich bin gestern nicht mit dem Fuß aus meinem Hause gewesen. Halten Sie mich wirklich noch für so dammlig, daß ich mir werde was ins Haus tragen, was Sie finden könnten?«

»Das werden wir ja sehen, Naujoks. Nun geben Sie die Tür frei . . .«

»Ich denke ja nicht daran, Herr Forstmeister! Erst müssen Sie den Gemeindevorsteher holen lassen. Ordnung regiert die Welt!«

»Und der Knüppel die Menschen!« sagte Krummhaar ruhig. In demselben Augenblick hatte er mit einem blitzschnellen Griff dem Kerl in den Kragen seiner festgeschlossenen Joppe gefaßt . . . dann ein jäher Ruck, der mächtige Kerl stürzte nach vorn . . . In der nächsten Sekunde hatte ihn Mooslehner von hinten mit beiden Armen um die Brust gefaßt. Wie im Schraubstock saß der Riese. Man sah es dem schlanken Mann gar nicht an, daß er in seinen Armen solch eine Kraft besaß. Aus der Tür der Wohnstube sprang ein hochgewachsenes Weib, ein wuchtiges Holzscheit in der Hand. Jetzt begann das Weib auf litauisch zu schimpfen . . . Der Mann, der noch immer gegen die eisernen Arme des Forstaufsehers gerungen hatte, gab jetzt den Widerstand auf und schrie: »Halt' doch das Maul, du dummes Weib! Du schimpfst dir ein Jahr Gefängnis auf den Hals . . . Lassen Sie mich los, Mooslehner, ich werde ganz vernünftig sein.«

»Das ist das beste, was Sie tun können, Naujoks«, erwiderte der Forstmeister, der seinen Drilling von der Schulter genommen und auf den Wagen gelegt hatte. »Lassen Sie ihn los, Mooslehner . . . Wir werden leider euch beide mitnehmen müssen, Sie und Ihre Frau. Ihr müßt lernen, euch der Staatsgewalt zu unterwerfen . . . das müssen wir alle.«

Seine Stimme klang ruhig, aber so eisern hart, daß es auch der wütenden Frau zum Bewußtsein kam, was sie sich eingebrockt hatte. Sie fiel neben dem alten Herrn auf die Knie und haschte nach seinem Rockzipfel, um ihn zu küssen . . . er schritt ihnen voran in die Stube. »So, nun setzt euch hier auf die Bank nebeneinander, ich bleibe bei euch.«

Eine Stunde lang suchten die beiden anderen Grünröcke, die beide Erfahrung darin besaßen, wo die Wilddiebe Fleisch und Waffen zu verstecken pflegten. Naujoks lachte nur ab und zu höhnisch, wenn sie unverrichteter Sache in die Stube zurückkehrten . . . Der Forstmeister hatte sich eine Zigarre angesteckt und schritt langsam vor den beiden in der Stube auf und ab. Das Weib war jetzt klüger als der Mann; es begann zu bitten: ihr Mann hätte wirklich noch nichts verbrochen, und sie hätte sich so sehr aufgeregt. Was sollte jetzt aus der Wirtschaft werden? Jetzt müßte doch der Acker gepflügt und bestellt werden. Wenn sie schon bestraft werden müßte, dann vielleicht im Winter. Der liebe, gute Herr Forstmeister müßte doch ein Einsehen haben. Sie wären doch anständige Leute und würden nicht verschwinden.

»Und gestern abend um sieben Uhr«, fuhr sie mit schnellem Zungenschlag fort, »ist der Gendarm bei uns gewesen von wegen der Polizeiaufsicht, wo doch mein Mann jetzt drunter steht. Da haben wir beide schon zu Bett gelegen, möchte ich gnädigst bitten, zu bemerken, trautster Herr Forstmeister . . . goldener, bester Herr Forstmeister. Ich habe meinem Mann, wie er nach Haus kam, angesagt, ich schlag' ihm alle Knochen im Leibe entzwei, wenn er noch 'n mal mit der Flinte in den Wald geht. Ich bin ja schlimmer daran als 'ne Witwe, die kann sich 'n anderen Kerl nehmen, der ihr Gutes tut. Aber ich muß auf meinen warten, wenn er im Kutzchen sitzt.«

Nach einer Weile fing sie von neuem an: »Sie werden mir vielleicht eher glauben, trautster Herr Forstmeister, wenn ich was Neues erzähle . . . Da ist beim Gastwirt in Serbenten jetzt 'n neuer Knecht. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich habe schon gehört, daß er fleißig in die Forst geht. Vor acht Tagen war er bei mir und hat gefragt, wann mein Mann 'rauskommt. Auf den sollten Sie lieber aufpassen, da geht das Fleisch gleich über die Grenze.«

Die Grünröcke hatten das vergebliche Suchen aufgegeben . . . Der Forstmeister entschied zu ihrer Verwunderung, daß die beiden Übeltäter nicht verhaftet werden sollten. Die Strafe würde ja nicht ausbleiben, man müsse Rücksicht darauf nehmen, daß die Menschen jetzt ihr Feld bestellen müßten. Der Hegemeister brummte etwas in seinen Bart, was sein Chef glücklicherweise nicht verstand . . .

Als die Grünröcke eine Stunde später vor der Oberförsterei aus dem Wagen stiegen, trat ihnen der Zimmermeister Krause entgegen. Er hatte sich bereits die alte Kabache angesehen und machte den Vorschlag, sie niederzureißen und ein neues Holzhaus aufzustellen, das würde ebensoviel kosten . . . Während er noch sprach, ertönte ein merkwürdig dumpfer und doch lauter Ton, gleich darauf das zweite Mal. Nante Schnabel sprang kerzengerade hinter seinem Tisch in die Höhe und hob die linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger.

»Herr Forstmeister, haben Sie gehorcht? Was ist das?«

Der Zimmermeister drehte sich lachend um. »Aber, Schnabel, haben Sie noch kein Auto gesehen?«

»Wo soll ich denn solch ein Ding gesehen haben? Einmal in Nikolaiken ist eins durchgefahren . . . aber ich kam zu spät.«

»Gehen Sie mal 'raus, Schnabel, das wird der neue Forstassessor sein.«

Eine lachende und johlende Menschenmenge umstand den ratternden Wagen. Schreiend wich sie zurück, wenn der Chauffeur aus dem Drachenmaul seiner Hupe tutete. Ein kleiner Herr in einem dunkelgrauen Bärenpelz, die Brille vor dem Gesicht, lag zurückgelehnt im Fond des Wagens. Als Schnabel in die Tür trat, richtete er sich auf und warf rücksichtslos seine halb aufgerauchte Zigarette in die Menge. Ein halbwüchsiger Junge fing sie geschickt in der Luft auf und steckte sie sofort in den Mund . . .

»Herr Forstmeister Schrader zu Hause?« Nante mußte wohl die beiden letzten Worte nicht gehört haben, was bei dem Gejohle kein Wunder war, denn er machte ein ganz verblüfftes Gesicht. Dann brach er in ein dröhnendes Gelächter aus: »E nei, unser Herr Forstmeister sieht ein bißchen anders aus. Ich bin bloß der Forstaufseher Schnabel. Aber steigen Sie man ab, der Herr Forstmeister sind zu Hause.«

Der Assessor ließ Pelz und Brille im Wagen und setzte sich zu der Uniform, die er trug, die Mütze auf. Ganz formell erstattete er dem Forstmeister die dienstliche Meldung, daß er zur kommissarischen Beschäftigung in die Oberförsterei Makunischken versetzt sei. Der alte Herr reichte ihm freundlich die Hand. »Willkommen in der Heide, Herr Assessor . . .«

Eine halbe Stunde später ging Herr von Sperling mit dem Zimmermeister, sich seine zukünftige Wohnstätte anzusehen. Er machte zuerst ein ganz verdutztes Gesicht, als er das verwahrloste Häuschen erblickte; dann faßte er sich und ordnete an, was nach seiner Meinung nötig war, die Chaluppe in einen menschenwürdigen Zustand zu versetzen. Eine Bretterverschalung von außen, neue Fenster, eine Vergrößerung der Haustür. Die Zimmer sollten zuerst mit Pappe ausgeschlagen und dann tapeziert werden, auch die verräucherten Deckbalken. Ein neues Strohdach unter allen Umständen. »Den Kostenpunkt erledige ich, lieber Meister,« fügte er hinzu, als Krause bei jedem neuen Wunsch ein längeres Gesicht machte und zuletzt meinte, der Fiskus würde wohl nicht soviel anlegen wollen. »Aber in vierzehn Tagen muß alles fix und fertig sein.«

Zu Mittag ging der Assessor in die Oberförsterei. Sein Vorgesetzter hatte ihn zu einem Löffel Suppe eingeladen. Es gab zuerst einen Teller Beetenbartsch. Mit Vergnügen sah der Forstmeister, wie sein Gast vorsichtig das ihm unbekannte Gericht kostete. Doch die pikante, mit saurer Sahne angerichtete Suppe fand seinen Beifall. Dann kamen gebratene junge Hühnchen auf den Tisch, ganz delikat zubereitet, dazu Gurkensalat. Das Gesicht des Assessors klärte sich immer mehr auf. »Das ist doch erstaunlich, Herr Forstmeister, jetzt um diese Zeit auf dem Lande junge Hühnchen . . .«

»Haben Sie denn geglaubt, wir leben hier bloß von saurem Kumst und Pökelfleisch? O nein, Herr Assessor! Meine Abromeitene hätte Ihnen ebenso gut und schön ein Rebhuhn oder einen Fasan vorsetzen können. Sie braucht bloß in den Keller zu gehen, da stehen in langen Reihen die Gläser. Wenn Sie abends ein paar Krebse bei mir essen wollen . . .«

»Oh, Herr Forstmeister, Krebse? Da nehme ich mit heißem Dank an.«

»Zum Kaffee habe ich uns beim Hegemeister Krummhaar ansagen lassen, in dessen Revier Sie zu kluppen anfangen. Wir hausen hier schon dreißig Jahre nebeneinander und sind gute Freunde. Mit den geistigen Genüssen ist es hier in der Wildnis schlecht bestellt, da halten wir uns durch eine reiche Geselligkeit schadlos. Ich lade mir öfter alle meine Grünröcke ein, und wir schießen fleißig nach Tontauben und Scheiben. Dann haben wir zwei Gutshöfe in nächster Nähe. Da müssen Sie in den nächsten Tagen Besuch machen. Aber ich warne Sie, denn da sind zwei allerliebste Mädel, beide meine Patchen, zum Anbeißen . . . Dann verkehren wir alle bei einer reichen litauischen Bauernfrau. Machen Sie nicht solch ein erstauntes Gesicht, Herr Assessor. Das ist in Wirklichkeit eine gebildete, alte Dame . . . Morgen abend nehme ich Sie dorthin mit. Sie finden dort die Herren Chasseure aus Wartenburg, mit denen Sie auf diese Weise bekannt werden.«

»Und mein Dienst, Herr Forstmeister?«

»Der wird Sie auch nicht zu sehr anstrengen. Sie bekommen als Gehilfen meinen bisherigen Forstschreiber Mooslehner, einen sehr gewandten Menschen, der Ihnen die Sache sehr erleichtern wird. Wenn Sie sich beide daran halten, können Sie ihr tägliches Pensum immer bis Mittag erledigt haben.«

Als sich der Forstassessor nachmittags in dem einfach möblierten, aber sehr sauberen Zimmer des Gasthofes von Makunischken aufs Sofa legte, um etwas über den Dienst nachzudenken, überkam ihn ein behagliches Gefühl . . . Als er die Versetzung in die litauische Heide erhielt, war ihm zumute, als sei er zur Verbannung nach Sibirien verurteilt worden. Jetzt schien es ihm, als wenn sich hier auch leben ließe, nur mußte er sich in die eigenartigen Verhältnisse erst eingewöhnen . . . Auf die litauische Bauernfrau, bei der Jägeroffiziere verkehrten, war er neugierig, auch auf den alten Hegemeister, von dem ihm der Forstmeister einige Schnurren erzählt hatte . . .

Etwas erstaunt war er doch, als ihn der alte Grünrock bei seinem Besuch sehr höflich, aber sehr kühl empfing, und ebenso seine Enkelin Wera, eine brünette, stolze Schönheit, die ihm als Frau Nekrassow vorgestellt wurde. Er hatte das bestimmte Gefühl, daß er der schönen Frau schon irgendwo begegnet war. Er zog es aber vor, nicht zu fragen . . . Ein kleiner Junge von drei Jahren, ein prächtiger Bube mit langen, dunklen Locken, kam hereingesprungen und kletterte ohne weiteres dem Forstmeister auf den Schoß . . .

Dann kam Mooslehner, zum Gang in den Wald gerüstet. Er wollte mit Nante Schnabel ins Revier gehen, um auf den Wilddieb zu fahnden. Dann wollten sie sich auf die Schnepfe anstellen . . . Wenn mit Sonnenuntergang der Nebel stieg, waren die Rehe vor jeder Nachstellung sicher, denn in den dichten Schwaden war es auch dem geschicktesten Wilddieb unmöglich, einen Schuß anzubringen.

Der Wagehals

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