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IV
Ein königlicher Bundesgenosse

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Alfried Krupp hatte auch nach dem Ausscheiden seines Bruders Friedrich das kleine Häuschen seiner Eltern bewohnt. Noch lebte ja seine Mutter, die ihm bisher mit ihrem Fleiß und ihrer Thatkraft treu zur Seite gestanden hatte und mit Befriedigung die Vorbereitungen mit ansah, welche zum ersten großen Erfolge führten. Diesen selbst, den Triumph der Londoner Ausstellung von 1851, sollte sie nicht mehr erleben; sie starb am 3. August 1850. Einsam und allein blieb Alfried in dem kleinen Häuschen zurück. Und das Gefühl des Verlassenseins in den bisher von der Hand seiner treuesten Gefährtin und Mitarbeiterin verwalteten Räumen mag den Anstoß gegeben haben, daß er, der bereits über Hunderte von Arbeitern gebot, endlich sich entschloß, die kleine, dürftige Wohnung aufzugeben und ein einfaches zweistöckiges Gebäude, das er dicht daneben erbaute, im Jahre 1852 zu beziehen. In dieses Haus führte er am 19. Mai des folgenden Jahres seine junge Gattin, Bertha, die Tochter des Steuerraths Eichhoff zu Köln; hier erblühte ihm an der Seite einer anmuthigen und intelligenten Frau ein neues, bisher unbekanntes Glück; hier ward ihm am 17. Februar 1854 sein Sohn – und es sollte der einzige bleiben – Friedrich Alfred geboren. Wie wohl er sich in dem Familienleben fühlte, erhellt aus der Wandlung, welche sein geselliger Verkehr von dem Tage seiner Vermählung an erlitt. Bisher in den besseren Kreisen seiner Vaterstadt ein durch seinen Humor und seine treffenden Aeußerungen beliebter und häufiger Gast, entsagte er plötzlich dieser ihm lieb gewordenen Gewohnheit. Er hatte keine Zeit mehr dazu. Die geschäftlichen Arbeiten, die durch neue Aufgaben immer wieder angeregten Studien und erforderlichen Versuche nahmen mehr und mehr seine Zeit so in Anspruch, daß er sich mit der Geselligkeit begnügen mußte, welche Verwandte und eine stetig zunehmende Schaar von Gästen ihm bot, wenn er seinem Bedürfniß folgen und auch der Gattin und dem Sohne sich widmen wollte.

Es ist ja natürlich, daß mit der Steigerung seiner Erfolge auch die Zahl der Besucher der Fabrik sich mehrte. Da waren die Männer vom Fach, deutsche und ausländische Techniker und Ingenieure, neben ihnen Künstler, Gelehrte und hohe Staatsbeamte; als seine bahnbrechenden Erfolge in der Geschützkonstruktion hinzukamen, begannen die Besuche der Offiziere aus aller Herren Länder, welche das bestellte Armeematerial zu prüfen und abzunehmen, oder den Schießversuchen auf Krupp’s Schießplätzen beizuwohnen hatten. Bald aber waren es auch die Chefs der obersten Kriegs- und Marineverwaltungen, Feldherrn und Generale, endlich die Oberhäupter der Staaten selbst, Könige und Kaiser, welche die gastliche Schwelle überschritten und selbst ihre hohen Gemahlinnen an dem interessanten Besuch der berühmten Gußstahlfabrik Theil nehmen ließen. Es ist hoch bedeutsam, daß es der Prinz von Preußen war, der spätere Kaiser Wilhelm I., welcher als erster die Reihe der fürstlichen Gäste eröffnete, indem er am 15. Juni 1853, kurz nach Krupps Vermählung, gelegentlich einer militärischen Inspicirungsreise die Gußstahlfabrik besuchte. Es ist ein Zeichen, wie aufmerksam der große Monarch von jeher Alles beobachtete, was für das Vaterland eine Bedeutung zu gewinnen versprach; und es ist von eminentem Werth für die spätere Entwickelung der deutschen Wehrkraft, daß deren Reorganisator persönliches Interesse faßte für die Fabrik, welche ihm die leistungsfähigsten Kampfmittel zu erzeugen berufen war. Das Interesse und die Anerkennung, welche er schon 1853 Krupps Unternehmen entgegenbrachte, gab die Basis für die später ihn durchdringende Ueberzeugung von dem Werth der Krupp’schen Geschütze, welche ihn veranlaßte, seinen persönlichen Entschluß zu Gunsten ihrer Einführung in die preußische Armee zur Geltung zu bringen. Im Jahre 1861 wiederholte der König von Preußen den Besuch, nachdem General Totleben (1857), der Erzherzog Johann von Oesterreich und der Kriegsminister v. Waldersee (58) in Essen gewesen waren; und von da an erschien es, als wenn das Haus des „Kanonenkönigs” Krupp mit aufgenommen sei in die Zahl der Fürstenhöfe, welche jeder Herrscher auf seinen Reisen aufzusuchen für eine Pflicht hielt.

Im Kreise seiner Gäste erschien Alfried Krupp jederzeit als der „heitere sociable Lebemann”. Seine Erscheinung machte von vornherein auf jeden Besucher einen gewaltigen Eindruck. Zu stattlicher Höhe wuchs seine schlanke, edel gebaute Figur empor, ein Körper aus Sehnen und Muskeln, wie ihn die harte Arbeit zur Reife gebracht hatte und wie allein er der übermenschlichen Beanspruchung in jugendlichem Alter gewachsen war; frei und aufgerichtet trug er das mit einem Vollbart umrahmte und mit lockigem Haar bedeckte Haupt, aus dessen feingeschnittenen und doch markigen Zügen die Augen klar und durchdringend heraus blickten. Mit gewinnender Liebenswürdigkeit kam er Jedermann entgegen und übte seine Gastfreiheit gegen hoch und niedrig Geborene mit derselben offenen Freude an Geselligkeit; mit großer Sprachgewandtheit führte er in deutscher wie in fremder Zunge (auch italienisch lernte er noch) die Unterhaltung, ohne jemals die Bescheidenheit entbehren zu lassen, als ein Kennzeichen seines tiefen gründlichen Wissens. So machte er auf Jedermann einen imponirenden und doch geradezu hinreißenden Eindruck.

Wie bereits erwähnt wurde, hatte sich Krupp bereits seit geraumer Zeit die Ueberzeugung aufgedrängt, daß der Gußstahl nicht nur im Gebiete der Ziviltechnik, sondern ganz besonders in dem des Waffenwesens berufen sei, eine ganz bedeutende Rolle zu spielen. Eine gleiche Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber der Beanspruchung durch die im Lauf der Schußwaffe explodirende Ladung kann kein anderes Material aufweisen. Der Gußstahl bot deshalb das Mittel, um durch Steigerung der Ladung der Schußwaffe eine bedeutend höhere Wirkung zu verschaffen, und seine Anwendung mußte eine weitere Entwickelung des Waffenwesens ermöglichen, mußte dem mit den leistungsfähigeren Kriegswaffen ausgerüsteten Heere eine große Ueberlegenheit über seine Gegner verschaffen. Der Patriotismus trieb ihn an, sein vorzügliches Material der Armee seines Vaterlandes dienstbar zu machen.

Seit den zwanziger Jahren beschäftigte man sich aller Orten mit der Aufgabe, die Leistungen der Handfeuerwaffen zu steigern, indem man dem Geschoß einen dichteren Anschluß an die Seelenwand des Rohres gab, wodurch der Stoß der Pulvergase besser ausgenutzt, dem Geschoß eine größere Geschwindigkeit und stetigere Flugbahn gegeben werden sollte, um mit größerer Tragweite der Waffe gleichzeitig eine bessere Trefffähigkeit zu erreichen. Man erkannte in der Anbringung von gekrümmten Führungsrinnen in den bisher glatten Seelenwänden das hierzu geeignete Mittel und suchte nach Einrichtungen, um das Geschoß bei der Entzündung der Ladung in diese Rinnen einzupressen und diesen folgend durch den Lauf zur Mündung zu treiben. Es entstanden die gezogenen Gewehre, zuerst Vorderlader, dann überall – zuerst in Preußen basirt auf Dreyse’s Erfindung – Hinterlader. Das Zündnadelgewehr kam 1847 zur Einführung, während in anderen Ländern die von Minié 1849 erfundene Geschoßkonstruktion die gezogenen Vorderlader wesentlich vervollkommnete. Es ist leicht verständlich, daß die Wandung des Gewehrlaufes in wesentlich höherem Grade auf Festigkeit und Haltbarkeit beansprucht wird, wenn das Geschoß durch die Pulvergase gewaltsam in die Züge eingepreßt wird, als wenn es mit Spielraum durch den Lauf gleitet; deshalb glaubte Krupp auf die Verwendung des Tiegelgußstahls aufmerksam machen zu müssen. Er schmiedete eigenhändig 2 Gewehrläufe aus seinem vorzüglichen Material hohl aus und übersandte sie dem preußischen Kriegsministerium im Jahre 1843. Die preußische Regierung stand aber seit geraumer Zeit mit Dreyse in Beziehung und hatte ihm erst vor zwei Jahren die Mittel zur Errichtung einer größeren Gewehr- und Gewehrmunitions-Fabrik gewährt. Man war sich bewußt, mit der Annahme des Dreyseschen Zündnadelgewehrs allen anderen Staaten erheblich voraus zu sein, und bei dem Kriegsministerium ward deshalb Krupps Sendung nicht eines Blickes gewürdigt. Man schickte sie uneröffnet mit dem Bemerken zurück „die preußische Waffe sei so vollkommen, daß sie keiner Verbesserung mehr bedürfe”. Hatte man mit dieser Antwort auch bezüglich der Konstruktion Recht, da die Dreysesche Erfindung das Vollkommenste damaliger Zeit allerdings war, so ließ man doch ganz außer Augen, daß es sich nicht hierum, sondern um das Material handelte, daß man die Zündnadelgewehre durch Verwendung des Gußstahls dennoch ganz wesentlich hätte verbessern können.

Charakteristisch ist es für das Zartgefühl und den Patriotismus Alfried Krupps, daß er dies Schreiben später vernichtete, um zu verhindern, daß ein die Kurzsichtigkeit damaliger maßgebender Kreise in Preußen so blosstellendes Aktenstück einmal an die Oeffentlichkeit käme. Anderseits mußte ihm aber Alles daran liegen, seine Gewehrläufe einer gründlichen Prüfung unterzogen zu sehen, um auf deren Ergebnissen weiter arbeiten zu können. Er schickte sie deshalb nach Paris an Marschall Soult, den damaligen Kriegsminister Louis Philipp’s. Hier wurden nun thatsächlich Versuche angestellt, welche ein vorzügliches Resultat ergaben. Und erst durch das Bekanntwerden der günstigen Meinung, welche Krupp’s Fabrikat in Frankreich sich gewonnen hatte, sah man sich nun auch in Berlin veranlaßt, die Gußstahlläufe beim Zündnadelgewehr zu erproben. Bis auf einige kleine Bestellungen blieb aber diese Meinungsänderung für den Fabrikanten ganz erfolglos, da sein Erzeugniß nicht durch Patent geschützt war und sofort durch die Konkurrenten übernommen und ausgebeutet wurde.

Handelte es sich bei den Gewehrläufen um verhältnißmäßig nur kleine Stücke, welche herzustellen auch anderen Fabrikanten möglich war, so mußte sich dies völlig zu seinen Gunsten verändern, wenn der Gußstahl auch für Geschützrohre zur Anwendung kam. Hier war er der Einzige, der die Blöcke in der erforderlichen Größe zu erzeugen im Stande war. Und auf die Geschützfabrikation wandte er nun sein Auge.

Man fertigte zu jener Zeit die, durchweg noch glatten, Vorderladergeschütze aus Bronze. Krupp dachte zunächst noch nicht daran, an der Konstruktion, wie sie gebräuchlich war, etwas zu ändern, sondern hielt nur sein Material für vortheilhafter, weil die Rohrwandung bei dessen Anwendung viel dünner, das Rohr also viel leichter und das Geschütz beweglicher gestaltet werden konnte. Zunächst hielt er nicht einmal für nöthig, das Rohr ganz aus Gußstahl herzustellen, denn der Hauptmangel des Bronzerohres bestand in der schnellen Abnutzung der Seelenwandung. Er fertigte also nur das Kernrohr aus Gußstahl und umgab dieses mit Gußeisen. Solch ein Mantelrohr besaß der Dreipfünder, welchen er 1847 nach Berlin schickte, wo er – wiederum bezeichnend – ziemlich unbeachtet liegen blieb, bis 1849 die von der Artillerie-Prüfungskommission angestellten Versuche die Vortrefflichkeit des Materials zur Anerkennung brachten, ohne aber irgendwelche praktischen Ergebnisse zu veranlassen. Solch ein Mantelrohr besaß der Sechspfünder, welcher 1851 auf der Londoner Ausstellung allgemeine Aufmerksamkeit erregte und später, als Geschenk an den König von Preußen, im Zeughause zu Berlin Ausstellung fand. Solch ein Mantelrohr besaß auch der Zwölfpfünder, welcher 1854 nach den vorgeschriebenen Angaben des Kommandeurs der braunschweigischen Artillerie, Oberstlieutenants Georg Orges, hergestellt und eingehenden Schießversuchen unterworfen wurde. Der genannte, in militärischen Kreisen hochangesehene Offizier, war der erste, welcher die hohe Bedeutung des Krupp’schen Gußstahls für die Artilleriewaffe sowohl als für die deutsche Industrie nicht nur erkannte, sondern in seinem Gutachten deutlich aussprach. Er stellte die Behauptung auf, daß die Gußstahlrohre mehr leisten würden, als die besten Bronzerohre, daß ihre Einführung der deutschen Feld- und Festungsartillerie den größten Vortheil gewähren, daß ihre Fabrikation der deutschen Eisenindustrie Millionen zuwenden und Deutschland in Beziehung eines wichtigen Kriegsbedürfnisses unabhängig vom Auslande machen werde. Er hob aber auch hervor, daß eine früher oder später doch nothwendig werdende Neubeschaffung der Rohre in der deutschen Feldartillerie aus Stahl, wobei zwei Drittel der Kosten durch den Werth der Bronzerohre gedeckt würden, Gelegenheit gäbe, in die deutschen Feldartillerien Einheit zu bringen und dadurch ihr Zusammenwirken, die Leichtigkeit des Erfolges etc. unglaublich zu fördern.

Bevor dieses – in der Zukunft so voll bewahrheitete – günstige Urtheil in maßgebenden Kreisen, namentlich Preußens, so weit sich Boden errungen hatte, um die ausgesprochenen Wünsche durch die Einführung der Gußstahl-Geschütze erfüllt zu sehen, brauchte es allerdings noch geraume Zeit und hatte viele Widerstände zu besiegen; aber an Anerkennungen mangelte es Krupp bereits in diesen Jahren nicht. Die Ausstellung in München 1854 brachte ihm nicht nur die goldene Denkmünze, sondern als „Merkmal Allerhöchster Anerkennung der ausgezeichneten Leistungen der Fabrik” vom König von Württemberg die größere goldene Medaille für Kunst und Industrie. Gleichzeitig erhielt er in Anerkennung der Vorzüglichkeit von dorthin gelieferten Probegeschützen vom König von Bayern das Ritterkreuz des Verdienstordens vom heil. Michael, vom Kaiser Franz Joseph von Oesterreich eine kostbare mit Brillanten besetzte Dose, vom König von Preußen den rothen Adlerorden IV. Klasse.

In Berlin scheiterten alle Anstrengungen der für die Gußstahlgeschütze gewonnenen Freunde immer noch an dem zähen Widerstand der Vertheidiger der Bronzerohre, besonders des General-Inspekteurs der Artillerie, des Generallieutenant v. Hahn, der trotz des günstigen Ausfalles der wiederholt mit Krupp’schen Geschützen angestellten Versuche, sich nicht entschließen konnte, die Ueberlegenheit des Gußstahls über die Bronze durch Empfehlung der Einstellung Krupp’scher Kanonen in die Truppe anzuerkennen. Nicht unberechtigt schrieb deshalb Oberst Weber, Direktor der Geschützgießerei in Augsburg, auf Grund der 1854 in Bayern veranstalteten Versuche, in Dingler’s polytechnischem Journal: „Zum Glück braucht die Eisentechnik nicht mehr die Schießversuche, um festzustellen, welches Geschützmaterial das bessere sei, und wenn das engere Vaterland verkennt, was die eigene Technik leistet, so erkennt es das weitere Vaterland.” Das war deutlich. Es erschien aber Krupp, so richtig es gegenüber den preußischen Behörden sein mochte, unbillig in Bezug auf die hohen Persönlichkeiten, welche seinen Bestrebungen stets ihr Wohlwollen entgegengebracht hatten. Er nahm deshalb Veranlassung in einer berichtigenden Zuschrift an die Allgemeine Augsburger Zeitung in taktvoller Weise die Gnadenbeweise des Königs Friedrich Wilhelm IV. (die erwähnte Dekoration und eine Schenkung für das Essener Krankenhaus, welche auf Veranlassung des Prinzen von Preußen erfolgt sein dürfte) als eine überreiche Anerkennung zu erwähnen.

Alfried Krupp

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