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Aber halt – wie funktioniert eigentlich Wissenschaft?

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Keine Sorge, dies wird kein knochentrockener Ausflug in die Wissenschaftstheorie, wo ein Satz oft über zehn Buchzeilen geht und man fast fünf Minuten grübeln muss, was der Autor oder die Autorin dieses Satzes eigentlich mitteilen will. In diesem Buch muss ich immer wieder auf wissenschaftliche Studien verweisen, was diese bedeuten und wie sie in weiterer Folge zu interpretieren sind. Dazu gleich ein Beispiel aus der Realität unter dem Titel „Wenn am Berggipfel der Grüne Veltliner ruft“.

Bei der letzten Bergtour habe ich unmittelbar nach dem Gipfelsieg ein Glas Grünen Veltliner getrunken. Ein Stifterl Wein und ein Glas habe ich immer im Rucksack dabei. Dieser schmeckte so anders als sonst – aber warum? Eine Beobachtung von mir wirft eine Frage auf. Diese will ich wissenschaftlich aufklären. Wie gehe ich nun weiter vor?

Ich formuliere eine Hypothese. Das ist eine in Form einer logischen Aussage formulierte Annahme, deren Gültigkeit noch nicht bewiesen ist, die aber geeignet ist, Erscheinungen oder Beobachtungen zu erklären. Am leichtesten ist sie mit der „Immer, wenn ..., dann …“-Verknüpfung zu erklären. Ein Beispiel dazu: Immer wenn ich am Gipfel eines Berges ein Glas Grünen Veltliner genieße, dann schmeckt dieser deutlich anders als zu Hause in der Gartenlaube meiner Großmutter Adele. Immer wenn Wein einem niedrigen Luftdruck ausgesetzt wird, verändert sich die Flüchtigkeit der Aromastoffe. Immer wenn ich mich in großer Höhe befinde, nehme ich Geschmacksstoffe schlechter wahr als sonst. Die Hypothese ist die Vorstufe zur Theorie.

Nun gilt es, das Experiment zur Aufklärung der Fragestellung zu entwerfen. Die eigentliche Frage lautet: Warum schmeckt der Wein am Berg anders als im Tal? Dabei tun sich neue Fragen auf. War der Wein verdorben? Ist der Wein im Rucksack durchgeschüttelt worden und hat so seinen Geschmack verändert? Ist die Freude über den Gipfelsieg für eine Veränderung der Geschmackswahrnehmung verantwortlich, spielt die Psyche dem Geschmackssinn einen Streich? Schmeckt der Wein nur für mich anders oder nehmen dies auch andere Menschen so wahr? Eine Arbeitshypothese entsteht. Bei der Planung meiner Experimente muss ich unbedingt darauf achten, dass sich die Hypothese im Laufe des Experiments nicht verändert. Etwa: Im Geschmackslabor haben wir keinen Grünen Veltliner mehr, dann muss eben ein Weißburgunder herhalten. Dies wäre dann eine Fehlerquelle!

Habe ich meine Experimente erfolgreich und für andere Wissenschaftler nachvollziehbar abgeschlossen, stehe ich nun vor dem nächsten Problem: Ich habe nur eine Person (mich) und eine Flasche Wein untersucht. Die Fehlerquellen sind hier noch zu groß, um eine solide Theorie aufstellen zu können. Ich wiederhole die Experimente mit 1000 Studierenden und zehn verschiedenen Weißweinsorten. Die Daten werden analysiert, Fehlerquellen beseitigt. Was wären in so einem Experiment realistische Fehlerquellen? Zum Beispiel ein Student, dem Wein überhaupt nicht schmeckt, macht bei der Untersuchung mit, oder eine Studentin, die zur Zeit des Experimentes an Geruchsverlust leidet, verkostet den Wein.

Nach Bereinigung der Ergebnisse formuliere ich meine Theorie. Aufgrund des verminderten Luftdrucks verlassen mehr Geruchsmoleküle den Wein und dieser bekommt ein anderes Bouquet als im Tal.

Ich möchte meine Studie in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlichen. Aber bevor sie gedruckt wird, geht meine Arbeit an drei anonyme Kolleginnen oder Kollegen, die auf demselben Fachgebiet forschen. Diese begutachten meine Arbeit, schauen, ob Fehlerquellen zu finden sind, und geben erst dann ihr Ok, wenn sauber gearbeitet wurde. Diesen Vorgang nennt man in der Fachsprache peer reviewed (durch Fachkollegen begutachtet). Erst dann wird die Arbeit gedruckt und steht online auch anderen Fachkollegen zur Verfügung. Jetzt wiederholen Forscher in Peru, Japan und Russland mein Experiment. Kommen sie auf das gleiche Ergebnis, ist meine Theorie richtig.

Sie sehen also, es ist ein weiter Weg, bis eine Idee bzw. Beobachtung Eingang in eine wissenschaftliche Zeitschrift und später in ein Lehrbuch findet. Dabei können viele Fehler passieren, absichtlich oder unbewusst, denn Wissenschaftler sind auch nur Menschen.

Faktencheck Ernährungsdschungel

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