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Die Anfänge

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Wir Heutigen haben Mühe, uns die Zeitumstände vorzustellen, unter denen der junge Werner nach Berlin ging. Ging im wahren Sinn des Worts, denn er mußte über die Chaussee wandern, da es eine regelmäßige Verbindung von Mecklenburg nach Berlin nicht gab, und er auch gar nicht imstande gewesen wäre, die Fahrkosten aufzubringen.

Für die Mecklenburger zog er ins Ausland, in das fremde, immer mit einem gewissen Schrecken betrachtete preußische Gebiet hinein. Die Bauern von Menzendorf, die den Knaben liebgewonnen hatten, sandten sogar eine Abordnung an den Vater, um ihn zu bitten, »so einen gauden Jungen« doch nicht nach Preußen gehen zu lassen, wo er notwendigerweise verhungern müsse. Sie dachten, daß das ganze Land aus demselben unfruchtbaren Sand bestünde wie der preußisch-mecklenburgische Grenzrand. Irgendein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl war noch nicht vorhanden; nur der Vater ahnte schon mit ziemlicher Klarheit, daß der Staat Friedrichs des Großen Deutschland einstmals zur Größe emporführen würde.

So trug also der künftige Offiziersaspirant sein gewiß nicht allzu schweres Ränzel über die staubige Landstraße einer Zukunft entgegen, deren Größe ihm durch keine Fata Morgana angezeigt wurde. Der erste Mensch, der sich ihm auf dem neuen Lebensweg beigesellte, war ein junger Knopfmacher. Der zog auch nach Berlin, und mit ihm nahm Werner Siemens in der Knopfmacherherberge sein erstes Quartier.

Das sollte ihm bald sehr übelgenommen werden. Er hatte eine Empfehlung an einen entfernten Verwandten, den Leutnant von Huet bei der reitenden Gardeartillerie, bei sich; diesen suchte er auf und versetzte ihn in größten Schrecken durch die Mitteilung, daß er in der standesunwürdigen Knopfmacherherberge übernachtet habe. Der Leutnant ließ sofort das Ränzel abholen, den jungen Mann in einem besseren Hotel in der Neuen Friedrichstraße unterbringen und sandte ihn zum General von Rauch, den damaligen Chef des Ingenieurkorps.

Der junge Werner trug nun dem General seinen Wunsch vor, als Avantageur sich das Recht auf Einberufung zur Artillerie- und Ingenieurschule zu erdienen. Aber auch hier sollte er keinen Erfolg haben. Der General riet dringend ab, da so viel Vormänner vorhanden wären, daß der Eintritt in die Schule vielleicht erst in vier bis fünf Jahren stattfinden könnte. Er empfahl jedoch, zur Artillerie zu gehen, wo die Aussichten besser seien und eine gleiche Schulbildung erworben werden könnte. Der junge Siemens sah ein, daß dieser Weg wohl der beste sein würde, und mit guter Empfehlung versehen, fuhr er nach Magdeburg zum Kommandeur der dritten Artilleriebrigade, dem Obersten von Scharnhorst, einem Sohn des großen Organisators der preußischen Armee.

Hier stehen wir nun an der Wurzel des wissenschaftlichen Werdegangs von Werner Siemens, der also ebenso im soldatischen Bezirk seinen Anfang nahm wie die Entwicklung eines anderen Großen, dessen Lebenslauf er später kreuzen sollte, Hermann Helmholtz'.

Der Oberst von Scharnhorst machte auch noch einige Schwierigkeiten. Die Zulassung zur Artillerielaufbahn sollte von dem Ausfall eines Examens abhängig gemacht werden. Und auch die Erlaubnis zur Teilnahme an der Prüfung konnte nicht ohne weiteres erteilt werden, denn Siemens war ja als Mecklenburger für Preußen ein Ausländer und mußte zuvor vom mecklenburgischen Militärdienst freigekauft werden. Das ging keinesfalls geschwind. Erst als er sich schon zum Examen begeben wollte und mit großen Sorgen den Freikaufbrief vermißte, kam der Vater selbst auf einem leichten Wagen nach Magdeburg gefahren und übergab seinem Sohn das Dokument, das er der langsamen Beförderung durch die Post nicht hatte anvertrauen wollen.

Siemens hatte sich, obwohl er ausgezeichnete Kenntnisse in der Mathematik besaß, auf das Examen mühselig vorbereiten müssen, da hierbei auch in Geschichte, Geographie und Französisch geprüft wurde; diese Fächer hatte er auf dem Lübecker Gymnasium nur sehr oberflächlich getrieben. Große Kenntnisse hatte er denn darin auch nicht erreicht, am wenigsten in der Erdkunde, aber im Examen half ihm einer jener zahlreichen Zufälle, denen unser großer Mann im Leben so häufig als fördernden oder hemmenden Elementen begegnen sollte.

Die kleine Episode hat uns Werner Siemens selbst in seinen »Lebenserinnerungen« erzählt, einem der schönsten Volksbücher, die wir besitzen; jeder Jüngling sollte es lesen, der sich zu Ausdauer und großen Taten kräftigen will, und jeder Mann, der Erbauung sucht in der Darstellung eines Lebens, das voll ist von Suchen und Finden, von jauchzendem Hoffen und unverzagtem Bescheiden, von Fehlschlägen und prachtvollem Gelingen.

Das dramatische Erlebnis bei der Prüfung trug sich so zu: »Examinator war ein Hauptmann Meinicke, der den Ruf eines sehr gelehrten und dabei originellen Mannes hatte. Er galt für einen großen Kenner des Tokaierweins, wie ich später erfuhr, und das mochte ihn wohl veranlassen, nach der Lage von Tokai zu forschen. Niemand wußte sie, worüber er sehr zornig wurde. Mir als letztem der Reihe fiel zum Glück ein, daß es Tokaierwein gab, der einst meiner kranken Mutter verordnet war, und daß der auch Ungarwein benannt wurde. Auf meine Antwort: »In Ungarn, Herr Hauptmann!« erhellte sich sein Gesicht, und mit dem Ausruf: »Aber, meine Herren, Sie werden doch den Tokaierwein kennen!« gab er mir die beste Zensur in der Geographie.«

So zählte Siemens schließlich zu den vier Glücklichen, die das Examen am besten bestanden. Gewissermaßen haben wir es also dem feurigen Erzeugnis der ungarischen Weinberge zu verdanken, daß er seine Laufbahn in einigermaßen brauchbarer Weise beginnen konnte. Wer weiß, wohin seine Entwicklung geführt hätte, wenn der prüfende Lehrer dem Tokaierwein nicht ergeben gewesen wäre.

Es fehlte aber immer noch eine Planke auf der Brücke, die zur Zukunft führen sollte. Der »Ausländer« mußte erst eine ausdrückliche königliche Genehmigung für den Eintritt ins preußische Heer haben. Sie wurde ihm schließlich erteilt und ward das Eingangstor zu dem Bezirk, den er mit seinem Ruhm erfüllen sollte. »Ich betrachte,« so schrieb Siemens später, »die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III., die mir den Eintritt in die preußische Armee gestattete, als die Eröffnung der einzigen für mich damals geeigneten Bahn, auf der meine Tatkraft sich entfalten konnte.«

Nun ward der junge Artillerist auf dem Domplatz zu Magdeburg gedrillt. Und schon nach sechs Monaten erhielt er die Beförderung zum Bombardier; das war ein Dienstgrad, der ungefähr unserem heutigen Obergefreiten entspricht. Bei den Schießübungen wurde er zum erstenmal seiner besonderen technischen Begabung gewahr, denn es schien ihm hier alles selbstverständlich, was die anderen nur schwer begriffen.

Im Herbst des Jahres 1835 erhielt Siemens endlich das ersehnte Kommando zur Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin. Die drei Jahre, die er hier zubrachte, zählt er selbst zu den glücklichsten seines Lebens. Ein wiederum günstiger Zufall wollte es, daß er hier drei sehr bedeutende Naturwissenschaftler als Lehrer vorfand, den Mathematiker und Physiker Ohm, der das für die Elektrizitätslehre grundlegende Ohmsche Gesetz aufstellte, den Physiker Magnus und den Chemiker Erdmann. Nur durch eisernen Fleiß gelang es Siemens, das Fähnrich-, das Armeeoffizier- und endlich das Artillerieexamen zu bestehen; mit großer Not und ohne Auszeichnung kam er durch diese Klippen hindurch, da ihm eben die feste wissenschaftliche Grundlage fehlte. Soweit er irgend Zeit hatte, beschäftigte er sich darum mit seinen Lieblingswissenschaften Mathematik, Physik und Chemie, und diesen Disziplinen hat er sein ganzes Leben hindurch eine treue Zuneigung bewahrt.

Nun war er Sekondeleutnant und kehrte im Sommer 1838 aus Berlin wieder zu seinem Truppenteil nach Magdeburg zurück.

Es begann eine Zeit schwerer Sorgen und Kümmernisse. Während eines vierwöchigen Urlaubs besuchte er mit seinem Freund William Meyer das Heimatdorf, und die Wiedersehensfreude mit der vielköpfigen Familie war groß und rührend. Die preußischen Offiziersuniformen imponierten den braven Dörflern lebhaft, und sie begannen einzusehen, daß es in Preußen doch wohl noch andere Menschen geben müsse als Hungerleider. Damals feierte auch die älteste Schwester Mathilde ihre Hochzeit mit dem Professor Karl Himly aus Göttingen.

Der Bruder Wilhelm sollte nach der Absicht der Eltern Kaufmann werden. Aber Werner erkannte klar, daß dieses für Wilhelm keine geeignete Laufbahn wäre. Mit großherzigem Entschluß nahm er ihn gelegentlich seines Besuchs in Lenthe aus dem Lübecker Gymnasium und ließ ihn, nachdem die Genehmigung der widerstrebenden Eltern erlangt war, mit nach Magdeburg übersiedeln, wo er seine Erziehung mit treuer Sorge überwachte. Er erteilte dem Bruder selbst an jedem Morgen von fünf bis sieben Uhr mathematischen Unterricht und veranlaßte ihn auch, sich mit der englischen Sprache zu beschäftigen. Beides ist für Wilhelm in der Folge von grundlegender Bedeutung geworden. Um sein eigenes Verdienst zu verdecken, schrieb Werner Siemens später, »daß der dem Bruder erteilte mathematische Unterricht für ihn selbst sehr nützlich gewesen sei, da er dazu beigetragen habe, ihn allen Verlockungen des Offizierslebens siegreich widerstehen zu lassen.«

Zu systematischer wissenschaftlicher Weiterbildung war jetzt wenig Zeit. Aber Werner Siemens begann doch schon ein wenig technisch zu experimentieren. Und das wäre ihm beinahe schlecht bekommen. Der erste Versuch brachte gleich ein jähes, nicht gerade angenehmes Erlebnis. Er hat es in den »Lebenserinnerungen« dargestellt:

»Ich hatte gehört, daß mein Vetter, der hannöversche Artillerieoffizier A. Siemens, erfolgreiche Versuche mit Friktionsschlagröhren angestellt hatte, die anstatt der damals noch ausschließlich gebrauchten brennenden Lunte zum Entzünden der Kanonenladung benutzt werden sollten. Mir leuchtete die Wichtigkeit dieser Erfindung ein, und ich entschloß mich, selbst Versuche nach dieser Richtung zu machen. Da die versuchten Zündmittel nicht sicher genug wirkten, so rührte ich in Ermangelung besserer Gerätschaften in einem Pomadennapf mit sehr dickem Boden einen wässerigen Brei von Phosphor und chlorsaurem Kali zusammen und stellte den Napf, da ich zum Exerzieren fortgehen mußte, gut zugedeckt in eine kühle Fensterecke.

»Als ich zurückkam und mich mit einiger Besorgnis nach meinem gefährlichen Präparat umsah, fand ich es zu meiner Befriedigung noch in derselben Ecke stehen. Als ich es aber vorsichtig hervorholte und das in der Masse stehende Schwefelholz, welches zum Zusammenrühren gedient hatte, nur berührte, entstand eine gewaltige Explosion, die mir den Tschako vom Kopf schleuderte und sämtliche Fensterscheiben samt den Rahmen zertrümmerte. Der ganze obere Teil des Porzellannapfes war als feines Pulver im Zimmer umhergeschleudert, während sein dicker Boden tief in das Fensterbrett eingedrückt war.

»Als Ursache dieser ganz unerwarteten Explosion stellte sich heraus, daß mein Bursche beim Reinmachen des Zimmers das Gefäß in die Ofenröhre gesetzt und dort einige Stunden hatte trocknen lassen, bevor er es wieder an denselben Platz zurücktrug. Wunderbarerweise war ich nicht sichtlich verwundet, nur hatte der gewaltige Luftdruck die Haut meiner linken Hand so gequetscht, daß Zeigefinger und Daumen von einer großen Blutblase bedeckt waren. Leider war mir aber das rechte Trommelfell zerrissen, was ich sogleich daran erkannte, daß ich die Luft durch beide Ohren ausblasen konnte; das linke Trommelfell war mir schon im Jahre vorher bei einer Schießübung geplatzt. Ich war infolgedessen zunächst ganz taub und hatte noch keinen Laut gehört, als plötzlich die Tür meines Zimmers sich öffnete, und ich sah, daß das ganze Vorzimmer mit entsetzten Menschen angefüllt war. Es hatte sich nämlich sofort das Gerücht verbreitet, einer der beiden im Quartier wohnenden Offiziere hätte sich erschossen.

»Ich habe infolge dieses Unfalls lange an Schwerhörigkeit gelitten und leide auch heute noch hin und wieder daran, wenn sich die verschlossenen Risse in den Trommelfellen gelegentlich wieder öffnen.«

Es gelang also vorläufig noch nicht, eine wichtige Erfindung zu machen, und das war um so betrüblicher, als die finanzielle Lage der Brüder allmählich immer bedenklicher wurde.

Am 8. Juli 1839 starb die heißgeliebte Mutter, und ein halbes Jahr später, am 16. Januar 1840, schied auch der Vater aus dem Leben, zermürbt vom vergeblichen Ringen um den Erwerb des Lebensunterhalts für seine Familie und niedergebeugt von schwerer Sorge, da die Landwirtschaft damals Erkleckliches nicht abwerfen wollte. Es ist ein tragisches Geschick, daß die Eltern dahingehen mußten, bevor noch ein Ahnungsschimmer von dem künftigen Aufstieg ihres Sohns ein wenig lichte Freude in ihr trübes Dasein hatte bringen können.

Auf den ältesten der dem Haus nahegebliebenen Söhne fiel nun als schwere Last die Sorge um die sämtlichen Kinder. Die Domäne Menzendorf wurde den Brüdern Hans und Ferdinand übertragen, die jüngste Schwester Sophie nahm ein Onkel Deichmann in Lübeck an Kindesstatt an, und die jüngsten Brüder Walter und Otto blieben zunächst noch bei der Großmutter in Menzendorf.

Später hat Werner Siemens noch einige der Brüder zu sich genommen, und immer schwerer drängte sich ihm die Notwendigkeit auf, Geldmittel zum Unterhalt für sich und die Geschwister herbeizuschaffen. Er fühlte, daß dies mit Hilfe von Erfindungen wohl am leichtesten der Fall sein würde.

Mehr Muße hierzu als in Magdeburg fand er in der kleinen Garnisonstadt Wittenberg, wohin er im Jahre 1840 kommandiert wurde.

Kurze Zeit vorher hatte Jacobi in Dorpat die Galvanoplastik erfunden, und gerade als Siemens in dem allzu kleinstädtischen Leben von Wittenberg nach anregender Betätigung suchte, kamen die ersten Nachrichten von dieser so wichtigen Erfindung nach Deutschland. Siemens versuchte sofort, die Methode nachzumachen, und es gelang ihm auch, mit Hilfe des galvanischen Stroms aus einer Lösung von Kupfervitriol Kupferniederschläge auf anderen Metallen zu erhalten. Sein lebhafter Geist führte ihn sofort weiter. Er dachte, daß es doch möglich sein müsse, ebenso wie man Niederschläge aus Kupfer erhielt, auf gleiche Weise auch solche von Gold oder Silber zu erzielen. Daß Gegenstände aus unedlen Metallen, die mit Gold oder Silber überzogen wären, einen sehr viel höheren Wert bekommen müßten, war ohne weiteres einleuchtend.

Einem an sich fatalen Erlebnis, wieder einem plötzlichen Blitz aus der Schicksalswolke, durfte er es verdanken, daß er seine Erfindungsabsicht in voller Ruhe ausarbeiten konnte.

Werner von Siemens

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