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5. Kapitel
ОглавлениеGegen Abend hatte sich ein starker Südwind aufgemacht und den Himmel rasch mit dunklen Wolken bedeckt, die mit Regen drohten. Schweigend schritten die beiden jungen Grünröcke durch den Wald, der unter dem Druck des Windes brauste und stöhnte . . . Ihre beiden Hunde trotteten als wohlerzogene Gehilfen neben ihnen. Es war ein Wetter, wie es sich ein Wilddieb nicht besser wünschen konnte, denn der heftige Wind und das Brausen des Waldes verschlang jeden Knall auf kurze Entfernungen . . .
An der kleinen Brücke, die über die Aschwöne führt, trennten sie sich. Sie wollten langsam, jeder an einer Seite der Wiese, bis zu ihrem Ende aufwärts pirschen und sich dann bis Dunkelwerden auf die Schnepfe anstellen . . . Die Hunde hundert Schritt voraus . . . Schon nach wenigen Minuten gab Mooslehners »Rino« Laut; es war ein richtiges Totverbellen. Schnell lief der Grünrock der Stelle zu. Da lag wieder die Decke eines Rehbocks, wie zum Hohn sauber ausgebreitet, das Gescheide mitten darauf . . . Sofort fiel der Hund die frische Fährte des Wilddiebes an, während Mooslehner durch einen gellenden Pfiff seinen Kollegen herbeirief.
Nun folgten sie beide der Spur, die von den Hunden ohne Mühe ausgearbeitet wurde. Sie führte einen schmalen Waldweg entlang bis zur Chaussee. Dort begannen die Hunde unruhig zu werden. Sie liefen ratlos hin und her und standen schließlich an einer Stelle still. Kein Zweifel, der Wilddieb hatte hier einen Wagen bestiegen, der auf ihn wartete, und war davongefahren.
Nun war guter Rat teuer. Nante schlug vor, sofort bei Naujoks Haussuchung zu halten. Mooslehner hielt es für zwecklos, denn allem Anschein nach hatte der Wilddieb einen Helfershelfer und Hehler, der ihm das gewilderte Fleisch abnahm. Aber schaden konnte es nicht, wenn sie wenigstens feststellten, ob Naujoks zu Hause wäre. Sie wählten den kürzesten Weg quer durch den Wald. Nicht weit von ihnen pflügte Naujoks seinen Acker. Die große Fläche, die er umgeworfen hatte, zeigte deutlich, daß er den ganzen Tag fleißig geschafft haben mußte. Er konnte also nicht stundenlang im Walde gewesen sein.
Ohne sich ihm zu zeigen, kehrten die Grünröcke um. Sie wollten jetzt zum Förster Schwarzkopf gehen und mit ihm besprechen, was zur Ermittlung des Wilddiebes geschehen konnte. Dort harrte ihrer eine große Überraschung. Auf der Veranda des Forsthauses lag ein Schmalreh mit der Schlinge um den Hals. Der Wagen des Försters stand angespannt vor der Tür. Er wollte das Reh nach der Oberförsterei bringen und Anzeige erstatten. Er hatte bald nach Mittag das Reh gefunden und sofort mit seinem Hunde die ganze Schonung abgesucht. Mindestens ein halbes Schock Schlingen hatte er gefunden. Er hatte sie fängisch stehen lassen, denn wenn auch noch ein Reh oder zwei daran glauben mußten, so war es doch das einzige Mittel, den Wilddieb zu greifen, wenn er die Schlingen revidierte.
Der alte Grünrock wetterte nicht schlecht . . . Ein Wilddieb mit der Büchse wäre ein hochanständiger Kerl im Vergleich mit dem Schlingensteller, der sein abscheuliches Gewerbe lautlos betreibt . . . Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und so stockfinster geworden, daß man buchstäblich nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Es war also ausgeschlossen, daß die Schlingen in der Nacht revidiert werden konnten. Die Grünröcke beschlossen daher, das Reh mit der Meldung nach der Oberförsterei zu schicken, daß sie am anderen Morgen sich an der Schonung anstellen wollten. Eine halbe Stunde vor dem ersten Morgengrauen standen sie auf ihrem Posten. Es war kein leichtes Stück, stundenlang mit gespannter Aufmerksamkeit zu lauern . . . Der Wind hatte nachgelassen, es fiel aber ein feiner Regen, der sich langsam, doch stetig in die Kleider einsog. Endlich gegen Mittag pfiff der Förster ab. Nun durchsuchten sie gemeinsam die Schonung. Eine Ricke hatte sich in der Schlinge gefangen. Für einen Jäger, der sein Wild liebt, war es ein gräßlicher Anblick . . .
Nun hielten sie lange Rat, was mit Aussicht auf Erfolg dagegen geschehen könnte. Am liebsten hätten sie alle Schlingen aufgenommen. Das wäre aber nur ein Notbehelf gewesen . . . Schließlich einigten sie sich darüber, daß der Förster zu Mittag nach Hause gehen und erst gegen vier wiederkommen sollte. Es war sehr wahrscheinlich, daß der Wilddieb das Forsthaus beobachtete und sich erst in den Wald wagte, wenn er sah, daß der Förster zu Hause war. Nante hatte einen Bärenhunger, obwohl er sich morgens reichlich verproviantiert hatte. Mit einer schmerzlich grimmigen Miene zog er sich den Leibgurt enger und schnitt eine junge, daumdicke Hainbuche ab. Der Kerl, der ihm in die Hände fiel, konnte sich auf eine gründliche Tracht Prügel gefaßt machen.
Sie hatten sich etwa hundert Schritt voneinander im Dickicht aufgestellt . . . Langsam verging die Zeit . . . Eintönig rieselte der Regen hernieder. Von den Bäumen tropfte es. Da erschien plötzlich vor Schnabel, der dicht am Reh stand, ein weißer Foxterrier. Als er den Jäger eräugte, tat er einen langen Blaff, dann war er wie der Blitz verschwunden, ehe Nante das Gewehr von der Schulter reißen konnte. Auch der alte brave Hektor konnte den fixen kleinen Köter nicht einholen. Nun zog Nante mit seinem Hund auf der Spur nach, Mooslehner schloß sich ihm mit seinem Hunde an. Aber auf dem Waldwege, der an der Schonung entlang führte, war die Verfolgung wieder zu Ende . . . Daß der Hund sich allein im Walde herumtrieb, war nicht ganz ausgeschlossen, doch nicht wahrscheinlich. Aber wo war er geblieben? Und noch wunderbarer, daß die Hunde auch keine Spur eines Menschen fanden.
Endlich, nach langem Suchen, fanden die Grünröcke die Lösung des Rätsels. Der Wilddieb war zu Rad gekommen, hatte den Hund, der ihn gewarnt hatte, aufgenommen und war davongefahren. Bis zur Chaussee ließ sich die Spur noch verfolgen, dann ging sie verloren . . . Ärgerlich und hungrig gingen die beiden Forstaufseher zur Försterei. Jetzt war es das Richtigste, die Schlingen aufzunehmen, denn der Wilddieb würde wohl sobald nicht wiederkommen.
Der Forstmeister tobte nicht schlecht, als sie mit dem zweiten Reh nach Hause kamen. Das war ja eine nette Bescherung! Gleich zwei Wilddiebe auf einmal im Revier. Einer, der sie am hellen lichten Tage schoß, und einer, der sie nachts in Schlingen fing! Und nicht etwa weit hinten an der Grenze, sondern mitten im Walde, in einem Revierteil, der von fünf Grünröcken behütet wurde.
Der alte Herr war schon den ganzen Tag in schlechter Laune. Er kämpfte mit sich, ob er nach Weschkallen fahren sollte oder nicht . . . Wenn er hinfuhr, zeigte er dadurch, daß er zum mindesten den Vorschlag der Weschkalene nicht ganz von der Hand wies. Er hatte schon ein kurzes Billett geschrieben, das er durch einen Boten hinüberschicken wollte mit der Entschuldigung, daß er sich nicht ganz wohlfühle. Dann hatte er es wieder zerrissen. Ohne daß es ihm zum Bewußtsein kam, prickelte ihn die Neugier, die drugglige Witwe kennenzulernen, die nicht nur bereit war, sondern sogar den Wunsch hatte, ihn zu heiraten. Wenn er daran dachte, dann überkam ihn ein wunderbares Gefühl . . . Mächtige Rauchwolken ausstoßend, schritt er in der Amtsstube auf und ab. Einmal sagte er ganz laut: »Alter Esel . . .«
Nante, der fleißig schreibend an seinem Pult saß, blickte erschreckt auf. Sollte das etwa ihm gelten? »Lassen Sie sich nicht stören,« brummte der alte Herr, »ich habe die Angewohnheit, manchmal laut zu denken. Es galt nicht Ihnen, sondern einem, der die Bezeichnung reichlich verdient.«
Nach einer Weile steckte Abromeitene den Kopf in die Tür: »Welchen Rock werden der Herr Forstmeister zum Abend anziehen?«
»Gar keinen . . . ich bleibe zu Hause.«
»Das wird doch nicht gehen, der Herr Forstmeister haben doch der Weschkalene zugesagt, und der Herr Assessor hat schon anfragen lassen, wann er den Herrn Forstmeister mit dem Auto abholen sollte.«
»Donnerwetter, daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Na ja, und dann wird es allgemach Zeit, daß der Herr Forstmeister sich fein machen.«
Brummend stellte er die Pfeife beiseite und ging über den Flur in sein Wohnzimmer. Da stand schon Abromeitene, Kamm und Schere in der Hand. »Ach, laß mich ungeschoren«, fuhr er sie an.
»Nei, Herr Forstmeister, das geht nicht . . . was werden die Leute sagen? Sie werden sagen, die Abromeitene nimmt ihren Herrn aber auch nicht ein bißchen in acht, daß sie ihn mit verwildertem Haar in der Welt herumfahren läßt.«
»Du bist heute mal wieder unleidlich, altes Frauenzimmer.« Wenn er sehr guter oder schlechter Laune war, pflegte er seine Wirtin zu duzen . . . Abromeitene verzog keine Miene. Ihr durch lange Erfahrung geübtes Ohr hörte bereits, daß der Zorn des alten Herrn im Erlöschen war. Er ließ sich geduldig auf einen Stuhl nieder und ließ sich den Frisiermantel umlegen. Während die Schere an seinem Genick herumknipste, brummte er vor sich hin: »Wozu mußt du mich gerade heute scheren?«
»Damit der Herr Forstmeister forsch aussehen. Mein Gott, ich weiß doch alles . . . man hat doch Augen und Ohren, und ich meine, es wäre wirklich nicht das dümmste, was der Herr Forstmeister tun könnten. Ein altes Weib, das allein bleibt, behilft sich schon, aber ein alter Mann muß wie ein kleines Kind aufgewartet werden.«
»Dann nimmt man sich eben 'ne gute, treue Person ins Haus.«
»Ja gewiß, aber eine, die nicht weglaufen kann . . . Sehen Sie, Herr Forstmeister, mit meiner Nichte, der Katinka . . . das ist auch nichts Gewisses. Das ist eine forsche, lustige Margell . . . ein bißchen Vermögen hat sie auch . . . mit einem Male sind Sie sie los. Die greift mit beiden Händen zu, wenn einer sie haben will.«
»Abromeitene, du bist doch ein sehr verständiges, braves Frauenzimmer . . . Hältst du für möglich, daß ein forsches Weib in der Blüte der Jahre an mir altem Kerl Gefallen finden könnte?«
»Ach, Herr Forstmeister müssen sich selbst nicht schlechter machen. Manche Männer sind mit fünfzig Jahren schon klapprig. Aber der Herr Forstmeister sind ein ganz anderer Schlag. Sie brauchen doch bloß an Ihren seligen Herrn Vater zu denken, der über neunzig alt geworden ist. Und bis in sein hohes Alter hat er noch für hübsche Mädchen ein Auge gehabt. Der Herr Forstmeister werden sicherlich ebenso alt und können noch Enkelkinder erleben . . .«
»Nun hör' aber auf, Abromeitene. Soll ich mich auf meine alten Tage noch blamieren und wie ein verliebter Birkhahn um die junge Henne balzen?«
»Na, so jung ist die Henne auch nicht mehr . . . achtunddreißig sind für eine Frau ebensoviel wie für einen forschen Mann Ihre fünfundsechzig . . . Und auf der Weschkalene ihr Wort kann man Häuser bauen, die stiftet nichts an, wo sie ihrer Sache nicht ganz sicher ist.«
Abromeitene war mit dem Haarschneiden fertig. Jetzt seifte sie ihn ein und rasierte ihn. Die Kunst hatte sie von ihrem Vater gelernt, der Barbier war. Jetzt kamen alle Grünröcke und Holzschläger der Oberförsterei zu ihr. Am Sonnabend nachmittag und Sonntag früh war ihre »Dienststunde«, wie sie der Forstmeister scherzend nannte. Sie verstand auch alle die anderen Künste, die ein Dorfbarbier beherrschen muß. Sie zog Zähne, sie verband Wunden, nahm mit der Zunge Fremdkörper aus dem Auge und kurierte Tiere und Menschen mit uralten wirksamen Hausmitteln . . .
Während sie den alten Herrn zum zweiten Male einseifte, um nachzurasieren, fing er wieder an: »Weißt du, Abromeitene, mir ist heute der Gedanke gekommen, ob ich nicht etwa Vorspann leisten soll für einen der Herren Hauptleute, die so fleißig in Weschkallen verkehren . . . Die Madeline Mazat erbt doch mal alles von der Georginne. Das Gut ist bis auf etwas Landschaftsgeld schuldenfrei und unter Brüdern eine halbe Million wert. Wieviel bares Geld vorhanden ist, weiß ich nicht, aber es wird auch ein Dreischeffelsack voll sein. Da müßten doch die beiden unverheirateten Hauptleute Esel sein, wenn sie nicht zugreifen wollten. Daß die Frau ebenso alt ist wie sie, kommt doch in solchem Fall nicht in Betracht.«
»Herr Forstmeister, dann kann ich Ihnen nur eins sagen: passen Sie gut auf, wie ein alter Jäger . . . Eine Frau, die schon mal verheiratet gewesen ist, verrät sich leichter als ein junges Mädchen, wenn sie einem Mann gut ist. Das kommt von der Gewohnheit. Sie brauchen gar nicht so freundlich zu ihr sein.«
»Aber, Abromeitene, ich muß doch erst sehen, ob sie mir gefällt . . . ich kenne sie noch gar nicht.«
»Na, wozu haben wir denn die ganze Zeit hin und her geredet? Erst müssen Sie sehen, ob sie Ihnen gefällt. Man kauft doch keine Katze im Sack. Gefällt sie Ihnen, dann laden Sie sie mal mit der Weschkalene zum Kaffee und Abendbrot ein, und dann wird alles in Ruhe besprochen. Und nun machen Sie ein liebes, freundliches Gesicht, wie ein junger Mann, der auf die Brautschau fährt, machen muß.«
Jetzt lachte der Forstmeister laut auf, während er den Frisiermantel abwarf: »Du bist doch ein ganz verdrehtes Frauenzimmer. Du denkst wohl, weil du die Dummheit mit dem Kallweit machst, soll ich auch eine machen. Na, wollen mal sehen. Jetzt fängt die Geschichte an, mir Spaß zu machen . . . Und laß anspannen, bei der Stockfinsternis will ich doch lieber mit meinem alten Jons fahren als mit dem Auto . . . und schick' zu Krummhaar 'rüber; er kann mit mir fahren.«