Читать книгу Comanchen Mond Band 2 - G. D. Brademann - Страница 11

6. Kapitel

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Die sechsläufige Gatling, ein Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg, in dem die US-Armee zwölf Stück im Einsatz an der Front bei Petersburg hatte, stand noch immer unbenutzt und abgedeckt hinter dem Versorgungswagen. Man brauchte vier Männer, um sie zu bedienen.

Nach jeder Salve aus den beiden Haubitzen brachten die Männer die Geschütze ein wenig weiter nach vorn. Dort, wo die Treffer einschlugen, prasselte ein Regen aus Erde, Steinen, Ästen herunter und begrub alles unter sich. Bald konnten die Schützen das Gelände vor ihnen kaum noch erkennen. Nicht mehr lange, und sie würden auf ihre eigene Verwüstung stoßen. Ohne Informationen von Seiten der Kavallerie, die unterdessen zu den Hügeln im Osten ritt, fragte sich der Captain, ob er weiterschießen oder die nächsten Befehle abwarten sollte. Zumal ihm klar war, dass sie jetzt, wo sie den Flussbiegungen folgten, näher als ursprünglich gedacht an die Kavallerie herankamen. Ein einziger Fehlschuss würde die eigenen Leute treffen. ‚Hoffentlich haben sie das schon selber gemerkt und machen sich aus dem Staub‘, dachte er. Doch konnte er sich auf diesen Mann, diesen unfähigen Oberstleutnant überhaupt verlassen? Sollte er den Befehl, mit dem Beschuss innezuhalten erteilen, bis er Genaueres wusste? Was für ihn noch viel schwerer wog, war die Tatsache, dass sie bis jetzt keine Indianer gesichtet hatten. Wir ballern hier in der Gegend rum, sagte er sich wütend, ohne rechtes Ziel. Was ist, wenn die Comanchen irgendwo dort vorn sind, statt hier am Fluss, und die Kavallerie mit ihren Kriegern empfangen?

Entgegen seiner Überzeugung gab er den erneuten Befehl zum Schießen.

Dichte Rauchschwaden hingen über den Bäumen am Fluss. First Lieutenant Stones sah diese Zerstörung mit gemischten Gefühlen. Bis jetzt hatte die Artillerie nichts erreicht. Sie waren auf ihrem Ritt durch den sich lichtenden Wald und dann hier in der Ebene auf keinen einzigen flüchtenden Indianer gestoßen. Er schwenkte mit seinen Männern von den Hügeln weg – jeden Moment darauf gefasst, flüchtende Comanchen aus Richtung Fluss auftauchen zu sehen.

Plötzlich waren sie da. Frauen, Kinder, Travois, beladene Pferde. Sie kamen in Scharen vom Fluss herüber, einen ausgetretenen Weg entlang, der sich bis jetzt ihren Blicken entzogen hatte. Na also. First Lieutenant Stones, dem bei diesem Anblick kurz der Atem stockte, zog den Revolver und spornte sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Da rissen die Männer vor ihm ihre Pferde herum, so dass die nachfolgenden ausweichen mussten. Von einem Moment auf den anderen kamen ihre geordneten Reihen durcheinander. Männer, die eben noch vor ihm ritten, duckten sich, von Pfeilen getroffen in ihren Sätteln zusammen. Verwirrt stoppte die erste Reihe. Pferde stiegen, gingen zu Boden, rafften sich wieder ausschlagend auf, manchen Reiter unter sich begrabend. Die Männer – harte, erprobte Indianerkämpfer, die Stones ganz vorn bei sich hatte – preschten mit ihm weiter. Rechts von ihnen, vom Fluss her, kam das laute Donnern der Kanonen immer näher. Dann wurde dieser ihnen vertraute Ton von einem anderen überlagert. Einigen stellten sich die Nackenhaare auf, anderen lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ein grässliches Gefühl, dem sich niemand entziehen konnte, ließ sie auf dem Rücken ihrer Pferde erstarren. Furchterregendes Geschrei – mehr ein Kreischen – ließ die Luft vibrieren. Dagegen war das, was die Rebellen im Bürgerkrieg nachzuahmen versucht hatten, geradezu ein Wiegenlied.

Während die Kavallerie nach dem ersten Erschrecken versuchte, die Reihen wieder zu schließen, rasten halbnackte Krieger in gewagten Manövern an ihnen vorbei und verschwanden hinter den Hügeln wie ein Spuk. Ungläubig starrten die Männer, die zum ersten Mal mit Indianern in Berührung kamen, ihnen nach. Die erfahrenen Kämpfer unter ihnen wussten, dass dieser Spuk gerade erst begonnen hatte. Einige Verwundete hingen stöhnend in ihren Sätteln. Nein – so hatten sie sich das nicht vorgestellt. Irgendjemand brüllte laut Befehle. Das Signalhorn schmetterte die Tonleiter rauf und runter: Angriff!

Dann kamen die Comanchen über die Hügel zurück.

Oberstleutnant Smith, neben dem Trompeter auf seinem Pferd sitzend, trieb es aufgeregt nach vorn, um besser sehen zu können. Auch von dieser Position aus konnte er das Geschehen vor sich nur erahnen. In dem Geräusch der Geschütze vom Fluss her und den Einschlägen ging alles andere unter.

Im nächsten Moment übertönte der Kriegsruf der Comanchen alles.

Für Smith war es das erste Mal, dass er diese Art, über den Gegner Angst und Schrecken zu verbreiten, erlebte. Denn das war es, was ihm die Härchen auf den Armen sich aufstellen ließ. Nackte Angst. Unwillkürlich bekreuzigte er sich und blickte zu dem jungen Trompeter, dem das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Seine Uniformjacke hatte vorn und auf dem Rücken vom Schweiß dunkle Flecken bekommen. Im Schritt war seine ausgebleichte Hose verdächtig feucht. Smith sah es mit gemischten Gefühlen. Beklommen öffnete er die obersten Knöpfe seiner Uniformjacke. Wieder zum Fluss hin blickend, konnte er jetzt ein Stück offenes Wasser erkennen. Die Geschütze hatten ganze Arbeit geleistet. Ein Gefühl der Überlegenheit ergriff von ihm Besitz, machte ihn sicher. Wir kämpfen hier gegen primitive Wilde, sagte er sich. Mit Pfeil und Bogen haben sie gegen unsere Kanonen und Gewehre keine Chance. So sah er das noch immer. ‚Es müsste ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese Rothäute, die ihre Frauen und Kinder an der Backe haben, nicht besiegen könnten!‘ Schwer atmend stützte er sich mit einer Hand auf den Sattelknauf, mit der anderen führte er das Fernrohr wieder an sein Auge.

Durch den Rauch, der sich nur langsam lichtete, hatte der Captain einen besseren Blick auf das vor ihnen liegende Ufergelände. Da waren sie endlich, die Tipis. Manche bereits halb abgebrochen, so dass nur noch die Gerüste standen, andere schon auf Travois geladen. Frauen liefen eilig neben vollbepackten Pferden her; Kinder halfen, wo sie konnten. Kurzum, er sah – seinem Empfinden nach – ein heilloses Durcheinander. Eine Schar halbwüchsiger Kinder lief gerade in Richtung Fluss und verschwand hinter Bäumen. Als sie wieder auftauchten, saßen diese kleinen Mistkerle, von denen zwei noch kaum laufen konnten, mit ihren nackten Hintern auf Pferden, weitere Tiere geschickt im Schlepp an langen Leinen führend. Wie machten sie das nur?

Widerwillig musste er zugeben, dass ihm das imponierte. Sein Herz krampfte sich zusammenn und er bekam weiche Knie. Kurz zuvor hatte er noch überlegt, die Gatling einzusetzen; jetzt aber verwarf er diesen Gedanken ganz schnell wieder. Nicht, dass die Entfernung zu ihnen ein Hindernis gewesen wäre. Nein, die Reichweite stimmte. Plötzlich hatte er Hemmungen, auf wehrlose Kinder und Frauen zu schießen. Das würde ein Blutbad geben, sagte er sich schaudernd. Wieder blickte er in die Richtung, wo er eben noch die Kinder gesehen hatte; da waren sie verschwunden. Gottlob. Verdammt, was war nur mit ihm los?

Smith hatte bei ihrer letzten Besprechung noch gesagt: Wenn sie sich nicht freiwillig ergeben, dann machen wir sie alle nieder – alle, keine Gefangenen; wir vertilgen sie von der Erde. Jetzt musste er sich die Frage stellen, ob er ihnen diese Möglichkeit des Kapitulierens denn überhaupt gelassen hätte. Er selber war dieses Tötens müde. All die Jahre unter Mackenzie hatte er nur gegen Krieger gekämpft.

Frauen und Kinder wurden weitestgehend verschont, wenn es nur irgendwie ging. Aber das hier?

Erwartete Smith etwa von ihm, mit den Geschützen direkt auf Frauen und Kinder zu schießen? Bisher hatten sie nur auf Tipis mit der Absicht, sie von dort aufzuscheuchen, gezielt. Ihm machte es nichts aus, Krieger zu verfolgen, um sie zu töten. Sie oder ich – leben oder sterben. Während ihm das jetzt durch den Kopf ging, warteten seine Männer auf den nächsten Befehl. Die Frauen und Kinder vor ihnen waren nicht zu übersehen. Kinder, deren kleine Hände sich in die Mähne ihrer Pferde krallten.

„Wartet, bis sich die Rohre abgekühlt haben“, sagte der Captain und bedeckte mit einer Hand die drei goldenen Balken auf seiner Schulter. Auf einmal schien alle Kraft aus ihm gewichen zu sein. War das hier noch sein Kampf? Sein Leben? Müde blickte er sich um. Die Männer sahen aus wie die Schweine: schwarz verschmiert, verschwitzt, einige bluteten, ihre Gesichter und die Hände zum Teil mit Brandwunden bedeckt. Nein, sie hatten sich nicht geschont. Auch die Pferde standen erschöpft an der Seite. Sie alle hatten getan, was sie konnten, um – ja, was?

Er holte tief Luft. Um Menschen umzubringen. Das hier sollte sein letzter Einsatz sein, schwor er sich.

Oberstleutnant Smith fragte sich indessen ziemlich erbost, warum die Gatling noch immer nicht zum Einsatz kam. Durch sein Fernrohr hatte er eine flüchtende Schar Frauen mit Kindern gesehen und fluchte erneut. Irgendwie kam er sich wie ein Befehlshaber auf verlorenem Posten vor und wollte doch jemand sein, der seine Truppen zum Sieg führte. Entschlossen wandte er sich an seinen Trompeter, um ihn zur Artillerie hinüberzuschicken. Der Junge, nicht älter als vielleicht sechzehn Jahre, sollte dem Captain den Einsatz der Gatling eindringlich befehlen. Ungeduldig blickte er ihm nach. Dann bugsierte er sein Pferd mit einem leichten Schenkeldruck hinter eine Baumgruppe aus schlanken Erlen. Die Gatling blieb noch immer stumm, jetzt ebenfalls die beiden Haubitzen. Nun ja, sie mussten neu bestückt werden. Vielleicht waren auch die Rohre inzwischen zu heiß geworden.

Der Trompeter kam zurück. Smith nahm seine Antwort, die Gatling hätte Ladehemmung, als das hin, was sie war: eine Lüge. Ladehemmung? Dafür hätte sie erst einmal schießen müssen. Doch was sollte er machen? Die 80 Männer, die der Captain um sich hatte, waren eine eingeschworene Truppe. Sie würden ausnahmslos zu ihm halten. Erneut hob er sein Fernrohr ans Auge. Ich sollte diesen Wald verlassen und nachschauen, was meine Männer inzwischen erreicht haben, dachte er, da lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das Geschrei der Comanchen übertönte erneut sämtliche andere Geräusche. Nervös suchte er die Gegend vor sich noch einmal ab. Rauchschwaden lösten sich in Richtung Fluss nur langsam auf. Die Bäume, die noch standen, hatten ein weiß-grau-schwarzes Aussehen angenommen, als läge alles unter einer riesigen wabernden, nebelhaften Glocke.

Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, musste er näher heran. Ein seltsames Gefühl stieg in ihm hoch – Vorahnung? Da winkte er dem Trompeter, ihm zu folgen. Sie beide waren die Einzigen, die noch hier waren. Langsam ritten sie durch den sich vor ihnen lichtenden Wald. Die kurz zuvor dort entlanggekommene Kavallerie machte es ihnen leicht. Dann standen sie vor einer weiten Ebene, die sich vom Fluss bis in die Hügel hinzog. Durch sein Fernrohr betrachtete er mit klopfendem Herzen das Kampfgeschehen vor ihm. Da begannen seine Hände zu zittern.

Eine lebendige wogende Masse, bestehend aus Mustangs und Kriegern, ließ den Boden erbeben.

Er sah Arme, die Bogen spannten, eingelegte Pfeile, wieder andere Arme, sehnig, kraftvoll – in der Beuge Gewehre, Lanzen, auf dem Rücken prall gefüllte Köcher mit Pfeilen, glänzende, scharf geschliffene Kriegsbeile, die Griffe mit Bast umwickelt. Mustangs, die Nüstern aufgerissen und mit Augen, in denen das Weiße leuchtete, bleckten die Zähne, waren eins mit ihren Reitern. Grasfetzen, von wirbelnden Hufen hochgerissen, stoben nach allen Seiten.

Ungläubig starrte Smith auf Pferdeköpfe mit geknoteten Halftern, die so schnell dahingaloppierten, dass es einfach nicht sein konnte. Krieger, fast nackt, nur mit Waffen als Schmuck, hielten sich auf ihnen, als wären sie mit ihnen verwachsen. Der Begriff Zentaur fiel ihm ein. Vor seinen Augen wirbelte all das wild durcheinander. Wie versteinert saß er auf seinem Pferd. Ungläubig – in der Überzeugung, sich täuschen zu müssen – riss er erneut das Fernrohr ans Auge. Er war kurzsichtig und konnte ohne diese Hilfe nicht weit sehen. Doch das Bild veränderte sich nicht.

Augenblicke später war diese Masse aus Pferden und menschlichen Leibern bereits dabei, sich aus seinem Blickfeld zu entfernen. Unwillkürlich hatte er die Luft angehalten. Erneut setzte er das Fernrohr ab, um es sich gleich darauf wieder ans Auge zu reißen. Wo waren sie hin? Verdammt auch! Da – sie kamen wieder. Sie hatten ihre Mustangs nur gewendet und waren zurück. Aufgescheucht winkte er dem jungen Trompeter, der die ganze Zeit neben ihm geblieben war. Wo waren seine Männer – verdammt noch mal? „Angriff!“, brüllte er überflüssigerweise in den Lärm hinein und gestikulierte wild mit den Händen. Niemand hörte ihn. Der Trompeter riss sein Signalhorn an die Lippen und schmetterte den Befehl.

Da sah er seine Kavallerie inmitten dieser Teufel. Uniformen, in überwältigender Überzahl. Sie ritten, was das Zeug hielt, stoppten, versuchten auszuweichen, hielten auf die leichten wendigen Mustangs zu, verschwanden im Kampfgewühl, tauchten wieder auf. Ein riesiges Knäuel gegeneinander kämpfender Massen – uniformierter und halbnackter. Eine Abteilung Kavallerie – plötzlich wieder geordnet – sammelte sich, saß ab. Dann hoben die Männer ihre 16-schüssigen Remington-Gewehre, feuerten, was sie konnten, wurden mit Pfeilen, Lanzen, gegnerischen Gewehren attackiert. Harrten aus, schossen weiter, während schreiende, todesverachtende Krieger erneut auf sie einstürmten.

Die Mehrheit der Kavallerie konnte ihnen nicht helfen; sie hatten selber genug zu tun. Aus einer wirbelnden Masse reitender Comanchen, scheinbar ungeordnet und undiszipliniert, löste sich eine umgekehrt V-artige Formation und durchtrennte die Reihen der Kavallerie. Das geschah so plötzlich, dass es fast schon Zauberei war. Alles sah so leicht und einfach aus, so spielerisch und gekonnt, dass es dem Oberstleutnant die Sprache verschlug. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Sein Pferd tänzelte unter ihm wie von Sinnen; er versuchte, es zu zügeln – es stieg und warf ihn beinahe ab. Endlich brachte er es wieder unter Kontrolle. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Inzwischen hatte sich das Kampfgeschehen näher an ihn heran verlagert, so dass ihm der Pulverdampf in die Nase stieg. Die Luft war träge und schwer. Er ließ sein Pferd rückwärts in den Wald verschwinden, und auch der Trompeterjunge tat es ihm gleich.

Noch immer krachten Schüsse – dem Klang nach waren das seine Männer. Pfeile surrten, trafen lautlos und blieben in den Uniformen stecken. Stumme Waffen, dachte er irgendwie irritiert, doch genauso tödlich wie laute Gewehre. Pferde wieherten – das mussten die ihren sein. Irrwitzigerweise glaubte er nicht, dass Comanchenpferde überhaupt wiehern konnten. Oder doch? War er verwirrt? Das Ganze dort erschien ihm irgendwie unwirklich, hatte nichts mehr mit dem Hochgefühl zu tun, das ihn beim Anblick der ersten Tipis ergriffen hatte.

Menschen schrien. Stimmen erklangen in seiner Sprache. Jemand brüllte Befehle. Ein Trompetensignal ertönte. Geschütze krachten, das Bellen der Gatling zerriss endlich die Luft. Alles zusammen, alles auf einmal. Krieg, dachte er nur noch – das ist Krieg. Endlich – es waren nur Augenblicke vergangen, die ihm wie die längsten in seinem Leben vorkamen – löste sich die Starre von ihm. Entschlossen gab er seinem Pferd die Schenkel zu spüren und wandte sich in Richtung Artillerie. Ungefragt folgte ihm der junge Trompeter. Den kürzesten Weg einschlagend, erreichten sie die berittene Batterie Artillerie mit ihrem Captain. Der stand neben der feuerspeienden Trommel der Gatling und blickte ihm grimmig entgegen. Dort, wo er die ganze Zeit hinzielte, war kein einziger Mensch zu sehen.

„Die Gatling umdrehen, sofort – die Gatling rum“, brüllte Smith ihn an, wohl ahnend, was sich hier abspielte. Wenn es nach den Männern um ihren Captain ging, dann sollte sich das auch nicht ändern. Widerwillig, doch gehorsam, kam man seinem Befehl schleppend nach. Was nun passieren würde, hatte er nicht zu verantworten, sagte ihm der Blick des Captains. Die Gatling schwenkte auf dem eingeölten Standbein herum. Wild gestikulierend deutete der Oberstleutnant nach Osten. Wohin sollten sie zielen? Erst in diesem Moment begriff es der Captain. Hatte dieser Mensch denn völlig den Verstand verloren? Hart nach dem herunterhängenden Zügel des Pferdes, auf dem der Oberstleutnant saß, greifend, starrte ihn der Captain entsetzt an. Smith hatte die Augen wütend zusammengekniffen. Die des Captains der Artillerie waren blutunterlaufen und brannten vom vielen Rauch. Wenn sie jetzt die Gatling einsetzten – in dieser Richtung – dann würden sie die eigenen Leute treffen, ihre Pferde niedermähen, Menschen aus den Sätteln holen; es würde unnütze Verluste geben, viel zu viele Tote.

Smith atmete durch. In seinen Füßen kribbelte es bis in den Rücken hinauf. Er blinzelte. War er denn schon so verzweifelt, dass er das Leben seiner eigenen Leute aufs Spiel setzte? Den Kopf schüttelnd, um klarer denken zu können, riss er sich zusammen. Was war nur in ihn gefahren?

Als er die Veränderung in den Zügen seines Kommandanten sah, ließ der Captain erleichtert die Zügel los. Zugleich mit Smith wandte er sich in Richtung des Kampfgeschehens. Das Kriegsgeschrei schien näherzukommen. Den Männern der Artillerie machte das nichts aus, sie ignorierten es einfach. Aus ihren vom Pulver geschwärzten Gesichtern leuchteten die hellen Augen wie Irrlichter. Die Zunächststehenden hatten sehr wohl die stumme Zwiesprache zwischen Smith und ihrem Captain beobachtet.

Da rief einer von ihnen mit krächzend klingender Stimme, weil er zu viel Rauch eingeatmet hatte: „Sollen sie nur kommen – wir werden sie schon gebührend empfangen, Herr Oberstleutnant!“

Der Bann war gebrochen. Smith ließ sein Pferd langsam zurücktreten, bis es direkt neben der Gatling stand. „Zielt über ihre Köpfe“, meinte er erschöpft; dann musste auch er husten. Ein Nicken der umstehenden Männer. Wieder hustend deutete Smith nach vorn, über die Bäume hinweg. Seine Stimme war etwas belegt. „Sie sollen sich einfach nur vor Angst die nackten Ärsche bescheißen!“

Die Männer lachten gezwungen, obwohl keinem von ihnen zum Lachen war. Vier von ihnen traten an die Gatling heran und begannen, sie zu bedienen. Die erste Feuerzunge wischte ratternd über die Masse aus Kavallerie und Indianern hinweg.

Die Comanchen stoppten, ließen ihre Mustangs auf der Hinterhand wenden, rissen sie zurück und ritten aus der vermeintlichen Schusslinie. Wieder ratterte die Gatling los, leere Patronenhülsen zur Seite spuckend. Von irgendwoher tauchte der Adjutant auf. Staubbedeckt glitt er stöhnend vom Pferd. Seine ganze Erscheinung sah ziemlich mitgenommen aus. Schweißflecken zeichneten seinen Rücken, die Uniformhose hing zerfleddert um seine Knie, Blut rann aus einem zerfetzten Ärmel. Mit einer Hand wischte er sich über die Augen, mit der anderen stützte er sich stöhnend an einen Baum. „Wir haben zwölf Verwundete, Sir; wir haben sie hinter einen der Hügel bringen können.“

Heftig atmend schaute er die Gatling an und schüttelte den Kopf. „Die richtet nicht viel aus. Die verdammte Bande ist viel zu schnell dafür – und unsere Männer sind mittendrin.“

Smith wollte etwas erwidern, als jemand brüllte: „Nicht schießen, nicht schießen!“ Vor ihnen kamen zwei ihrer Männer durch die Bäume auf sie zu. Fluchend ließen sie sich aus dem Sattel ins Gras hinuntergleiten. Einer hatte einen Pfeil in der Brust. Sein Kamerad half ihm, sich halb aufzurichten, und der Captain beugte sich über ihn. Leicht mit dem Kopf schüttelnd blickte er dann zu Oberstleutnant Smith. Der Trompeter stand stumm daneben, Schweißperlen auf der Stirn.

„Der ist tot, Sir“, meinte der Captain überflüssigerweise und zog die Nase schniefend hoch.

Smith nickte; das erkannte er auch. Sich an seinen Adjutanten wendend, sagte er: „Ich will genau wissen, was sich da vorn tut.“

Der Bericht war kurz und knapp. Die Comanchen hatten ihre Reiterei überrumpelt. Es war ihnen gelungen, sich zwischen sie und die flüchtenden Frauen und Kinder zu werfen. Alles war viel zu schnell gegangen und sie selbst nicht auf diese Art Angriff vorbereitet gewesen. Was mit der Pferdeherde sei, fragte Smith. Die hatten die verdammten Comanchen schon längst in Sicherheit gebracht. Weiß der Teufel, wie. „Könnten die Geschütze …?“, versuchte es Smith mit einem Vorschlag. Er war sichtlich ratlos.

„Können sie nicht.“ Der Adjutant schlug sich an die Seite, an der sonst immer sein Säbel hing. „Wir haben getan, was wir konnten; es ist vorbei, machen Sie sich das endlich klar.“

„Aber“, wollte Smith erneut einwenden, als etwas an ihm vorbeipfiff und in einem der Bäume hinter ihm einschlug. Zwei Herzschläge später wurde sein Oberarm von einem Streifschuss getroffen. Das Pferd unter ihm stieg, und er rutschte aus dem Sattel. Einer der Artilleristen sprang hinzu, griff nach dem Halfter und hielt es fest. Der Adjutant wollte Smith helfen, da krachte ein weiterer Schuss und verfehlte ihn nur knapp.

Unter der Hand, die Smith auf die Wunde an seinem Oberarm presste, sickerte Blut. „Woher, zum Teufel auch, kam das denn?“, japste er und blickte sich um. Sie waren hier außer Reichweite der Gewehre – eigentlich.

„Das war keine der alten Schusswaffen, die die Indianer sonst so haben. Das war bestimmt das neue Modell einer Winchester. Möchte mal wissen, wo sie die herhaben“, schnappte der Adjutant und riss Smith die Uniformjacke von der Schulter. „Zum Glück nur ein Streifschuss, Sir“, stellte er fest, indem er sich sein Halstuch abband, um damit die Blutung zu stillen.

Der Oberstleutnant, dem seine Situation sichtlich peinlich war, rappelte sich wieder auf. „Eine der neuen Winchester?“ Ungläubig blickte er auf den provisorischen Verband. Die Umstehenden beachteten ihn nicht weiter. Sie waren in Deckung gegangen und lauschten. Der Kampflärm hatte wie mit einem Schlag aufgehört. Es war vorbei. Smith würde keine weitere Entscheidung mehr treffen müssen. Jedenfalls keine, die das Töten von Comanchen betraf. Ihr Kriegsgeschrei kam nur noch aus vereinzelten Kehlen – und ähnelte jetzt mehr einem Triumphgeheul. Ab und zu krachte noch ein Schuss.

„Ich habe nichts von Rückzug befohlen“, keuchte Smith, indem er versuchte, wieder in den Sattel zu steigen.

„Macht Euch nichts vor – wir können hier nichts mehr ausrichten“, versuchte ihm sein Adjutant klarzumachen. Es war die Wahrheit, so schmerzlich sie auch für ihn sein mochte. Smiths Kinnmuskeln mahlten. Doch jetzt überlegte er es sich, bevor er etwas sagte, das er im Nachhinein bereuen würde. Die Mienen der Männer, die ihn umstanden, bestätigten eindeutig die Meinung des Adjutanten.

„Haben wir Tote zu verzeichnen?“, fragte er, den Ärger hinunterschluckend. Seine Stimme war leise geworden.

„So viel ich weiß zwei, mit dem hier“, ergriff der Adjutant wieder das Wort. „Was mit den Comanchen ist, weiß ich nicht.“

„Wieso? Es wird doch sicher viele Tote bei denen gegeben haben?“

„Keine Ahnung, Oberstleutnant. Aber wenn, dann wissen wir es nicht. Sie nehmen die Toten mit, bevor sie sich zurückziehen.“

Smith betrachtete seinen Adjutanten mit einem seltsamen Blick. Er verstand das nicht. Warum sollten diese Wilden ihre Toten mitnehmen? Wollten sie sie etwa essen? Mit einem Seitenblick auf die überraschend hinter ihm wieder aufgetauchten Pawnee-Späher schwieg er jedoch. Völlig ruhig standen sie dort – sichtlich enttäuscht. Sie hatten die Armeemützen nicht mehr auf. Ihre Haare flatterten im aufkommenden Wind. Das war das Einzige, was sich an ihnen bewegte.

Ohne sie zu beachten – ja, als wären sie Luft – wandte sich der Captain der Artillerie an den Oberstleutnant. „Ah, die Pawnee sind ja auch wieder da. Dann ist es wirklich vorbei. Verlasst Euch darauf, Oberstleutnant. Die Comanchen sind auf und davon.“ Erst jetzt musterte er die Späher. In seinem Blick lag Verachtung. Er würde nie die Gründe verstehen, weshalb Indianer gegen Indianer kämpften.

Der Captain der Artillerie sollte Recht behalten. Was blieb, war ein aufgewühlter Kampfplatz. Tote, verendende Pferde und einige, sich aus ihrer Deckung endlich herauswagende verwundete Soldaten. Die Comanchen hatten niemanden ihrer Leute zurückgelassen – keine Verletzten, keinen einzigen Toten.

Während die Männer unter der Führung First Lieutenant Stone eilig, bevor die Sonne ganz verschwand, den Fluss entlangritten, fanden sie nicht mehr viel von den Tipis. An manchen Stellen lagen zerbrochene Stangen, einige Felle, Hausrat – weggeworfene Gegenstände, die es nicht wert waren, mitgenommen zu werden. Und Steine. Steine, mit denen die Büffelplanen der Tipis ringsum beschwert worden waren.

Die Kavallerie sammelte sich, nachdem der junge Trompeter auf Befehl des Oberstleutnants das Signal geblasen hatte. Langsam ritten sie zu dem wartenden Tross zurück. Vierzehn mehr oder weniger schwer Verwundete wurden unterdessen von zwei Sanitätern versorgt. Ein weiterer Mann würde es wahrscheinlich nicht überleben. Also drei Tote, musste Smith feststellen. Scheiße, dachte er und schluckte seinen Ärger hinunter. Beschämt über die offensichtlich erlittene Niederlage, die er als seine persönliche nahm, überlegte sich Oberstleutnant Smith reiflich, was in seinem Bericht stehen sollte. Dann – sich an einige, die in seinem Büro gelandet waren, erinnernd – beschönigte er ihn so, wie es alle anderen seiner Meinung nach sicher auch machten. Kein Wort von Niederlage. Er schrieb, dass es ihrem Einsatz zu verdanken war, ein Comanchenlager aufgescheucht zu haben – was so ja auch nicht unbedingt falsch war.

Die sechs Pawnee verfolgten die Spuren, die die Travois hinterlassen hatten, noch eine Weile – allerdings in gebührendem Abstand. Von einer Nachhut der Comanchen gesichtet, flüchteten sie eiligst zurück. Oberstleutnant Smith beschloss, ein Lager vor dem Geröllfeld aufzuschlagen. Dort richteten sich die Soldaten ein. Wo die Pferdeherde der Comanchen noch kurz zuvor gegrast hatte, brachte die Artillerie ihre Geschütze und die Wagen unter. Sie waren eine eigene, eingeschworene Truppe und zogen es vor, etwas entfernt von der Kavallerie zu kampieren.

Das geräumige Zelt des Oberstleutnants stellte man vor der Senke auf – gegenüber einer knorrigen, mächtigen Eiche. Er teilte eigenhändig die Wachen ein, und der Captain machte es ebenso auf der anderen Seite des Flusses. Bald loderten überall Feuer und erhellten die beginnende Nacht. Genügend Holz fand sich überall, zumal die Haubitzen ganze Bäume umgemäht hatten. Kleine Trupps von Soldaten kauerten neben den Feuern, teilten Proviant, Tabak und Whiskey miteinander. Natürlich drehten sich die Gespräche um den vorangegangen Kampf. Manch einer protzte mit seinen Taten, aber die meisten zogen sich erst einmal in sich zurück und schwiegen – besonders die Neulinge unter ihnen, die so genannten Zeitsoldaten. Nach einer kurzen lückenhaften Ausbildung waren sie nach Westen verfrachtet worden. So aber hatten sie sich das nicht vorgestellt. Die hartgesottenen Indianerkämpfer unter ihnen lachten, machten derbe Späßchen mit ihnen. Sie kannten noch ganz andere Geschichten – gruselige Geschichten, die sie jetzt hervorkramten. Darin war von grauenhaften Foltermethoden die Rede, angeblich mit eigenen Augen gesehen.

Immer wieder – heimlich und von den anderen unbeobachtet – suchte der eine oder andere in der Dunkelheit nach Anzeichen von Comanchen. Unsicher durchforschten ihre Blicke die Dunkelheit. Waren sie wirklich fort? War der Spuk vorbei? Hinter jedem Schatten, jedem flackernden Licht oder einem unbekannten Geräusch witterten sie eine neue Gefahr. Noch trauten die wenigsten von ihnen dem Frieden. Nur langsam kehrte Ruhe ein.

Im Zelt des Oberstleutnants wurde im Kreis der Offiziere geredet und unmäßig gezecht. Sie waren erleichtert, so glimpflich davongekommen zu sein, obwohl das niemand zugegeben hätte. Auch Gelächter ertönte zuweilen. Insgeheim fragte sich Smith, was wohl Mackenzie zu seiner Aktion sagen würde. Zwar war es ihm gelungen, die Comanchen in die Flucht zu schlagen – doch war das wirklich so? Das änderte nichts am Zweck seiner Mission. Die noch immer frei herumstreifenden Comanchen zu töten – das wäre es gewesen. Sie gehörten umgebracht oder in die Reservate verfrachtet. Sie waren und blieben eine ständige Gefahr für Texas, also mussten sie weg.

Oberstleutnant Smith hatte soeben seinen geschönten Bericht beendet. Zwar war er ein penibler Mann, aber für ihn stand mehr auf dem Spiel: seine militärische Zukunft. Für ihn war das hier sein erster und letzter Einsatz im äußersten Westen gewesen. Mit einem Blick auf den sachgemäßen Verband, der jetzt seinen Oberarm zierte, seufzte er. Das Büro, das ihm bisher nur als einengender und langweiliger Arbeitsplatz vorgekommen war, erschien ihm plötzlich als der willkommenste Ort auf Erden. Mit dem niedrigen Sold musste er sich eben abfinden. Immer noch besser, als hier draußen von einem Gewehr getroffen zu werden, dessen Herkunft zweifelhaft war. Sollte Mackenzie doch Recht behalten – er jedenfalls sah sich nun hier fehl am Platz. Selbstkritisch stellte er fest, das alles völlig unterschätzt und seine eigenen Fähigkeiten überschätzt zu haben. Ein klein wenig plagte ihn auch sein Gewissen, denn oft schon war er sich mit hochrangigen Offizieren, die er auf Empfängen und Bällen getroffen hatte, einig gewesen, was die Beurteilung eines Mackenzie betraf. Hinter seinem Rücken hatten sie sich nur herablassend über den Oberst und jetzigen Kommandanten der Forts Concho und Richardson geäußert. Ja, sogar seine Kompetenz hatten sie angezweifelt. Was seine Kriegsführung anbelangte, war Smith in das verächtliche Lachen eines herausgeputzten, blondgelockten Schönlings wie Custer eingefallen – ohne eigentlich zu wissen, worüber er da lachte. Welche Ironie. Was wusste er denn schon von Indianerkämpfen? Er hatte gerade selber erfahren müssen, was es bedeutete, als Theoretiker gegen Indianer zu kämpfen. Jetzt, nach dieser einen Erfahrung, nahm er sich vor, in Zukunft nicht mehr alles zu glauben, was manch ein großspuriger Schwätzer so von sich gab. Und die Berichte, die die Öffentlichkeit zu lesen bekam, waren sicher genauso geschönt wie sein eigener. Dieser Westen hier war verdammt noch mal das Letzte, was er sich als Kommandeur eines Armeeverbands vorstellen konnte.

Nachdem die betrunkenen Offiziere das Zelt verlassen hatten, saß er noch lange grübelnd über seinem abgeschlossenen Bericht. Er hatte sich einen warmen Mantel übergezogen, denn die Nächte hier waren kalt. Eine zusätzliche Patrouille zu der eingeteilten Wache sollte die ganze Nacht hindurch das Lager umrunden. Wie eine Herde Rinder, um die die Cowboys leise ritten, ging es ihm durch den Kopf. Aber statt nach Wölfen oder Viehdieben hielten sie nach Comanchen Ausschau. Am nächsten Morgen bei hellem Tageslicht sollte die weitere Umgebung noch einmal gründlich abgesucht werden. Vielleicht fand man ja doch noch etwas – Verletzte vielleicht oder sogar Tote?

Seufzend zog er den Mantel enger um sich. Ein letzter Rundgang durch das Lager stand noch an, das war er seinen Männern schuldig. Im Grunde genommen wollte er nur sein Ansehen aufpolieren, denn er wusste wohl, welchen Eindruck er bei vielen von ihnen hinterlassen hatte.

Vier von seinen sechs Pawnee-Spähern sollten ihn dabei begleiten, obwohl er noch immer kein großes Vertrauen zu ihnen empfand. So sehr er sie auch verabscheute – die Tonkawa-Scouts, die Mackenzie immer begleiteten und die ihm dieser angeboten hatte – waren ihm noch mehr zuwider. Zu gut erinnerte er sich an die wilden Geschichten, die man über sie erzählte – haarsträubende Geschichten, die von Kannibalismus und Fressgelagen mit Teilen getöteter Gefangener handelten. Smith schüttelte sich voller Abscheu. Egal, ob das nun stimmte oder nicht – er jedenfalls glaubte es. Warum um alles in der Welt sich Mackenzie mit ihnen abgab, ja, ihnen sogar sein eigenes Leben und das seiner Männer anvertraute, blieb ihm ein Rätsel. Da verließ er sich doch lieber auf diese Pawnee-Scouts, obwohl ihm bei ihrem Anblick nicht gerade wohl war. Dass sie auf einmal wieder ihre Armeemützen trugen, weil sie nicht sofort von eventuel herumstreifenden Comanchen als Pawnee erkannt werden wollten, machte es für ihn nicht gerade besser. Und doch konnte er sich nicht über sie beklagen. Während des Ritts nach Fort Concho waren sie ihm nicht einmal zu nahe gekommen; immer hatten sie Abstand gehalten, was ihm nur recht gewesen war. Wenn auch ihre Manieren manchmal zu wünschen übrig ließen – ihm gegenüber blieben sie immer höflich. Kein Anzeichen von Feindseligkeit, während er selbst sein Misstrauen nicht ablegen konnte.

In Gedanken versunken ritt er im Schritttempo mit vier von ihnen an der Senke vor dem Geröllfeld vorbei. Der Mond beleuchtete einen Teil des unten wachsenden Gesträuchs. Die alte, knorrige Eiche warf ihren Schatten lang auf den Boden. Irgendwie sah alles hier gespenstisch aus. Gerade wollte Smith zum Fluss hin abbiegen, da machte ihn der Pawnee mit den Pockennarben auf etwas aufmerksam und hob lauschend den Kopf. Jetzt hörte er es auch. Irgendwo von dort oben, von den Felsen her, kam ein unterdrückter Schrei. Kurz danach folgte ein unheimliches Wimmern, das jäh abbrach. Mit gespannten Gesichtern lauschten sie in die Stille der Nacht. Doch da weiter nichts mehr passierte, schüttelte Smith nur den Kopf. „Vielleicht ein Raubtier? Ein Puma?“ Seine Stimme klang verhalten, als hätte er Angst, dass ihn jemand hörend könnte. In Wahrheit war ihm der Schreck durch Mark und Bein gefahren.

Die Pawnee lauschten weiter. Einer von ihnen verzog spöttisch den Mund. „Nein“, sagte Narbengesicht, „Baby. Hören an wie Baby.“

Entsetzt weiteten sich Smiths Augen. Der Pawnee nickte und wiederholte herausfordernd: „Baby. Comanchen-Balg. Píh-rau. Du nicht kennen Schrei von Puma? Ich, Pawnee-Mann, kennen gut.“

„Gehst du da jetzt hoch, um nachzusehen?“ Oberstleutnant Smith stellte diese Frage mit voller Absicht, um sich für seinen Tonfall zu rächen. Er kannte ihre Furcht vor den Comanchen ja jetzt. Der Pawnee würde das nicht wagen, davon war er überzeugt. Ein Blick aus seinen dunklen Augen ließ ihn erschauern. „Nein, ich hab nur einen Scherz gemacht“, sagte er deshalb schnell; er wollte den Scout nicht verärgern. „Ich will heute Nacht keine Alleingänge mehr“, setzte er erklärend hinzu. „Wenn dort oben noch Comanchen stecken, dann können sie nicht weg. Und ein Kind? Ein Baby? Dort oben sitzen sie in der Falle, sie können nirgendwo anders hin, als hier runter. Und Pferde werden sie wohl auch nicht dort oben haben. Hier wimmelt es nur so von unseren Männern; und sollten sie über den Wald abhauen wollen – da sind ebenfalls unsere Leute.“

„Falle gut, Pawnee passen auf.“ Wie, um seine Worte zu bekräftigen, blieb er mit verschränkten Armen auf seinem Pferd sitzen.

Smith betrachtete ihn zweifelnd. Aber dieser sture Hund meinte es tatsächlich ernst. Oben blieb es weiterhin still. Smith nickte, als würde er diesen Einfall befürworten. Langsam machte er sich mit den drei anderen Pawnee wieder auf den Weg ins Truppenlager. Leutselig, nicht mehr an den eben erlebten kleinen Zwischenfall denken wollend, unterhielt er sich mit den Männern, die noch vor ihren Zelten saßen.

Der Wache haltende Pawnee mit dem Pockennarbengesicht saß still und aufmerksam auf seinem Pferd. Das Geröllfeld über ihm lag im Dunkeln. Später, als kleine Steine herunterkullerten, suchte er zwar nach der Ursache, konnte aber nicht viel erkennen, dafür hätte er schon nach oben klettern müssen. Sich selber beruhigend, gab er sich damit zufrieden, dass es vielleicht nur der Wind gewesen war oder ein kleines Tier. Doch der Schrei klang ihm immer noch in den Ohren. Das war nicht der Wind gewesen. Misstrauisch blieb er auf seinem Posten. Das Lager vor ihm glich einem lärmenden Haufen Soldaten, die auch zu dieser späten Stunde nicht zur Ruhe kamen. Der Weiße Mann ist ein großer Dummkopf, sagte er sich. Überall brannten Feuer; man konnte die Männer ganz deutlich sehen, die sich gegenseitig zutranken oder einträchtig beieinander saßen und Karten spielten. Erzählungen, die meisten davon völlig übertriebene eigene Heldentaten gegen ihnen unterlegene Indianer – machten weiter die Runde. Oberstleutnant Smith ließ sich großmütig an manchem Feuer nieder und hörte sich diese Geschichten an. Doch, dachte er ein über das andere Mal, wenn er in die strahlenden Gesichter seiner Männer blickte – eigentlich war das hier ja gar keine Niederlage gewesen. Alles in allem vielleicht sogar ein kleiner Sieg. Schließlich war es ihnen gelungen, alle Comanchen von hier zu vertreiben. Jawohl, das hatten sie. Warum nicht einfach behaupten, dass sie ihre Toten mitgenommen haben? Der eine oder andere Augenzeuge ließ sich doch wohl finden? Wer sollte denn das Gegenteil beweisen? Vielleicht stimmte es ja sogar. Nun, er würde diesen unseligen Bericht noch einmal umschreiben – was war schon dabei? Mit den schwindelerregenden Verlustmeldungen, was die getöteten Indianer eines Custer betraf, wollte er zwar nicht mithalten, doch es würde niemandem schaden, wenn er ein wenig übertrieb. Wahrscheinlich war Mackenzie, den niemand, den er kannte, besonders schätzte, der Einzige, der die Wahrheit in seinen Berichten schrieb.

Diese Überlegungen im Kopf, ritt er zum Fluss hinunter. Die drei Pawnee-Scouts an seiner Seite, überquerte er eine flache Stelle und kam am anderen Ufer – fast ohne sich die Stiefel nass zu machen – heraus. Die Wagen und Geschütze der Artillerie hatte der Captain dicht beieinander angeordnet. Hier hatte vor kurzem noch die Pferdeherde der Comanchen gegrast, wie Smith deutlich erkennen konnte. Kaum zu glauben, wie viele es gewesen sein mussten! Er schluckte seinen Unmut hinunter. Bedauerlich, dass die ihm entwischt waren. Sein Pferd anhaltend, schaute er sich um. Die Deichseln der beiden mit Munition und Verpflegung beladenen Wagen ruhten jede quer auf einem Stein. In weitem Umkreis lagen verstreute Ausrüstungsgegenstände der Männer, die sich etwas abseits um einige Feuer versammelt hatten. Ihre Pferde grasten weiter oben. Man konnte sie nicht sehen, jedoch ihr leises Schnaufen hören. Auch hier wurden Geschichten erzählt, die nicht immer der Wahrheit entsprachen.

Smith saß ab, um sich zu ihnen zu gesellen, und prompt verstummte das Gelächter. Er sah wohl auch die Blicke, mit denen sie die drei Pawnee musterten, und schob es darauf, dass sie das für völlig übertrieben hielten – hier, inmitten seiner Männer. Deshalb schickte er zwei von ihnen auf Streife in den Canyon. Einer blieb in angemessener Entfernung von ihm auf seinem Pferd sitzen. Bald schon verschmolz seine einsame Gestalt mit der Nacht.

Comanchen Mond Band 2

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